»Public-Domain-Software« sind Programme, die legal kopiert und weitergegeben werden dürfen. »PC-SIG« ist weltweit der größte Anbieter dieser Fast-umsonst-Program-me, die sich an Qualität selten hinter kommerziellen Produkten verstecken müssen. Doch die Philosophie der freien Software beginnt Rost anzusetzen. Schluckt der Kommerz die Public-Domain?
Ein neuer Computer wird am 18.1.1983 auf den amerikanischen Markt geworfen. Er hat einen neuen Prozessor, den Intel 8088. Sein Name: IBM-PC. Sein größter Vorteil: Er ist erschwinglich, auch für Heimanwender. Doch die Software ist rar und bleibt für Hobby-isten unbezahlbar. So schlägt Anfang der 80er Jahre die Stunde der Userclubs. Tausende von PC-Anwenderclubs schießen aus dem Boden und machen den bis dahin existierenden CP/M- und Apple-Clubs Konkurrenz.
Es ist wie in guten alten CP/M-Zeiten. Zuerst wird kopiert: Die teuren Anwenderprogramme wie Wordstar oder dBase werden gemeinsam gekauft, der eventuell vorhandene Kopierschutz entfernt und die geknackten Versionen verteilt. Die Kopien zirkulieren, werden weitergegeben. Wordstar wird auf diese Weise das am häufigsten kopierte Programm aller Zeiten. (Nach Schätzung der Firma Microsoft existieren von Wordstar über eine Million Raubkopien.)
Aber wo es keine Software zu kaufen gibt, da gibt es auch nichts zu kopieren. Vor allem bei den Utilities, den nützlichen kleinen Anwenderprogrammen, gibt es nichts, denn für die Softwarehersteller ist die Produktion solcher kleinen Programme nicht lukrativ genug. So werden in den amerikanischen Computerclubs die Programme selbst geschrieben. Und was ein richtiger Computerfreak ist, der hat sich auch schon mal über die astronomischen Preise der Firmen geärgert. Deshalb werden die selbstgeschriebenen Programme kostenlos oder gegen einen kleinen Unkostenbeitrag angegeben. Eine neue Art von Software ist entstanden: Public-Domain — öffentliches Eigentum.
Aber nicht nur Utilities entstehen in dieser Zeit: Andrew Flügelmann arbeitet am »ersten vernünftigen Terminalprogramm für IBM-PC und IBM-PCjr«, nennt es »PC-Talk« und vertreibt es als »Freeware«, worunter er Software ohne Kopierschutz versteht. Jim Button schreibt das Datenverwaltungsprogramm »PC-File« und ein brauchbares Tabellenkalkulationsprogramm namens »PC-Calc«. Und Bob Wallace entwickelt die Tbxtverarbeitung »PC-Write«, das inzwischen wohl populärste Public Domain-Programm.
Und sie alle bringen ihre Programme in den Softwarepool eines kleinen Userclubs ein: In die Softwarebibliothek der »Personal Computer Software Interest Group« — der PC-SIG.
»PC-File« beispielsweise wurde als PC-SIG-Diskette Nummer 5 der Öffentlichkeit angeboten.
Inzwischen ist die Softwarebibliothek bei Diskette Nummer 664 angekommen. Die Tendenz ist steigend. Die PC-SIG-Mitarbeiter rechnen mit weiteren zweihundert bis dreihundert Disketten pro Jahr. Denn die zahllosen Freaks sind nicht die einzige Quelle, aus der die PC-SIG-Softwarebibliothek gespeist wird. Obwohl der Idealismus der Computerenthusiasten und der Wettstreit der verschiedenen Computerclubs untereinander immer noch die meisten und besten Programme hervorbringt. Denn eine noch schnellere Bildschirmausgabe, einen komplexeren Tastaturtreiber, eine leistungsfähigere Such-, Hardcopy- oder Sortierroutine oder ein besseres Spiel zu schreiben als die Kollegen vom benachbarten Computerclub, ist für viele Freaks Ansporn genug, sich tage- und wochenlang vor den Computer zu setzen und zu programmieren. So entstanden professionelle Utilities von der RAM-Disk bis zum kompletten Programmierer-Tool. (Einige der wichtigsten Utilities und Programme aus der PC-SIG-Bibliothek haben wir im Happy-Computer-Sonderheft 14 »Software« ausführlich beschrieben.)
