Calamus, das professionelle DTP-System aus deutschen Landen

Im Zeichen der Feder

Desktop Publishing über alles!« hieß 1987 die Parole an sämtlichen Computerfronten. Die Welle der DTP-Programme schwappte über, vor allem bei Vorankündigungen in der Werbung. »Jedermann wird zum Profi-Layouter mit Hyper-Super-Seitenmacher deluxe!« schrieben die Public-Relations-Manager auf traditionell von Hand geklebten Hochglanzanzeigen.

»Desktop Publishing ist tot!« tönten Anfang 1988 »wohlinformierte« Computer-Propheten und brachten aufgemotzte Textverarbeitungsprogramme mit DTP-Appeal auf den Markt. »Jedermann wird zum Profi-Layouter mit Hyper-Super-Textstar deluxe!« schrieben die Public-Relations-Manager auf die mit DTP-Programmen gestalteten Hochglanzanzeigen. Die Profi-Layouter hatten das computerunterstützte DTP entdeckt und begannen, Leimtopf und Schneidemesser gegen den Computer auszutauschen.

Freie Auswahl: viele Parameter für die »Druckerei«

Wie alle Übertreibungen enthalten auch die oben angeführten Kernsätze einige Körnchen Wahrheit. DTP-Programme stellen einerseits sicherlich keine universellen Wunderwerkzeuge dar, die jeden Computeranwender, der die Tasten seines Computers zu treffen vermag, in einen meisterlichen Layoutspezialisten verwandelt. Trotz aller Werbesprüche erfordert gutes Layout einen versierten Layouter, selbst mit professionellster DTP-Software.

Auf der anderen Seite wäre es völlig verfehlt, eine besonders euphorisch propagierte neue Computer-Anwendung wie DTP zu Grabe tragen zu wollen, solange sie noch in den Kinderschuhen steckt. Das Leistungsvermögen einiger neuer DTP-Programme wie »Pagemaker 3.0« oder »Xpress« wird die derzeit verfügbaren Produkte in naher Zukunft zu Spielzeug-Programmen degradieren.

Diese Einschätzung trifft nicht nur auf den selbsternannten »DTP-Computer par excellence«, den Apple Macintosh zu, sondern auch auf die DTP-Szene des Atari ST. Am Horizont kündigen sich bereits die Programme der zweiten Generation an. Doch bevor man hier greifbare Ergebnisse zu sehen bekommt, wird eines der besten DTP-Programme der gesamten Programmsparte nach langer Wartezeit noch im zweiten Quartal 1988 auf dem Atari ST seine Premiere erleben.

Wir haben für Sie die Entwicklung von »Calamus«, einem Produkt der Firma DMC in Walluf am Rhein, seit der CeBIT 1987 aufmerksam verfolgt. Nach einigen Verzögerungen ist es nun soweit: Exklusiv in Ihrem ST-Magazin können wir den ersten großen Test dieses wahrlich revolutionären DTP-Programmes präsentieren.

Calamus wird voraussichtlich von der Atari (Deutschland) Corp. in den zwei Versionen »Calamus« (Preis: 398 Mark) und »Calamus plus« (voraussichtlicher Preis: 998 Mark) vertrieben. »Calamus plus« stellt ein hochprofessionelles Satzsystem mit erweiterter Dokumentenverwaltung (zum Beispiel mit automatischer Indexerzeugung) dar. Zusätzlich zu den Funktionen der Grundversion sind ausgefeilte Pixel- und Vektor-Grafik-Routinen integriert, deren Funktionsumfang die bislang verfügbaren Spezialprogramme übertrifft. Darüber hinaus enthält »Calamus plus« ein umfangreiches Programm zum Entwurf von Repräsentationsgrafiken.

Calamus ist auf ST-Computern mit mindestens 1 MByte Hauptspeicher lauffähig und arbeitet derzeit nur im hochauflösenden Monochrom-Modus. Wegen der enormen Dateigröße (die Programmdatei ohne Resource ist über 340 KByte lang) muß der ST mit einem doppelseitigen Diskettenlaufwerk ausgestattet sein.

Als Ausgabeeinheit eignen sich bevorzugt Laserdrucker wie der HP-Laserjet und kompatible Geräte. Besonders kurze Ausdruckzeiten erreicht man mit dem Atari-Laserdrucker SLM804. Die mit gelieferten Treiberprogramme unterstützen auch die gängigen Nadel-Drucker. Beste Druckqualität darf man dem Druckertreiber für den 24-Nadler NEC-P6 bescheinigen. Hier erreicht Calamus eine Ausgabegüte, die den Vergleich mit der fast legendären Signum-Qualität nicht zu scheuen braucht.

Dieser Bericht bezieht sich auf die Calamus-Grundversion. Unser Testexemplar arbeitete noch nicht mit den endgültigen Routinen zur Textformatierung. Daher lassen sich über die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus und über einige andere wichtige Funktionen wie Gestaltung von Spaltenpfaden, manuelle Trennung, manuelle Beeinflussung des Unterschnittes (Kerning) oder automatischer Textfluß um Bilder erst vorläufige Aussagen machen.

