NeoN GRAFIX

Der Pro-Falcon-Trend bei den Entwicklern hält erfreulicherweise an: Nach APEX-Media gibt es mit NEON ein weiteres Falcon-Only-Produkt, mit Hilfe dessen der Anwender in die Lage versetzt wird, durch schnelles Raytracing, professionelle Video-Sequenzen im Stile großer Kinofilme zu erstellen.

"Ah, ein Falcon-Mensch! -Sie glauben wohl auch, dass es keine neue Software mehr gibt. Aber das stimmt nicht! - It's cool man!"
So oder ähnlich begrüßte man mich vor einigen Wochen bei TEAM-Computer in Köln. "Einen Moment bitte noch!" fuhr der Herr mit dem roten Pulli fort, bevor ich auch nur Luft geholt hatte, um eine einzige Frage zu stellen, während er mit verschmitztem Lächeln auf die weiteren Kunden im Laden deutete, die vor mir dran waren. Mistrauisch schweifte mein Blick über die Regale und Monitore. Aber ich konnte nichts Verdächtiges ausmachen. Mir fielen nur die anderen Anwesenden auf, die ebenfalls mit dem Fragezeichen-Blick den Raum zu scannen schienen. Ein cooles Programm für den Falcon? Wenn überhaupt ist es eine Graphikdemo oder etwas ähnliches, dachte ich. "So! -Dann kommen Sie mal näher!" Blitzartig drängelten sich alle Anwesenden vor den 19"- Monitor, an dem ein Falcon angeschlossen war. "Wir haben da was neues in Sachen Computergraphik..." erklärte der Mann mit dem roten Pulli stolz, der als einziger einen Sitzplatz hatte. "Eine Demo?!" rutschte es mir über die Lippen, obwohl ich ihn keinesfalls unterbrechen wollte.

Alle starrten mich an, als sei dies die falsche Frage gewesen. "Nein, nein! Was viel schöneres..." fuhr der Mann mit hämischem Grinsen fort, als habe er nur auf meine Frage gewartet, und alle Blicke richteten sich daraufhin wieder gebannt auf den Monitor.

...ein neues Programm zur Gestaltung von Computergraphiken und Animationsfilmen in professioneller Qualität. Sie wissen schon ...Terminator II, Jurassic Park & co..." verkündete der Herr in Rot weiter, während die graphische Oberfläche des Programms auf dem Bildschirm erschien. "Sie können beliebige Objekte eingeben und animieren."

Nach ca. einer halben Stunde Vorführung war ich und ich glaube auch alle anderen ganz schön geplättet darüber, was da auf dem guten Falcon so vor sich ging. "Besuchen Sie uns unbedingt auf der ProTOS!" gab mir der Herr mit dem roten Pulli noch mit auf den Heimweg, als mir ein Blick zur Uhr verriet, dass aus der halben Stunde unerklärlicherweise fast 3 Stunden geworden waren.

Die Auswirkungen der ProTOS lassen sich wie folgt kurz zusammenfassen:

Ich kam. Ich sah. Ich kaufte. Das NeoN-Videoband. Die Demodisk. Das Programm. Es sollten jedoch noch einige Monde vergehen, bis mein permanenter Telefonterror bei TEAM-Computer dafür sorgte, dass vor 7 Tagen überraschenderweise ein Paket bei mir ankam.

Dies ist seine Geschichte

Um es vorweg zu nehmen. Das lange Warten hat sich gelohnt. Im Lieferumfang der aktuellen Verkaufsversion (v1.2) von NeoN-Grafix, das auf 6 Disketten datenkomprimiert ausgeliefert wird, befinden sich mehrere Programme, viele Demoobjekte, Animationen, eine Menge TGA-Texturen, sowie spezielle "Maps" und "Shapes" und last but not least eine Anleitung, deren Umfang schon auf die vielen Möglichkeiten hindeutet. Insgesamt werden etwa 15MB Speicherplatz auf einer Festplattenpartition beansprucht.

