Test: papyrus 4

Für all die, die papyrus nur dem Namen nach kennen, gehen wir zu Anfang auf die generellen Höhepunkte von papyrus ein; danach folgt eine ausführliche Besprechung der Neuerungen von papyrus 4. In einem zweiten Testteil im nächsten Heft werden wir auf die speziellen Besonderheiten zweier großer Neuheiten in papyrus eingehen, die den Rahmen dieses Tests gesprengt hätten und die wir daher hier nur kurz streifen: papyrus' Verwendung von Farbbildenn und die Unicode-Unterstützung.

Basales

Ein zentraler Punkt von papyrus ist seine einfache Bedienbarkeit. Kaum eine andere uns bekannte Textverarbeitung ist durchgängig so intuitiv zu benutzen. So ist man mit papyrus in der Regel sehr viel schneller am Ziel, dem fertigen Dokument, da man nur sehr wenig Zeit für die eigentliche Bedienung verwendet. Das beginnt bei so häufig gebrauchten Funktionen wie den Blockoperationen; hier stellt papyrus die nicht nur auf dem Atari einmaligen diskontinuierlichen Blöcke zur Verfügung. Man markiert einfach frei im Text verteilt verschiedene Textteile als unzusammenhängenden Block und kann diese jetzt im Textstil ändern, verschieben, kopieren uvm. Ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel dafür, wie die Entwickler sich immer noch einen Schritt mehr Mühe gegeben haben, ist auch das sogenannte "intelligente" Ausschneiden und Einfügen von Textblöcken. Hierdurch braucht man sich beim Verschieben oder Kopieren von Blöcken nicht mehr mit verwaisten oder fehlenden Leerzeichen abzuquälen; papyrus optimiert diese automatisch. Auch papyrus Zeichensatz-Verwaltung ist vorbildlich. Was sogar wörtlich zu nehmen ist: Das Multitasking - Betriebssystem MagiC hat in seiner neuen Version 4 annähernd 1:1 papyrus Zeichensatz Dialog übernommen (natürlich mit Billigung von R.O.M.). In papyrus' Zeichensatz Auswahl finden Sie friedlich nebeneinander alle auf dem Atari verbreiteten Zeichensätze (Speedo, True Type, Type 1, Signum!2, GDOS Pixel) zur gemeinsamen Verwendung, ordentlich in Familien sortiert und eventuelle Textstile und Punktgrößen getrennt angeboten. Weiter findet man in papyrus erst einmal alles, was eine gute Textverarbeitung haben sollte: Spaltensatz, Fußnoten, Kopf- und Fußzeilen uvm.

Auch die Im- und Export-Formate lassen kaum Wünsche offen; papyrus liest direkt CyPress-, Signum!2-, Script2- und 1st Word 3-Texte und bietet für alle Textverarbeitungen, die dies Austauschformat beherrschen, einen RTF-Import und Export, der insbesondere in einwandfreier Funktion mit MS-Word arbeitet.
An Bildformaten bietet es eigene Vektorobjekte wie Linien, Rechtecke, Kreise und freie Textobjekte, dazu kann man Pixelbilder im IMG sowie in so ziemlich allen anderen Atari-üblichen Formaten einbinden. Dazu gibt es noch Etliches, was nicht so selbstverständlich ist, man aber oft gebrauchen kann:
Etiketten- und Broschürendruck, die alleine schon diesbezügliche Spezialprogramme übertreffen, Microspacing zur Buchstaben-Feinpositionierung, ein ordentliches Pairkerning (zusammen mit NVDI), frei wählbare Zoomstufen, in denen ganz normal weitergearbeitet werden kann und vieles mehr.
Besonders Mühe gegeben haben sich die R.O.M.-Entwickler mit Ihrem neuartigen Rechtschreibkorrektur-Konzept, das mittlerweile sogar an anderer Stelle Aufmerksamkeit erregt zu haben scheint.
Was in papyrus schon seit eineinhalb Jahren eine innovative Funktion darstellt - von der Korrektur als falsch erkannte Worte werden unaufdringlich nur mit einer Kringellinie markiert und so zur späteren Korrektur vorgemerkt - wird jetzt von Microsoft in MS-Word als großartige Neuerung gefeiert.
Wer dies trotz der auffälligen optischen Ähnlichkeit noch für Zufall hielte, dessen Glaube an den Zufall wird dann bei der Namens-Vergabe arg gebeutelt: R.O.M. nennt seine Korrektur seit eineinhalb Jahren "IntelliView Correction"; Microsoft nennt seine "neue" Korrektur "IntelliSense Correction" ...

