Faktotum: »Mortimer«, das Mädchen für alles

Bild 1. Wichtige Funktionen hält Mortimer bereit. Die Bedienung funktioniert per Tastenkommando oder auf Mausklick.

Dezent im Hintergrund verborgen, ganz nach alter englischer Schule, steht »Mortimer«, der Diener, bereit. Mortimer ist ein Hilfsprogramm von OMIKRON.Software, das dem ST-Besitzer das Leben erleichtern soll. Deshalb bemerkt man Mortimer gar nicht, denn er steht im Arbeitsspeicher des ST versteckt und kommt nur auf Klingeln zum Vorschein. Dann aber mit einem Gongschlag und der passenden Frage auf den Lippen: »Eure Lordschaft haben geläutet?«

Die badische Softwareschmiede Omikron geht auf dem Atari ST, was Acces-sories, also zusätzliche Hilfsprogramme betrifft, neue Wege. Nicht der gewohnte Klick in die Menüleiste ist in, sondern der einfachere und schnellere Tastendruck. Das bedeutet: Mortimer schlummert im Hintergrund und kommt beispielsweise mit der Tastenkombination < Alternate > - < Control > zum Vorschein. Der Vorteil bei dieser Art des Programmaufrufs liegt klar auf der Hand: Man erreicht Mortimer bei jeder Gelegenheit und in nahezu jedem Programm. Vor allem auch in den sogenannten TOS-Programmen, die keine GEM-Menüleiste zur Verfügung stellen.

Wer allerdings glaubt, Mortimer sei ein Sekretär und verwalte alle anfallenden Termine, hat weit gefehlt. Denn der vornehme Diener übernimmt nur einige der lästigsten Arbeiten wie zum Beispiel Disketten formatieren, während man sich noch in einem Anwenderprogramm befindet. Schließlich passiert es doch hin und wieder, daß man sich beispielsweise in 1st Word befindet, einen längeren Text eingetippt hat und feststellen muß, daß auf der Textdiskette kein Platz mehr ist. Eigentlich ist das kein Problem, denn eine Packung Disketten kostet heutzutage nicht mehr die Welt und sollte deshalb neben jedem Computer liegen, doch leider muß man neue Disketten eben erst einmal formatieren.

Bild 2. Alles, was ein Texteditor so braucht, steht über Tastenfunktionen zur Verfügung

Mortimer übernimmt diese Arbeit auf ähnlich gründliche Weise wie das Desktop des ST: zwar langsam, dafür aber sicher. Natürlich ist das Formatieren von Disketten nicht alles, was Omikrons Hilfsprogramm kann. Denn Mortimer hat Funktionen in petto wie einen Texteditor, Druckerspooler, RAM-Disk, Taschenrechner, Virenwächter, Snapshot und Tastaturmakros.

Das Besondere von Mortimer ist nicht nur sein bevorzugender, höflicher Umgangston, mit dem er den Anwender als »Seine Lordschaft« oder schlicht als »Sir« tituliert, sondern daß man das Programm nicht unbedingt mit der Maus bedienen muß. Denn der Lordschaft Kammerdiener läßt sich komplett über die Tastatur dirigieren. Schließlich hat ein speicherresidentes Hilfsprogramm, das man in jedem Programm einsetzen können soll — so die Werbung —, wenig Sinn, wenn eine TOS-Anwendung die Maus dreisterweise einfach abschaltet.

Will man dem Handbuch Glauben schenken, dann entstand Mortimer durch die Sorgen und Nöte der Omikron-Basic-Programmierer. Schaut man dem Lakaien genauer auf die Finger oder besser gesagt auf das Auswahlmenü, finden sich viele Funktionen, die man bei herkömmlichen Multi-Accessories meistens vermißt, die für einen Programmierer aber äußerst nützlich sind.

Der Texteditor ist hier ein herausragendes Beispiel. Er nimmt nicht nur kurze Notizen auf, sondern auch ganze Programmlistings schluckt der Editor mühelos. Dabei überzeugt er, wie es sich für einen Bediensteten eben schickt, durch eine angenehm schnelle Arbeitsgeschwindigkeit. Der Maus kommt, vorausgesetzt sie ist überhaupt eingeschaltet, nur eine nebensächliche Rolle zu. Man kann mit ihr den Cursor positionieren und Textblöcke markieren, löschen und einfügen. Die komplette restliche Bedienung des Texteditors funktioniert über Tastenfunktionen.

Bild 3. Schnell und einfach lassen sich Dateien kopieren, mit der Maus kann man sogar mehrere Dateien wählen

Ist man bei seinem Editor die bequeme Mausbedienung gewohnt, fallen die Tastenkommandos vom Mortimer-Editor nicht leicht. Aber ein Druck auf die < Help > -Taste genügt, um alle Funktionen und deren Aufruf in einer Übersicht auf den Bildschirm zu bekommen. Für einen Editor ist die Mortimer-Funktion recht leistungsstark, nicht zuletzt deshalb, weil er sogar Texte verkraftet, die jenseits der 100-KByte-Größe liegen. Auch Bilder anzuzeigen ist für den Editor kein Thema. Dabei werden die Bilder im Screen-, Degas- oder im GEM-lmage-Format angezeigt; die Degas-Bilder dürfen allerdings nicht komprimiert sein.