Eine weitere wichtige Quelle von PC-SIG zur Erweiterung ihrer Software-Bibliothek sind staatlich geförderte Forschungsprojekte der großen amerikanischen Universitäten. Die Förderung mit öffentlichen Mitteln ist in den USA häufig mit der Auflage verbunden, daß die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht werden. Aus dieser Quelle entspringen oftmals Programme mit hohem wissenschaftlichen Anspruch. Das Terminalprogramm »Kermit« beispielsweise wurde 1981 in der »Columbia University Center for Computing Activities« im amerikanischen Bundesstaat New York entwickelt, um einen Standard für die Übertragung von Binärdateien zwischen Großrechenanlagen zu setzen. Inzwischen gibt es Implementationen von »Kermit« für über tausend verschiedene Computertypen. Die MS-DOS-Variante ist auf Diskette Nummer 41 bei PC-SIG zu bekommen. Und die Ergebnisse der Forschungen des Ridgetown College of Ontario, der University of Minnesota und des Alberta-College zum Thema Landwirtschaft mündeten in drei Disketten (Nummern 459, 460 und 461) mit »Assorted Agricultural Programs« für Farmverwaltung und Tierhaltung.
Aber auch Spezialanwendungen, für die es nur einen sehr kleinen oder gar keinen kommerziellen Markt gibt, sind auf den Public-Domain-Disketten zu finden. Denn viele Programme mit ganz spezieller Problematik, in denen oft sehr viele Jahre an Programmierarbeit stecken, lassen sich oftmals nur schwer an einen möglichen Kundenkreis heranführen. dBase-, Lotus-oder Framework-Anwendungsprogramme gehören dazu, genauso wie »the World digitized« (Diskette Nummer 496), ein Programm für Kartographen, das die Daten von rund hunderttausend Punkten auf der Welt angeben kann.
Doch nur ein kleiner Teil der Programme in der PC-SIG-Softwarebibliothek sind »Public-Domain«, also frei von allen Urheberrechten. Der weitaus größte Teil ist »Shareware« oder »User-supported Software«, also Programme, die nach wie vor unter dem Urheberrecht der Autoren stehen, aber solange frei kopiert werden dürfen, solange sie nicht kommerziell vertrieben werden. Und wer ein Shareware-Programm regelmäßig nutzt, ist aufgefordert, sich als Benutzer für eine geringe Gebühr registrieren zu lassen. Dafür erhält man in der Regel eine gedruckte Programmanleitung sowie ein oder mehrere Updates.
Für die Autoren ist der Vertriebsweg über PC-SIG oder andere Softwarebibliotheken ideal: Es entstehen ihnen keine Kosten für Werbekampagnen oder Vertriebsorganisation, sie haben direkten Kontakt mit den Benutzern unter Umgehung sämtlicher Zwischenhändler. Und für den Benutzer ist Shareware ein Softwarekauf ohne Risiko. Denn schließlich kauft er nur, wenn ihm ein Programm nach ausführlichem Tsst auch gefällt. Außerdem kann er sich bei Bedarf direkt an den Autor wenden. Entweder mit Fragen zum Programm oder weil er einen Fehler entdeckt hat.
