Was er wollte, kann und sollte: der Spectrum 128


Sir Clive läuft dem Trend hinterher: Neben Commodore, Schneider und Atari bietet nun auch Sinclair einen 128er.

Am 13. Februar stellte Sinclair in London einen Computer vor, der bereits tausendfach in Spanien verkauft wurde: den 128er Spectrum. Der Markt sei in England und in Deutschland vorher nicht reif für das Gerät gewesen, lautete die Antwort auf die Frage, warum dieser Computer erst ab April 1986 in diese Länder geliefert wird. Man könnte aber auf die Idee kommen, daß die Firma Investronica, Sinclairs spanischer Partner, die dortige 128er-Version finanziell unterstützt hat und auf Exklusivität für sechs Monate bestand. Die sind nun abgelaufen und Sinclair erfüllt sein Versprechen, den 128er im Frühjahr 1986 gleichzeitig auf den deutschen und englischen Markt zum gleichen Preis einzuführen. Wobei wir gleich beim Preis sind: 179 britische Pfund oder umgerechnet 598 Mark soll er kosten. Dazu sind dann noch rund 90 Mark für das später noch erwähnte »Keypad« fällig. Ist der 128er gegenüber dem normalen Spectrum plus die 200 Mark mehr (zuzüglich Keypad) auch wirklich wert?

Englische Version im Test

Unser Testgerät mit der denkwürdigen Gerätenummer 007-001030 (trotzdem keine James-Bond-Version) war eine frühe englische Variante. Wie auf dem Foto zu sehen, ist statt des ROMs noch ein EPROM auf der Platine. Daneben fallen im Vergleich zur bisherigen Spectrum-Platine die 16 Speicherchips des Typs 4164 (64-KBit-Speicher) und der Sound-Baustein AY-3-8912A sowie eine überdimensionierte Hochfrequenzdrossel sofort ins Auge.


Das Keypad des neuen Spectrum

Trotz BEEP kein Piep

Der vom Vorgänger her bekannte sogenannte Lautsprecher fehlt. Ohne Zusatzverstärker gibt der Spectrum, 128 am Monitor betrieben, keinen »BEEP« von sich. Dafür wird der Ton aber per Antennenkabel zum Fernsehgerät transportiert und kann über dessen Tbnteil ausgegeben werden. Auch das Bild ist bei Fernsehbetrieb ruhiger, schärfer und stabiler geworden. Wer einen Farbmonitor mit RGB-Eingang anschließt oder einen Monitor mit Video-Eingang als Datensichtgerät nutzt, der kann den Ton von der EAR-Buchse

abnehmen und einem Verstärker zuführen. Das lohnt sich allemal. Der Soundchip ist leicht in Basic zu programmieren und liefert einen variantenreichen Ohrenschmaus. Unverständlich ist, daß im Gegensatz zum QL auf ein monochromes Video-Signal verzichtet wurde und deshalb monochrome Sichtgeräte am Farbvideo-Ausgang betrieben werden müssen. An diesem liegt aber auch der störende Farbhilfsträger an. Neben Auge (RGB) und Ohr (Sound) wird auch der Drucker gut bedient.

Eine eingebaute RS232-Schnittstelle (bei der britischen Version mit dem gleichen Stecker versehen, der schon am englischen QL stört), überträgt nicht nur Listings oder Taxte an einen Drucker mit seriellem Port, sondern auch Bildschirmkopien in A4-Breite per COPY-Befehl aufs Papier. Der gleiche Port dient als MIDI-Interface (Musical Instrument Digital Interface). Damit sind auch Synthesizer mit Anweisungen vom Spectrum 128 zu füttern, ein bisher dem Spectrum-Besitzer verschlossenes Betätigungsfeld.


