Atari Lynx

Back to the Roots: Obwohl Atari den Schwerpunkt seiner Anstrengungen längst aufs »ernsthafte« Anwendungen verlagert hat, bietet der »Lynx« Spielspaß in alter Manier

Mit dem Spielecomputer »Lynx« findet Atari zurück zu den Wurzeln. Mit seiner Größe von annähernd einer Zigarettenstange fallt der Lynx weitaus voluminöser aus als die portablen Computerspiele der letzten Jahre. Gerade deshalb aber bringt Ataris Minifernseher wesentlich mehr Leistung, z.B. 4096 verschiedene Farbschattierungen. Und das bei einer Auflösung, die, verglichen mit allen bislang bekannten Portables, Maßstäbe setzt. Das aus winzigen Leuchtdioden bestehende Display läßt sich über einen Helligkeitsregler dim-men. Nicht nur die Grafik ist eine Sensation, auch das Soundsystem kann sich durchaus hören lassen. Der Lynx wartet mit einem echten Lautsprecher auf, dem eine erstaunliche Klangtiefe zu entlocken ist. Die Lautstärke ist stufenlos regelbar. Das Gerät läßt sich mit beiden Händen solide halten " das erspart den Spielerfingern die Krämpfe der Vergangenheit. Linkshänder, auf die häufig wenig Rücksicht genommen wird, kehren mit einer Tastenkombination die Ausrichtung des Bildschirms einfach um und drehen das Gerät um 180 Grad. Damit haben sie beim Spiel exakt die gleichen Chancen wie Rechtshänder. Einige Spiele können auch hochkant gespielt werden. Zur Kritik reizt hingegen die Steuerung:

Anstelle eines Joysticks verwendet der Lynx zur Spielsteuerung ein Plastikkreuz, das in acht Richtungen gekippt werden kann. Hier wäre zumindest ein Stick-Aufsatz oder ein neun-poliger Joystick-Anschluß zu wünschen, auf den wohl aus Platzgründen verzichtet wurde. Neben einem Batteriefach für sechs Mignonzel-len verfügt das Gerät über einen Netzanschluß, mit dem der »Lynx« über ein separates Netzteil an das örtliche Stromnetz verbunden wird. Das TÜV-geprüfte Netzteil ist im Preis enthalten. Ärgerlich: Der Netzadapter benutzt einen Steckverbinder, der sich auch in den Eingang für den Kopfhörer stecken läßt. So etwas sollte sich bei der Vielzahl der im Handel erhältlichen Stecker eigentlich vermeiden lassen, denn bevor man den Fehler entdeckt hat, sind die Batterien im Extremfall schon geleert. Leider ist keine Ladeelektronik für Nickel-Cadmium- Akkus vorhanden. Selbstverständlich bietet der »Lynx« einen ROM-Port, an dem verschiedene Spielmo-dule eingesteckt werden. Die Spielkarten sind 5,7 x 6,0 x 0,2 cm groß. Natürlich erhöhen die winzigen Abmessungen die Gefahr, die »Game-Cards« einfach zu verlieren. Mit einem mitgelieferten Kabel können bis zu acht »Lynx«-Spielgeräte miteinander verbunden (ge»link«t) werden. Dies setzt jedoch voraus, daß in allen Geräten das gleiche Spiel steckt. Dann erlebt der Spieler seine Mitspieler direkt auf dem Bildschirm.