Doch das Shareware-Konzept hat seine Tücken: Jim Button, der Autor von »PC-File« schätzt, daß nur rund zehn Prozent aller Anwender sich als Benutzer haben registrieren lassen. Über 90 Prozent benutzen das Programm, ohne dafür zu bezahlen. Er hat mit seiner Firma »ButtonWare« inzwischen die Konsequenz daraus gezogen: Das der neuesten Programmversion 4.0 von PC-File auf Diskette beigefügte Manual hat große Lücken. Nur das gedruckte Handbuch ist komplett. Das aber bekommen nur registrierte Benutzer. Ob das nicht ein Verrat an der Idee der »User-supported Software« ist, weü dadurch Anwender dazu gezwungen werden, das Programm zu kaufen, obwohl sie sich nur einen Teil davon haben ansehen und benutzen können? Jim Button verneint: »Die einzigen, die sich beschweren, sind die, die keine Lust haben, Geld für das Produkt auszugeben. Und wenn meine Nicht-Kunden mich kritisieren, macht mir das nichts aus.«
Kommerz und CD-ROM
Doch auch die »Software Interest Group« PC-SIG ist auf dem Weg in die Kommerzialisierung: Seit Ende letzten Jahres gibt es für jedes Land »autorisierte PC-SIG-Händler«, die mit dem offiziellen PC-SIG-Logo (ein rotes Rechteck um ein Dreieck aus weißen Punkten) werben dürfen. Nur diese dürfen den Namen »PC-SIG« benutzen und die Katalogdisketten verkaufen. In Deutschland zum Beispiel wurden alle anderen Händler abgemahnt, weil von ihnen kein Geld nach Amerika zurückfloß. Auch für die Public-Domain-Benutzer hat dieser Schritt Folgen: Denn PC-SIG gibt Unterstützung in Softwarefragen und nimmt beispielsweise auch defekte Disketten zurück. Allerdings nur bei Originaldisketten, die an ihrer grauen Farbe und dem roten PC-SIG-Signet zu erkennen sind.
Zum ersten Mal war PC-SIG auf einer europäischen Messe zu sehen: Auf der CeBIT in Hannover stellte sie unter dem Dach des US-amerikanischen Handelsministeriums aus und propagierte die neueste Errungenschaft auf dem Gebiet der Software: das CD-ROM. Die komplette Softwarebibliothek auf einer Compactdisk, insgesamt rund 230 Megabyte Programme und Anleitungen soll für etwas über 350 Mark zu haben sein. Die komplette Bibliothek inklusive zweier Updates, auf denen dann die gesamten neuen Disketteninhalte sein werden, kostet rund 750 Mark. (jg)
PC-SIG
Die PC-SIG ist mit ihren mehreren tausend Mitgliedern nicht nur eine der größten Usergruppen der Welt, sondern mit den vielen tausend Programmen auch das größte Softwarehaus der Welt.
Für 35 Dollar im Jahr können Sie bei PC-SIG Mitglied werden. Dafür erhalten Sie die monatliche Zeitschrift »PC SIG News Magazine«, ein aktuelles Inhaltsverzeichnis aller verfügbaren Disketten sowie Rabatte beim Bezug von PC-SIG-Disketten.
PC-SIG
1030 Easte Duane Avenue
Suite D
Sunnyvale
California 94086
USA
Es gibt eine ziemliche Begriffsverwirrung auf dem Gebiet der freien Software. »Public-Domain« und »Freeware« werden zum Beispiel fast immer verwechselt. Nachfolgend eine kurze Erläuterung der gängigsten Begriffe:
Public-Domain: (wörtlich: öffentliches Gebiet) Programme, deren Autoren auf die Ausübung ihres Copyright verzichten, und die ohne Einschränkungen frei kopiert, geändert und weitergegeben werden können.
Shareware oder User-supported Software: Programme, die frei kopiert. aber nur nichtkommerziell vertrieben werden dürfen. Sie dürfen dabei weder geändert noch dürfen Programmteile auf den Kopien weggelassen werden. Bei regelmäßiger Benutzung muß der Anwender sich entweder registrieren lassen oder einen bestimmten, im Programmvorspann festgelegten Geldbetrag überweisen. Sämtliche Rechte liegen weiterhin bei den Autoren.
Freeware: Nach einer Definition von Andrew Flügelmann sind Freeware-Programme Programme ohne Kopierschutz. Inwieweit sie benutzt, kopiert und weitergegeben werden dürfen, ist im Programmvorspann oder in den Hilfstexten angegeben.