Facelifting oder Wiedergeburt: Das bewährte Textsystem »Signum« ist in der Version 3 nur mit Mühe wiederzuerkennen. Der Klassiker hat gewaltig dazugelernt.
Geblieben ist eigentlich nur der Name: Vier Jahre lang hat Franz Schmerbeck am neuen Signum gefeilt und das Textsystem gründlicher als erwartet umgekrempelt. Für die Radikalkur findet er eine einprägsame Metapher: »Bei der Version 3. ist jede Schraube neu.«
Um Erinnerungen an frühere Versionen gar nicht erst aufkommen zu lassen, hat er sogar das bewährte Signum-Desktop gegen eine neue Benutzeroberfläche ausgetauscht. Die ist nicht GEM-eingebunden, beherrscht allerdings Tricks, bei denen das grafische Benutzer-Interface von Digital Research die Segel streicht. Der Weg am GEM vorbei birgt aber auch einige Gefahren: So läuft Signum nicht unter der Multitasking-Erweiterung »Multigem«! Auch die Lauffähigkeit unter dem lang ersehnten »MultiTOS« darf angezweifelt werden.
Mit der Optik vergangener Tage sind auch die meisten störenden Einschränkungen älterer Programmversionen verschwunden: Signum 3 arbeitet nun sowohl im Monochrom- als auch im Farb-Modus und kennt keine Beschwerden beim Einsatz am TT oder Großbildschirm. Trotz weitreichender Veränderungen ist Kompatibilität zu Signum 2 gewährleistet.
Die Zeit älterer Systemkonfigurationen ist allerdings abgelaufen: "Aus" für STs mit lediglich einem MByte Speicher. Vertreiber Application Systems Heidelberg liefert zwar für kleine Ataris eine geringfügig eingeschränkte Programmversion, die Texte bis maximal zehn Seiten Umfang zuläßt; die erweiterten Möglichkeiten des Programms lassen sich damit allerdings kaum nutzen.
Die zweite gravierende Einschränkung wird im Diskettenbetrieb spürbar. Die störenden Aufforderungen zum Diskettenwechsel halten nur eingefleischte Diskjockies bei Laune. Lediglich bei Rechnern mit mehr als zwei MByte Speicher verhindert eine RAM-Disk das lästige Diskettenwechsel-Spiel.
Bereits Signum 1 verlangte zwingend einen Ausbau der damals noch gebräuchlichen STs mit 512 KByte Speicher.
Daß nun zusätzlich die Anschaffung einer Festplatte fällig ist, mag kaum trösten; logisch ist es allemal: Bei anderen Computersystemen ist Derartiges längst Standard. Die Trends setzt Signum — der ST steht unter Zugzwang.
Damit Signum 3 der angestrebten höheren Programmkultur gerecht wird, wurden alte Zöpfe abgeschnitten. Die Software verwaltet nun in separaten Fenstern bis zu vier Dokumente gleichzeitig. Zur Aktivierung bestimmter Funktionen gibt’s vier weitere Windows: für Lineale, Textbausteine, Zeichensätze und zur Belegung des Ziffernblocks — alles durch simplen Mausklick blitzschnell verfügbar.
Neben Funktionsfenstern, Haupt- und lokalen Menüs, sorgen Piktogramme für schnelle Verfügbarkeit wichtiger Funktionen. Das massive Aufgebot grafischer Elemente hinterläßt allerdings auch Unbehagen: Zuweilen herrscht ein Gewimmel wie beim Winterschlußverkauf. Glücklich, wer da einen Großbildschirm besitzt.
Tribut des Programmierers an drangvolle Enge auf dem Monitor: die Funktionsleisten der Fenster (Scrollbalken, Maximalgrößenknopf etc.) lassen sich auf die Hälfte ihres ursprünglichen Platzbedarfs reduzieren. Das mag konsequente Mausbenutzer stören, wer ohnedies Tastaturbefehle bevorzugt, hält dergleichen für eine geniale Lösung.
Signum 3, daran führt kein Weg vorbei, bedarf sorgsamer Einarbeitung. Selbst versierte Signum-2-Experten bekommen das zu spüren — mancher bereits bei der neuen kapitelweisen Dokumentenverwaltung.