Ein Calamus-Dokument setzt sich aus sogenannten Rahmen zusammen, die als separate Objekte verwaltet werden. Calamus kennt Rahmen für allgemeinen Text, für Indextexte, für Pixelbilder (einschließlich Halbtonbilder von Scannern), für Vektorbilder im GEM-Format, für offene Linien und für geschlossene Linienzüge. Die Textrahmen lassen sich in 1/10-Grad-Schritten drehen, so daß interessante fein-abgestufte Drehtexteffekte erzielbar sind. Calamus-Dokumente können sich über maximal 9999 Seiten erstrecken, sofern der Speicher ausreicht. Das Programm verwaltet dabei sowohl Einseiten- als auch Doppelseiten-Layouts. Das Einfügen von Seiten in die Mitte eines mehrseitigen Dokumentes im Doppelseiten-Layout verschiebt die nachfolgenden Seiten entsprechend und wechselt bei ungeradzahligen Seiteneinschüben den Rechts/Links-Status dieser Seiten. Bei Bedarf läßt sich dieser Status auch blockieren, das heißt, eine blockierte linke Seite behält unabhängig von Seiteneinfügungen ihren Status. Der Rechts/Links-Status schließt auch spezifische Layoutelemente wie Kopf- und Fußzeilen, die Lage der Seitennummer, Logos und so weiter ein.

Das Prinzip der sogenannten Masterpages — Seiten mit festliegenden Layoutelementen, die auf bestimmten Dokumenten-seiten enthalten sein sollen — ist besonders flexibel umgesetzt. Der Anwender entwirft die Masterpage zunächst wie eine normale Dokumentenseite. Eine solche Seite läßt sich anschließend als Dokument (mit sämtlichen Inhalten der Seite) oder als Layoutvorlage speichern und später erneut laden.

Eine Layoutvorlage speichert alle Rahmen der Seite einschließlich Position und Größe, bei Rahmen mit Bildern, Linien und Linienzügen auch deren Inhalte. Textrahmen dagegen werden mit den Informationen über Fonts, Fontattribute und Textformatierungs-Parameter, jedoch ohne die Texte auf Diskette oder Festplatte geschrieben. Gehören zum gespeicherten Layout auch Textelemente, so muß man die entsprechenden Textrahmen zusammenfassen und in einen Kopf-/Fußnotenrahmen umwandeln.

Eine Masterpage dient als Kopiervorlage für alle Seiten, die mit gleichem Layout gestaltet sein sollen. Bei jedem Kopiervorgang läßt sich festlegen, auf welche Seiten des Dokumentes das Masterpage-Layout übernommen wird. Doppelseitige Layouts erfordern natürlich auch doppelseitige Masterpages. Calamus sorgt automatisch für die richtige Zuordnung der linken und rechten Masterpage zu den passenden Seiten des Dokumentes.

Das kopierte Layout bleibt nach dem Kopieren nicht mehr mit der Masterpage verknüpft, sondern wird zum unabhängigen Bestandteil der Zielseite(n), selbst wenn man die Masterpage nach dem Kopieren wieder aus dem Dokument entfernt. Das Layout einzelner Zielseiten ist selbstverständlich jederzeit abzuändern.

Nach einem ähnlichen Verfahren funktioniert die Verwaltung einer Bibliothek mit den sogenannten Style-Sheets. Darunter versteht man festgelegte Kombinationen von Fonttypen, Fontgrößen, Fontattributen (fett, schattiert, konturiert, etc.) und von Textattributen wie die Formatierungstypen (rechts-und linksbündig, zentriert, justiert) und die Abstände zwischen Absätzen, Zeilen, Wörtern und Buchstaben. Calamus faßt diese Parameter zu Makros zusammen, die über Tastaturcodes anzusprechen sind.

Die Makro-Codes lassen sich schon bei der Texterfassung in den Text integrieren und werden bei der Textformatierung in den Textrahmen berücksichtigt. Die Zuordnung von vorbereiteten Style-Parametern zu fertig formatierten Textbereichen ist selbstverständlich ebenfalls vorgesehen. Ähnlich wie bei den Masterpages machen die Style-Makros nach der Zuordnung einen festen Bestandteil der Textpassage aus. Eine Veränderung des Makros hat keine Auswirkung auf den Text.

Die Style-Parameter eines jeden abgegrenzten Textbereiches sind jedoch über die zugehörigen Textlineale zugänglich. Diese erlauben darüber hinaus die Beeinflussung der rechten und linken Ränder, die variable Einrückung der Absatzanfänge sowie die Festlegung von Text- und Dezimal-Tabulatoren.

