Die World Games-Story

Zum dritten Mal erhielt Epyx den Preis »Spiel des Jahres« von unseren Lesern. Grund genug, sich mal bei Epyx umzuhören, wie Spiele wie »World Games« entstehen.

Mitte Januar in Kalifornien. Großer Jubel im Büro von Epyx, denn »World Games« wurde von unseren Lesern zum Spiel des Jahres 1986 gewählt. Das Besondere an diesem Ereignis: Epyx erhielt diesen Preis schon für »Summer Games« und für »Summer Games II«. Auch »Winter Games«, das Anfang 1986 erschien, konnte sich bei den Lesern behaupten und landete auf Platz 8. Eine stolze Erfolgsbilanz, denn damit haben unsere Leser seit Bestehen dieses Happy Computer-Wettbewerbs immer ein Spiel aus der Games-Reihe auf den ersten Platz gewählt.

Das war nicht nur Grund genug zum Feiern, sondern auch für ein Interview. Also entschloß sich Boris, der Mitte Januar in Las Vegas die CES besuchte, vor dem Heimflug noch einen Abstecher zu Epyx in Redwood City, Kalifornien, zu machen und dort die World Games-Story zu recherchieren.


Von links nach rechts: Michael Kosaka und Jenny Martin, die Grafiker von World Games, sowie Matt Householder, ausführender Produzent.

Bei Epyx standen uns Rede und Antwort: John Brazier (Senior Vice President), seine »rechte Hand« Jeneane Harter. Robert Lindsey (Director, Creative Development), Matt Householder (Produzent von World Games) sowie Michael Kosaka und Jenny Martin (Grafiker von World Games). Sie erzählten uns Geschichten rund um World Games und die Zukunft der Games-Serie.

Angefangen hatte alles Mitte Dezember 1985, als nach der Fertigstellung von »Winter Games« beschlossen wurde, ein weiteres Spiel der Games-Serie zu entwickeln. In einer großen Konferenz setzten sich alle beteiligten Ftersonen zusammen, um Ideen für das neue Spiel zu sammeln. Gesucht wurde ein Thema, unter dem man eine Gruppe von Disziplinen zusammenfassen konnte. Erste Vorschläge wie futuristische Spiele oder Spiele im alten Griechenland oder Mittelalter wurden vorerst wieder verworfen. Man einigte sich darauf, daß man ungewöhnliche nationale Sportarten der Gegenwart programmieren würde. Verbindendes Thema sollte eine Reise um die Welt sein.

Als nächstes stand die Auswahl der Disziplinen an. Es wurden Hunderte von Ideen gesammelt. In einem Protokoll dieser Sitzung sind, neben den in World Games vorhandenen Disziplinen, viele andere verzeichnet. So war beispielsweise Surfen auf Hawaii, BMX-Fahren in Amerika oder Holzfällen in Kanada im Gespräch. Als am Ende der Diskussion kerne vernünftigen Einfälle mehr kamen, wurden aus Spaß sogar »Sportarten« wie Russisches Roulette oder Pistolen-Duell vorgeschlagen.

Der nächste Schritt war das Sammeln von Material. Matt zeigte uns eine dicke Mappe mit Fotokopien aus Sportbüchern, Zeitungsausschnitten und Fotos. Dort befinden sich Unterlagen über alle acht realisierten Disziplinen und einige mehr. So entdeckten wir beispielsweise Regel- und Taktikbücher über Fußball. Matt dazu: »Wir wollten ursprünglich Fußball als deutsche Disziplin verwenden, doch das wurde dann zu aufwendig.

Wie kommt der Fußball in die Mappe?

Wir dachten einige Zeit lang an ein Elfmeter-Schießen, aber dann gefiel uns die Idee mit dem Faßspringen wesentlich besser.« Ob Epyx vielleicht mal ein Fußballspiel herausbringt, wollte man uns nicht verraten. Ausgeschlossen sei dies aber nicht.

