Atarium: Die Gruselwelt von AT-Bus-Platten

Wer hätte das gedacht: Das »Atarium« feiert sein fünfzigstes Jubiläum. Grund genug, eine kurze Erfolgsbilanz zu ziehen und einem besonders Oft genannten Leserwunsch mit einem Stichwortregister der letzten 50 Ausgaben zu entsprechen.

Als im Herbst 1987 das Konzept für das Atarium entworfen wurde, wußte eigentlich keiner so recht, was eines Tages daraus werden würde. Ursprünglich dachten wir an einen Platz, wo Programmierer Erkenntnisse, Tricks, Ideen und Fragen austauschen sollten - ganz ähnlich, wie es bereits damals in den elektronischen Netzwerken Amerikas praktiziert wurde. Die deutschen Mailboxnetze steckten damals noch in den Kinderschuhen, bzw. waren noch gar nicht geboren.

Die Erfahrung hat gelehrt, daß eine monatliche Kolumne die prinzipiell schnelleren und aktuelleren elektronischen Konferenzsysteme nicht ersetzen kann. Das ist allerdings auch schon seit längerer Zeit nicht mehr nötig, sind doch mittlerweile alle größeren deutschen und internationalen Mailboxnetze über sogenannte Gateways miteinander verbunden. Ein besonders gutes Beispiel ist das »MausNet«. Ursprünglich aus einer Apple-Mailbox in Münster hervorgegangen, hat es heute etwa 50 Mailboxknoten in Deutschland und ist durch Gateways unter anderem mit dem Fido-Netz, dem Zerberus-Netz und dem Internet verbunden. Das heißt: Für einen Jahresbeitrag von in der Regel weniger als 60 Mark (je nach Mailbox) kann man international elektronische Mail senden und empfangen. Jeder MausNet-Benutzer kann von Zehntausenden internationaler Electronic-Mail-Benutzer angeschrieben werden. Mehr dazu im nächsten Heft, wenn wir über das »MausTausch-Programm« »CAT« berichten.

Doch auch so hat das Atarium seine Funktion: Es greift interessante Diskussionsthemen aus den elektronischen Konferenzsystemen auf, und berichtet daneben über alle Neuigkeiten, die es im Bereich der Atari-Systemprogrammierung gibt (da gibt es ja neuerdings einiges zu vermelden). Lange Rede, kurzer Sinn: Es geht hier genauso weiter, wie Sie es aus den letzten Jahren gewohnt sind. Themenvorschläge, Verbesserungsideen und Fragen sind natürlich weiterhin willkommen.

Genug der Vorrede. Diesen Monat möchte ich mich mit der künftigen technischen Entwicklung beim Anschluß von Festplatten an Atari-Rechner beschäftigen. Daß Rechner mit ACSI-Schnittstelle eine aussterbende Gattung sind, ist von Atari bereits seit geraumer Zeit zu hören. Kein Beinbruch: das CDAR 504 (CD-ROM) ist sowieso niemals in relevanten Stückzahlen verkauft worden, und für die SLM-Laserdrucker sollte ein neuer Controller auf SCSI-Basis kein Problem sein. Das heißt allerdings nicht, daß es künftig nur noch SCSI-Platten geben wird. Ganz im Gegenteil: Die im ST-Book integrierte Festplatte wird über das sogenannte AT-Bus- oder IDE-Interface (»Intelligent Drive Electronics«) angesprochen (siehe [1]). Warum ein neues Interface zur Festplatte?

AT-Bus-Platten haben sich innerhalb kurzer Zeit zum De-facto-Standard für alle PC-Systeme der unteren und mittleren Leistungsplatte gemausert. Im High-End-Bereich hört man neuerdings wieder öfter das Wort »SCSI«. Von ESDI- oder gar ST-506-Platten ist immer weniger die Rede. Treibende Kraft bei der Entwicklung immer kleinerer, stromsparenderer Platten ist natürlich der Boom bei den PC-Notebooks. Alle diese Geräte arbeiten mit IDE-Platten, während SCSI-Versionen der Platten erst später - und vermutlich auch teurer - verfügbar sind. Und so blieb den Atari-Technikern wohl kaum eine andere Alternative, als auf den bereits fahrenden IDE-Bus aufzuspringen. IDE-Platten sind ursprünglich eine Idee des PC-Herstellers »Compaq«. Ziel der Neuentwicklung war, die aufwendigen ST-506-Controller direkt mit der Festplatte zu vereinigen und dadurch Steckplätze und Platz auf dem Motherboard zu sparen. Daher stellt man sich eine IDE-Platte am besten als ein Mittelding zwischen ST-506- und SCSI-Platte vor - eine Entwicklung zur Senkung der Kosten, nicht etwa zum Erzielen neuer Performance-Rekorde. Auf der AT-Hauptplatine wird nur noch ein simpler Chip-Satz gebraucht.

Die gute Nachricht: Obwohl eine Erfindung der PC-Industrie, besitzen IDE-Platten wenigstens einige der angenehmsten Eigenschaften von SCSI-Platten: Zum Beispiel automatisches Ausmaskieren defekter Sektoren (defect mapping), Caches und »Zone Recording« (das heißt, daß die Sektorzahl pro Spur nicht fest sein muß, sondern der Position der Spur - weiter außen ist mehr Platz - angepaßt wird).

Was dem Atari-Besitzer als selbstverständlich erscheint, war allerdings bis vor kurzer Zeit den meisten AT-Besitzern fremd. Grund: Das BIOS eines ATs steuert Festplatten nicht über fortlaufende Sektornummern, sondern ganz wie ein Diskettenlaufwerk via Kopfnummer, Spurnummer und Sektornummer an. Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, verfügt ein AT-BIOS grundsätzlich über eine Tabelle von bekannten Plattentypen, also Kombinationen von Spurzahl, Kopfzahl und Sektorzahl (besonderer Leckerbissen: im AT-BIOS darf eine Spurnummer den Wert 1024 nicht überschreiten).

