Systems: Eine Messe platzt aus den Nähten

center »Das Aufregende an dieser Messe sind nicht die neuen Produkte, sondern die Aufträge für die alten«, freute sich ein Aussteller.

Halle 22, 18 Uhr: Eine Lautsprecherstimme gibt das Ende der größten Computermesse der Welt bekannt. Schrille Pfiffe gellen durch die Halle und stürmischer Beifall braust auf — nach fünf hektischen Tagen geht ein Superlativ zu Ende, die Systems in München. Erschöpfte Aussteller packten ihre prallvollen Auftragsmappen zusammen, hochzufriedene Käufer drängen zu den Ausgängen, in den nächtlichen Nieselregen hinaus. Noch nie waren so viele Besucher und Aussteller zu einer Computer-Fachmesse gekommen, wie zur Systems 1985 in der Metropole München. Rund 126000 Interessenten und 1203 Aussteller aus aller Welt bevölkerten über 20 Hallen.

Wer das Gedränge um den Atari-Stand miterlebt hat, und die Inbrunst, mit der die Gespräche über die neuen Maschinen geführt wurden, kam sich vor, wie in einem Sportstadium. Computer waren hier weder ehrfurchtsvoll bewunderte Hightech-Götzen noch Abscheu erregende Jobkiller, sondern hochinteressante Objekte, die man am liebsten besitzen und sofort bis in die letzte Schraube untersuchen wollte.

Dieser Neugier entsprechend waren auch nur drei Computer wirklich groß im Gespräch: Der Amiga von Commodore und Ataris Doppelcoup, der 520 ST+ und sein Bruder, der 260 ST, die wir Ihnen beide bereits in der letzten Ausgabe vorstellen konnten.

Die offizielle Presse-Präsentation des 520 ST+ und des 260 ST fand während der Messe im Münchner Nobel-Hotel Hilton statt. Was auf dieser Pressekonferenz bereits angedeutet worden war, konnten wir am nächsten Tag in einem Interview mit dem Software-Vizepräsidenten Sig Hartmann und dem Entwickler des ST, Shiraz Shivji, noch präzisieren. Das Ergebnis können Sie auf den Seiten 12 und 13 lesen.

Den Besitzern der ST-Computer versprach Sig Hartmann auf der Pressekonferenz noch bis Ende Januar 1986 400 fertige Programme, davon noch 1985 200 aufdem deutschen Markt.

Einen Tag vor der Atari-Pressekonferenz fand auf dem Messegelände die Pressekonferenz von Commodore statt. Auf ihr wurde auch der Amiga erstmals offiziell in Deutschland vorgestellt. Einen Test finden Sie auf Seite 20.

Zur wirtschaftlichen Situation des Konzerns sagte Vize-Präsident Harald Speyer, Commodore Deutschland mache ein dickes Plus. Geschäftsführer Winfried Hoffmann gab bekannt, in den USA habe man innerhalb von drei Wochen nach Markteinführung bereits 20000 Amigas verkauft, davon 40 Prozent für geschäftliche Zwecke. Für Deutschland sei die Auslieferung bis März 1986 vorerst zurückgestellt.

Interessant war auch eine neue Version eines bekannten Commodore-Computers, der Commodore 128 D.

Der C 128 D ist baugleich mit dem C 128, hat aber eine von der Zentraleinheit abgesetzte Tastatur und ein integriertes Diskettenlaufwerk 1571. Im Gegensatz zum SX 64 ist dieser Portable vollkommen kompatibel zu seinem Grundmodell. Durch seine Kompaktheit bietet sich der C 128 D überall dort an, wo kein Kabelsalat, dafür aber Portabilität gefragt ist. Der neue Commodore 128 D wird zirka 1800 Mark kosten.

