Mindwheel: Software-Romane

Das Sprachverständnis der neuen »Electronic Novels« schlägt alles, was bislang an Adventures auf dem Markt ist. Wir haben uns mit den Machern dieser verblüffend »inteigenten« Abenteuerspiele unterhalten und das Super-Spiel »Mindwheel« getestet.

Das amerikanische Software-haus Infocom ist weltberühmt für seine Textadventures, deren Sprachverständnis unerreicht war — bis vor wenigen Wochen Synapse das Adventure »Mindwheel« veröffentlichte Das Revolutionäre an dem Programm ist der neue, einzigartige Parser. Ein Parser ist der Programmteil, der die Texteinga-ben des Spielers auswertet und analysiert. Logische Folgerung: Je besser der Parser, desto »intelligenter« das Abenteuerspiel. Doch beginnen wir mit der Geschichte der neuen Adventure-Generation ganz am Anfang.

Es war einmal im Sommer 1983 in Richmond, Kalifornien, im Hauptquartier von Synapse-Software. Bill Mataga, der Schöpfer des Klassikers »Shamus«, war begeistert von Infocoms Adventures und dachte sich, daß auf diesem Gebiet noch einiges zu machen sei.

Mataga wollte nicht nur etwas Gleichwertiges bieten, er wollte Infocom sogar übertrumpfen. So störte ihn vor allen Dingen, daß sich bei den bisherigen Adventures Gespräche mit den anderen Charakteren auf simple Kommandos beschränkte. Der Synapse-Parser wurde deswegen so ausgelegt, daß sich die anderen Adventure-Charaktere ebenso wie die Figur des Spielers frei bewegen, handeln und sich unterhalten können. Die Welt um den Spieler ändert sich dadurch kontinuierlich.

Weitere Verbesserungen machte Mataga in der Worterkennung. Das Programm erkennt die meisten englischsprachigen Sätze, der Wortschatz umfaßt sage und schreibe zirka 1200 Wörter. Der Parser schafft es sogar, ähnlich klingende Wörter zu unterscheiden, bei denen andere Parser versagen.

Gegen Oktober 1983 hatte Mataga eine Test-Version des Parsers fertig, die gut funktionierte. Das Gerüst des Adventures war gemacht, doch Bill Mataga war sich klar darüber, daß er zwar ein Top-Programmierer, aber kein Top-Romanautor ist. So machte man sich bei Synapse wie auch schon Infocom, die mit Schriftstellern zusammenarbeiten, auf die Suche nach einem geeigneten Autoren. Auch hier wollte Synapse Infocom übertrumpfen, indem man sich einen namhaften Dichter angelte. Synapse-Mitgrunder Ihor Wolosen-ko wurde auch prompt fündig: Er engagierte Robert Pinsky von der Uni-versity of California in Berkely, der eine Reihe von Literatur-Preisen aufweisen kann.

Schnell hatte Pinsky eine Idee im Kopf: ein Adventure, das von den Seelen Verstorbener handelt. Als Arbeitstitel wählte man »Mind Warrior«, später »Mindwheel«, unter dem es auch veröffentlicht wurde.

Bei Pinsky spielte schon immer eine Theorie eine wesentliche Rolle, die in seinem Gedicht »The Figured Wheel« festgehalten ist. Es ist eine vereinfachte Vorstellung von allen Elementen in dieser Welt und bot sich als Grundstruktur für das Adventure an. Eine wesentliche Idee bei der Entstehung des Programms war auch Pinskys Vorstellung einer »moralischen Matrix«, die aus Faktoren wie Kreativität, Ruhm, Aggression und Sexualität besteht.

Die Story von »Mindwheel« wurde in den Wintermonaten 1983/84 verfeinert. Pinsky dachte sich die jeweilige Handlung aus, gestaltete die Szenen und Bill Mataga setzte das Ganze in das Adventure um.

