Artis 2 - Surrealist aus Wien

640 x 400 Pixel Umfang hat die »Leinwand« von Wolfgang Ante und Alexander Beza. Die beiden Österreicher arbeiteten zwei Jahre an »Artis«, einem preiswerten Malprogramm. Preis hin, Preis her: Sekt oder Selters, wollten wir wissen.

Die hohe Auflösung des ST bietet 256000 Bildpunkte. Bei so viel Schwarzweißmöglichkeiten wundert es nicht, daß sich die Gemüter an der Frage erhitzen, wie man dem Bildschirm wohl am geschicktesten Profil verleiht: Während der eine auf Pixelakrobatik schwört und am liebsten jedes Pünktchen einzeln setzen würde, bringt der andere weniger grafisches Talent mit und ist froh, wenn der Computer ihm das Gröbste abnimmt. Um so wichtiger, daß sich der angehende Computerkünstler genau überlegt, was seine Software eigentlich leisten soll.

Ein erster Blick in den 113 Seiten starken Ringordner mit der Anleitung klärt schnell über die Philosophie von Artis 2.0 auf: Alle Funktionen im direkten Zugriff, möglichst wenig Menülabyrinth, möglichst viel Automation und möglichst wenig Handarbeit. Die Autoren: »...besonderen Schwerpunkt legten wir auf die künstlerische Gestaltung von Bildern ... eignet sich besonders für grafisch ungeübte Anwender, denen der Einstieg ins 'künstlerische' Gestalten ... erleichtert werden soll«.

Artis paßt bequem auf eine 720-KByte-Diskette und läßt sich von dort problemlos auf Festplatte kopieren. Innerhalb weniger Sekunden wandert es von der Platte in den Arbeitsspeicher. Das Hauptmenü präsentiert sich üppig mit 91 grafischen Funktionssymbolen. Per Mausklick holt man sich weitere 21 Punkte auf den Bildschirm.

Die verwirrende Fülle von Menüpunkten löst sich nach kurzer Gewöhnungszeit in klare Aufgabenblöcke auf: Seiten-, System- und Zeichenfunktionen, Spezialef-fekte und Blockoperationen. Wer bereits Grafikerfahrung am Computer mitbringt, kann aufs Handbuch weitgehend verzichten — innerhalb weniger Minuten läßt sich die korrekte Bedienung von Artis intuitiv erlernen. Wer noch nicht soweit ist, dürfte mit der optisch ansprechenden, übersichtlichen und sehr verständlich geschriebenen Anleitung schnelle Fortschritte machen: Neben den reinen Funktionsbeschreibungen bietet das Handbuch einen rund 50 Seiten umfassenden Grafikkurs. Anhand von 13 Beispielgrafiken wird dort der Umgang mit dem Malprogramm erläutert.

Artis verwaltet maximal sechs Bilder gleichzeitig. Eines davon ist das sog. Großbild, das je nach Arbeitsspeicher und Bildschirm bis zu 2400 Pixeln horizontal und 3200 vertikal umfassen kann. Neben selbstverständlichen Standards wie Rechtecken, Kreisen, Ellipsen, Freihandzeichnen, Radiergummi und Lupe besticht das Programm vor allem durch ungewöhliche Spezial-funktionen, die die Arbeit bequemer gestalten und beschleunigen. Als da wären: Kreisbögen, Parabeln, symmetrische Vielecke, Sterne, Gitter oder eine Sprühdose, die nur wenn sie soll, nämlich bei Bewegung, sprüht.

Artis liest das Screen-For-mat (PIC, DOO), Stad-PAC, Degas-PI3 und Images (IMG), speichert aber nur im Screen-Format oder als Image. Die Laderoutinen für PIC, PAC und PI3 liegen als einzelne Programme vor, die auch unabhängig von Artis arbeiten. Gute Idee!

Weiterhin verarbeitet das Programm Signum-P24-Fonts, die sich durch Verstärken, Umrahmen, Outline-Funktionen, Vergrößern oder Verkleinern mit wenigen Mausklicks mühelos in tolle Überschriften, Schilder oder Designschriftzüge verwandeln lassen. Außerdem bieten sich zahlreiche grafische Spielereien wie Sterne oder Blasen zum Einbinden in eigene Arbeiten an.

Doch keine Rose ohne Dornen: Wer z. B. versehentlich auf eine volle Diskette sichern will, kann sein Kunstwerk gleich vergessen. Es gibt zwar eine Funktion zum Dateilöschen, Artis bricht aber jeden weiteren Speicherversuch ab mit der Fehlermeldung »Datei schon göffnet«. Weder neu formatierte Ersatzdisketten noch der »Erste-Hilfe-Save« von Artis oder Umbenennen des Files verhindern den Bildverlust. Unsauber auch der Blindflug beim Versuch, auf eine schreibgeschütze Diskette zu speichern: Die GEM-Meldung erscheint ohne Mauspfeil, man darf sich zum »Abbruch« durchtasten. Artis läuft zwar auf dem TT, Funktionen wie die Lupe fallen dort aber einfach aus. Neben diesen Bugs, die sich durch saubere Programmierung leicht beseitigen lassen, hier noch einige Anregungen und Wünsche für spätere Versionen: Die Rahmenlinie des Radiergummis kann selbst nicht zum Radieren eingesetzt werden, was präzises Heranarbeiten an Linien und Rundungen erschwert. Ein Radiergummi, der normale Zeichenfunktionen einfach invertiert, wäre viel flexibler. Toll wäre auch eine Gestaltungsmöglichkeit für den Mauszeiger, da das Fadenkreuz sich nicht für alle Einsätze optimal eignet. Die Sterntalerfunktion funktioniert nur Schwarz auf Weiß — wer Nachtstimmung haben möchte, muß das Bild erst invertieren. Und last not least sollte das Entwicklerduo noch mehr Dateiformate ins Programm aufnehmen und dafür sorgen, daß der Zeichenkünstler auch mit Image-Dateien kleiner als 640 x 400 Pixel zurechtkommt.

Unterm Strich bietet Artis viele tolle neue Funktionen, ist sehr leicht und flott zu bedienen und durchaus erschwinglich. Bemerkenswert sind auch die Zusatzmodule, (siehe Kasten), die u.a. eine Scanner-Ansteuerung und eine E-Technik-Library enthalten. Sobald die angesprochenen Schönheitsfehler ausgebügelt sind, kann man Artis jedem Einsteiger nur wärmstens empfehlen. Wer vorab mal reinschnuppern möchte: Eine Demoversion gibt's für 10 DM beim Hersteller, (hu)

Zusatzmodule

Für Artis gibt es bisher vier Zusatzmodule, die sich aus dem Hauptprogramm aufrufen lassen: »Scanny« kostet 49 DM und ist ein Programm zur digitalen Nachbearbeitung von Bildern. Es unterstützt Cameron-Scanner. Mit dem 49 DM teuren »Rahmen«-Modul lassen sich eigene Rahmen editieren und Abspeichern. Das »Pro«-Modul kostet 79 Mark. Es stellt dem Hauptprogramm eine Reihe zusätzlicher Blockoperationen zur Verfügung. »Elektro« schließlich (79 DM) bietet eine Symbolbibliothek für E-Technik.

Artis 2.0

Hersteller: Artis Software

Preis: 198 DM, im Postversand oder Fachhandel

Stärken: Handbuch, viele Spezialfunktionen, benutzerfreundlich, Module

Schwächen: einige Bugs (s. o.), wenig Dateiformate

Fazit: empfehlenswertes Einsteigerprogramm mit kleinen Macken



Aus: ST-Magazin 05 / 1991, Seite

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