Die Platine ähnelt der des Vorgängers

Für eine Maus hat es nicht gereicht. Ersatzweise wird ein Keypad angeboten, welches neben einer Cursorsteuerung auch als Zahleneingabemedium Verwendung findet. Beide Aufgaben fallen nach kurzer Eingewöhnungsphase wesentlich leichter als über das normale Tastenfeld des Spectrum. Aber warum das Ding für annähernd 100 Mark als Extra angeboten wird, wo sogar im Karton des 128er Platz dafür vorgesehen ist, wissen wohl nur Sinclair-Manager. Offensichtlich soll damit der Computerpreis »retuschiert« werden. Ungewöhnlich ist auch die »lose« Verbindung zum Computer über ein Spiralkabel, wie wir es vom Telefonhörer her gewohnt sind. Ohne Aufpreis wird im Design des Spectrum plus-Handbuches eine 128er-Anleitung geliefert, die einiges erahnen läßt. Diese schmalbrüstige Broschüre verschweigt nicht nur die exakte Speicherbelegung im 128er-Modus, sondern auch die Anschlußbelegung der Drucker- und MIDI-Schnittstelle.

Neben dem normalen Spectrum-Handbuch, dem Spectrum plus-Buch und der 128er-Druckschrift muß der neugierige 128er-Programmierer auch noch ein »technical guide« in englischer Sprache durcharbeiten, wenn er dieses bekommt. Bisher wird es nur an Softwarehäuser zur Programmentwicklung abgegeben. Welches Geheimnis wird darin wohl gehütet?


Der »neue« Soundbaustein und die Hochfrequenzdrossel

RAM-Disk sorgt für Speed

Da der 128er, wie der Name schon vermuten läßt, über 128 KByte Speicherplatz verfügt, bleibt die Frage, wie dieser Speicher zu nutzen ist.

Wie bereits erwähnt: Genaue Informationen gibt es von Sinclair nicht. Sicher ist, daß der Speicher im 128er-Modus annähernd dem des Spectrum mit 48 KByte gleicht. Dies trifft sowohl für die Adressen des Bildschirmspeichers, des Attributspeichers, der Systemvariablen und des Druckerpuffers sowie des Basic-Anfangs zu und wurde in Versuchen ermittelt. Der zusätzliche Speicherplatz wird als RAM-Disk verwendet. Das bedeutet, Sie benutzen diesen Bereich wie jedes externe Speichermedium (Cartridge, Diskette oder Kassette). Der Vorteil der RAM-Disk liegt in der Speicher- und Ladezeit. Diese ist so kurz, daß es nicht gelang, hier Zeiten zu messen.

Auch über die Kapazität der RAM-Disk gab nur ein Versuch Auskunft: zwölf Bildschirminhalte konnten dort abgelegt werden. Das ergibt 6912 Byte mal 12 Bildschirminhalte = 82944 Byte. Teilt man 82944 durch 1024 (1 KByte), dann ergibt sich ein RAM-Disk-Bereich von 81 KByte. Wie der zustande kommt oder gar aufgeteilt ist, bleibt vorerst ein Rätsel.

Kompatibilitätsprobleme

Der 128er-Spectrum soll zwei Computer in einem sein: ein neuer 128-KByte- und ein (alter) 48-KByte-Spectrum. Da interessiert natürlich jeden, der vom bisherigen Spectrum auf den Neuling umsteigen will, was er an Hard- und Software weiterverwenden kann. Die Software-Frage ist leicht beantwortet: Alle bisherigen Spectrum-Programme laufen im 48er-Modus problemlos. Einige Programme (die nicht auf ROM-Routinen zugreifen) arbeiten auch im 128er-Modus fehlerfrei.


Der Tape-Tester für den Kassettenrecorder

Bei der Hardware treten dann allerdings Probleme auf. Keines der von uns getesteten Diskettensysteme funktionierte. Weder das Beta Disk-, noch das Timex- oder Opus-System wurden vom 128er akzeptiert. Die Vermutung, das sei Absicht, wird durch das Gerücht genährt, Sinclair habe ein eigenes 128er-Diskettensystem mit 3%-Zoll-Laufwerken in der Entwicklung. Auch bei Interfaces für Drucker mit paralleler (Centronics-)Schnittstelle ist Vorsicht geboten. Das Dorsch-Interface (Profisoft) funktioniert nicht, das Kempston-E (neue Bauart) hingegen arbeitet bedingungslos im 48er-Modus. Das Interface 1 und die Microdrives können ohne Vorbehalt weiter genutzt werden und sogar die RS232-Schnittstelle des Interface 1 kann neben der eingebauten Schnittstelle angesprochen werden. Alle getesteten Joystickinterfaces funktionierten ebenso, wie die I/O-Ports.