Hardware-Voraussetzungen

Alle Programme des NeoN-Pakets laufen momentan nur auf Atari Falcon030 Computern mit Coprozessor im 256-Farb-Modus. NeoN unterstützt auch die höheren Auflösungen der Screenblaster-Erweiterung. Lauffähig sind alle Programme auch in minimaler Speicherbestückung (1MB), jedoch sind 4 oder noch besser 14 MB RAM wünschenswert. Die Falcon-Version ist durch einen Dongle, der in den LAN-Port gesteckt werden muss, kopiergeschützt, was wohl bei einem Programmpaket dieser Preislage ein notwendiges Übel darstellt.

Installation

Nach dem Öffnen des Postpakets vor einer Woche hatte ich angesichts der 6 Disketten mit datenkomprimiertem Inhalt die Befürchtung, dass man zuerst die halbe Anleitung lesen muss, bevor man weiß, in welcher Hierarchie was mit welchem Packer wohin entpackt werden soll. Glücklicherweise ist dies jedoch dank des mitgelieferten InstallProgramms ein Kinderspiel. Man kann danach direkt loslegen, ohne 10000 Pfade eingestellt haben zu müssen. Sehr komfortabel!

Konzept

Die graphische Oberfläche, die in allen Programmen des NeoN-Pakets einheitlich wiederkehrt, lässt sich komfortabel mit der Maus bedienen. Sie ist jedoch -vermutlich wegen der Darstellungsgeschwindigkeit- leider nicht GEM-konform ausgelegt, was aber für reine Atari-User kein Nachteil ist. Vielmehr wird auf diese Art eine Darstellungsgeschwindigkeit auf dem Falcon realisiert, von der andere Programme nur träumen können. Der andersartige Aufbau der Dialogboxen, der fehlende Doppelklick in der Fileselect-Box und die fehlenden "CANCEL-Buttons" können anfangs zwar nerven, jedoch gewöhnt man sich relativ schnell an diese Dinge. Das fehlende "CANCEL" kann durch die UNDO-Funktion (Rückgängigmachen von Objektver Änderungen, "Nondestructive Editing") kompensiert werden.

Das NeoN-Software-Paket richtet sich vom Konzept her an unterschiedlichste Anwender. Vom Hobby-Filmer über den Graphiker, Architekt und Designer bis hin zum Musiker, der seine eigenen Computeranimationen zu seinen Stücken gestaltet, die er dann vielleicht morgen oder übermorgen bei VIVA oder gar MTV plaziert, sind alle Anwender denkbar.

Vorkenntnisse mit 3D-Computergraphik werden bei NeoN nicht verlangt, können aber auch nicht schaden.

Neon-Convert

Fortgeschrittene Gestalter haben die Möglichkeit, ihre evtl. schon vorhandenen Objekte aus anderen 3DProgrammen ins NeoN- eigene Format mittels des mitgelieferten "NeoN-Convert" zu überführen und dort weiterzuverarbeiten und zu animieren. Unterstützt werden in der aktuellen Version die Formate ".IOB" (Inshape) und ".3D2" (Cybersculpt). Weitere Konverter für ".3DS" (3D-Studio) und ".DXF" (z.B. Softimage) sind laut TEAMComputer in Vorbereitung.

Das Konvertieren funktionierte bei mehreren Tests mit schnell besorgten Inshape-Objekten fehlerfrei. Allerdings können die Textur- und Oberflächeneigenschaften nur begrenzt umgesetzt werden, da die Parameter in den einzelnen Formaten wohl unterschiedlich sind oder einige Parameter sogar ganz fehlen. Hier muss nach dem Konvertieren also "von Hand" nachgearbeitet werden, damit der gewünschte Material-Eindruck entsteht. Beim Kauf von NeoN steht dem Anwender durch "NeoN-Convert" schon eine qualitativ hochwertige und große Objekt-Bibliothek zur Verfügung, die man mit NeoN-Features noch veredeln kann.

Neon-Object-Editor

Wem das nicht ausreicht, oder wer lieber seine eigenen Objekte entwerfen möchte, der findet mit dem NeoN-Object-Editor ein mächtiges Gestaltungswerkzeug. Hier können dreidimensionale Polygon-Objekte auf verschiedene Arten erzeugt, verformt und zusammengesetzt werden und im integrierten Material-Editor mit Oberflächen- und Materialeigenschaften versehen werden.

