Editorial: ATARI neu?

Leicht hat es Atari seinen Kunden, vor allem aber jenen, die es werden wollen, nie gemacht. Denn zwischen der Ankündigung neuer Produkte und ihrer Verfügbarkeit lagen fast immer Zeiten, die die Geduld jedes Anwenders über Gebühr strapazierten. Bei Wartezeiten von einem halben Jahr und länger ist jeder Anwender versucht, auf Produkte der Konkurrenz auszuweichen, die ja auch nicht immer so schlecht sind. Mit diesen Problemen kämpft Atari übrigens nicht nur in Deutschland. Eingestandenermaßen hätten auch in den USA wesentlich mehr Spiel- und Einsteigergeräte verkauft werden können - wären sie nur verfügbar gewesen.

Erste Priorität wird deshalb in diesem Jahr der Erweiterung der Produktionskapazitäten eingeräumt. Dabei will man sich nicht mehr nur auf die fernöstlichen Lieferanten verlassen. Selbst mit deutschen Herstellern ist Atari im Gespräch. Die höheren Preise sollen durch die schnellere Lieferung und die geringeren Transportkosten ausgeglichen werden.

Dabei soll die Produktpalette 1988 nahezu verdoppelt werden. Freilich handelt es sich bei den neuen Produkten vor allem um leistungsstärkere MS- DOS-Computer mit 80286- und 80386-Prozessoren. Hier wird sich beweisen, ob die neue Firmenpolitik bereits Früchte trägt oder ob bis zur tatsächlichen Markteinführung der PCs 4 und 5 ebenso lange gewartet werden muß wie beim PC 1.

Selbstverständlich gilt das Hauptinteresse von Atari nach wie vor dem ST. Insbesondere in Deutschland kommt der Löwenanteil des Umsatzes von diesem Gerät. Der Rekord von 1987 mit 120.000 Geräten soll in diesem Jahr überboten werden, vorausgesetzt, man kann liefern. Nicht überall übrigens steht der ST so im Mittelpunkt des Interesses. Vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien liegt der Schwerpunkt bei Computerspielen und Einsteigercomputern, also bei 8-Bit-Geräten. 60 % des US-Umsatzes wurden in diesem Bereich erwirtschaftet - und es hätte mehr sein können, wenn die besagten Probleme nicht gewesen wären.

Aber auch hierzulande scheint Atari die 8-Bit-User nicht mehr so sehr vernachlässigen zu wollen. Denn nach wie vor sind die XE- und XL- Modelle beliebte Einsteigergeräte. In der DDR, CSSR und Polen herrscht starke Nachfrage nach diesen Computern. Nach eigenem Bekunden sieht Atari eine Verpflichtung gegenüber dem Einsteiger, der nur wenig für sein Hobby ausgeben kann. Und natürlich ist das nur konsequent, denn wenn Hänschen mit seinem kleinen Atari zufrieden war, wird Hans möglicherweise dieser Marke treu bleiben und sich für einen großen Atari-Computer entscheiden - wenn er denn lieferbar ist.


Robert Kaltenbrunn
Aus: Atari-Magazin 06 / 1988, Seite

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