Gerade wenn man viel programmiert oder ständig mit Anwenderprogrammen arbeitet, lernt man die Diskettenfunktionen von Mortimer zu schätzen. Denn sicherlich ist es Ihnen auch schon so ergangen, daß Sie mit einem Programm gearbeitet haben, das in einem bestimmten Unterverzeichnis eine ganz spezielle Datei gesucht hat, die das Programm dort nicht fand. Dann klingeln Sie einfach nach dem Hausknecht, der mal eben die fehlende Datei in das entsprechende Unterverzeichnis kopiert. Jetzt ist Ihr Programm zufrieden, kann Weiterarbeiten, und Ihre Nerven wurden auch noch geschont. Sogar ganze Ordner mit Inhalt lassen sich von einer Diskette zur anderen, von einem Verzeichnis zum anderen kopieren. Insgesamt fünf Diskettenfunktionen hat der Butler auf dem Tablett, neben den beiden bereits erwähnten Funktionen Formatieren und Kopieren kann man überflüssige Dateien auch noch löschen, neue Ordner anlegen und vorhandene Dateien umbenennen. Allerdings kann Mortimer keine Ordner umbenennen, wie das beispielsweise beim neuen ST-Betriebssystem TOS 1.4 der Fall ist.

Das Problem mit den Ordnern

Ein Bonbon hat der Diener immer parat: die sogenannte Quickmaus. Hinter dieser Bezeichnung versteckt sich ein Mauszeigerbeschleuniger. Damit können Sie den Mauszeiger je nach Bewegungsgeschwindigkeit der Maus über größere Entfernungen über den Bildschirm steuern. Das ist besonders bei Großbildschirmen praktisch, weil sonst der Mausweg auf dem Tisch viel zu groß wird. Allerdings ist die Einstellung eher etwas für mathematisch Bewanderte, und ein Blick ins Handbuch gibt auch wenig Aufschluß über die genaue Bedeutung der Quickmaus-Charakteristik. Es hilft jedoch, einfach verschiedene Einstellungen auszuprobieren, dann kommt man recht bald zu einer angenehmen Mausgeschwindigkeit.

Ein weiteres Schmankerl ist die Bildschirm-Lupe, die die gesamte Bildschirmausgabe um das Vierfache vergröBert darstellt. So läßt es sich vor allem in Grafikprogrammen pixelgenau mit sämtlichen Grafikfunktionen arbeiten, was man mit der im Programm eingebauten Lupe oft nicht kann. Alle Funktionen im Desktop und das Aufrufen von Programmen, bis auf Mortimer selbst, funktionieren, während die Lupe eingeschaltet ist. Läutet man nach seinem Diener, dann schaltet sich die Bildschirmvergrößerung aus.

Bild 4. Der Druckerspooler funktioniert sowohl für die Centronics- als auch für die serielle Schnittstelle

Arbeitet man häufig mit Texten, entweder bei der Textverarbeitung oder beim Programmieren, dann fallen auch recht viele Ausdrucke auf den Drucker an. Leider sind Drucker von Natur aus eher langsame Zeitgenossen und halten den Computer unnötig auf. Mortimer hilft auch hier aus: Er stellt einen sogenannten Druckerspooler bereit, der Dateien sowohl auf die Centronics- wie auch auf die RS232-Schnittstelle ausgibt. Für einen Drucker funktioniert der Spooler leider nicht: den Atari-Laserdrucker SLM 804. Denn dieser Drucker ist am DMA-Port angeschlossen und benötigt für jeden Ausdruck den computereigenen Prozessor.

Ein dunkles Kapitel der Computergeschichte kann man in Begleitung seines treuen Untertanen jetzt gelassener angehen: die Virengefahr. Mortimer ist auch Virenwächter, der darauf achtet, daß sich Ihr Computer nicht mit Bootblockviren infiziert oder gar von den üblen Linkviren befallen wird. Einen Bootsektor, der eventuell ein Virus enthalten könnte, erkennt seiner Lordschaft Butler bereits dann, wenn man sie ins Laufwerk eingelegt hat und zum ersten Mal darauf zugreift. Mit hektischem Geläut macht sich der Domestik bemerkbar und fragt höflich an, ob er den Bootsektor löschen soll.

Bild 5. Auf Linkviren macht Mortimer recht zuverlässig aufmerksam

Ein Linkvirus erkennt Mortimer daran, daß ein Programm ein anderes überschreiben will. Auch hier weist er seinen Herrn daraufhin und fragt, ob es erlaubt oder verboten ist. Außerdem kann man festlegen, daß ein ertapptes Programm nur ein bestimmtes anderes Programm beschreiben darf oder aber alle Dateien. Diese Einstellungen kann man auch speichern, und zukünftig meldet sich Mortimer bei autorisierten Schreibzugriffen nicht mehr.

