Bibomon — der Wolf im Schafspelz

16K-Bibomon nennt sich eine Hardware-Erweiterung, die aus den spartanisch ausgestatteten Atari XL/XE-Modellen Luxus-Computer mit allen Hard- und Softwareschmankerln macht, die sich ein Atari-Fan wünscht.

Jeder, der einen Atari-8-Bit-Computer sein eigen nennt, hatte bislang allen Grund, die C 64-Besitzer um die Reichhaltigkeit der angebotenen Hardware-Erweiterungen zu beneiden. Dabei existiert in den USA eigentlich schon seit Jahren ein vielfältiges Erweiterungsprogramm — nur waren diese Produkte auf dem deutschen Markt bislang entweder gar nicht oder nur zu abenteuerlichen Preisen zu bekommen.

Diese Situation hat sich in den vergangenen Monaten durch das Auftauchen deutscher Produkte erheblich gebessert. Nachdem wir erst kürzlich über die »1050 Turbo«-Erweiterung berichtet haben (ein Floppy-Speeder mit parallelem Druckerinterface, siehe Happy-Computer Ausgabe 8/86), wollen wir diesmal eine besonders aufwendige und leistungsfähige Komplettlösung, den 16K-Bibomon, unter die Lupe nehmen.

Beim 16K-Bibomon handelt es sich um eine Hardware-Erweiterung, die sich anschickt, gleich alle Wünsche eines Atari-Fans zu befriedigen: eine parallele Schnittstelle für Drucker mit Centronics-Anschluß, ein Betriebssystem-Umschalter für das »alte« Betriebssystem der Atari 400/800-Serie (»Oldrunner-Chip«), eine Hardware-Uhr, ein eingebautes DOS im ROM (Festwertspeicher), eine Bildschirmausdruck-Routine wie beim Atari ST und vieles mehr.

Als Testgerät stand uns ein auf 320 KByte und mit dem 16K-Bibomon aufgerüsteter Atari 800 XL zur Verfügung, der in dieser Ausstattung mit 798 Mark zu Buche schlägt. Ohne Speicheraufrüstung zum Einbau in den eigenen 800 XL oder 130 XE kostet der 16K-Bibomon 448 Mark. Der Selbsteinbau ist aufgrund des Umfangs der Erweiterung nur echten Könnern am Lötkolben zu empfehlen. Für basteltechnisch weniger versierte Atarianer übernimmt auch der Hersteller den Umbau. Selbstverständlich kann auch die Speicheraufrüstung nachträglich vorgenommen werden.

Dem auf diese Art und Weise ausstaffierten Gerät sieht man die Kräfte, die in ihm schlummern, auf den ersten Blick überhaupt nicht an. Lediglich vier Kippschalter am hinteren Gehäuserand und die zusätzliche parallele Schnittstelle nebst einem weiteren Reset-Taster an der Gehäuserückseite zeugen von dem neuen Innenleben. Die vier Kippschalter haben folgende Bedeutung:

Schalter 1: Umschaltung 320 KByte RAM/64 KByte RAM
Schalter 2: eingebautes Basic ein/aus (im Oldrunner-Modus)
Schalter 3: Bibomon/2. Zeichensatz (im Oldrunner-Modus)
Schalter 4: Oldrunner/XL-Betriebs-system

Wie man sieht, sind sämtliche Funktionserweiterungen nur im Oldrunner-Modus, also bei Verwendung des Betriebssystems der Atari-400/800-Computer zugänglich, doch dazu später mehr. Kommen wir nun zu den einzelnen Bestandteilen des 16K-Bibomon:

Beim Monitor handelt es sich um einen residenten Maschinensprache-Monitor, der von jedem laufenden Programm aus aufgerufen werden kann. Er belegt den Speicherbereich zwischen $C000 und $CFFF, hat aber eigentlich einen Umfang von 16 KByte, der durch Bank-Switching auf ein Viertel reduziert wird. Letzteres erklärt auch, warum er nur im Oldrunner-Modus verfügbar ist: beim Betriebssystem des 800 XL oder 130 XE ist dieser Speicherbereich bereits belegt. In der Praxis bedeutet das, daß man den Bibomon nicht in Verbindung mit Programmen benutzen kann, die nur auf 64-KByte-Geräten laufen (beispielsweise Turbo-Basic).

Die wichtigste Anwendung eines residenten Monitors ist sicherlich, Programme zu jedem Zeitpunkt unterbrechen und disassemblieren zu können, was einem gerade bei der Programmentwicklung so manche Stunde verzweifelter Fehlersuche erspart. Nicht ganz so einfach gestaltet sich dies bei vielen kommerziellen Programmen, die nur auf dem Atari-Grundgerät laufen.