Zur besseren Organisation großer Texte unterteilt das Programm Kapitel in drei unabhängige Bereiche: »Textrollen«. Dahinter verbergen sich Haupttext, Seitenkopf- und -fußbereich sowie Fußnoten, die jeweils in gesonderten Programm-Modi bearbeitet werden.
Das ansonsten sinnvolle Splitting führt zu bekannten Einschränkungen: Bei der ASCII-Konvertierung wird lediglich die Textrolle des Haupttextbereichs berücksichtigt. Auf diese Weise gehen Angaben zu Fuß- und Kopfzeilen sowie — da hört dann die Gemütlichkeit auf — Fußnoten verloren.
Wer sie dennoch exportieren will, wird von Signum 3 allerdings besser als durch die Konkurrenz bedient. Durch Selektieren lassen sie sich als eigenständige ASCII-Texte sichern und später — umständlich, aber es funktioniert — neu zuordnen.
Die Signum-3-Vorläufer glänzten nicht gerade durch komfortable Fließtext-Eingabe. Das Verfahren wurde durch umständliche, teils manuelle, Nachbearbeitung erschwert.
In der neuen Version läuft die automatische Formatierung (On-line-Formatierung), vom Anwender unbemerkt, im Hintergrund ab. Zusätzliche Arbeitsschritte sind auch bei nachträglichen Änderungen nicht mehr erforderlich. Erstaunlich — erfordert doch die korrekte proportionale Buchstabenverteilung (vor allem im Blocksatz) hohen Rechenaufwand, von dem Signum-3-Schnellschreiber indes kaum etwas spüren.
Auch dann nicht, wenn mehrere Schriften mit unterschiedlicher Charakteristik in einem Dokument kombiniert werden. Lediglich bei der Verwendung von IMG-Grafiken legt das Programm Verschnaufpausen ein.
Mittlerweile dürfen Anwender Dokumente mit 63 Fonts garnieren, die sich zudem mit Schriftattributen (fett, kursiv, unterstrichen, groß, klein, breit und leicht) versehen lassen. Ein Überangebot, für das sich kaum Anwendungsbeispiele denken lassen.
Praxisnäher ist im Vergleich dazu die automatische Silbentrennung. Sie garantiert jederzeit flüssiges Schreiben, ist allerdings — keineswegs ungewöhnlich — wenig verläßlich.
Wer den Aufwand nicht scheut, kann kritische Wörter mit korrekter Trennung auch in eine Ausnahmedatei aufnehmen. Keine Angst vor ausufernden Dateien: Der neue Algorithmus arbeitet rund 50mal schneller.
Dem überarbeiteten Gesamtkonzept fielen teilweise die bestens eingeführten Signum-Schriften zum Opfer. Die sind zwar auch in Zukunft nicht ganz nutzlos und lassen sich jederzeit weiterverwenden — verzichten muß man dann allerdings auf echtes »Pair-Kerning«, das es bisher nur bei DTP-Programmen gab.
Kerning steuert bei einem versalen »W«, »V«, »F« oder »T«, auf das Kleinbuchstaben ohne Oberlängen folgen (z.B. »e«, »u« und »o«), die Unterschneidung. Dabei schiebt das Programm den Kleinbuchstaben unter den Großbuchstaben. Bei einem »T« beispielsweise weit unter den querverlaufenden T-Strich (s. Abb.). Mit diesem Verfahren läßt sich ein harmonischeres Schriftbild erzielen.
Wer Kerning sofort benutzen möchte, muß sich zunächst auf die mitgelieferten 15 Zeichensätze beschränken. Zudem werden Signum-2-Schriften durch Nachbearbeitung im Fonteditor Kerning tauglich.
Die Punktmatrix des Editors läßt Signum-Fonts Raum für Buchstabenhöhen bis zu zwei Zentimetern. Statt 128 enthalten Schriftendateien jetzt 256 — davon 224 frei verfügbare — Zeichen.
Gerade die von Anwendern in aller Welt geschätzten Fonts — schließlich gibt es Zeichensätze für 60 europäische und außereuropäische Sprachen, sogar von rechts nach links laufende arabische Schrift — erwiesen sich in der Vergangenheit bei Textnachbearbeitungen als hinderlich. Zu den unangenehmen Begleiterscheinungen gehörten merkwürdig zerstückelte Wörter bei nachträglichem Entfernen einzelner Buchstaben.