Die "große" papyrus GOLD Version, die als Erweiterung erhältlich ist, ist mit Ihren Funktionen für Büro- und Desktop Publishing-Einsatz geeignet.
Für viele Anwender dürfte die Entscheidung für papyrus allein schon durch den auf dem Atari mit Abstand besten Tabellensatz gefallen sein, der in seiner umfangreichen und trotzdem einfachen Gestaltbarkeit kaum Wünsche offen läßt.
Gedrehter Text in Tabellen, vereinigte Nachbarfelder, Fließtext, vielfältige Rechenfunktionen sind alles kein Problem für papyrus. Weiter sind Inhaltsverzeichnis- und Stichwortverzeichnis- Generierung, Vorlagen, Formulare, Serienbrieffunktion mit Datenanbindung und zusätzliche Absatzabstände für den Büroanwender in problemloser Weise einsetzbar. Für den DTP-Gebrauch bringt die GOLD-Version Vektorgrafik-Import, automatischen Bildumfluß, frei wählbare Seitenlayouts mit Stammseitenkonzept sowie Photosatzbelichtung über das ISS-Format mit sich.

Neu in Version 4

Kommen wir dann zu den Neuerungen der Version 4. Die erste Frage bei neuen Versionen ist für Erfahrenere immer: Wie sieht es mit der Stabilität aus? Um es vorweg zu nehmen: papyrus 4 hat sogar noch an Funktionssicherheit dazugewonnen, so zumindest während unserer Testphase zu erkennen. Dies ist vor allem dem Umstieg vom GFA-Basic, das bekanntermaßen recht unsicheren Code produziert, auf die weitaus stabiler arbeitende Programmiersprache Pure C zu verdanken. Schon in der alten 3er Version von papyrus wurden gelegentlich auftretende Fehler sauber in einem Dialog abgefangen und man konnte weiterarbeiten. In der erste n uns zugegangenen Version von papyrus 4 fanden wir noch einige kleine Fehler, die aber wie von Version 3 gewohnt sauber abgefangen wurden (so brachte z.B. nach dem Programmstart ein Klick auf das Lupensymbol eine Fehlermeldung; Zoom über 2000% eben so, und der QFAX-Treiber war auf Endlospapier voreingestellt und produzierte daher nur weiße Seiten).

Solche harmlosen Fehler sind für eine Version jedoch x.00 normal. Wie intensiv bei R.O.M. weiterentwickelt wird, kann man daran erkennen, daß alle von uns gefundenen Fehler mittlerweile behoben sind. Die aktuelle Version 4.07 scheint völlig fehlerfrei zu laufen. Darüber hinaus wurde sogar der Hintergrunddruck, den R.O.M. zuerst in der 4.00 aus Geschwindigkeitsgründen verworfen hatte, wieder eingebaut. Hier hatten sich die Entwickler wohl zuerst zu sehr auf solche neuen Treiber wie den LPT1 von den Gebrüdern Behne (liegt dem neuen NVDI bei) oder "IPRN" von Peter Missel (in vielen Mailboxen erhältlich) angepaßt.

Mit diesen Treibern sind sogar Ausdruckzeiten mit papyrus für randvolle DIN A4-Seiten in 300 DPI von sechs Sekunden normal; dennoch aber hat die ja nun nicht jeder gleich verfügbar, außerdem gibt es auch andere gute Gründe für Hintergrunddruck. Der in Version 4.07 eingebaute Hintergrunddruck erreicht übrigens auch fast die Ge schwindigkeit des LPT1.