Die Konstruktion des Geräts weicht von allem ab, was wir bislang von Atari gewohnt waren: kein Wunder, das Spiel stammt ursprünglich gar nicht von Atari. Der Lynx kommt aus der amerikanischen Spieleschmiede Epyx. Die Firma war Pionier auf dem Gebiet der Computerspiele. Im Lynx arbeitet als Zentralprozessor der wohlbekannte 6502-Prozessor mit einem Takt von satten 16 MHz! Auf die von Atari bisher favorisierten Stahlbleche zur Abschirmung elektromagnetischer Strahlung ist verzichtet worden. Statt dessen wurde die CPU in ein eigenes Gehäuse eingeschweißt und das Plastikgehäuse des Geräts von innen metallbeschichtet. Das bringt ein geringes Gewicht von 650 g mit Batterien. Sie versorgen das Spiel etwa drei Stunden mit Strom, leistungsfähigere Akkus können die Spieldauer noch einmal verdoppeln. Danach verstummt der Lautsprecher und der Bildschirm verliert merklich an Farbintensität. Sehr positiv: Das Display des Lynx " wahrscheinlich das Teuerste am ganzen Gerät " ist nicht an der Oberfläche des Gehäuses angebracht, sondern etwa 1 cm im Innern des Geräts. Gegen Kratzer, Verschmutzung oder Stöße schützt eine durchsichtige Plastikplatte, die bei Beschädigung leichter zu ersetzen sein dürfte als das Display. Das Gehäuse ist nach allen Seiten abgerundet. Die mitgelieferten Kabel werden leider schnell brüchig, sobald man sie zu häufig knickt. Im Falle eines Kabeldefekts sollte sich der Fehler vom Fachmann leicht beheben lassen, weil Atari für den Lynx nur international genormte und damit schnell lieferbare Steckverbindungen benutzt. Leider konnte der Schutz der Spielkarten nicht überzeugen. Das Handbuch weist darauf hin, daß die Karten nie während des Betriebs gewechselt werden sollten. Hier hätte Atari besser eine zuverlässige Sicherung eingebaut, beispielsweise eine automatische Stromunterbrechung, sobald die Klappe zum Austausch der »Game Cards« geöffnet wird. Als Fazit bleibt festzuhalten, daß Sie mit dem Lynx ein hochwertiges High-Tech-Spielzeug erhalten, das in nahezu allen Belangen der Konkurrenz weit überlegen ist, mit dem ein Kind allerdings ebenso vorsichtig umgehen sollte, wie mit einem Radio oder einem Kassettenspieler. Durch Epyx, als Lieferant ständig neuer Spiele, dürfte die Zukunft fürs erste gesichert sein, (bs)

Lynx

Vertrieb: Atari GmbH

Preis: 399 DM

Stärken: guter Sound; hervorragendes Display; überlegte Konzeption; guter Software-Support

Schwächen: keine Akkuladeautomatik; Steckverbinder störanfällig; unzureichender Schutz der Spielkarten

Hier geht’s rund: Das sind die Favoriten!

Um Ihnen noch mehr Appetit auf den Spaß am Lynx zu vermitteln, haben wir die bekanntesten Spiele getestet.

Carsten Borgmeier

Ms. Pac Man

Alte Liebe rostet nicht: Unvergessen das gelbe Futtermaul mit dem riesigen Appetit. Es läuft durch Labyrinthe, schmatzt alle gelben Punkte auf und versucht dabei, vier Gespenstern zu entwischen. Wenn Miss Pac Man die dicken Kraftpillen futtert, kann sie für kurze Zeit auch die Geister vernaschen. »Miss Pac Man« ist eine Produktion ohne grafischen Aufwand, dafür aber leider mit unpräziser Steuerung. Nur für Nostalgiker!

California Games

Mancher Spielefan kennt die kalifornische Strandolympiade vielleicht noch vom Amiga oder C 64. Die Lynx-Version ist im Gegensatz zu ihrem Heimcomputervorbild ein wenig abgespeckt: Statt ursprünglich sechs Disziplinen sind nur noch vier vorhanden: Beim Surfen reitet der Athlet auf hohen Wellen und muß sich trotz starken Sturms auf den Brettern halten. Geschick und Konzentration sind in der Halfpipe gefragt, wo ein Skateboardfahrer unentwegt die Rampe hoch- und herunterfährt und dabei wilde Tricks vorführt. Beim Footbag kickt der Spieler einen kleinen Stoffsack in die Höhe und fängt ihn mit Kopf oder Füßen wieder auf " möglichst so, daß er dabei nicht auf die Erde fällt. In der vierten und letzten Disziplin flitzt ein Radfahrer mit einem BMX-Rad über hindernisreiche Kurse.

Gauntlet

Zu Beginn wählt der Spieler zwischen verschiedenen Helden aus, die sich durch ihren Charakter voneinander unterscheiden. Der eine besitzt höhere Widerstandskraft, der andere verfügt über viel Schußenergie. Dann geht es durch abenteuerliche Labyrinthe, in denen es von Fantasy-Monstern nur so wimmelt. Ziel ist es, den Ausgang zum nächsten Level zu erreichen. Nebenbei muß man Schlüssel, Zaubertränke und Energieflaschen aufsammeln, um gegen die hohe Angreiferzahl zu überleben. Prima Actionspiel! (bs)

Gates of Zendocon

Ballern, bis auf dem Daumen Hornhaut wächst. So lautet die Devise von »Gates of Zendocon«, einem reinrassigen, horizontal scrollenden Ballerspiel. In einem Miniraumschiff düst man durch den Weltraum und feuert mit Laser und Bomben auf alles, was sich bewegt. Anfangs ist das Spiel ziemlich stupide, denn die Gegner sind leicht zu vernichten. Mit der Zeit wird die Grafik aber besser und der Feind immer gemeiner. Trotzdem will der rechte Spielspaß nicht aufkommen. Von allen Lynx-Spielen ist »Gates of Zendocon« wohl bisher das langweiligste.