Auf unsere Frage, wieso man gerade Faßspringen für Deutschland ausgewählt hat. das selbst in Deutschland nahezu unbekannt ist. sagte man bei Epyx nur: »In irgendeinem amerikanischen Buch wurde das sehr ausführlich beschrieben und als Nationalsport bezeichnet.«

Als die Disziplinen feststanden, ging es ans Design. Wie sollten die Disziplinen aufgebaut werden, wie soll die Steuerung funktionieren, wie soll die Grafik aussehen? Obwohl die Games-Spiele keine Simulationen sind, sollen sie doch so lebensecht wie möglich sein. Für die einzelnen Disziplinen wird ein sogenanntes »Storyboard« gezeichnet. In einzelnen, handgemalten Bildern werden erste Entwürfe für die grafische Gestaltung gemacht. Diese sind aber nicht endgültig und können sich jederzeit ändern. Nach diesen Vorgaben der Designer gehen dann die Programmierer ans Werk.

Natürlich gibt es hier manchmal kleine Pannen, zum Beispiel beim »Caber Toss« (Schottisches Baumstamm-Werfen). Im Spiel geht es darum, den Stamm möglichst weit zu werfen. Als das Design dieser Disziplin bereits fertig war, fand in einer nahe gelegenen Stadt eine schottische Woche statt, in der auch ein echter Caber Toss-Wettbewerb veranstaltet wurde. Zu ihrem Entsetzen stellten die Designer fest, daß es bei dieser Disziplin nicht auf die Weite, sondern auf die Richtung des Wurfes ankommt. Je gerader der Stamm fliegt, desto mehr Punkte gibt es. Doch dann beruhigte man sich gegenseitig mit den Worten: »In Amerika kennt sowieso niemand diese Disziplin, also lassen wir das Programm so wie es ist.«

Die Programmierer arbeiten ebenfalls beim Spiel-Design mit, denn schließlich wollen sie nicht, daß ihnen unmögliche Aufgaben gestellt werden. Somit ist gewährleistet, daß das Spiel rechtzeitig und fehlerfrei fertig wird.

Der nächste Schritt ist das Zeichnen aller Grafiken und Animationen. Diese Aufgabe dauert länger, als man glaubt. In einer Disziplin stecken mehrere Wochen Arbeit, denn die Grafiker malen nicht nur einfach bunte Bilder, sondern achten auch darauf, daß die Programmierer diese verwenden können.

Die unterschiedlichen Computer machen es den Grafikern oft sehr schwer. So arbeitet man beim C 64 beispielsweise mit verändertem Zeichensatz. Ein Bild muß also aus 255 oder weniger einzelnen Zeichen zusammengesetzt werden, obwohl 1000 Zeichen auf den Bildschirm passen. Die Grafiker von Epyx lösen diese Probleme und liefern den Programmierern nicht nur die Bilder, sondern auch die Zeichensätze und eine schriftliche Anleitung zum Einbau ins fertige Programm.

Die einzelnen Figuren werden mit Sprites dargestellt. Je mehr verschiedene Sprites benutzt werden, desto fließender ist die Animation. So besteht der Gewichtheber beim »Weight Lifting« aus knapp 100 verschiedenen Sprites. Doch hier gibt es meist Diskussionen mit den Programmierern, denn jedes Sprite kostet Speicherplatz und der ist nun mal begrenzt. So zieht Michael Kosaka denn auch sein Resümee; »Wir müssen jedesmal gute Ideen verwerfen, weü uns der Speicherplatz nicht reicht.« Trotzdem ist oft noch Platz für einen kleinen Gag, wie etwa der Pelikan beim »Cliff Diving«. Wer eme ziemlich unbekannte Spezialität sehen will, der sollte beim Gewichtheben ein sehr schweres Gewicht sehr lange in der Luft halten.

Programmiert wurde World Games von einem Programmier-Team aus Chicago namens K-Byte. Das wirft einige Probleme auf, da die Programmierer und die Designer einige hundert Kilometer voneinander entfernt sind. So benötigen Disketten immer mindestens 24 Stunden, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, was gerade in der Endphase viel Zeit kostet. Zusätzlich stehen die Programmierer in ständigem Telefonkontakt mit Epyx.