Diesem speziellen Problem begegnet Signum 3 mit einem Cursor, der wie bei DTP-Programmen nur noch aus einem schmalen Längsstrich besteht. Der nüchterne Balken erlaubt indes eine wesentlich exaktere Positionierung hinter Proportionalbuchstaben. Den Rest erledigt besagte On-line-Formatierung, mit der sich das gewohnte' umständliche manuelle Zusammenführen unterbrochener Wortteile * erübrigt.
Besonders elegant gelöst: Probleme, die bisher beim Spaltensatz (beachten Sie dazu auch den ersten Teil unseres Signum-3-Kurses), der Fußnoten- und Sonderzeichenverwaltung auftraten.
Vor allem der Signum-Spaltensatz, vor kurzem eher eine Art Glücksspiel mit unbestimmtem Ausgang, hat an Zuverlässigkeit gewonnen. Kurios war in der Vergangenheit, daß sich der Altmeister des WYSIWYG-Konzepts beharrlich weigerte, am Bildschirm zu zeigen, was er hinterher zu Papier brachte.
Signum 3 bietet beim Bearbeiten von Spalten neben einem mausgesteuerten »Klebeumbruch« sogar reinen Luxus: Totalansichten im Preview-Modus — in vier Stufen regelbar. Ein Mausklick auf die Preview-Seite führt unmittelbar zur angeklickten Textstelle im Editier-Modus zurück.
Zum Erzeugen und Verändern der Textspalten benutzt Signum 3 .die »Klick-Move-Klick«-Technik. Und so funktioniert die Einfinger-Methode: Die linke Maustaste erzeugt das Spaltenobjekt (Klick), Mausbewegungen verschieben es (Move) und erneutes Betätigen der linken Maustaste legt es an vorgesehener Stelle ab (Klick).
Bei Fußnoten verwendet die Software vom Anwender festgelegte Zeichensätze, umbricht sie selbständig und errechnet Fußnotennummern. Zur Eingabe europäischer Sonderzeichen gibt’s einen Kombi-Modus, der Akzente auf und unter allen Buchstaben erlaubt und durch aufeinanderfolgendes Betätigen zweier Tasten ausgelöst wird.
Träume sind Dinge, die man nicht hat: für Seeleute der Landgang, für Werktätige viel Freizeit und für Autofahrer ein Parkplatz. Und Computerbesitzer? Träumen natürlich vom idealen Programm.
Wenn es so etwas wirklich gibt — und alle Jubeljahre taucht tatsächlich einmal ein Anwärter auf diesen Titel auf — sprechen wir von einem Referenzprogramm.
Dieser Tage ist gerade ein solcher Kandidat in den Ring gestiegen: Signum 3 ist so fit, daß es die gerade aufmüpfig gewordene Konkurrenz schier in die Seile fegt.
Vieles spricht dafür, das Signum 3 Trends setzt.
Dann allerdings sind Zeiten, da man sich auch schon mal mit zwei Diskettenlaufwerken über die Runden retten konnte, endgültig vorbei. So mancher ST mit einem MByte Speicher lagert bald schon wie Blei in Händlerregalen.
Bei Signum 3 zeigt sich exemplarisch der Bruch, der sich in der Szene vollzieht. Der ST ist erwachsen geworden. Was in der Computer-Welt von Bedeutung ist, funktioniert auch mit dem Computer im mausgrauen Gehäuse. Neuere Modelle wie den TT und überwiegend auch den Mega STE, stattet Atari mittlerweile schon ab Werk mit Festplatten aus. Kein Wunder, daß gleichzeitig die Akzeptanzschwelle für Minimalkonfigurationen immer höher wird.
Ehedem bestaunte Speicherobergrenzen sind längst kein Thema mehr. Und ausreichender Speicherplatz ist der Grundstock für höhere Programmkultur.
An deren Mangel laborieren eine Reihe Klassiker der Gründerjahre. »1st Wordplus«, fast schon ein Kultprogramm, verliert langsam seinen Nimbus und »Adimens« hat sich klammheimlich von der Bildfläche verabschiedet. Bei »WordPerfect«, das nicht mit dem Mega STE zusammenarbeitet, ist dieser Schritt wohl demnächst zu erwarten.