Robo Squash

Squash in einem dreidimensionalen Raum: Ein Mitspieler mit Comlynx-Kabel oder der Computer steuert den Schläger auf der gegenüberliegenden Seite. Es gilt, den Ball möglichst so zu spielen, daß der Gegner ihn nicht mehr erwischen kann. Wenn der Ball auf der eigenen Seite durchfliegt, hinterläßt er einen häßlichen roten Fleck, der die Sicht versperrt. Besonders zu zweit eine sehr unterhaltsame Angelegenheit.

Chip’s Challenge

Dank seines einfachen, aber fesselnden Spielprinzips macht »Chip Challenge« total süchtig: Der Spieler muß einem kleinen Männchen helfen, den Ausgang zum nächsten Level zu finden. Doch bevor sich die Tür zum nächsten Spielabschnitt öffnet, muß man erst alle herumliegenden Computerchips aufsammeln. Oft versperren Hindernisse den Weg. Mit Hilfe herumliegender Gegenständen gilt es, die Barrieren zu überwinden.

Außerdem kann der Miniheld Schlüssel finden und Schalter umlegen, die kleine Fallen aktivieren, um lästige Monster außer Gefecht zu setzen. »Chip Challenge« regt den Grips an und ist zudem noch sehr unterhaltsam. Ein gelungenes Knobelspiel im Actiongewand!

Electrocop

Bitterböse Gangster entführen die bildhübsche Präsidententochter und verschleppen sie in eine stählerne Festung. Als netter Held von nebenan macht sich ein Elitekämpfer auf den Weg, um die holde Schönheit zu befreien. Er läuft durch das Gebäude, öffnet Türen, hackt Geheimcodes aus Computerterminals und schießt Angreifer über den Haufen. Gelungen ist an »Electrocop« nur die starke 3D-Grafik, spielerisch ist das Game aufgrund des übertrieben hohen Schwierigkeitsgrades nicht gerade eine Bereicherung für die Softwaresammlung.

Papenboy

Ein rasender Bubi flitzt mit seinem Fahrrad durch die Straßen einer Kleinstadt und schleudert Tageszeitungen in die Briefkästen. Rasenmäher, Autos, Kinder, Bauarbeiter sowie Skateboardfahrer kreuzen seinen Weg und bringen den Boten zu Fall. Spaßiges Spiel, nur leider ruckelt das diagonale Scrolling.

Blue Lightning

Hier fliegt man mit einem Düsenjäger durch Feindesland und feuert MG-Salven oder Lenkraketen auf feindliche Jets und Bodentruppen. Eine perfekte Demonstration des 3-D-Chips! Gegnerische Flugzeuge kommen immer näher heran und rauschen dann haarscharf am Cockpit vorbei. In Bodennähe kann man bei atemberaubend schneller 3D-Grafik durch tiefe Täler jagen. Jedes Level besitzt einen Zugangscode aus vier Buchstaben, die per Joypad eingestellt werden. Teilweise sind die Levels sehr schwer zu lösen. Wer alle Leben verliert, bevor er das Ziel erreicht hat, tippt den Code ein und startet nochmals. Bei schnellen Manövern und blitzartigen Reaktionen macht die teilweise unpräzise Joypad-Steuerung öfters alle Berührungen zunichte.

»Blue Lightning« macht irre viel Spaß, die Level sind abwechslungsreich und technisch brillant in Szene gesetzt. Da bekommen selbst verwöhnte Spielefreaks den Eindruck, sie halten mit der Lynx einen ausgewachsenen Spielautomaten in den Händen.

Klax

Das ist eine Droge! Wer einmal anfängt, kommt nicht mehr davon los. Man steuert eine rechteckige Pfanne, die am unteren Ende eines Fließbands angebracht ist. Auf fünf Bahnen nähern sich Quader in unterschiedlichen Farben. Je nach Vorgabe des Computers muß man sie unter Zeitdruck zu vertikalen, horizontalen oder diagonalen Reihen stapeln. Ist dies gelungen, rattern Punkte aufs Konto, sowie der nächste Level beginnt. Mit der Zeit nähern sich die Quader immer schneller, so daß echter Streß aufkommt. Bald müssen Muster gelegt werden oder eine bestimmte Punktzahl erreicht werden.



Aus: ST-Magazin 05 / 1991, Seite

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