Atari-Knüller 260 ST: Traumcomputer zum Sensationspreis

Zweimal der gleiche Computer? Nein, denn vor sich sehen Sie die beiden »Neuen« von Atari, den 520 ST+ und den 260 ST.

260 ST: Traumcomputer für 1298 Mark

Man kann es schon als freudigen Schock bezeichnen, den Atari vor knapp einem Jahr mit der Präsentation des Atari 520 ST in der Fachwelt auslöste, Doch kaum glaubt man sich so einigermaßen davon erholt zu haben, läutet Atari die zweite Runde des Preis-/Leistungskampfes ein. Dabei tritt neben einer aufgerüsteten Version des schon markterprobten 520 ST, der mit einem Plus am Ende des Namens versehen und mit einer erweiterten Gesamtspeicherkapazität von 1 MByte (ein Megabyte!) ein wahres Kraftpaket ist, zum Erstaunen aller auch noch ein kleinerer Mitstreiter, der 260 ST, an. Gerade um diesen kleinen »Bruder des 520ST+ rankten in der letzten Zeit die erstaunlichsten Gerüchte und auch bei Atari schien man sich lange Zeit nicht ganz darüber im klaren zu sein, wie er denn nun eigentlich aussehen sollte. Es wurden Fotos veröffentlicht, die einen 520 ST mit eingebautem Laufwerk zeigten und von 256 KByte Speicherkapazität sprachen. Alle diese Gerüchte sind Schnee von gestern, denn Atari hat sich kurzerhand entschlossen, den bisherigen 520 ST zum 260 ST zu machen. Der 260 ST ist daher mit dem bislang verkauften 520 ST bis auf ein kleines, aber wichtiges Detail identisch. Er verfügt ebenso wie der bisherige 520 ST über satte 512 KByte Hauptspeicher, besitzt alle Schnittstellen und bietet auch die Benutzeroberfläche GEM. Einziger Unterschied ist ein zusätzliches Signal in der Monitorbuchse. Dahinter verbirgt sich der beim 520 ST nicht vorhandene TV-Anschluß, der eine Verbindung mit dem häuslichen Fernsehapparat gestattet, wenn dieser über einen Scartstecker mit RGB-Eingang verfügt. Leider sind das nur wenige.

Fernsehanschluß eingebaut

Damit ist auch schon klar, welche Ziele mit der Vorstellung des 260 ST verfolgt werden, denn wer keinen Monitor und kein Diskettenlaufwerk mitkaufen (und bezahlen) muß wird schneller zum Käufer eines Atari-Computers, Mit 1298 Mark liegt der Preis des 260 ST nur 300 Mark über dem des Commodore 128 und unter dem des Schneider CPC 6128. Beide Computer lassen sich mit dem 260 ST allerdings nur im Preis vergleichen. Mit der neuen 16/32 Bit-Technologie des Motorola 68000 ausgestattet, ist der 260 ST den 8-Bit-Konkurrenten in der Leistungsfähigkeit haushoch überlegen. Selbst ein Vergleich mit dem um vieles teureren IBM-PC wird in vielen Bereichen zugunsten des 260 ST ausfallen.

Super 520 ST+ mit 1 MByte Hauptspeicher

Wieder eine Preissensation

Zu einem Computer wie dem 260 ST benötigt man aber unbedingt auch ein adäquates Speichermedium. Glücklicherweise ist man bei Atari nicht auf den Gedanken gekommen, einen Kassettenport einzubauen. Man hat statt dessen das Diskettenlaufwerk etwas billiger gemacht. Tatsächlich ist der Preis von 598 Mark für ein schnelles 3,5-Zoll-Diskettenlaufwerk mit 360 KByte Speicherkapazität erfreulich niedrig. Zudem bieten immer mehr Hersteller anschlußfertige Laufwerke an (siehe Testbericht in dieser Ausgabe). Mit der für Computer und Laufwerk notwendigen Investition von 1900 Mark läßt sich dann schon ganz gut arbeiten, vorausgesetzt der Fernsehapparat ist RGB-tauglich, sonst sollte man schon einen monochromen oder farbigen Monitor haben.

Jetzt wird die Sache aber erst richtig interessant, denn wenn man den bisherigen Monitor des 520 ST hinzukauft (598 Mark) und sich für 148 Mark die Atari-Maus zulegt, hat man nichts anderes, als das, was bisher als 520 ST-System angeboten wurde, allerdings um etwa 250 Mark billiger und um einen Scart-Anschluß bereichert. Entscheidet man sich statt des monochromen Monitors für einen farbigen, so kommen zu dieser Rechnung noch etwa 900 Mark Aufpreis hinzu, macht zusammen etwa 3500 Mark. So verwirrend das auch klingen mag, es läßt sich auf eine kurze Formel bringen: das bisherige Atari 520 ST-System heißt jetzt 260 ST-System, hat einen zusätzlichen Scart-Anschluß und ist etwa 250 Mark billiger als bisher. Man könnte auch sagen, statt des monochromen Monitor gibt es jetzt, für 500 Mark Aufpreis, einen farbigen Monitor hinzu. So ärgerlich das für manche, die ihren 520 ST schon gekauft haben, auch sein mag, für alle, die jetzt für wenig Geld einen Traumcomputer haben wollen, kostet der Einstieg in die Technologie nur noch 1298 Mark.