Zu den neuen Funktionen:

Sowohl die von R.O.M. angekündigte Speicherersparniß von gut 100 kB, wie auch die spürbar gesteigerte Geschwindigkeit ermöglichen auch auf alten STs ein zügig angenehmes Arbeiten. Die neue Oberfläche erscheint gelungen und wirkt überaus aufgeräumt; man merkt, daß papyrus von Grund auf überarbeitet wurde; z.B. wurden Dokumenten-spezifische Funktionen im Menu "Dokument" zusammengefaßt. Der neue durchgängige 3D-Look für Bedienelemente wie Dialoge und das Lineal sehen ansprechend aus, wie Sie auch unseren Bildschirmphotos entnehmen können. Viele häufig gebrauchte Funktionen wurden in einer zweiten Linealzeile untergebracht:
so kann man jetzt den aktuellen Zeichensatz, die Punktgröße und den Zoom-Faktor sowie auch den aktuellen Text- oder Objektmodus direkt im Lineal einstellen und hat so auch immer die aktuellen Einstellungen vor Augen. Im Lineal sind auch die neuen namentlichen Textstile zu finden. Durch einen Klick auf "Stil" erreicht man einen Dialog, in dem man sich bspw. seinen Lieblings-Textstil "Humanist, 12 Punkt, schwarz, mit Trennung" unter einem frei wählbaren Namen, bspw. "Fließtext", in einem pop up im Lineal ablegen kann. Von dort kann man diesen Textstil "Fließtext" dann wieder aufrufen, wenn man ihn für anderen Text wiederverwenden möchte; dabei werden dann alle gemerkten Parameter übernommen.

Der frei einstellbare Zoom wurde um eine Funktion erweitert, mit der man sich mit der Maus einen beliebigen Bildausschnitt herausvergrößern kann. Natürlich kann man in jeder Zoomstufe wie vom alten papyrus gewohnt ganz normal weiterarbeiten. Darüberhinaus findet man im Lineal jetzt auch einen neuen Vektorobjekt-Typ, die Ellipse, über die alle runden Objekte ähnlich wie vorher schon Rechtecke in den Text gebracht werden können. Besonders nützlich erscheint uns die Funktion der neuen Textmakros. Hier gibt man einfach ein Kürzel vor, das dann im Text zu ei'ner längeren, vorgegebenen Formulierung "explodiert". Ein "mfg" wird so automatisch zu "Mit freundlichen Grüßen".
Wahlweise kann man für die Kürzeleingabe eine sofortige Weiterverarbeitung anwählen oder bei Verwechslungsgefahr bestimmen, daß das Kürzel erst nach Antippen von "F9" oder "Alternate" expandiert wird.

Sehr mächtig werden papyrus' Textmakros dadurch, daß man anstelle einer reinen Textformulierung für ein Makro sogar eine ganze Datei angeben kann, die dann anstelle des Kürzels eingefügt wird. Hierüber kann man sogar die Einbindung von Bildern in Makros realisieren.

Der aufwendigste Teil des neuen papyrus 4 sind die Farbbilder. papyrus liest Farbbilder in den bekanntesten Formaten, die von allen Rechnerplattformen kommen dürfen: So werden klaglos alle TIFF-Formate, GIF, JPEG, Photo-CD, IFF, BMP, PCX, aber auch Atari- Formate wie Degas, Neochrome und viele mehr eingelesen. Dabei erlaubt papyrus, wie in den alten Versionen, eine völlig freie Platzierung der Bilder, die Wahl beliebiger Bildausschnitte sowie eine frei wählbare Verzerrung der Farbbilder.