Das Spektrum des Bibomon-Befehlssatzes reicht von so selbstverständlichen Dingen wie Disassemblieren, Suchen von Byte-Folgen und Speicherverschiebungen über einen einfachen Zeilenassembler, Umrechenfunktionen für verschiedene Zahlenbasen bis hin zu Funktionen, um Dateien oder auch Sektoren direkt von Diskette zu lesen, ohne ein DOS im Speicher zu haben.

Kurzum, der Maschinensprachmonitor im 16K-Bibomon bietet nicht nur alle Standard-Debugger-Funktionen, sondern auch eine Fülle von sehr guten Detaillösungen, auf die wir hier aus Platzgründen nicht eingehen können.

Ein anderer Teil der Software im 16K-Bibomon, der aber nicht zum eigentlichen Monitor gehört, ist das integrierte Disketten-Betriebssystem, das zu DOS XL (von OSS) und Atari-DOS 2.5 voll kompatibel ist und daher Disketten in einfacher (90 KByte), mittlerer (130 KByte) und doppelter Schreibdichte (180 KByte) problemlos liest. In der Praxis bedeutet dies, daß man kein DOS mehr zu laden braucht, wenn man einmal die Tastenkombination < START RESET > gedrückt hat, um das DOS zu initialisieren. Bis auf das Kopieren von Dateien kann man alle gewohnten DOS-Operationen dann vom Bibomon aus durchführen. Besitzer der Floppy-Erweiterung »Speedy 1050« des gleichen Herstellers dürfen sich freuen, da das DOS im Bibomon auch mit der erhöhten Übertragungsgeschwindigkeit arbeitet.

Anders als bei der in »1050 Turbo« eingebauten Druckerschnittstelle handelt es sich bei der parallelen Schnittstelle des 16K-Bibomon um eine Hardwarelösung, die zusätzlicher Softwaretreiber bedarf. Dies ist insofern kein Problem, als der benötigte Druckertreiber in den Bibomon eingebaut ist und damit immer zur Verfügung steht — wenn man nicht mit dem XL-Betriebssystem arbeitet. Eine an den Druckertreiber angepaßte Version des XL-Betriebssystems kann man allerdings zusätzlich erwerben und statt des normalen ROMs einbauen.

Ein besonderer Leckerbissen ist die Hardcopy-Routine, die man jederzeit mit einem Tastendruck aufrufen kann. Angepaßt ist diese Routine an Epson- und Okidata-Drucker und erlaubt Ausdrucke in vier verschiedenen Breiten sowie zwei verschiedenen Höhen. Die Hardcopy-Routine arbeitet zwar in den meisten Fällen klaglos, versagt aber bei Programmen mit besonders aufwendiger Grafik. Dies liegt daran, daß man auf dem Atari die Grafik dermaßen komplex programmieren kann, daß ein Programm überhaupt nicht mehr in der Lage ist, festzustellen, was denn nun konkret auf dem Bildschirm dargestellt wird.

Bei der Hardware-Uhr handelt es sich um eine Akkugepufferte Quarz-Uhr, die man nur ein einziges Mal stellen muß. Wiederum ist es mit einem Tastendruck möglich, über der obersten Bildschirmzeile eine Statuszeile mit Zeitanzeige einzublenden.

Die (zusätzlich zu erwerbende) Speichererweiterung auf 320 KByte RAM ist voll kompatibel zum Atari 130 XE, so daß auch die RAM-Disk von DOS 2.5 problemlos funktioniert. Viel interessanter ist eigentlich das im Preis enthaltene DOS XL 2.3, das eine RAM-Disk mit sage und schreibe 931 Sektoren in doppelter Schreibdichte (insgesamt also 238336 Bytes) anbietet.

Das mitgelieferte deutschsprachige Handbuch verdient ein dickes Lob, da es nicht nur eine ausführliche Einführung in die Bedienung gibt, sondern auch anhand von Beispielprogrammen in Basic zeigt, wie man beispielsweise selbst die Uhrzeit abfragen oder die Hardcopy-Routine einstellen kann.

Eine Beurteilung des 16K-Bibomon fällt aufgrund des zwar voll und ganz berechtigten, dennoch aber hohen Preises nicht leicht. Wer noch kein Interface für Drucker mit Centronics-Schnittstelle hat und der Meinung ist, das volle Potential des Bibomon wirklich nutzen zu können, sollte den Kauf dieser Erweiterung auf jeden Fall in Betracht ziehen, zumal es zur Zeit nichts Vergleichbares auf dem Markt gibt. (Julian Reschke/ts)



Aus: Happy Computer 02 / 1987, Seite 21

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