Aus dem Alltag eines Atari-Anwenders

Einleitung

Hallo, wir sind Viola und Bernd. Wir haben schon seit Ewigkeiten mit dem Atari zu tun und kennen eine Unmenge an Leuten, die auch damit arbeiten. In der nächsten Zeit stellen wir Euch ein paar echte Experten vor. Keine Angst, hier wollen wir Euch nicht vorgaukeln, dass es Leute gibt, die mit dem Atari Autos oder Industrieanlagen entwerfen. Auch die inzwischen nicht mehr lustige Geschichte von der Mac Zeitung, die mit Calamus gesetzt wird, wollen wir nicht noch mal aufwärmen. Trotzdem blähen im Verborgenen eine ganze Menge Blumen, und die gibt es hier zu sehen.

STs in der Kommunalverwaltung

Kurz nach dem Erscheinen des ST auf dem deutschen Markt hat mein alter Freund Manfred seinen ersten gekauft. Manfred ist Ende dreißig und Sozialarheiter, wie er im Buche steht, inklusive Birkenstocklatschen und Mercedes Uralt Diesel. Manfred ist fest überzeugt, dass sich jedes Problem auch mit dem Computer lösen lässt (und das sich für jeden interessanten Computer auch die passenden Probleme finden lassen). Nach den Wehen der ersten Stunden hat sich Manfred inzwischen gut eingearbeitet und kann auf einen stattlichen Technik-Fuhrpark zurückgreifen: vom ollen 260er bis zum TT ist eigentlich alles schon mal auf seinem Schreibtisch gewesen - und liegt größtenteils immer noch um denselben herum. Manfred regiert die Technik Schaltzentrale mit schlafwandlerischer Sicherheit, hat so ziemlich alles auf diversen Platten, was es an Software gibt, und kauft unentwegt dazu. Haupteinsatzgebiet der Rechner: nicht klar definiert -für Angestellte bei Vater Staat ist das nix Neues, davon hat eigentlich jeder im Bekanntenkreis ein Beispiel. ABER: Manfred macht alles ein bißchen anders als andere Leute, weshalb unser Kontakt über die Jahre auch nie abreißt. Ein gutes Beispiel ist das Festplattenbackup: Manfred beschließt, dass es mal wieder an der Zeit für ein Backup ist. Also wird die gute alte 44er SyQuest angeworfen und das erste Medium fliegt in den Schacht. Sicherheitshalber noch mal ein Blick in das Directory des Mediums geworfen und Moment, lauter interessante Sachen. Hmmm, Hardiskoptimizer No time like NOW!!, testen rödel, rödel, die interne Festplatte surrt. Da Manfred ein großer Freund von Accessories ist, stehen die Chancen gut, dass 'was schiefgeht. Und, es kommt, wie es kommen muss: Manfred ruft an. "Ähhh, moin Bernd, meine Platte ist breit. Kann man wohl nicht mehr retten. Ich war gerade beim Backup, da hat sie den Geist aufgegeben. Haste Zeit, kannste mal gucken?" (Man beachte die elegante Lüge.) Bewaffnet mit den diversen Tools geht es dann an die Rettung, aber nix geht. Manfred hat vergessen zu sagen, dass er auf die zersemmelte Partition schnell doch noch versucht hat, seine extrem wichtige" Adressdatei aus Harlekin abzuspeichern. Drei Stunden durch den Ausguss, aber lustig war es.

Anschluß an den Rest der Welt

Manfred ist auch immer ein leichtes Opfer für die diversen Verkäufer, die den Kunden gern im Glauben wiegen, er, der Kunde, habe den kompletten Durchblick. Manfreds Modemkauf war so eine Sache. Es sollte ja schon "ein Schnelleres" sein, zum Austausch mit Leuten gleicher Profession in der weiten Wunderwelt des Internet. Kosten sollte das Modern aber zwischen "wenig" und "garnix". Naja, birkenstockbesohlt in die nächstegrößere Stadt abgeritten und nach langer Fachsimpelei mit dem neuen, faxfähigen Modern im Kofferraum nach Hause. Mein Telefon klingelt: Manfred. "Hab' mir 'n High Speed Modem gekauft, krieg' das aber nicht installiert. Haste Zeit?" Das High-Speed-Modem sieht schon auf den ersten Blick nicht so sonderlich nach HighSpeed aus. Manfred schwört Stein und Bein, dass er den Verkäufer nach Faxfähigkeit und 9600 Band gefragt hat. Konnte das Modern ja auch, aber leider nur im Faxbetrieb. Ansonsten war es ein normales zwo vierer. Und mit der Installation ist das auch so eine Sache, besonders wenn das Terminalprogramm der Wahl K-Comm ist. So wurde denn aus dem Besuch im Internet doch nur ein Kurzbesuch in der nächsten Amiga-Mehlbox.

