Profieinsatz: 190 ST 020 - die graue Eminenz

Daß das Wort kompatibel nicht nur in der MS-DOS-Welt seine Bedeutung hat, beweist der Atari-kompatible »190 ST 020« von IBP.

Gewiß ist jedem Atari-Insider die Firma IBP bekannt, die einen selbstentworfenen ST im 19-Zoll-Kassettenformat anbietet. Mittlerweile gibt es Neues aus der Entwicklerküche von IBP. Den »190 ST 020«; wir haben ihm samt seiner umfangreichen Zusatzhardware einen Leistungstest verordnet. Angefangen hatte alles damit, daß die ursprüngliche Atari-Platine durch ihre ungünstigen Ausmaße und mangelhaften Erweiterungsmöglichkeiten ungeeignet für den professionellen Einsatz schien. Die Entwickler von IBP machten sich deshalb daran, den ST komplett neu zu layouten. Als Ergebnis entstand ein kompakter, aus drei Platinen im Europakartenformat bestehender ST-kompatibler Computer. Die einzelnen Platinen fügten die Entwickler in Sandwichtechnik übereinander, so daß die Abmessungen der Europakassette auf 3 Höhen- (HE) und 14 Tiefen-Einheiten (TE) zusammenschrumpften. Die gesamte Schnittstellenpalette liegt nun an der Vorderseite der Einschubkassette erreichbar. Das macht die Handhabung der Peripheriegeräte komfortabler. Nur der Anschluß für die Floppydisk-Laufwerke und die Hard disk (auch an der Vorderseite als 19poliger ST-Stecker vorhanden) sind als Pfostenstecker an der Seite der Einschubkassette abnehmbar.

Die Steckkarten für den 190 ST: hochwertig und für den professionellen Einsatz geeignet

Um eine leichte Anpassung an die üblichen Monitore etc. zu gewährleisten, mußten die Atari-Stecker für Monitor bzw. Tastatur genormten Sub-D-Steckern weichen. An der Rückseite der Einschubkassette befindet sich eine 96polige VG-Messerleiste, über die der Computer an das jeweilig gewählte Bussystem anzuschließen ist.

Bei der Neugestaltung des ST-Computers implementierten die Entwickler auch einige interessante Erweiterungen:

Die 109er Serie gibt’s im Prinzip in drei verschiedenen Versionen:

Einmal als »190 ST«, also einem normalen Atarikompatiblen Computer mit dem üblichen 68000-Prozessor (8 MHz), Blitter und Coprozessorsteckplatz, dann als »190 STV 30«, mit der Erweiterung um einen mit 8 MHz getakteten V30-Prozessor, der die Kompatibilität zur MS-DOS-Welt eröffnet, und dem Flaggschiff, dem »190 ST 020«, der mit einem 68020-Prozessor bestückt ist. Genau diesen haben wir genauer untersucht.

Wenn schon — denn schon, dachten sich auch die Entwickler von IBP und spendierten ihrem Computer eine Profitastatur, an deren Stirnseite sich Tastaturkabel, Maus und Joystick anschließen lassen.

Der Computer verfügt über eine mit 16 MHz getaktete 68020-CPU und eignet sich durch seine hohe Rechengeschwindigkeit speziell für Einsätze mit komplexen Rechenoperationen. Der Prozessorbus mit seinen echten 32 Bit Breite kommt allerdings — wie bei allen ST-Pak-Versionen — nicht voll zur Geltung, da ST-seitig immer noch mit 16 Bit Busbreite gearbeitet wird. Dennoch braucht sich dieser ST — wie einige kleine Grafikexperimente zeigten — in puncto Geschwindigkeit keinesfalls hinter dem Atari TT zu verstecken. Um die Anpassung aller gängigen Programme an diesen »aufgerüsteten« Computer zu gewährleisten, besitzt der 190 ST 020 ein gepatchtes Betriebssystem. Es ließ sich weder durch Spiele noch durch diverse Grafikprogramme aufs Glatteis führen bzw. zu Bombenhagel überreden. Getestet wurde beispielsweise das CAD-Programm »Dyna-CADD« und eine neue Betaversion 2.0 des Platinenlayoutprogramms »Platon«. Speziell bei diesen sehr rechenintensiven Programmen machte sich die hohe Geschwindigkeit des 68020-Systems angenehm bemerkbar. Hier drängt sich nach dem Umstieg auf einen normalen ST der in der MS-DOS-Welt übliche Geschwindigkeitsvergleich von einem 386er zu einen altertümlichen XT direkt auf.