Basic unterschiedlich


0 Einfacher Abfall, dann Aus
1 Einfacher Anstieg, dann Aus
2 Einfacher Abfall, dann Halt
3 Einfacher Anstieg, dann Halt
4 Wiederholter Abfall
5 Wiederholter Anstieg
6 Wiederholter Anstieg, dann Abfall
7 Wiederholter Abfall, dann Anstieg

Klangformen für Soundeffekte

Das Basic im 128er-Modus unterscheidet sich vom bisherigen dadurch, daß es keine »Keywords«, also Schlüsselworte, die mit einer Taste aufgerufen werden, kennt. Befehle müssen ausgeschrieben werden. Dafür gibt es ein paar neue reservierte Worte. Hervorzuheben ist der Soundbefehl »PLAY«, der den 3-Tbn-Soundchip über volle zwei Oktaven anspricht. Soundbefehle werden einfach in Strings (a$ bis z$) abgelegt und sind damit leicht editier- bar. Da wir gerade beim Editieren sind: Im 128er-Modus hat der neue Spectrum einen »Full Screen Editor«. Das besagt, Sie können per Taste den Cursor frei in der Bildschirmebene bewegen und editieren. Das ist eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bekannten Sinclair-Zeileneditor. Durch Druck auf die EDIT-Taste wird ein Menü aufgerufen, das unter anderem eine hervorragende RENUM-BER-Routine anbietet. Ein Tastendruck, und schon ist das Listing in lOer-Schritten neu numeriert.

Was noch neu ist

Eine vom Menü aus aufrufbare schnelle Laderoutine und ein »Tape Test« zur Kontrolle der richtigen Lautstärkeeinstellung am Kassettenrecorder runden das Bild des 128er positiv ab. Wesentlich zur Betriebssicherheit trägt der nach außen verlegte und reichlich dimensionierte Kühlkörper für die 5-Volt-Stromversorgung bei. Die Kühlrippen werden bei längerem Betrieb gut handwarm und lassen den Rest des Computers kalt.

Einsteiger als Ziel

Wer soll denn nun die angepeilte Käuferschicht sein? In erster Linie »First Time Buyers«, Erstkäufer in der Altersgruppe 10 bis 18 Jahre, lautet die Antwort. In zweiter Linie werden wohl bisherige Spectrum-Besitzer an dem 128er Gefallen finden, sofern sie nicht bereits ein oben genanntes Diskettensystem besitzen. Für Basic-Programmierer aus beiden Gruppen ist der Spectrum 128 ein empfehlenswerter Computer. Durch den Trick mit der RAM-Disk haben alle Anwender vom großen Speicherplatz Vorteile, nicht nur Maschinencode-Fans oder gar nur CP/M-Benutzer (wie etwa beim Commodore 128 und dem Schneider CPC 6128). Mit der Auslieferung des 128er Spectrum ist auch speziell für ihn entwickelte Software erhältlich. Deren Spektrum reicht vom »Tasword 128« (einem Textverarbeitungsprogramm) über »Icon Graphix« (Zeichenprogramm mit GEM-ähnlichen Merkmalen) und »WHAM! The music box« (Kompositionshilfe für den Sound-Fan) bis zur »Never Ending Story« (Text- und Grafik-Adventure).


Per Tastendruck abrufbare Menüs: Modusarten und Rechner

(Manfred-D. Kotting/hb)


Der Tonumfang des 128er Spectrum

Die Belegung des Monitor-Ausgangs
Pin Signal Level 1 Composite PAL 75 Ohm. 1.2 Volt 2 0 Volt 3 Helligkeit TTL 4 Composite Synchron TTL 5 Vertikal Synchron TTL 6 Grün TTL 7 Rot TTL 8 Blau TTL

Aus: Happy Computer 05 / 1986, Seite 16

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