Obwohl der 260 ST schon eine Sensation für sich ist, so hat auch die aufgepeppte Version des 520 ST, der 520 ST+, einiges zu bieten. Zwar ohne Scart-Anschluß wurde sein Hauptspeicher jedoch kurzerhand verdoppelt und beträgt jetzt ein Megabyte (1048576 Byte!). Mit dieser wahrlich gigantischen Speicherkapazität, die vor allem ohne zeitraubendes Bankswitch in g an einem Stück angesprochen werden kann, gehören Speicherplatzprobleme wohl der Vergangenheit an. Mit dem neuen Basic von Atari stehen so beispielsweise, trotz des im RAM stehenden Betriebssystems, beinahe 600 KByte Basic-Speicher zur Verfügung. Selbst umfangreiche Datenbanken können damit vollständig im RAM gehalten und bearbeitet werden. Erst gegen Ende der Sitzung muß man die gesamten Daten auf Diskette speichern, denn das RAM des 520ST+ ist wie bei den meisten Computern nicht batteriegepuffert. Dafür sollte man dann aber schon ein Megabyte-Diskettenlaufwerk wie die SF 314 zum Preis von 798 Mark haben. Ein weiteres Speichermedium wird allen Personal Computern wie dem IBM-PC schon gegen Ende dieses Jahres das Leben schwer machen, denn dann wird nach Aussage Ataris die lange angekündigte Festplatte mit 10 Megabyte erhältlich sein.

10 Megabyte auf Festplatte

Neben der erheblich schnelleren Datenübertragungsgeschwindigkeit (550 KBit/Sekunde gegenüber 250 KBit/Sekunde bei der Floppy) und der enormen Speicherkapazität ist die Sensation dieser Festplatte der angekündigte Preis. Anschlußfertig an den Atari 260 ST/520 ST+ soll die Festplatte knapp unter 2000 Mark kosten. Betrachtet man die derzeitige Preisentwicklung auf dem OEM-Markt (Original Equipment Manufacturers sind Zulieferer oder Hersteller, die ihre Geräte unter anderen Markennamen verkaufen) so scheint diese Ankündigung keineswegs unrealistisch.

Grundausstattung: GEM-Write, GEM-Draw, Logo und Basic

Auch die von Atari schon lange angekündigte Software, die mit jedem 260 ST/520 ST+ Computer kostenlos ausgeliefert werden soll, scheint sich ihrer Fertigstellung mit schnellen Schritten zu nahem. Zu dem angekündigten Softwarepaket gehören eine Textverarbeitung (GEM-Write), ein leistungsfähiges Zeichenprogramm (GEM-Draw). die Programmiersprachen Logo und Basic (siehe Test in dieser Ausgabe) sowie ein gelungener CP/M 2.2-Emulator (siehe Test in Ausgabe 11/85). Vergleichbare Programme, beispielsweise für den Apple Macintosh, kosten mehr als der ganze Atari-Computer. Mit diesen Programmen, vor allem dem CP/M-Emulator, aber auch mit der Vielzahl bereits fertiger Programme verschiedener Software-Häuser (siehe Liste in Ausgabe 11/85) sieht die Programm-Zukunft der beiden Atari-Zwillinge mehr als rosig aus. Mit dem CP/M-Emulator lassen sich beispielsweise solche »Superstars« wie »Wordstar«, »Multiplan« und »dBase II« auf dem Atari einsetzen. Im Vergleich mit einem CP/M-Computer, der mit 2 Megahertz getaktet wird, ist der Atari 520ST+ beispielsweise immer ein gutes Stück schneller, obwohl das CP/M bei ihm nur emuliert wird. Seine richtige Leistungsfähigkeit zeigt der 68000-Prozessor, wenn man ihn mit einer komfortablen Hochsprache wie C, Moduls 2 oder Pascal programmiert. Wir hatten Gelegenheit, einige in der Programmiersprache Modula2 (eine vom Erfinder des Pascals, G Wirth, entwickelte Super Version des Pascals) geschriebene Programme zu sehen. Der Atari zeichnet dabei komplexe Grafiken auf den Bildschirm, für die ein C 64 ungefähr die zwanzigfache Zeit benötigt hätte. Dabei erfüllt diese Sprache alle Anforderungen an ein effizientes, strukturiertes Programmieren bei dem auch eine Programmierung mit einzelnen Unterprogramm-Blöcken möglich wird. Die Compilier- und Linkzeilen halten sich beim 260 ST/520 ST dank seines schnellen Laufwerks in vertretbaren Grenzen. Die Vorstellung, welche Geschwindigkeiten sich erst mit einem reinen Assemblerprogramm erreichen lassen, läßt sicherlich bei jedem Programmierer das Herz höher schlagen.

Traumcomputer für die kleine Kasse

Sowohl der Atari 260 ST mit seinem, an der Computer-Leistung gemessenen günstigen Preis, als auch der 520 ST+ mit seinem gigantischen Speicher (der sich mit einigem Geschick sogar nochmal auf 4 Megabyte aufstocken läßt), werden der Konkurrenz das Leben schwer machen. Durch die rasche Verbreitung, die bei diesen Preisen zu erwarten ist (Atari spricht von 30000 Stück noch dieses Jahr), hat der Atari beste Chancen, ein neuer »C 64« zu werden. Besonders mit dem 260 ST, der sich nach und nach erweitern läßt (bis auf die Leistung des 520 ST+), fällt vielen der Einstieg in die 68000er-Welt wahrscheinlich leichter. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, daß zu den 1298 Mark für den Computer noch mindestens 598 Mark für ein Laufwerk und 148 Mark für die Maus hinzugerechnet werden müssen. Für etwa 2050 Mark erhält man dann aber auch einen Computer, von dem man noch vor 10 Jahren behauptet hätte, daß er in diesem Jahrtausend nicht mehr gebaut werden könnte.


Arnd Wängler
Aus: Happy Computer 12 / 1985, Seite 16

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