Nun kam das schon recht fortgeschrittene Produkt etwas ins Stocken, denn jetzt folgte die mühselige Feinarbeit. Das Team wurde um Steve Haies, Programmierer von »Forth Apocalypse«, erweitert. Die Zusammenarbeit des Dreierteams klappte so gut, daß Matagas Parser, den er BTZ (»Better Than Zork«) nannte, rasch voran kam, so daß er sich vom Projekt »Mindwheel« abwandte und mit weiteren »Electronic Novels« wie dem Weltraumabenteuer »Essex« von Bill Darah und »Ronin« befaßte. Zudem arbeitete er an den Umsetzungen der Adventures für andere Systeme.

Inzwischen erreichte der Programm-Code eine Länge von fast 200 KByte, so daß man an den Atari 800XL bis zu acht Diskettenstationen anschließen mußte. Da es Probleme mit der entstehenden Hitze und Diskettenfehlern gab, entschloß man sich, den IBM-PC als Entwicklungssystem zu verwenden.

Im Spätsommer 1984 war das Gerüst des Spiels fast fertig. Nun wurde fleißig getestet und Robert Pinsky war selbst von dem Resultat überrascht.

Seit Mitte 1985 sind »Mindwheel« und »Essex« endlich über Broderbund, das bekanntlich Synapse-Software aufgekauft hat, für Atari XL/XE. C 64, die Appel II-Reihe, IBM-PC und Macintosh erhältlich.

Die Reaktionen auf die Adventures sind meist positiv, wenn Infocoms Parser-Entwickler Marc Blank auch etwas neidisch meint: »Sie nennen dies Parsing? Das ist 'Der große Lügen-Parser'. Er versteht nicht alles, sondern gaukelt einem nur vor, daß er alles verstehe.« Doch schauen wir uns das erste Resultat von Synapses Adventure-Mühen genauer an.

Mindwheel

Die erste angenehme Überraschung bei »Mindwheel« ist die Aufmachung: Man erhält ein gebundenes Buch mit zwei Disketten (insgesamt drei Seiten sind bespielt) und zwei Referenzkarten. Leider gibt es nicht wie bei Infocom die kleinen netten Beilagen, doch die wären bei einem »Roman« wohl fehl am Platz.

Das auf hochwertigem Papier gedruckte Hardcover-Buch enthält viele Informationen, die zum Lösen des Abenteuers wichtig sind. Zunächst gibt es einige Kurzgeschichten, die man erst einmal verstehen muß, denn sie stammen von Robert Pinsky und sind von hohem literarischen und sprachlichem Niveau. Nun folgen Kurzbeschreibungen der vier Seelen, durch die man reisen wird. Um den Spieler in die richtige Stimmung zu versetzen, fügte man noch ein Interview mit Dr. Virgil, einem der Adventure-Charakte-re, einige Fragmente aus dessen Tagebuch und nicht zuletzt einige Verse des Autoren hinzu. Zahlreiche Illustrationen ergänzen den Inhalt des Buchs.

Zum Laden braucht das ungeschützte Hauptprogramm beträchtlich lange, doch es verträgt sich mit einigen Floppy-Speedern. Es wird übrigens dringend empfohlen, sich von den Disketten eine Sicherheitskopie anzufertigen und diese zu verwenden. Allerdings erfolgt beim Laden des Programms eine Paßwortabfrage, in der nach einem bestimmten Wort aus dem Buch gefragt wird, so daß Raubkopien wertlos sind.

Zu Spielbeginn befindet man sich im Laboratorium von Dr. Virgil. An geheimnisvolle medizinische Geräte angeschlossen, macht man eine Reise durch die Seelen von vier verstorbenen Menschen. Die vier sind Rockstar Bobby Clemon, der bei einem Attentat umgekommen ist, »Ge-neralissimo«, ein Diktator und Kriegsverbrecher, ein Dichter, der auf grausame Weise zu Tbde kam und Dr. Eva Fein, ein wissenschaftliches Genie.