Der Object-Editor enthält neben einer Menüleiste und einer Statuszeile vier Graphikfenster, die den Ansichten "frontal (2D)", "rechts (2D)", "von oben (2D)" und "Preview (3D)" entsprechen. Die Fenster lassen sich je weils auf volle Bildschirmgröße bringen. Im Fensterausschnitt können Objekte beliebig verschoben bzw. gezoomt werden. Dies wird alles mit den Maustasten und gehaltener CTRL- bzw. ALTERNATE-Taste realisiert.

Für jedes Fenster sind die Einstellungen individuell möglich. Im "Preview"-Fenster kann das aktuelle Objekt zusätzlich um alle Achsen in Echtzeit (!) in flächenschattierter Darstellung (!!) gedreht und betrachtet werden. Allerdings ergeben sich bei großen Objekten teilweise doch recht lange Wartezeiten für den Bildschirmneuaufbau ("Redrawing Windows..."). Diese lassen sich aber mit der Hide/Unhide-Option (hiermit können für die Editierung unwichtige Objektteile ausgeblendet werden, was natürlich die Darstellung beschleunigt) und der Fastmove-Funktion (automatisches Umschalten auf Box-Darstellung bei Editiervorgängen) kompensieren. Hier wurde praxisnah programmiert, was sich auch in der komfortablen UNDO-Operation äußert.

Alternativ zur gewohnten Anzeige können im Object-Editor mehrere Darstellungsvarianten wie beispielsweise Linien- und Punktdarstellung eingestellt werden. Im Bereich Grundobjekte bietet der Object-Editor neben einfachen Körpern wie Quader oder Kugel (angenähert durch eine Flächendarstellung) auch komplexe Objekte wie frei definierbare Drehkörper. Deren zugrundeliegende Konturen ("Shapes") lassen sich sogar separat speichern und laden.

Besonders gut hat mir die Funktion "3D-Text" gefallen, die in so einfacher Weise in keinem mir bekannten 3D Programm realisiert wurde. Man wählt einfach einen Zeichensatz, tippt seinen Text ein und schon erhält man einen dreidimensionalen Schriftzug, den man natürlich weiterbearbeiten kann -ideal für Logoanimationen oder Videotitel.

Auch das Deformen des Object-Editors zeigt sich sehr vollständig. Vom "einfachen Abrunden" bis zur "zerquetschten Coladose" sind hier sämtliche Deformationseffekte zu realisieren.

Im Morph-Menü kann man fließende Übergänge zwischen verschiedenen 3D-Objekten und deren Farben erreichen ("Morphing"), was in einer fertigen Animation dann optisch sehr spektakulär wirkt.

Um alle Funktionen des Object-Editors zu beschreiben, reicht der Platz dieses Testberichts natürlich nicht aus. Nur noch so viel: Alles macht einen sauberen und durchdachten Eindruck. Abstürze gab es bisher noch nicht. Alle Parameter lassen sich so differenziert einstellen, dass selbst das abstruseste 3D-Objekt erzeugt werden kann.

Material-Editor (Bad i)

In den Object-Editor integriert ist der Material-Editor. Neben mannigfaltigen Parameterreglern für beispielsweise Oberflächenfarbe, Rauhigkeit, Spiegelung, Transparenz und Struktur findet sich ebenfalls ein "Preview"-Fenster, in dem die aktuellen Materialeinstellungen wahlweise mittels Kugel und/ oder Fläche dargestellt werden. Auch hier hat man also jederzeit die Parameterauswirkungen vor Augen.

Im Lieferumfang von NeoN sind viele Texturen (z.B. Holz, Stein und Metall) in hervorragender Qualität bereits vorhanden. Es lassen sich sogar eigene TGA-Bilder als Texturen auf die 3D-Körper legen oder im Materialeditor vielfältig verändern.

Im Material-Editor bleiben also kaum Wünsche offen. Persönlich fände ich einen Material-Im- und Export mit allen Parametereinstellungen vorteilhaft, was laut TEAM-Computer aber für das nächste Update geplant ist.

Neon Tools

Das externe Programm "NeoN-Tools" bietet noch weiterführende Editieroperationen für Texturen wie Skalieren und Kontrast-verändern und einige andere Hilfsprogamme im Umgang mit NeoN.

