Neue Nahrung für den Softwarefeinschmecker Atari 520 ST. Das erste professionelle Textverarbeitungspaket, »SM TEXT 520«, ist serviert. Ist es ein Festtagsmahl oder nur Hausmannskost?
Computerlaien sind eine Plage für jeden begeisterten Computeranwender. Führt man ihnen ein solches Meisterstück wie den Atari 520 ST vor, fragen sie ungerührt, was man denn bitteschön mit so einem »Ding« anfangen könne. Wenn dann die erste Erregung über eine solche Ignoranz abgeklungen ist, muß man doch angestrengt überlegen, wie man solchen Menschen, die nur nach schnödem praktischem Nutzen fragen, die Faszination nahebringt, die von der Computerei ausgeht.
Eine der besten Waffen gegen derartige Anfechtungen ist die Demonstration der Textverarbeitung auf dem Computer. Selbst hartnäckige Zweifler können sich gegen die Erkenntnis nur sehr schwer wehren, daß hier wirklich nützliche Dinge vom Computer erledigt werden.
Aber gerade auf diesem Gebiet hatte man es beim Atari 520 ST bisher recht schwer. Denn es gab noch kein Textverarbeitungsprogramm für diesen Computer. Das ist jetzt anders geworden.
Jetzt gibt es »SM TEXT 520«. Diese Tatsache, daß Atari den Vertrieb des Programms übernommen hat, kann als Indiz dafür gelten, daß es noch ein wenig dauern wird, bevor »GEM-WRITE« ausgeliefert werden kann. Zum Preis von 239 Mark erhält man eine 314-Zoll-Diskette und einen Ringhefter mit einem recht ausführlichen Handbuch. Es enthält eine knappe Beschreibung des Atari 520 ST mit der programmspezifischen Tastaturbelegung, eine Kurzanweisung in die Arbeit mit »SM TEXT 520« und eine ausführliche Erläuterung der einzelnen Funktionen des Programms. Leider fehlt ein alphabetischer Index der einzelnen Funktionen mit Verweis auf die genaue Beschreibung im Handbuchtext. Dies erschwert die Benutzung des Handbuchs bei der Arbeit mit dem Programm ein wenig. Es fällt auch auf, daß die im Handbuch beschriebenen Funktionen in einigen wenigen Fällen nicht vollständig mit den tatsächlichen Programmfunktionen übereinstimmen.
Nach Auskunft des Herstellers handelt es sich bei »SM TEXT 520« um ein in der Programmiersprache C für den IBM-PC geschriebenes Programm, das mit Hilfe des Atari-C-Compilers an den Atari ST angepaßt wurde. Dabei mußten ein paar Funktionen wegfallen, die vom Atari-Compiler nicht unterstützt werden. Leider fehlt aus diesem Grund auch eine sehr wichtige Funktion, nämlich das Auflisten der Directories auf den Disketten. Der Hersteller hat aber versprochen, diese Funktion bald einzubauen.
Maus ohne Arbeit Auf der Diskette befinden sich, neben einigen Datenfiles, zwei Programme: »MANAGER.PRG«, das eigentliche Tbxtverarbeitungsprogramm und »DRUPAR.PRG«, ein Programm zum Erzeugen von Tabellen zur Druckersteuerung. Beide Programme lassen sich wie üblich durch Doppelklicken mit der Maus aus dem Desktop starten und sind reine TOS-Applikationen. Die Bildschirmaufteilung des Textverarbeiters ist in Bild 1 wiedergegeben. In der ersten Bildschirmzeile, in der während der Textverarbeitung vom Programm Systemmeldungen ausgegeben werden, ist links die aktuelle Cursorposition als Zeilen- und Spaltennummer angegeben. Rechts befindet sich eine Angabe über die gewählten Verarbeitungsmodi. Es gibt zwei Textbearbeitungsbereiche, Haupttext »H« und Nebentext »N«, den Formularmodus »F«, den Einfügemodus und den Automatikmodus »A«. »U« und »S« sind nicht mit Funktionen belegt. Nach dem Programmstart sind Haupttext und Automatikmodus eingeschaltet. Im Automatikmodus werden Worte, die die rechte Randmarkierung überschreiten, in die nächste Zeile übernommen. Im Nebentextbereich kann man sogenannte Prozeduren speichern. Diese Prozeduren können zum Beispiel häufig benutzte Floskeln sein, die aus dem Nebentext auf Tastendruck bei Bedarf in den Haupttext übernommen werden. Im Formularmodus können beim Schreiben durch Sternchen »*« markierte Bereiche später mit verschiedenen Eingaben belegt werden. Der Einfügemodus, der durch Drücken der Insert-Taste aufgerufen und auch wieder abgeschaltet wird, erlaubt das Einfügen von Text.
Die zweite Bildschirmzeile ist die Tabulatorzeile. Hier lassen sich linker und rechter Rand (maximale Zeilenbreite 250 Zeichen mit horizontalem Scrolling), Spaltengrenzen und Tabulatoren frei einstellen.
Die nächsten 21 Zeilen bilden den eigentlichen Arbeitsbereich für die Texterfassung.