Schriftsatz im Einsatz

Ich will Manfred nicht über die Gebühr schlecht machen: mit Calamus kann er umgehen, dass mir die Augen tränen. Aphorismen, in Calamus gesetzt und dann gerahmt und an die Bürowände genagelt, sind jedoch nicht jedermanns Sache. Dafür nervt er seine staatlichen Arbeitgeber mit hochperfekten, in Calamus erstellten Briefen, wenn mal neue Hardware für das Büro fällig ist. (Für seine Kleinkriege mit der Verwaltung liebe ich Manfred sowieso ganz besonders). In Manfreds Dunstkreis ist sogar noch der Hinweiszettel für die Falschparker ein topographisches Festessen.

Der programmierte Wahnsinn

Manfred programmiert selbstverständlich auch: in DB-Man. (Kennt das noch jemand?) Leider gibt es dann immer das lästige Problem, dass unsaubere Software aus der Jung-Steinzeit nicht mit Manfreds geliebten Multi-ACCs zusammenläuft. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl kann man hier auch schöne Abstürze produzieren, in deren Folge natürlich immer wichtige Daten über den Harz gehen - auch wenn es nur der Programmcode ist, der vorm Sichern noch schnell einen Testlauf über sich ergehen lassen musste. Und Oberhaupt: Accessories. Manfred liebt das Zeug. Wenn Calamus als ACC laufen würde, dann hätte er das auch noch dauernd geladen. Schon der Bootvorgang an Manfreds TT ist ein echter Traum: erstmal kommt Superboot, um die Unmenge an Gerümpel zu verwalten. Das Default Setting ist Klasse: Harlekin, Multi-Desk, 1st Base, Laserbrain (ohne Atari- Laser, der hängt gerade an einem anderen Rechner), Mortimer und Flexdisk sind echt Minimum. (Puristen wie mir steht da schon der erste Schweiß auf der Stirn, aber Viola hat bestimmt Verständnis für diese Art von persönlicher Note). Mitten im Bootvorgang taucht dann XBOOT aus der Versenkung auf Kann man nicht mehr deaktivieren meint Manfred schulterzuckend. Wie auch, wenn es zweimal im Autoordner steht, einmal als XBOOT.PRG und einmal als XBOOT.PRX. Seitenweise schmeißen die Auto-Ordner Programme ihre Installationsmeldung auf den Schirm. Eine Diskussion um den Sinn und Zweck der Unmenge von unnützen Helfern ist zwecklos - Manfred kauft lieber RAM nach, als auf das Geraffel zu verzichten. Auf der Festplatte sieht es grauenhaft aus: Manfred hat am TT drei Platten hängen, auf denen verteilen sich Backups und Daten ganz unsortiert. Da kommt echtes Mac-Feeling auf (allerdings mehr so von der Art, als Macs noch kein HFS konnten.) Auf D:\ kann man nach längerer Suche auch mal ein uralt-Backup von F:\ finden; auf jeder Partition liegen Ordner mit brisanten Tools, damit man von überall einen Daten-Gau anzetteln kann. Auf jeder Partition gibts einen Autoordner, damit man für alle Fälle gerüstet ist. Wegwerfen ist auch nicht nach Manfreds Natur: genau wie die Berge von Computerleichen im Büro tummeln sich die Daten]eichen auf der Platte. Und wer jetzt noch glaubt, es habe was genützt, dass ich meinen privaten Ordner (mit den Diskmonitoren etc) auf Manfreds Platte "FINGER.WEG" nenne, kennt Manfred schlecht. Manfred schmeißt seinen Job trotz aller Computer Katastrophen effizient und erfolgreich. Wie, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Viola hat auch noch einen Experten mitgebracht: ich laß' mich überraschen.

Violas Experte

Ja ja, Du immer mit Deinen Bekannten, die Dich zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten anrufen, damit Du ihre selbstverschuldeten Probleme löst.

