»Sherlock Holmes« heißt ein neues, anspruchsvolles Adventure für der Spectrum. Der Klassiker der Kriminalliteratur könnte auch auf dem Computer ein Renner werden.
Da sage noch einer, das Softwarebusiness wäre ein schnellebi-ges Geschäft: Von der ersten Ankündigung dieses Spiels bis zur Premiere am Ladentisch verging ein gutes Jahr. Das Erfolgsteam des legendären Super-Adventure »The Hobbit« hat wieder bewährten Lesestoff »digitalisiert«. Sir Arthur Conan Doyle, der Schöpfer von Sherlock Holmes, kommt im prallvollen 48-KByte-Speicher des Spectrum zu neuen Ehren.
Am Anfang war das Wort, könnte man hier sagen, denn »Sherlock Holmes« beginnt nicht mit einer Grafik (abgesehen von einer Borte stilisierter Schießeisen), sondern mit viel, viel Text. In geschraubtem, viktorianischen Englisch wird eine heimelige Szene entworfen: Dr. Watson hockt zeitunglesend in seinem Ohrensessel, Meisterdetektiv Holmes mustert sein Pfeifenregal. Das Rätsel, dessen Lösung Ziel des Spiels ist, entdeckt Dr. Watson im Daily Chronicle (wo sonst, raunt der Doyle-Kenner): Ein mysteriöser Doppelmord in einem Provinznest.
Wer sich nur einigermaßen mit Sherlock Holmes identifiziert, den man als Spieler zu verkörpern hat, der zögert nicht lange: »Ein Fall für uns, Dr. Watson«. Erfahrene Abenteurer rüsten sich für dunkle Ecken (»take lamp«) und machen sich auf den Weg (»open my door«). Achtung — wenn sich Holmes nach seiner Gewohnheit verkleidet, erkennt ihn nicht einmal Dr. Watson.
Bei der Texteingabe zeigt »Sherlock Holmes« noch größere Qualitäten als der richtungsweisende »Hobbit«. Selbst komplizierte Befehle akzeptiert das Programm klaglos, solange man sich an die Grammatik des »Inglish« (spezielles Adventure-Englisch) hält, mit der das Spiel arbeitet. Sätze wie »Take everything except the small table and climb over the hedge carefully« versteht das Programm blitzschnell. Den Preis für so viel Luxus zahlt der Spieler bei den Grafiken. Es gibt nur sehr wenige und die sind sehr schlicht. Dagegen kann man mit Personen sprechen, sie sogar verhören: »Say to the cook „Tell me about Mrs. Brown“«, oder zu sich bitten: »Say to Watson „Come with me“«. Zwei-Wort-Abenteuer nach dem Motto »Kill monster« schauen bei diesen Leistungen alt aus.
Dennoch reagiert das Spiel oft nervtötend pingelig. Mit dem logischen »enter cab« kommt man nie in die Kutsche — mit »get into cab« sofort. Auch der Kutscher ist sehr schwer von Begriff. Und wehe, wenn man nicht bezahlt. Manche Türen gehen nicht auf, obwohl sie müßten. Da hilft nur ein listiges »open all«.
Noch eine andere Adventure-Un-sitte stört bei »Sherlock Holmes«: Am Anfang passiert einfach nichts. Die einzige mir bekannte Ausnahme ist das berühmte »Colossal Adventure«. Die Autoren von »Sherlock Holmes« hielten es für eine gute Idee, daß man mit Droschken, U-Bahnen und Zügen durch die britische Geographie brausen kann, sogar gegen umständliche Bezahlung in Pfund, Shilling und Pence Aber nur auf Bahnsteig 3 eines bestimmten Bahnhofs gibt’s was zu erleben, der Rest ist die reme Schikane. Unerbittlich läuft dabei die Uhr, ganz unviktoria-nisch digital angezeigt. Wer zu lange herumirrt, wird unehrenhaft entlassen, »Mr. Holmes hätte es besser gemacht«.
Wer neu anfangen muß, stößt auf eine Ungenauigkeit im sonst perfekten Begleitheft, denn zum Neustart benötigt man einen geSAVEten Spielstand. Beim ersten Spiel also gleich die Szene in Holmes Zimmer abspeichern.
Mein Gesamturteil als Adventure-Spielratte: Gegen diese Art von Denkgymnastik per Computer ist wirklich nichts einzuwenden. So einen hochkarätigen Abenteuerstoff wünsche ich mir öfter. Warum spielen die meisten Adventures in einer fragwürdigen Umgebung von Hexerei, Magie, Aberglaube und Folterfantasien? Verglichen mit den bizarren Verlies- und Drachengeschichten sind die intelligenten Knobelei-en des Meisterdetektivs ein sauberes Vergnügen — auch wenn mitten im Spiel eine Leiche auf dem Sofa liegt. Wer in gewohnter Weise »kill« eingibt, bekommt vom Programm die heilsame Antwort »Nur ein Idiot würde das versuchen«. Sherlock Holmes Waffe ist sein Gehirn!
Die Lösung des ganzen Falls wird noch ein paar Wochen dauern. Eines ist aber sicher: Nächste Woche kaufe ich mir Conan Doyles Bücher, sonst komme ich nie weiter. Da sage noch einer, Computer würden die alten Medien verdrängen. Kombiniere: ein gelungener Coup. Die Spielkassette »Sherlock Holmes« kostet zirka 49 Mark.