Drei Laufwerke für den C 128

Für den Commodore 128 gibt es jetzt drei verschiedene Diskettenlaufwerke zu kaufen. Die bekannteste davon ist die »alte« 1541, die auch an jeden C 64 paßt. Ihr gegenüber steht das 1571-Laufwerk. Dieses Laufwerk ist für CP/M mit einem eigenen Z80-Prozessor ausgerüstet und kann Disketten beidseitig beschreiben. Neu in die Floppy-Gruppe wurde die 1570 aufgenommen. Sie entstand aus einem Mangel an 1571-Laufwerken und ist eine Art Zwitter. Die Mechanik wurde aus den alten 1541-Laufwerken übernommen und der neue Disk-Controller der 1571 hinzugepackt. Dadurch kann dieses Laufwerk zwar mit den CP/M-Fähigkeiten der 1571 aufwarten, aber Disketten nicht beidseitig beschreiben.

Sowohl die 1571 als auch die 1570 sind im C 128- und CP/M-Modus wesentlich schneller als die 1541. Im Gegensatz zur recht lahmen Übertragung von 300 Zeichen pro Sekunde der 1541 fließen 5200 Zeichen pro Sekunde mit der 1570/1571 in den Computer.

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Redakteure von Happy-Computer standen täglich Rede und Antwort

Ein CP/M-Modul von Grewe Computertechnik für den Commodore 128 gab es übrigens auch zu sehen. Es soll die Geschwindigkeit der Datenübertragung zwischen dem C 128 und dem Laufwerk 1541 auf das 12fache steigern. Wird die Diskette auf ein bestimmtes Format initialisiert, dann ist sogar die 20fache Geschwindigkeit erreichbar.

Btx mit Commodore

Zu den weiteren Neuheiten bei Commodore zählte auch die Vorstellung eines Btx-Moduls. Es ist mit dem Valvo-Chip »Eurom« bestückt und mit einem PAL-Decoder ausgerüstet. Somit kann jedes handelsübliche Farbfernsehgerät mit Video-Eingang eingesetzt werden. Bestellt man sich den auf Wunsch erhältlichen UHF-Modulator, so sind selbst ältere Fernsehapparate ohne Video-Eingang verwendbar.

Das Commodore Btx-Modul hat noch mehr Vorteile. So bietet die C 64-/C 128-Tastatur alle zum Btx-Betrieb vorgeschriebenen Zeichen. Auch Telesoftware (über Btx-zugängliche Software) kann geladen werden. Außerdem lassen sich Btx-Seiten abspeichern und man kann den Heimcomputer — im Gegensatz zu den Btx-Tastaturen -auch weiterhin als Computer benutzen.

Das Btx-Modul wird am Expansion-Port angesteckt. Zusätzlich ist nur ein Btx-An-schluß von der Post notwendig. Bei einem Preis von zirka 600 Mark kann dieses Modul wesentlich zur Verbreitung von Btx beitragen.

(T)raumschiff Enterprise?

Noch eine weitere Neuvorstellung eines Computers erfolgte während der Systems: die des Enterprise 128K.

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Mit dem Enterprise 128K bläst Enterprise zur Offensive

Der erstmals offiziell vorgestellte Computer verfügt über einen Z80A-Prozessor und 128 KByte RAM. Außerdem ist er mit einem, deutschen Benutzern angepaßten, Betriebssystem ausgestattet. Sowohl die Einschaltmeldung als auch die Fehlermeldungen werden in deutscher Sprache ausgegeben. Sogar ein deutsches Ttextverarbeitungssystem ist integriert. Enterprise rechnet für 1985 mit Verkaufszahlen von 30000 Computern zu einem Preis von etwa 1200 Mark pro Stück. Etwas optimistisch, wenn man bedenkt, wie schleppend das diesjährige Weihnachtsgeschäft anläuft.

Die Sensation für die Schneider-Computer kam in München von Vortex. 10 MByte Speicherplatz (formatiert) bietet eine Festplattenstation für zirka 2500 Mark. Legt man noch einmal 700 Mark drauf, so kann man sogar die doppelte Datenmenge unterbringen.

Der Controller wird mit einem kurzen Flachbandkabel direkt am Systembus angeschlossen. Er ist in zwei Versionen lieferbar. Entweder mit eingebautem Steuerteil für das 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerk von Vortex, oder allein mit durchgeführtem Bus. An diesen kann man andere Controller, beispielsweise den eines normalen Laufwerks anschließen.