Die Ausgabe wird immer auf die zur Verfügung stehende Auflösung gedithert, so kann man sich auch Truecolor Bilder unter 256 Farben oder auch in monochrom ansehen; auch die Ausdrucke werden immer optimal auf die zur Verfügung stehenden Farben abgestimmt, so daß man entweder echte Farbausdrucke oder auch ansprechend gerasterte Schwarzweis - Ausgaben seiner Bilder bekommt. Für jedes Bild ist hierbei entweder eine automatische Rasterung auf das Ausgabegerät angebbar oder man kann die Rasterart aus sechs weiteren Rasteralgorithmen auswählen und so experimentieren.
Völlig neue Bereiche eröffnet das sogenannte "Unicode-Mapping" aller Vektorzeichensätze. Bisher war man es gewohnt, daß Zeichensätze 128 Zeichen oder maximal 256 Zeichen aufwiesen; da ein Zeichen nach dem ASCII-Standard in einem Byte codiert wurde.
Viele Vektorzeichensätze enthalten jetzt aber weitaus mehr Zeichen als nur 256, z.B. ausländische Zeichensätze bspw. für japanische oder chinesische Zeichen.
Aber auch auf dem Atari wohlbekannte Zeichensatztypen wie die normalen Speedo-Zeichensätze enthalten im Regelfalle weitaus mehr als 256; meist über 500 Zeichen, darunter jede Menge bisher unerreichbare typografische und europäische Sonderzeichen, die jetzt in papyrus 4 einfach durch einen Klick auf die Zeichensatz Belegung in Ihr Dokument eingefügt werden können. Der Unicode-Zugriff ist über zwei Byte codiert und erlaubt so den Zugriff auf theoretisch 65536 Zeichen innerhalb eines Fonts. papyrus geht aber dabei schonend mit dem Speicherplatz um; ein Zeichen, das im "normalen" Bereich liegt, verbraucht trotzdem wie bisher nur ein Byte und nicht etwa zwei. Eine genaue Beschreibung der mächtigen Möglichkeiten des Unicodes, der übrigens auch vom neuen NVDI 4 unterstützt wird, werden wir in einer Besprechung im nächsten Heft bringen.

Resumee

papyrus hatte für viele Anwender schon in der Version 3.6 leicht die Nase vorn; mit der Version 4 ist es R.O.M. gelungen, sich die Spitzen position unter den Atari-Textverarbeitungen zu sichern. Und mit der schon im Interview beschriebenen Garantie für die Weiterentwicklung von papyrus für Atari sowie der Quereinstiegs-Möglichkeit hat man auf Jahre hinaus die Gewißheit, eine gute Wahl getroffen zu haben. Dies ist ein bewußt eingegangene Verpflichtung seitens der papyrus-Entwickler für den Atari, die wir nur ausdrücklich begrüßen können.

Sicherlich macht papyrus nicht wunschlos glücklich, aber welches Programm tut dies schon. So würden wir uns als Journalisten noch Funktionen für Textstatistik und Dokumentenverwaltung wünschen; auch Objektgruppen und Referenznoten sind sicher noch ein Objekt der Begierde der papyrus-Anwender; darüber hinaus wäre die Funktion des Synonymwörterbuches eine echte, wünschenswerte Innovation für ATARI - Programme gewesen. Letzteres ist jedoch in Arbeit und wird in einer der kommenden Versionen enthalten sein.

Tröstlich stimmt bei solchen Gedanken aber immer, daß zum einen die Lust auf solche Funktionen durch eine hervorragende Basis-Funktionalität überhaupt erst geweckt wird.

Im zweiten Teil dieses Testes (im nächsten Heft) gehen wir ausführlich auf die Möglichkeiten der Farbbild-Ausgabe und der Nutzung des vollen Umfanges von Vektorzeichensätzen über die neue Unicode-Belegung mit papyrus ein.

Wer sich nach diesem Artikel gerne selbst einmal papyrus ansehen möchte - kein Problem. Atari Inside-Abonnenten finden die nur gering in ihrer Funktionalität eingeschränkte Demo von papyrus 4 als Diskette zum Heft; und sonst kann man diese auch bei R.O.M. direkt wie auch bei der Atari Inside gegen Einsendung von 5,- (bspw. in Briefmarken) bestellen.

Red.

Hersteller/Distributor:

R.O.M. logicware GmbH
Raschdorffstraße 99
13409 Berlin
Standard-Version 198,- DM
papyrus GOLD Erweiterung 79,- DM


Aus: Atari Inside 02 / 1996, Seite 52

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