Für die Angsthasen: Virenwächter

Mit dem Virenwächter steht den ängstlichen Naturen zwar ein relativ wirksamer Schutz zur Verfügung, leider kann ein Virenprogrammierer selbst diese Barrieren außer Kraft setzen. Was hilft, ist einfach vorsichtig zu sein und Programme dubioser Herkunft gar nicht erst zu starten. Das empfiehlt auch Omikron.

Zur Standardausrüstung eines modernen Multi-Accessories gehören die RAM-Disk, die Snapshot-Funktion, mit der sich bei Mortimer beliebige Bildschirmausschnitte auf Diskette bannen lassen, und der Taschenrechner. Omikrons Multi-Accessory bietet allerdings eine Rechnerfunktion an, die weit über das hinausgeht, was man eigentlich erwartet. Das ziemlich spartanisch ausgestattete Fenster, das sich auf den Befehl »calculate« öffnet, akzeptiert selbst komplizierte mathematische Funktionen wie Sinus oder Logarithmus, bis hin zum Area Cotangens Hyperbolicus.

Bild 7. Je mehr Funktionen Mortimer beherrschen soll, desto mehr Speicher belegt er

Spartanisches Mathematikgenie

Nützliche Funktionen wie Bildschirm abschalten, Festplatte parken, ASCII-Tabelle anzeigen, Uhr auf dem Bildschirm darstellen oder einen Reset auslösen fehlen bei Mortimer nicht. Die Reset-Funktion bietet sogar die Wahl zwischen einem Kalt- und einem Warmstart des Computers. Zwei weitere Funktionen dürfen nicht unerwähnt bleiben: die Tastaturmakros und das Ausführen von TOS-Programmen. Die Tastaturmakros dienen Ihnen als Tipperleichterung, wenn Sie beispielsweise viele Standardformulierungen in Geschäftsbriefen verwenden. Oder aber Sonderzeichen können Sie per Makro definieren wie zum Beispiel französische oder spanische Umlaute. Auf Wunsch stellt sie Mortimer immer bereit. Pro Buchstaben-Taste stehen Ihnen bis zu acht verschiedene Belegungen zur Verfügung.

Weniger komfortabel ist da leider das Ausführen von TOS-Programmen, das einem die Möglichkeit bieten soll, ohne ein Programm verlassen zu müssen, ein anderes ablaufen zu lassen. Das hängt allerdings davon ab, wieviel Speicher jenes Programm belegt, in dem Sie sich befinden, und wieviel Speicher das Programm braucht, das Sie aufrufen wollen. Außerdem darf das zu startende Programm kein GEM benutzen, weil sonst die Gefahr besteht, daß sich der Computer nicht mehr unter Ihrer Kontrolle befindet, also schlicht und einfach abstürzt.

Bild 6. Beim Reset bleibt die Wahl zwischen einem Warm- oder Kaltstart des Computers

Wenn Ihnen viel daran liegt, mit mehreren Programmen gleichzeitig zu arbeiten, dann sollten Sie auf einen sogenannten Multiswitcher zurückgreifen und nicht auf Mortimer.

Es liegt in der Natur von Mortimer, daß er mit einigen anderen Dienern in Ihrem Computer nicht zusammenarbeitet. Schwierigkeiten macht er zum Beispiel mit »Harlekin« von Maxon.

Da Mortimer selbst viele Systemeinstellungen verändert, sollten Sie ihn nicht mit ähnlichen Programmen zusammen verwenden, meistens braucht man sowieso kaum noch ein anderes Accessory.

Mortimer ist ein Butler, von dem man sich wirklich sehr gern verwöhnen laßt und dessen Gegenwart im Speicherhintergrund man schon nach kurzer Zeit nicht mehr vermissen möchte. Es ist sogar möglich, daß Sie sich so sehr an Ihren neuen Bediensteten gewöhnen, daß Sie nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten ohne ihn arbeiten können. Er macht im wahrsten Sinne des Wortes »süchtig«, die »Entwöhnung« von ihm fällt schwer.

Mit knapp 80 Mark Anschaffungskosten ist er ein günstigster Dienstbote auf dem Markt.

Wertung

Name: Mortimer
Preis: 79 Mark
Hersteller: OMIKRON.Software

Stärken: □ viele nützliche Funktionen in einem Programm vereint □ funktioniert mit nahezu jedem Programm □ auch ohne Maus bedienbar □ leicht an eigene Bedürfnisse anzupassen

Schwächen: □ benötigt je nach Installation relativ viel Arbeitsspeicher □ Ordner lassen sich nicht umbenennen □ Aufruf von TOS-Programmen nicht immer erfolgreich

Fazit: Mortimer ist eines der wenigen Programme, das sich bei jeder Gelegenheit und bei nahezu jedem Programm aufrufen läßt, ohne daß eine GEM-Menüleiste vorhanden sein muß. Er steht auch dann noch zu Diensten, wenn sich andere Accessories dem Zugriff entziehen. Ein Faktotum — ein Mädchen für alles —, das man sich schon lange gewünscht hat.

OMIKRON Software, Erlachstr. ISA. 7534 Birkenfeld 2, Tel.


Thomas Kaltenbach
Aus: ST-Magazin 05 / 1990, Seite 18

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