Interview zu papyrus 4

Das Warten hat sich gelohnt. Eine der beliebtesten Textverarbeitungen der letzten Zeit beeindruckt in Version 4 mit neuen Funktionen und geringem Resourcen-Bedarf. Dazu garantieren die Entwickler eine dauerhafte Weiterentwicklung auf Atari. Bevor wir das brandneue papyrus 4 einem ausführlichen Test unterziehen, möchten wir Ihnen noch ein Interview präsentieren, für das unser Chefredakteur Ali Goukassian, bei einem Familienbesuch in Berlin, die noch vom Auslieferungsstreß geschafften "Macher" von papyrus, Herrn Ulli Ramps und Herrn Christian Nieber, gewinnen konnte.

Atari-Inside: Herr Ramps; Herr Nieber, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses Interview zur Verfügung gestellt haben. Bevor wir auf papyrus und seine Neuerungen eingehen, stelle ich am besten zu Beginn gleich eine etwas unangenehme Frage, die aber sicher viele unserer Leser interessieren wird? Auch, wenn das Warten sich gelohnt hat, aber so manchem erschien die Wartezeit auf papyrus 4 sehr lang.

U. Ramps: Auf die Neuerungen von papyrus 4 wird ja ausführlich in ihrem Test eingegangen; darin steckt natürlich ein Teil der Zeit Für das Wesentliche aber muss ich etwas länger ausholen Für den Frühsommer 95 geplant war ursprünglich eine einfach nur funktionell erweiterte papyrus-Version in seiner alten Programmier-Sprache, im gewohnten GFA-Basic-Kleid. Parallel und unberührt davon starteten wir die Entwicklung in der moderneren Sprache "C" für eine OS/2- und eine spätere Macintosh-Version von papyrus, die wir dann als Vorversion auf der CeBIT gezeigt haben.

C. Nieber: Dabei aber wurde mir klar, dass ein papyrus 4 in GFA-Basic möglicherweise die letzte Atari Version geworden wäre, da getrennte Entwicklungen in zwei völlig verschiedenen Programmiersprachen auf Dauer kaum machbar gewesen wären.

Atari-Inside: Das wäre natürlich für uns Atarianer nicht so schön gewesen. Dann haben Sie sich umentschieden?

U. Ramps: Ja. Als ich das merkte, habe ich sofort alle Planung umgeworfen, trotzdem wir damals schon teure Werbung geschaltet hatten. Ich wollte einfach nicht so sang- und klanglos den Markt verlassen, in dem wir sozusagen "aufgewachsen" waren. Die reifende Idee war dann, einfach ...

C. Nieber: Du bist gut, "einfach"...

U. Ramps: (lächelt) ... einfach eine systemunabhängige papyrus-Version in der sehr portablen Programmiersprache "C" zu machen, sozusagen ein gemeinsames Haus mit nur verschiedenen Eingangstüren, das in den Grundzügen für eben Atari, aber auch OS/2, Mac und Windows ,95 gleich ist.

Atari-Inside: Aus damaligen Gesprächen weiß ich noch, dass Sie der Meinung waren, dass die Sache in einem viertel Jahr zu schaffen wäre ...

C. Nieber: Ja nun, das war natürlich eine gewaltige Arbeit. Es waren gut zwei MegaByte Code-Text nach "C" zu konvertieren und gleich noch rundum zu modernisieren, und der Arbeitsaufwand war einfach extrem schwer abzuschätzen.

Atari-Inside: Etwas ungeschickt war sicher die verfrühte Ankündigung der 4er Version durch R.O.M.

U. Ramps: Peinlich war uns die Sache schon. Der Wille, die Sache so durchzuziehen, kam allerdings neben unserer Überzeugung auch von unseren Anwendern, die uns am Telefon bei den vielen Nachfragen enorm in unserem Beschluß bestärkt haben. Die Resonanz war einfach toll, und ich möchte die Gelegenheit hier nutzen, mich bei allen für ihre Geduld, ihr Verständnis und vor allem für ihre Unterstützung ganz herzlich zu bedanken.

Atari-Inside: So ganz habe ich das jetzt noch nicht verstanden: Was haben wir Atarianer denn jetzt konkret von dieser großen Umstrukturierung? Für mich klingt das so ein bißchen danach, dass OS/2 und Mac? die Hauptnutznießer dieser Umstrukturierung sind.

U. Ramps: Nein nein, wenn das so wäre, hätten wir es ganz anders gemacht Dann hätten wir schnell im Frühjahr ein papyrus 4 Atari gemacht und uns danach nur noch um OS/2 gekümmert.
Das wichtigste Resultat aus unserem Konzept ist unsere Garantie, dass papyrus in dauerhafter Zukunft für den Atari weiterentwickelt wird; das ist ein Versprechen, bei dem es sonst sogar das Geld zurück gibt.

Atari-Inside: Wie ist das konkret zu verstehen?