Die Steuerung der vielen Programmfunktionen erfolgt ausschließlich über die Tastatur und die zehn Funktionstasten. Die Belegung der Funktionstasten ist jeweils in der vorletzten Bildschirmzeile durch Kurzbeschreibung verdeutlicht. Einige Funktionstasten rufen andere Belegungsebenen auf. Es handelt sich also bei »SM TEXT 520« um ein vollständig menügesteuertes System mit allen seinen Vor- und Nachteilen. Der Anfänger wird es sicherlich zunächst als angenehm empfinden, auf dem Bildschirm fast alle Funktionen aus Menüs abzurufen. Mit fortschreitender Erfahrung wird es jedoch zunehmend lästiger, teilweise über mehrere Menüebenen zur gewünschten Funktion vorzudringen. Dies gilt besonders für Bewegungen innerhalb des Textes. Außerhalb der Menüfunktionen sind lediglich zeichen- und zeilenweise Bewegungen mit Hilfe der Cursortasten möglich. Dieses prinzipielle Problem der Menüsteuerung ist wohl auch von den Autoren des »SM TEXT 520« erkannt worden. Es ist nämlich möglich, im Nebentextspeicher Prozeduren zu speichern, die eine bestimmte Folge von Funktionstastenbetätigungen beinhalten und die durch Drücken von »SHIFTV und »CONTROL« und einer beim Speichern der Prozedur festgelegten Taste abrufbar sind. Für die Prozeduraufrufe sind nur Buchstabentasten verwendbar. Der abgesetzte Ziffernblock, der eine logische Zuordnung zwischen Tastenlage und Cursorbewegung über größere Bereiche (Seite, Zeilenanfang, Zeilenende etc.) ermöglicht hätte, ist leider nicht einsetzbar.
»SM TEXT 520« bietet eine Fülle von Funktionen. Es ist fast alles vorhanden, was man zur Textverarbeitung benötigt. Man kann Text löschen, einfügen, kopieren, verschieben, blocken, trennen, justieren, im Text rechnen, Textstellen suchen und ersetzen... Leider kann man alle diese Blockoperationen nur zeilenweise vornehmen. Will man in der Mitte einer Zeile irgendeine Veränderung vornehmen, muß man etliche Vorbereitungen treffen, wie zum Beispiel den zu verschiebenden Teil einer Zeile durch Einfügen von Leerstellen in eine neue Zeile schieben und dann die Blockoperationen beginnen. Dabei sind versehentliche Fehler nicht ausgeschlossen. Glücklicherweise werden die zu bearbeitenden Textteile vor Ausführung der Operation invertiert dargestellt. Die eigentliche Operation wird erst durch einen weiteren Tastendruck gestartet.
Leider ist auch eine Funktion zum vollständigen Textverlust eingebaut. Bei einigen Funktionen, wie zum Beispiel bei den Ausgabefunktionen auf Drucker und Diskettenlaufwerk, werden Einstellmenüs von der Diskette nachgeladen — leider ohne jede Sicherung. Befindet sich die Programmdiskette mit den entsprechenden Menüfiles nicht in dem Diskettenlaufwerk, von dem aus das Programm gestartet wurde, so erfolgt ein direkter Rücksprung in den GEM-Desktop. Und schon ist der mühsam erarbeitete Text unwiederbringlich gelöscht.
Fast alles wird so ausgedruckt, wie es auf dem Bildschirm dargestellt wird. Allerdings werden die grafischen Fähigkeiten des Atari ST kaum genutzt. Es gibt zwar auf dem Bildschirm die Darstellung von Normal-, Fett- invertierter Schrift und Unterstreichung; Breitschriftdarstellung oder gar Proportionalschrift sind aber nicht vorgesehen. Proportionalschrift mit Randausgleich ist auch auf dem Drucker nicht möglich.
Das zweite Programm »DRUPAR. PRG« dient zum Aufbau von ASCII-Code-Konvertierungstabellen und zur Einstellung von Escape-Codes zur Druckersteuerung. Leider wird in der Escape-Code-Tabelle die Null als Endsignal für eine Escapesequenz benutzt. Es ist also nicht möglich, in dieser Tabelle Escape-Sequenzen zu verankern, die eine Null beinhalten. In der Konvertierungstabelle für ASCII-Codes stimmen die deutschen Umlaute nicht mit der entsprechenden Darstellung im Textverarbeitungsprogramm überein. Die Folge ist eine Vertauschung von Umlauten beim Ausdruck. In Bild 2 ist eine Tabelle für Epson-FX-Drucker wiedergegeben, die diesen Fehler korrigiert.
»SM TEXT 520« ist ein mit Funktionen geradezu üppig ausgestattetes konventionelles Textverarbeitungsprogramm für den Atari ST Leider haben sich bei all der Üppigkeit einige Schlampigkeiten eingeschlichen. Wenn es noch gelingt, diese Fehler auszumerzen, kann »SM TEXT 520« von einem brauchbaren ersten zu einem guten ersten Textverarbeitungsprogramm für den Atari 520 ST aufsteigen,
(Wolfgang Fastenrath/wb)
In letzter Minute erreichte uns die Meldung, daß der CP/M-Emulator für den Atari 260 ST/520 ST + als Public-Domain-Programm in Umlauf gebracht wird. Das bedeutet für den Anwender, daß dem ST zukünftig mehrere tausend Programme zur Verfügung stehen. Unter dem Betriebssystem CP/M hat sich nämlich innerhalb der letzten Jahre die größte Programmsammlung für Microcomputer angehäuft, die es je gegeben hat. Bereits jetzt wird das Textverarbeitungsprogramm Wordstar, die Tabellenkalkulation Multiplan und das Datenbankprogramm dBase an den ST-Emulator angepaßt. Diese drei Programme zählen zu den bekanntesten unter dem CP/M-Angebot. Der Preis beträgt jeweils 199 Mark. (wb)