Schneider selbst zeigte in München fast nur altbekanntes. Der »Joyce« wird ab sofort ausgeliefert, allerdings nur über ausgewählte Fachhändler. Eine neue Premiere im Hardwarebereich gab es nach der Flut im Sommer nicht.

Überraschung von Vortex: eine 10-MByte-Festplatte für Schneider

Druckerhersteller in Druck

Die Zeichen der Zeit stehen bei den Druckern für den Heimsektor auf rund 900 Mark mit NLQ und 100 cps. Als Flaggschiff führt Seikosha mit der SP-1000-Serie. Dieser Drucker, dessen Preis zur Systems um 50 Mark auf 899 Mark gesenkt wurde, steht in immerhin acht Ausführungen zur Verfügung.

Bei Microscan war auch noch der Typenrad-Drucker MS-15 zu sehen. Interessant ist sein Preis von 799 Mark, auch wenn er mit 15 cps zu den langsameren Druckern zählt. Centronics senkte zwar die Preise des Horizon von 1800 Mark auf 1500 Mark und des GLP von 800 auf 600 Mark, konnte aber nicht mit neuen Modellen aufwarten. Tröstlich zu wissen, daß ein neuer GLP mit der Bezeichnung GLP-100 Anfang 1986 lieferbar sein soll. Brother beabsichtigt ebenfalls eine Modernisierung seines Modells 1009, das mit dem Centronics GLP eng verwandt ist.

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Seikosha SP-1000 für Schneider und QL in neuem »Gewand« und mit spezieller Firmware

Okidata bietet zu dem Okimate 20-Farbdrucker ein sogenanntes Print-Set für 77 Mark. Dieses enthält für den Commodore 64 Software für Farbgrafik, Druckerkabel, Farbbänder und Spezialpapier. Damit kann auch der ungeübte C 64-Benutzer sofort tolle farbige Grafiken ausdrucken.

Zenith, Marktführer bei den Billig-Monitoren, zeigte stolz seine neuen 12-Zoll-Modelle. Es handelt sich um die Nachfolger der 122er/123er-Reihe. Die Gehäuse haben ein ansprechendes Aussehen bekommen, die Bildröhre gibt es in drei Versionen. Für den Heimcomputer mit Composite-Video-Signal stehen ein grüner und ein orangener Bildschirm mit 15-MHz-Bandbreite (Video-Verstärker) und einer maximalen Auflösung von 640 x 200 Bildpunkten zur Verfügung, für IBM-PC-kompatible Computer wird ein bernsteinfarbener Monitor mit einer maximalen Auflösung von 730 x 350 Bildpunkten und 22-MHz-Bandbreite angeboten. Der kostet dann 50 Mark mehr als die 400 Mark teuren Standard-Versionen.

Zenith ZVM 1230. ein eleganter Monitor für wenig Geld

Die runde Scheibe rollt nicht mehr

Auf der Systems ’85 stellten, wahrscheinlich zum letzten Mal, alle bekannten Diskettenhersteller ihre Produkte aus. Bis zur CeBit 1986 (früher Hannover-Messe, Computer-Bereich) werden einige Namen verschwunden sein, denn der Disketten-Markt steckt in einer beachtlichen Krise. Hervorgerufen wurde diese Krise durch eine kollektive Überschätzung des deutschen Marktes in bezug auf den Disketten-Absatz. Nur ungefähr die Hälfte der geplanten Stückzahlen wurden tatsächlich verkauft. Das ergibt eine Überkapazität an Disketten in Millionenhöhe.

Im Kampf um den Käufer wird die Qualität der Disketten fast überall verbessert. Die Hersteller haben eingesehen, daß nichts so sehr den Ruf einer Disketten-Marke schädigt, wie überdurchschnittlich häufige Datenverluste, die eindeutig durch eine bestimmte Disketten-Marke verursacht wurden.