Scenery-Editor

Was nützen die schönsten Objekte, wenn man Sie nicht in hoher Farb- und Auflösungsqualität anzeigen kann? Genau dazu, um Objekte in "Szene" zu setzen, dient im NeoN-Paket der Scenery-Editor. Der Object-Editor kann durch einfaches Anklicken eines Objekts vom Scenery-Editor aus aufgerufen werden. Die Darstellung und Fensteroperationen sind analog.

Im Scenery-Editor werden zunächst die einzelnen Objekte platziert und beleuchtet. Die Lichtquellen können in Farbe, Strahlwinkel und Helligkeitsverlauf frei eingestellt werden. Dann wird eine Kamera definiert, die die fertige Szene aufnehmen kann. Hierbei sind vom extremen Weitwinkel- bis zum Telebereich alle Einstellungen möglich. Der eigentliche Clou am Scenery-Editor sind jedoch die ungeheuren Animationsmöglichkeiten. Es lassen sich für alle Objekte zeitmodulierte Kurven ("Time-Splines") eingeben, so dass die Objekte sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Bewegungsänderungen auf den Kurven bewegen. Dies kann man sich (ich bin geneigt, natürlich zu sagen) wieder im 3D- Preview ansehen und so grobe Designfehler ausbügeln. Selbst Lichtquellen und "Splines" können mit den Kurven verbunden und somit bewegt werden. Der Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt.

Zur Darstellung der fertigen Szene oder Animation wird optional entweder der Renderer (Z-Buffer-Algorithmus) oder Ray-Tracer (für Schatten und Spiegelungen) eingeschaltet, der nach einiger Zeit das fertige TGA-Bild oder bei einer Animation eine Bildersequenz liefert.

Die Phong-Shading und Ray-Tracing-Zeiten für ein Einzelbild sind die kürzesten, die ich je auf einem Falcon gesehen habe. In den meisten Fällen kann man beim Zeichnen zusehen, ohne dass es langweilig wird. Im Vergleich zu Produkten wie beispielsweise InShape hat NeoN hier die Nase weit vorn.

Show

Mit dem ShowAnim-Programm des NeoN-Pakets lassen sich die TGA-Bilder einer berechneten NeoN-Animation fließend wiedergeben und auf Video über den Falcon-Ausgang ausgeben. Dabei ist es möglich, die durch den RAMAusbau begrenzte anzeigbare Bilderanzahl durch Loop- oder bidirektionale Wiedergabe zu vervielfachen. Mit 14MB RAM waren auf meinem Falcon 89 unterschiedliche Bilder möglich, was 3 1/2 Sekunden Animation (ohne Loop) entspricht. Besonders reizvoll sind aber Animationen, die sich nach der maximalen Bilderzahl "loopen".

Fazit

Mit NeoN-Graphix ist es TEAM-Computer gelungen, ein wirklich ausgereiftes und äußerst leistungsfähiges Programmpaket zum Erstellen von Computergraphiken und -animationen auf den nicht gerade softwareverwöhnten Falconmarkt zu bringen. Wie leistungsfähig die Software ist, dokumentiert auch das 10 minütige Demovideo eindrucksvoll, das jedem Programmpaket beiliegt. Die anfangs gewöhnungsbedürftige Bedienung erweist sich nach kurzer Zeit jedoch nicht mehr als störend.

Die vielen Beispiele, das umfangreiche Lieferzubehör und die trotz der komplexen Materie einfach zu verstehende und gut gegliederte Anleitung runden das durchweg positive Bild ab.
Zwar liegt der Preis mit ca. 750 DM nicht gerade so niedrig, wie ich das gerne gehabt hätte, jedoch bekommt man für sein Geld doch einiges geboten. So können alle registrierten NeoN- User beispielsweise zusätzlich an einer kostenlosen Schulung für das Programm teilnehmen und eigene Animationen für ein geringes Entgelt mit professionellem Videoequipment bei TEAMComputer aufzeichnen lassen. Ich warte schon gespannt aufs nächste Update.

Bis dahin verbleibe ich mit dem Testurteil: Erste Sahne oder besser gesagt: It's cool man!


Helge Schütt
Aus: Atari Inside 03 / 1995, Seite 56

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