Bei K-Byle waren insgesamt acht Programmierer mit World Games beschäftigt. Sie kümmerten sich hauptsächlich um die einzelnen Disziplinen. Programmteile wie Menü und Weltrekordsliste wurden beinahe unverändert aus »Summer Games II« übernommen. Trotzdem dauerte das Programmieren fast sechs Monate, von März bis September 1986.

Die Musik zu World Games wurde von Jeff Webb, einem freiberuflichen Komponisten, geschrieben. Die Programmierer von K-Byte kümmerten sich dann um die Realisierung.

Der letzte Schritt ist der wichtigste: Das Testen des fertigen (oder noch nicht ganz fertigen) Programms. Epyx hat ein großes, mit Computern vollgestopftes Zimmer, in dem acht Stunden am Tag nur gespielt wird. Zum Testen beschäftigt Epyx Studenten, die sich so ihr Studiengeld aufbessern. Das Testen beschränkt sich nicht nur auf das Spielen. Findet jemand einen Fehler, muß er ihn schriftlich in einem Testbericht ganz genau beschreiben, damit die Programmierer diesen Fehler suchen und ausbessern können.

Getestet bis aufs letzte Bit

Auch die Verbesserungsvorschläge der Tester werden in diesen Berichten festgehalten. In Rekordzeiten kann so ein Bericht schon mal 20 Seiten lang sein, mehr als zehn sind es meistens. Jeder noch so kleine Fehler wird notiert. Ein Tester meint dazu: »Manchmal ist die Arbeit ziemlich hart. Da gibt man dir dann eine zu 50 Prozent fertige Version, die alle fünf Minuten abstürzt, und erwartet von dir, daß du Fehler findest, die andere noch nicht mal nach zwei Wochen entdecken.«

Trotzdem schlüpft manchmal ein winziger Fehler durch das Netz der Tester, beispielsweise beim »Caber Toss«. Wenn man ganz langsam läuft und an einer ganz bestimmten Stelle den Feuerknopf für eine bestimmte Zeit lang drückt, steigt der Baumstamm senkrecht in die Luft und wird danach nie mehr gesehen. So etwas beeinflußt aber natürlich in keiner Weise den Spielablauf.

Während der letzten Testphase kümmert man sich auch um Dinge wie Verpackung und Handbuch, schaltet erste Anzeigen in den Computer-Magazinen und informiert die Presse über das neue Produkt. Anfang Oktober war es dann soweit. World Games für den C 64 konnte in Amerika ausgeliefert werden. Probleme gab es allerdings mit Deutschland. Zwei der Disziplinen (Cliff Diving und Slalom) stürzten auf deutschen Computern ab, während sie auf amerikanischen einwandfrei liefen. Matt erklärt uns die Lösung: »Ihr in Deutschland habt eine andere Fernsehnorm als wir Amerikaner. Deswegen haben die in Deutschland verkauften C 64 einen anderen Videochip. Und das macht bei manchen unserer Programme Schwierigkeiten, so daß wir eine amerikanische und eine europäische Version produzieren müssen.» So dauerte es weitere zwei Wochen, bis World Games in Deutschland erhältlich war.

Doch damit ist die World Games-Story noch nicht vorbei. In den nächsten Wochen und Monaten ging es darum, World Games auf weitere Computer wie Atari ST und Amiga, MS-DOS-kompatible PCs oder Apple II anzupassen. Dutzende von Programmierern sind an den Umsetzungen beschäftigt, die genauso streng von Epyx überwacht werden, wie das Original.

Schließlich bleibt nur noch eine Frage: Werden unsere Leser Ende dieses Jahres wieder die Gelegenheit haben, ein Games-Spiel zum Spiel des Jahres zu wählen? Die Antwort ist ein klares Ja. John Brazier versicherte uns mindestens eins, wenn nicht zwei Games-Spiele: Eines im Herbst und eines kurz vor oder nach Weihnachten. Um was für Spiele es sich handeln wird, will er verständlicherweise nicht verraten. »Doch sie werden mindestens genausogut wie World Games, wenn nicht besser«, verspricht er uns hoch und heilig. Da können wir eigentlich nur noch gespannt warten und uns für die vielen Informationen bedanken! (bs)


Boris Schneider
Aus: Happy Computer 04 / 1987, Seite 80

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