Ziel der Mission ist das Finden des sogenannten »Wheel of Wisdom« (Rad der Weisheit), durch das der drohende Untergang der Welt verhindert werden kann. Um es zu finden, muß man alle vier Seelen durchwandern. Hier gibt es Gegner und freundlich gesonnene Charaktere, die einem helfen, Talismane zu finden, welche zum Erreichen des Ziels notwendig sind. Hat man die Reise durch diese vier Seelen erfolgreich geschafft, trifft man auf den mysteriösen »Höhlenmeister«, ein affenartiges Geschöpf, das grundlegende Dinge wie die Höhlenmalerei und den Gruppengesang entdeckte und durch das »Wheel of Wisdom* dazu inspiriert wurde.

Nicht nur der Parser BTZ setzt neue Akzente im Adventure-Bereich. Auch die Handlung ist als einzigartig einzustufen, ist es doch das erste Abenteuer, das viele abstrakte und psychologische Elemente enthält. Man muß die Seele, in der man sich befindet, kennenlernen, um das Ziel des Spiels zu erreichen. Das Ganze erfordert viel Umgewöhnung; außerdem ist die Sprachbarriere zu meistern, denn das Englisch in »Mindwheel« besitzt literarisches Niveau. Wirklich herausragend ist der Parser, durch den man Dialoge mit den anderen Charakteren führt und sich wie in eine andere Welt versetzt fühlt.

Eine nette Ergänzung zum Programm wäre eine Sprachausgabe.

Vielleicht läßt sich das in der Amiga-Version realisieren. Das Spiel gewinnt auch durch die sich kontinuierlich ändernde Welt an realistischer Wirkung, die Geschwindigkeit dieser Änderungen läßt sich übrigens beliebig einstellen.

Der Bildschirmaufbau ist recht ordentlich. Oben ist ein großes Textausgabe-Fenster, darunter ein kleineres Eingabefenster zu sehen. Alle Textern- und Ausgaben kann man auch vom Drucker protokollieren lassen. Es gibt natürlich auch die SAVE-Funktion, um den Spielstand auf Diskette zu speichern.

Wie auch bei den Infocom-Spielen wird bei den BTZ-Programmen viel auf die Diskette zugegriffen, was beim C 64-Laufwerk doch oft an den Nerven zerrt.

Fazit: »Mindwheel« erfüllt alle gestellten Erwartungen, obwohl es etwas schwierig ist, in das Spiel einzusteigen. Es ist ein reines Textadventure und besitzt starke Ähnlichkeit mit den Infocom-Programmen. Der noch nicht mit Textadventures vertraute Spieler ist mit dem Spiel vielleicht etwas überfordert, doch Infocom-Fans, die neuen elektronischen Lesestoff suchen, sei das Programm wärmstens empfohlen.

Nun darf man auf die Nachfolger »Essex«, »Brimstone«, »Breakers« und »Ronin« gespannt sein. Außerdem besteht Hoffnung auf eine Ergänzung der BTZ-Programme mit animierter Grafik, denn bekanntlich gehört Synapse zu Broderbund, wo man die speicherplatzsparenden Animationsroutinen des neuen Grafik-Animationsprogramms »Fantavision« entwickelte.

Gary Carlston, Vorsitzender des Unternehmens, hat derartige Pläne schon auf dem Schreibtisch, doch es ist fraglich, ob sie je verwirklicht werden, da die Kooperation der Programmierer der beiden Häuser momentan nicht besonders gut funktioniert. (Frank Mathy/hl)

»Mindwheel« besticht durch seinen fantastischen Parser, der zirka 1200 Wörter versteht

Name: Mindwheel

Computer: C 64, Atari XL/XE. Apple II, IBM-PC, Mac

Spieletyp: Textadventure

Preis: zirka 150 Mark (Diskette)

Besonderes: Super-Adventure mit Rekord-Wortschatz



Aus: Happy Computer 01 / 1986, Seite 163

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