U. Ramps: Ganz einfach: Wir garantieren bis auf weiteres wenn es doch keine neuen papyrus-Atari Versionen mehr geben sollte zahlen wir jedem, der innerhalb eines halben Jahres vorher noch Geld für papyrus ausgegeben hat, egal ob Neukauf oder für ein update, sein Geld zurück.

C. Nieber: Eine ehrlichere Lösung ist uns nicht eingefallen; das schien uns am besten auszudrücken, wie ernsthaft uns das ist.

Atari-Inside: Das ist schon etwas ganz besonderes und im ganzen Markt wohl bisher absolut einmalig, so etwas habe ich jedenfalls noch nie gehört. Aber wie kann R.O.M. sich das leisten?

C. Nieber: Ganz leicht wir machen einfach wirklich und ernsthaft weiter.

U. Ramps: Genau. Die in Zukunft weiterentwickelte papyrus-Version wird ja nun gemeinschaftlich für alle Betriebssysteme erstellt. Jedes System, also auch die so dauerhaft angekoppelte Atari-Version, profitiert also immer von allen zukünftigen Weiterentwicklungen.

C. Nieber: Oder anders: Solange es überhaupt neue papyrus - Versionen geben wird, wird es immer neue Atari-Versionen geben.

U. Ramps: Und das haben wir bis weit ins nächste Jahrtausend vor...

Atari-Inside: Das ist wirklich mal ein tolles Konzept und schafft bestimmt großes Vertrauen in den Atari Markt. Das ist heutzutage ja doch ziemlich wichtig.

C. Nieber: Zwei Sachen wollte ich noch loswerden; Sie fragten vorhin nach den sichtbaren Vorteilen der Portierung.
Zum einen ist papyrus Speicherbedarf durch den notwendigen Hausputz um weit über 100 KiloByte kleiner geworden.

U. Ramps: Obwohl es ja vorher auch schon sehr speicherschonend war.

Atari-Inside: Auf was für Maschinen läuft papyrus 4 denn jetzt?

C. Nieber: Die Minimalkonfiguration für papyrus 4 ist ein 1040 ST mit einem Megabyte Arbeitsspeicher und einem Diskettenlaufwerk; und nach oben geht es bis zur True Color Grafik auf einer Medusa oder einem PowerMac unter MagiCMac... papyrus ist übrigens durch die Renovierung und die Portierung auf "C" auch so richtig rasend schnell geworden, wovon natürlich gerade der 1040er profitiert. Gerade bei so komplexen Funktionen wie z.B. unserem mächtigen Tabellensatz haben wir glatt noch einmal den Faktor drei bis fünf herausholen können.

Atari-Inside: Das hört sich gut an. Auf die Funktionalität gehen wir ja später noch im Test ein. Aber eine Frage hätte ich eigentlich noch an Sie beide Wer macht eigentlich was an papyrus? Und wer macht was bei R.O.M.?

C. Nieber: Ulli und ich sind gemeinsam die "Eltern" von papyrus; also die Ur-Entwickler.

Ulli Ramps: Wobei Christian als Voll-Informatiker den Löwenanteil des eigentlichen Programmcode Schreibens übernimmt. Ich bin bei der Entwicklung mehr mit Konzept- und Design-Aufgaben beschäftigt, habe mit viel Mühe das Handbuch geschrieben, erstelle die Resource-Dateien und mache all das, was Christian sonst noch so an "Hilfsarbeiten" einfällt (grinst).

C. Nieber: Neue Funktionen und Konzepte werden natürlich gleichberechtigt zwischen Ulli und mir abgestimmt; dazu kommen jetzt auch noch unsere weiteren Entwickler, insbesondere Jürgen Dieluweit, Ben Sommer und Niall Hogg.

U. Ramps: Und den Vertrieb machen neben mir noch Attila Kecskes, meine Frau Katrin und unser dritter Partner, Herr Dr. König - also die Mannschaft, die man so aus unserem Büro oder von Messen kennt. Da ist genug Luft auch für die anderen Dinge wie bspw. die Palette unseres englischen Partners HiSoft sowie die Atari-Produkte unserer Hamburger Freunde von SciLab. Aber unser Hauptgewicht ist und bleibt natürlich papyrus.

Atari-Inside: Wieviele papyrus-Kunden gibt es eigentlich mittlerweile?

U. Ramps: In Deutschland haben wir in den zweieinhalb Jahren, in denen papyrus auf dem Markt ist, mittlerweile gut 5.000 papyrus verkauft; in letzter Zeit waren es noch um die 100 Stück monatlich; seit Verfügbarkeit von papyrus 4 ist die Nachfrage für Neuverkäufe natürlich wieder stark angestiegen. Dazu kommen noch einmal zusammen gut 3.500 Auslandskunden in England, Frankreich und Holland.

Atari-Inside: Und wieviele davon schätzen Sie sind noch aktiv?