Alle Platten, die sich nicht in dieses starre Schema pressen lassen (logischerweise alle Geräte mit variabler Sektorzahl pro Spur), können nur mit Hilfe zusätzlicher Treibersoftware benutzt werden.

Die allermeisten Atari-Besitzer stört es kaum, daß ihr Festplattentreiber Speicher im RAM verbraucht, man hat ja genug davon. Anders bei ATs, bei denen es bis zum heutigen Tag die berüchtigte 640K-Schranke (eigentlich genauer: 1M Schranke) gibt. Für den Erfolg eines neuen Standards war es mithin zwingend erforderlich, daß jeder hausbackene AT ohne zusätzlichen Softwareaufwand etwas damit anfangen kann.

Immer dann, wenn moderne und veraltete Technologie zusammentreffen, wird emuliert. So auch hier: Während der IDE-Controller intern ganz wie ein SCSI-Controller mit fortlaufenden Sektornummern rechnet, behauptet er gegenüber der Außenwelt, irgendeine einem AT genehme Festplattengeometrie zu besitzen. Beispiel: die IDE-Variante der »Quantum LP52S« behauptet von sich, 17 Sektoren/Spur, 751 Spuren und 8 Köpfe zu haben. Das hat zwar kaum etwas mit den wahren Werten zu tun (weshalb die meisten Benchmarks nur unsinnige Werte produzieren), aber Hauptsache, es funktioniert.

Viele SCSI-Hostadapter für PCs benutzen übrigens ähnliche Tricks, um für das AT-BIOS verdaulich zu sein. Schluß mit dem Gruselkabinett - was liefert uns dies an Informationen über die IDE-Einbindung am Atari?

  1. Treiber, die IDE-Platten ansteuern sollen, müssen sich mit Spurnummern, Kopfnummern etc. herumschlagen und gegenüber dem BIOS eine fortlaufende Sektornumerierung vorspiegeln (exakt dies tut AHDI 5.0).
  2. TOS muß, um von IDE-Platten booten zu können, zusätzlichen Bootcode enthalten (TOS 2.06 hat ihn!).
  3. Programme, die Festplatten direkt unter Umgehung des BIOS ansteuern, müssen sich auf Änderungen in »DMAread()«, »DMAwrite()« und der »PUN_INFO«-Struktur (!) einstellen.

Soviel erstmal zum Thema »IDE am Atari«. Nähere Informationen liefern wir dann, wenn Dokumentation zu TOS 2.06, AHDI 5.0 oder zum »ST-Book« vorliegt.

Und nun noch ein paar Nachbemerkungen:

Abschließend möchte ich mich doch noch dem kontroversen Thema »TOS 2.06 mittels TOS-ExtensionCard« und »KAOS 1.4.2« zuwenden:

  1. Die Anbieter der TEC werben damit, daß TOS 2.06 »...alle bekannten Fehler älterer TOS-Versionen beseitigt.« Das ist natürlich (leider) nicht die Wahrheit, was auch schon lange vorher abzusehen war.

  2. Die KAOS-Vertreiber werben hingegen nach wie vor mit schwammigen Begriffen wie »kompatibler« (zu was denn?) und »Funktioneller«...

Warum ich dieses leidige Thema noch einmal anschneide? Es soll keinem der Spaß an seiner vorhandenen ST-Hardware genommen werden. Nur sollte man sich darüber bewußt sein, daß sowohl der Geldbeutel als auch die technischen Grenzen gegen ein Aufmotzen des alten Rechners bis zum Geht-Nicht-Mehr sprechen.

Wer noch immer mit TOS 1.02 und Festplatte arbeitet, sollte schleunigst auf eine modernere TOS-Version - nämlich TOS 2.06 - umsteigen. TOS 1.04 ist meines Wissens nicht mehr erhältlich - wozu auch, wenn man zum gleichen Preis TOS 2.06 bekommen kann.

Wer bereits TOS 1.04 benutzt, hat entgegen aller anderslautenden Behauptungen ein stabiles Betriebssystem mit einigen bekannten Fehlern, die sich mit Hilfe der vorhandenen Patchprogramme umgehen lassen. Verbesserte Desktops gibt es in Hülle und Fülle (mit KAOS-Desk und Gemini sogar zwei unter 50 Mark). Wer allerdings immer das Neueste haben muß, oder von den unbestritten vorhandenen Verbesserungen in KAOS begeistert ist, mag's erwerben. Aber im Ernst: Besser ist das Geld in einem neuen Rechner angelegt. Angesichts von Einstiegspreisen um 1500 Mark für einen Mega STE 1 sollte man sich Hardwareinvestitionen über 100 Mark sehr genau überlegen.

(uw)

Quellennachweis:

[1] Roger C. Alford: »The IDE Hard Disk Drive Interface«, Byte March 1991, Seite 317
[2] Julian F. Reschke: »Alles fast fertig?«, ST-Magazin 11/91, Seite 66
[3] Jankowski/Rabich/Reschke: »ATARI Profibuch ST-STE-TT«, 10. Auflage, Sybex Düsseldorf 1991, ISBN 3-88745-888-5

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Eigene Kennungen können bei Atari beantragt werden. Wenn der Cookie nicht gesetzt ist, sollte man von normaler Schreibdichte ausgehen.


Julian F. Reschke
Aus: ST-Magazin 02 / 1992, Seite 100

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