Wichtig und hilfreich, daß nun automatisch formatierende Lineale die Textgestaltung übernehmen. Neben einem globalen Lineal, das innerhalb eines Kapitels wirkt, stehen mehrere lokale Lineale zur Verfügung. Innerhalb ihres Gültigkeitsbereichs sorgen sie für die Einhaltung des gewählten Blatt- und Textformats. Raffiniert, daß dies auch beim Zeichensatzwechsel funktioniert.
Lineale lassen sich beliebig oft im Text wechseln. Wer innerhalb längerer Texte häufig variiert, bei Zitaten beispielsweise besondere Einrückungen benutzt, Formeln abwechselnd linksbündig und zentriert einbaut oder seinen Texten rechtsbündige Zitate voranstellt, kann sie auch bequem über eine ständig geöffnete Lineal-Liste aufrufen. Das dazugehörige Fenster Findet auf dem Signum-Desktop Platz.
Clou des Konzepts sind Kopplungsringe, die mehrere unterschiedliche Lineale zu Gruppen vereinigen. Änderungen an einem angeschlossenen Lineal wirken sich auf die ganze Gruppe aus.
Komfortable Einbindung von Raster-Grafiken bereitete schon Signum 2 auf höhere Aufgaben vor. Signum 3 beschränkt sich nicht mehr auf Pixelbilder. Ein eigener Vektorgrafikteil sorgt nun für stufenfreie Linien. Der Ausdruck erfolgt immer mit der Auflösung des Druckers.
Zur Konstruktion der Objekte gibt’s Hilfen für Punkte, Linien, Polygonzüge, Ellipsen, Vielecke, Rauten, Parallelogramme, Drei-, Recht- und Sechsecke. Nur das Multi-Talent »Steve« bietet in der Atari-Welt Vergleichbares. Nebenbei lassen sich sämtliche Zeichensätze, die im Textmodus zur Verfügung stehen, in importierte und eigene Grafiken einbauen und in 90-Grad-Schritten drehen.
Schön drucken konnte Signum schon immer. Das Textsystem ging dabei allerdings häufig gemächlich zu Werke. Dafür, daß nun alles besser wird, sorgt ein Druck-Programm mit Treibern für alle Drucker. Die wurden nicht nur optimiert, sondern erlauben Dokumente zu vergrößern und verkleinern sowie die Ausgabe im Querformat. Für »Epson LQ570« und den »HP Deskjet« werden sogar gepackte Druckdaten gesendet. Zur schnellen Korrektur wählt man den Draftmodus, der eingebaute Druckerzeichensätze verwendet.
Signum 3 bietet eine Reihe weiterer Vorteile gegenüber älteren Versionen: Automatische Index- und Inhaltsverzeichnisse, Textbausteine für Formeln und Grafiken, bis zu 1000 Makros, Zugriff auf Accessories sowie einen speziellen Formelmodus.
Zukunftstechnologie à la Signum 3: Beim Aufruf von Dialogboxen befindet sich der Mauszeiger nicht mehr an unbestimmtem Platz auf dem Desktop, sondern — ready-to-click — zentriert im OK-Bestätigungsfeld. (uw)
Signum 3
Genre: Textsystem
Besonderheiten:
grafische Druckausgabe; arbeitet im monochrom- und Farbmodus; TT-kompatibel Zum Paket gehören: drei Disketten, Fonteditor, Druckertreiber, Spooler, Screencopy-Programm, 15 Zeichensätze, 464seitiges Handbuch
Preis: 548 Mark, Update (von Signum 2) 230 Mark
Einschränkungen: sinnvolles Arbeiten erst bei Systemkonfigurationen über einem MByte Speicher; Festplatte empfohlen, Oberfläche nicht GEM-kompatibel, läuft nicht unter MultiGEM
Stärken im Vergleich zu Signum 2: vollautomatischer Textumbruch, eigener Vektor-Grafikteil, Verwaltung von Textbausteinen und gleichzeitig vier Texten, komfortabler Spaltensatz, Preview-Modus, Pair-Kerning, verbesserte Fußnotenverwaltung, Index- und Inhaltsverzeichnis, Rechtschreibhilfe, automatische Silbentrennung, Bemaßung in Zoll und Zentimetern, komfortabler Fonteditor, Querdruck (Landscape-Modus), Unterstreichen auch von Leerzeichen
Schwächen: prinzipbedingt beim vergrößerten und verkleinerten Ausdruck
Application Systems Heidelberg, Englerstr. 3