Unser Testsystem bestand aus einem noblen 19-Zoll-Tischgehäuse für Europaeinschubkassetten, das nur mehr durch seine hellgraue Farbe an seinen Stammvater Atari erinnerte. Zwei unscheinbare Haltegriffe an den Seiten des Gehäuses erleichtern den Transport des gewichtigen Computersystems. Unsere Version des IBP-Computers verfügte über ein VME-Bussystem mit diversen Steckkarten, auf die wir später eingehen.

Das Bussystem macht den Computer flexibel

Betrachten wir uns zuerst einmal die Verarbeitung des Gesamtsystems: Nach Öffnen des Gehäusoberteils läßt sich unschwer auf der rechten Seitenhälfte die stehend eingebaute Busplatine erkennen, auf der sich VG-Buchsen zur Aufnahme der Steckkarten, des STs sowie einige unterstützende elektronische Bauteile befinden. Die Busplatine als auch ihre Fertigungs- und Einbauweise vermitteln einen konsequent durchkonstruierten, soliden und zuverlässigen Eindruck. Weiter befindet sich an der Rückwand des Gehäuses ein kompaktes und mit deutlichen Leistungsreserven versehenes Netzteil zur Stromversorgung der eingebauten Komponenten.

Blick ins Innere: sauberer und übersichtlicher Aufbau

Die Breite des VME-Busses erlaubt den Einschub von bis zu fünf Einfach-Europakarten. IBP bestückte den Testcomputer mit den wohl gebräuchlichsten Anwenderkarten: einer »VIEEE 488«, einer D-A- und einer digitalen Eingangskarte. Die VIEEE488-Steckkarte, die im industriellen Einsatz bei fast allen computergesteuerten Meßgeräten sowie bei vielen Druckern als Standardschnittstelle gilt, ist bei einem industriellen Computersystem, worauf das 190 ST-Konzept zugeschnitten ist, unabdingbar.

Die Steckkarte ist sehr sorgfältig aufgebaut und verfügt dank dem Einsatz moderner hochintegrierter Bauteile nur noch über wenige Halbleiterbausteine. Die zweite, wohl komplexeste Steckkarte — die »VDAC2-16«-Schnittstelle — besitzt zwei getrennte analoge Ausgänge, die auf BNC-Buchsen abgreifbar sind. Des weiteren ist noch eine 9polige Sub-D-Buchse vorhanden, über die zwei zusätzliche 8-Bit-Signale bereitstehen. Das Herz der in Multilayer-Technik entworfenen Europakarte sind die beiden A-D-Wandler des Typs »AD7846« von Analog Devices, die ein exaktes Ausgangssignal garantieren.

Die letzte Steckkarte, die wir an dieser Stelle behandeln wollen, ist eine 32-Bit-Eingangskarte, die über 32 galvanisch getrennte Eingänge verfügt. Diese ebenfalls in Multilayer-Technik aufgebaute Platine ist besonders für Anwendungen im Bereich digitaler Steuerungen geeignet.

Blicken wir wieder zurück ins Innere unseres Testgeräts bzw. an die linke Frontseite, so verdient eine weitere Platine besonderes Augenmerk: Diese mit zwei Sub-D-Buchsen und einem Sub-D-Stecker ausgestattete Karte ist eine komfortable »ELAN-Anbindung« des Computers. Damit lassen sich ohne Probleme mehrere Subsysteme an den Computer anbinden. Über den aktuellen Status, Reset und Run des Netzwerks geben einige Leuchtdioden direkt neben den Anschlußsteckern Auskunft.