U. Ramps: Die große Resonanz auf unser Mailing Anfang Dezember hat selbst uns Optimisten überrascht. Wir haben zum Jahresende schon gut 1.500 papyrus 4 Upgrades ausgeliefert, und die täglich eingehende Bestellmenge läßt noch kein Ende der ersten Upgrade-Welle erkennen. Wir rechnen also damit, dass noch der Gutteil unserer Kunden sein papyrus nutzt. Interessanterweise löste bei Telefonnachfragen gerade die neue Möglichkeit, gegebenenfalls später auch ein Querupdate auf eine Mac- oder andere papyrus-Version machen zu können, die Bereitschaft aus, jetzt gerade noch einmal in den Atari zu investieren und das Update auf papyrus 4 zu bestellen oder sogar ein neues papyrus zu kaufen.

C. Nieber: Ja klar - ist ja auch unsinnig, ein gut laufendes System zu wechseln, wenn noch gar keine Notwendigkeit dazu besteht. Und auch die, die mehr Leistung im High End-Bereich brauchen, sind ja unter MagiCMac mit einem als Atari laufenden Macintosh oder einem PC mit entsprechendem PC-Emulator sehr gut bedient.

Atari-Inside: Das sind ja sehr beachtliche Anwender-Zahlen. Wie kommt eigentlich Ihrer Meinung nach dieser Erfolg zustande? Ist es das, wofür Sie papyrus so bekannt gemacht haben; ist es seine Anwenderfreundlichkeit ist es die "freundliche" Textverarbeitung oder ist es die Integration vieler DTP-fähiger Funktionen?

C. Nieber: Im Wesentlichen ja. Wir haben es einfach gut im Gespür, unsere Mühe da hineinzustecken, wo unsere Anwender sie wirklich brauchen. Wir versuchen immer herauszufinden, wie es aus Sicht des Anwenders am einfachsten gehen sollte.

U. Ramps: Das ist jetzt kein zum Munde reden, sondern ein sehr erfolgreiches Konzept. Software Ergonomie, wie man Software möglichst einfach und intuitiv anwendbar macht, ist klar Christians und mein Schwerpunkt und spielte auch eine zentrale Rolle in Christians Informatikstudium. Zufriedene Anwender sind treue Kunden. Ein Gutteil der papyrus-Stückzahlen verkauft sich über Empfehlungen.

Atari-Inside: Sie wollen also ganz gezielt Ihre Kunden mit einbeziehen?

C. Nieber: Ja. Dabei suchen wir ganz pragmatisch die Mitarbeit unserer Anwender: Es wäre regelrecht dumm, das große Ideenpotential unserer wirklich interessierten und engagierten Kunden nicht auszuschöpfen.

U. Ramps: Genau. Sie glauben gar nicht, wieviel Spaß es macht und welchen Nutzen wir daraus ziehen, wenn wir auf Messen und beim Telefon-Support oder in Briefen konstruktive Kritik hören und lesen. Oder ich viel Zeit in Mailboxen wie der MAUS verbringe, um dort mit Anwendern äußerst fruchtbar über papyrus zu diskutieren.

C. Nieber: (lächelt) Einigen müßten wir fast schon ein Entwickler-Gehalt zahlen.

U. Ramps: Unser Erfolg kommt also aus unserer Liebe zu unserem Produkt. Das zeigt sich auch in unserem besten Botschafter, unserer Demo. Trotzdem die papyrus-Demo nur gering Einschränkungen hat, ist dies kein Kaufhemmnis; unsere Produktqualität ist einfach unser überzeugendstes Verkaufsargument und wird meistens belohn Das mag vielleicht ein bißchen eingebildet klingen, aber besser kann ich den papyrus-Erfolg nicht erklären.

Atari-Inside: Doch, ich kann das nur unterstreichen. Auch unser Tester war vom neuen papyrus wirklich sehr angetan; aber dazu gleich mehr im Test. Wir freuen uns, dass Sie uns die neue papyrus 4-Version in einer nur leicht eingeschränkten Demo-Version für unsere Atari Inside-Abonnenten-Disk zur Verfügung gestellt haben.

U. Ramps: Ich fand den Vorschlag der Atari Inside einfach toll, die neue papyrus-Version als Demo auf Ihre Abonnenten-Diskette zum Heft zu packen. So kann sich ein großer Kreis leicht und untrüglich selbst von der Qualität überzeugen.

Atari-Inside: Wie sieht denn die Zukunft von papyrus aus?

C. Nieber: Wir haben noch eine lange Liste interessanter Funktionen, die noch Eingang in papyrus finden sollen. Wir sind gerade in diesen Tagen dabei zu bewerten, in welcher Reihenfolge was eingebaut werden soll. Im Gespräch sind Textstatistik und Dokumentenverwaltung, Erweiterung unseres Tabellensatzes bspw. um Spaltentausch etc., mehr DTP bspw. im Farbbild- Bereich, Drehbarkeit von Objekten um freie Winkel, Referenznoten für Tabellen und Bilder, magnetische Hilfslinien, Objektgruppen, ach, und Dutzende von Sachen mehr, die für die nächsten Versionen geplant sind.

Atari-Inside: Herr Nieber, Herr Ramps, ich bedanke mich für dieses wirklich ausführliche Gespräch.

U. Ramps: Es war uns eine Freude.



Aus: Atari Inside 02 / 1996, Seite 48

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