Du bist einfach viel zu gutherzig! Mir könnte das nicht passieren. Wenn Leute sich nur dann an einen erinnern, wenn es ein Problem gibt, läuft doch wohl irgendwas falsch, odee? Was? Natürlich bin ich auch hilfsbereit. Klar können Leute zu mir kommen, wenn sie ein Problem haben, bloß nicht ausschließlich dann. Kannst Du Dich zum Beispiel an Heinz erinnern? Der ist Hausmeister in einer Mietskaserne. Jahrelang hat der Mann seinen Papierkram mit einem Mega STE erledigt. Alles war gut. Dann zieht er los, kauft sich einen Falcon und verschenkt den Mega an seine Cousine. Und, was passiert? Ich habe ihn an der Strippe. "Du Viola, kannste mal rumkommen? Ich glaub mein neuer Rechner ist kaputt. Erst läuft Signum nicht, dann ist die Adressdatei abgestürzt und jetzt geht er auf einmal gar nicht mehr." Meine Güte, wie oft habe ich ihm schon erzählt, dass nur Programme abstürzen können und keine Daten. Aber einen Lichtblick sehe ich doch: Vielleicht trennt er sich jetzt endlich von seinem Signum2. (Übrigens, Textverarbeitung sind eines der Themen über das Bernd und ich uns nie einigen können. Es sei denn, es geht um Ablehnung, Verriß und Verdammnis.) Da sowieso nur Prüfungsvorbereitungen anstehen, klemme ich mir also meine Festplatte unter den Arm und gehe Heinz besuchen. Dort angekommen wird mir unsanft in Erinnerung gerufen, dass ein Falcon ja gar keinen ACSI Anschluß und somit keine Buchse hat, an der ich meinen externen Hostadapter anstöpseln könnte. Hmpf, umsonst geschleppt. Na schauen wir mal. was sich ohne "Werkzeug" machen lässt. Das erste Problem ist schnell lokalisiert. Das Parameter-RAM enthält die Quersumme aller Warendorfer Telefonnummern aber nichts womit ein TOS etwas anfangen könnte. Den Systemdisketten sei Dank, jetzt bootet der Vogel wieder. Aber nur bis zum Autoordner, dann krachts. Okay, das Ganze also von vorne, dieses Mal jedoch mit gehaltener Control Taste. Aha, here we are. Ehrfürchtiges Staunen von Heinz ich habe-überhaupt-nichts gemacht; und ich bin wieder in meinem Element. Als nächstes öffne ich den AUTO-Ordner. Was haben wir denn da? Da tummelt sich doch ein Ordner mit Signum Zeichensätzen. Doppelklick. Nanu, da ist ja noch einer drin. Doppelklick. Ohje, schon wieder einer. Doppelklick. "So tief im Indexpfad können keine Ordner angelegt oder angesprochen werden." Klasse!
"Du Heinz, hast Du von den Daten auf der Platte ein Backup?" Natürlich hat er nicht. Wenigstens hat er als ordentlicher Mensch immer einen Stapel vorformatierter Disketten - DD only. "Wie der kann auch HD Disketten?" Nun gut, etliche Diskettenwechsel später können wir endlich HDX anschmeißen, Zero auf C loslassen und es erneut versuchen. Alles klar, jetzt können wir uns ans installieren machen. AUTO-Ordner, ACCS, CPXE. "Nein, Heinz, den System Audio Manager braucht man wirklich nicht zwingend." "Du willst Multi TOS installieren? Nur zu! Dann gehe ich." Das wirkt! Die MTOS Diskette wandert (erstmal) wieder in die Schublade. Weiter im Programm. Nachdem ich knapp die Hälfte von Heinz früherer "Standard-Installation" ausgemustert habe, mit ihm eine Liste von Programmen zusammengestellt habe, die er dringend mal updaten sollte, und wir mühsam den Begriff 'physikalische Reihenfolge' erarbeitet haben, scheint erstmal alles stabil zu laufen.

Und jetzt die Anwendungsprogramme...

Vorher muss ich jedoch einiges an Überzeugungsarbeit leisten, bevor ich meinen Spezialisten davon überzeugt habe, dass es durchaus auch Vorteile hat, wenn sich nicht alles auf der Bootpartition befindet.
Schließlich einigen wir uns darauf, sein Phoenix mit der Mieterdatenbank auf D: unterzubringen, sein heißgeliebtes Signum2 auf E: und Laufwerk F: soll alles andere beherbergen. Erfreulicherweise stellt sich Phoenix als überaus kooperativ heraus, so dass wir uns schnell der Textverarbeitung widmen können. Und was muss ich feststellen: Heinz hat recht. Signum2 läuft nicht. (Hämische Freude macht sich breit. Später wird sich zu meinem Leidwesen herausstellen, dass Signum2 ein hinreichend aktuelles INSTALL.PRG vorausgesetzt sehr wohl auf dem Falcon in ST High läuft.) Vorerst wird deswegen Wordplus wieder rausgekramt. Bei der Gelegenheit versuche ich Heinz von den Vorzügen der Vektorzeichensätze, die ja immerhin zum Lieferumfang seines Falcon gehören, zu überzeugen. Kein sehr erfolgreiches Unterfangen will mir scheinen. Aber vielleicht rennt Heinz ja los und kauft sich eine neue Textverarbeitung, wenn er versucht, seinen ersten Brief mit dem selbst 'designten' Logo mit Wordplus zu drucken.
Anschließend lädt Heinz mich noch zum Griechen um die Ecke ein. Wenigstens da lässt er sich nicht lumpen. Als wir dann schließlich vor unseren Ouzo sitzen, fühlt Heinz sich bemüßigt mir nochmal seine Dankbarkeit auszudrücken.

"Weißt Du, Viola, ich find' das echt toll, dass Du sofort zu mir gekommen bist. Und wieviel Ahnung Du imm(Zr hast. Echt toll für... äh... für..." [Heinz wird Puterrot] "Ich meine, echt toll was für Tricks Du immer draufhast. "Ohhhhh, nein.
H E E I I N Z Z Z!!!!!!!!!!!!!



Aus: Atari Inside 02 / 1995, Seite 42

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