Ein weiteres wichtiges Thema sind die von IBP implementierten Massenspeicher. Klar: Ein oder zwei Floppylaufwerke lassen sich leicht als Europasteckkarte realisieren. Will man aber eine Hard disk mit hoher Kapazität in Steckkartenform haben, tauchen insbesonders thermische Probleme auf. Nun, IBP umging sie, indem in die Europa-Einschubkassette neben der Hard disk und dem SCSI-Interface noch ein Miniaturlüfter eingebaut wurde, der hohe Temperaturen nahezu lautlos verhindert. Erhältlich sind je nach Anwenderbedarf fast alle gängigen 3,5-Zoll-Fest-plattentypen verschiedener Hersteller, angefangen von 32 bis hin zu einigen 100 MByte Speicherkapazität.

Das Thema Datensicherheit und Datensicherung ist ebenfalls für den professionellen Anwender ein wichtiges Kriterium bezüglich der Auswahl seines Systems. Der 190 ST 020 verfügte in unserer Testausführung über einen Streamer, der per DMA bzw. SCSI zum sicheren Backup dient.

Die gute Programmausstattung zeigt sich bei IBP schon an der beiliegenden Startdiskette. Hierauf befindet sich beispielsweise ein Programm einschließlich Sourcecode zur Ermittlung der angeschlossenen Steckkarten bei einem Eurobussystem. Weiter sind die übliche ICD-Software und noch einige interessante und nützliche Boot- und Zusatzprogramme vorhanden.

Viel Platz für Erweiterungen: Der eigentliche ST macht sich klein.

Komplette und wertvolle Dokumentation

In puncto Dokumentation ist die Firma IBP allen anderen Konkurrenzfirmen weit voraus. Der stabile Ringbuchordner enthält eine komplette zweisprachige (deutsch-englisch) Systembeschreibung der gesamten Hardware der 190 ST-Serie.

Eingeschlossen sind ebenfalls Tips und Hinweise zur Systemerweiterung (Speichererweiterung, Coprozessoreinbau etc.) und die kompletten Timing-Diagramme und Schaltbilder des 190 ST.

Je nach Buskonzept liefert das Handbuch die nötigen Informationen zur Anbindung der anwenderspezifischen Hardware. Einige Programmiertips dürfen natürlich auch nicht fehlen. Geschrieben ist das Ganze in verständlichem Deutsch (bzw. Englisch), so daß auch Einsteiger oder Systemwechsler sich schnell in die Materie ST (besser IBP-ST) einarbeiten können.

Betrachtet man das Konzept der 190-ST-Serie rundum, entspricht das System voll und ganz allen Bedürfnissen, wie sie im harten Praxiseinsatz auftreten. Speziell die Anbindung an verschiedene Buskonzepte ermöglicht einen universellen Einsatz des Computers in allen Bereichen der Steuer- und Regeltechnik — und dies nicht nur für mittelständische Industrie. Dem trägt auch die saubere und übersichtliche Bauweise des gesamten Systems Rechnung. Als besondere Entwicklerhilfe dient das umfassende Handbuch ebenso wie das schier unübersehbare und qualitativ hochwertige Softwareangebot für ST-Computer. (uw)

IBP 190 ST 020

Hersteller: IBP Elektronik GmbH
Daten: voll Atari-kompatibler Computer mit 68020-CPU im Europakassettenformat.
Preis: je nach Konfiguration ab 5330 Mark

Fazit: ein durchdachtes, solides Computersystem, das ausschließlich für den professionellen Einsatz entwickelt wurde.

IBP Elektronik GmbH, Lilienthalstr. 13, 3000 Hannover 1


Hans Hoffmann
Aus: ST-Magazin 06 / 1991, Seite 104

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