Um den Endverbraucher zu gewinnen, wird es einen zunehmend besseren Vertrieb der Disketten, Aktionen, Angebote und Wettbewerbe geben. Döbbelin & Boeder bietet zum Beispiel als Weihnachtsaktion zum Preis von zehn schwarzen Diskys entweder zehn farbige Disketten in farblich passender Hartbox oder vier farbige und ein Mini-Cleaning-Set in Hartbox oder neun schwarze Disketten und ein Spiel für den C 64. Die weitere Zubehörpalette reicht vom einfachen Reset-Schalter bis zum universellen Steckmodul für EPROMs oder einem IEEE 488-Bus-Kabel und wird preisgünstig angeboten werden.

Xidex will zum Beispiel doppelte Aufkleber-Sets den Packungen beilegen, denn Disketten werden oft überspielt und brauchen dementsprechend mehr Aufkleber. Verbatim bietet in Zusammenarbeit mit Siemens Computer-Kurse für Schüler an. Für das Schuljahr 85/86 sind insgesamt 25 Kurse geplant, die jeweils zwei Tage dauern und in München stattfinden. Alle Teilnehmer erhalten nach Kurs-Ende zwei Disketten und die Chance, für ein kostenloses Computer-Feriencamp ausgewählt zu werden.

Heim-Software Mangelware

Wie es sich für eine Personal Computer-Messe gehört, sah man an allen Ecken und Enden Business- und CAD-Programme flimmern. Doch wer nach Heimcomputer-Software suchte, wurde schließlich auch fündig: Am meisten war beim Atari-Stand los, wo eine Reihe von Softwarefirmen Programme für die ST-Serie vorführten. Kuma Software, die bereits einige Titel für Schneider und MSX-Computer anbietet, engagiert sich besonders stark für den ST. Als erstes wird eine voll eingedeutschte Tabellenkalkulation auf den Markt kommen. An Anwendungen herrscht ohnehin kein Mangel: Mehrere Firmen bieten bereits Textverarbeitungen und Datenbanken an. Die Preise für diese Programme schwanken im allgemeinen zwischen 100 und 200 Mark.

Die Hauptattraktion am Data Becker-Stand war zweifelsohne »Profi Painter«, ein ausgezeichnetes Mal-Programm für Schneider-CPC. Es scheint auf den ersten Blick alles in den Schatten zu stellen, was derzeit für den Schneider in Sachen Grafiksoftware erhältlich ist. Besonders gut gelungen ist der Bildschirmaufbau, dessen Menüs und Windows an den Macintosh erinnern.

Auf dem Messestand von Sharp konnte man einen neuen Taschencomputer sehen und testen, der liebevoll das »kleine schwarze Buch« genannt wird. Dieser Kosename basiert auf dem Umstand, daß dieser Computer die Funktion eines Notizbuches erfüllt und Daten, die schnell präsent sein müssen, speichert. Laut Sharp reicht die Speicherkapazität des EL-6150 von 4 KByte aus, um Namen und Anschriften von zirka 200 Personen immer griffbereit zu haben. Der Preis liegt voraussichtlich bei 199 Mark.

In Halle 21 weckte eine Sonderausstellung das Besucherinteresse, die das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus zusammen mit dem Staatsinstitut für Sozialpädagogik und Bildungsforschung und der Zentralstelle für Programmierten Unterricht und Computer im Unterricht veranstaltete.

Mit der Sonderausstellung feierte das im Frühjahr vorgestellte Gesamtkonzept für die informationstechnische Bildung in der Schule seinen Einstand. In acht Segmenten stellten Lehrer Konzepte und Versuche mit Computern in der Hauptschule, der Realschule, dem Gymnasium, der Schule für Behinderte und Kranke und der Berufsschule vor.

Trotz der großen Besucher- und Ausstellerzahl kann man die Systems 1985 nicht als Messe der großen Sensationen bezeichnen. Einen Besuch war sie aber allemal wert. Und eine gewisse Beruhigung am Markt tut der Branche durchaus gut. Der Anwender bekommt auf diese Weise wieder eine kleine Verschnaufpause.

(hg/hl/lg/mk/ue/wg/zu)



Aus: Happy Computer 01 / 1986, Seite

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