Ein gespeichertes Calamus-Dokument enthält alle bis jetzt genannten Informationen, zusätzlich natürlich die reine Textinformation. Selbst die Bilddaten der integrierten Bildrahmem sind in der Dokumentendatei verzeichnet. Es fehlen lediglich die Grunddaten der im Dokument verwendeten Fonts. Calamus erwartet beim Laden von Dokumenten die Fontdateien in einem vom Benutzer wählbaren Ordner. Beim Austausch von Calamus-Dokumenten zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen (zum Beispiel zwischen Editierstation im Büro und Druckstation in der Druckerei) ist also darauf zu achten, daß Sender und Empfänger dieselben Fonts benutzen. Das Programm meldet fehlende Fontdateien beim Laden an und erlaubt die Wahl eines Ersatzfonts.

Alle Calamus-Objekte sind mit Hilfe der Maus im Arbeitsfenster frei verschiebbar und lassen sich auf 1/10 Millimeter genau positionieren. Verschiedene Hilfslinien und ein einstellbares Rastergitter erleichtern die Ausrichtung der Einzelelemente beim Dokumentenentwurf. Die Bildschirmdarstellung kennt zwei fixierte und einen variablen Darstellungsmaßstab, der einen Vergrößerungsfaktor von bis zu 999 Prozent zuläßt.

Eine besonders wichtige Vergrößerung im Hinblick auf exakte Druckergebnisse stellt der jeweils vom geladenen Druckertreiber vorgegebene Wert dar, bei dem 1 Bildschirm-Pixel einem Druckerpixel entspricht. In dieser Vergrößerungsstufe lassen sich die Calamusobjekte pixelgenau auf die Dokumentenseiten plazieren.

Eine derart perfekte Verwirklichung des WYSIWYG (What You See Is What You Get)-Prin-zips hat bislang kein anderes DTP-Programm aufzuweisen. Denn im Gegensatz zu fast allen anderen einschlägigen Programmen auf Personal-Computern bietet Calamus die gleiche Genauigkeit auch bei der Zeichendarstellung.

Alle uns bekannten DTP-Programme benutzen zumindest bei der Bildschirmdarstellung Pixelfonts. Die Fontdarstellung auf dem Bildschirm läßt gerade bei großen Punktgrößen der Fonts kaum noch Rückschlüsse auf das spätere Druckbild zu. Von diesem bedauerlichen Mißstand machen auch teure und hochgelobte Produkte auf anderen Computern als dem ST keine Ausnahme.

Schreibarbeit mit Calamus: integrierter Texteditor

Das Geheimnis von Calamus liegt in der durchgängigen Vektor-Orientierung aller Objekte einschließlich der Fonts. Calamus benutzt nämlich bei der Textdarstellung auf dem Bildschirm und bei der Druckerausgabe dieselben Vektor-Fonts. Ein Vektor-Font-Buchstabe ist nicht durch ein bestimmtes Pixelmuster, sondern durch eine Anzahl von Koordinatenpaaren definiert, die die Endpunkte von Begrenzungslinien festlegen. Gekrümmte Linien benötigen unabhängig von ihrer Länge lediglich zwei weitere Punkte, die man nach dem »Erfinder« der Krümmungsalgorithmen »Be-zier-Punkte« nennt. Die relative Lage der Bezierpunkte zu den Linienendpunkten bestimmt die Linienkrümmung.

Nur 27 Punktkoordinaten plus 20 Bezierpunkte in einer Calamus-Fontdatei definieren den Buchstaben »S« aus dem ST-Logo in der Kopfzeile der ST-Magazin-Seiten. Bei einer Verschiebung, Vergrößerung oder Verkleinerung der Fonts errechnet Calamus aus diesen Grundkoordinaten der Fontdatei die Koordinaten für die endgültige Darstellung. Dank des Vektorprinzips beherrscht Calamus eine ungeheure Spannweite bis hin zu Fontgrößen von 999,9 Millimeter (fast 1 Meter!!) in 0,1 Millimeter-Stufen. Seitenbe-schreibungs-Sprachen wie zum Beispiel »PostScript« machen sich ein ähnliches Verfahren zur Erzeugung der Fonts für Laserdrucker und Satzbelichter zunutze. Auf dem Computerbildschirm beherrscht bisher nur Calamus den geschilderten Vektor-Trick. Denn Calamus setzt für Bildschirm- und Druckerdarstellung dieselben Routinen mit unterschiedlichen Parametern für die jeweilige Punktauflösung ein.

Nun werden Sie sicher fragen, warum sich die restliche DTP-Welt nicht schon längst auf Vektorfonts verlegt hat (mit Ausnahme von Publishing Partner, der auf dem ST bei der Druckerausgabe ebenfalls Vektorfonts benutzt). Leider muß man sich die überragende Leistungsfähigkeit der Vektorfonts mit einigen Problemen erkaufen, die sich durch eine aufwendige Programmierung jedoch überwinden lassen.

Der Entwurf von Vektorfonts erfordert mehr Erfahrung, größere Geschicklichkeit und einen aufwendigeren Fonteditor als die Gestaltung von Pixelfonts. Entsprechend hoch lassen sich die Fonthersteller die Gebrauchslizenzen bezahlen. Die uns von DMC zur Verfügung gestellten Fontdateien stammen größtenteils aus dem Grafik-Studio Kanji-Do in Krefeld. Der Grafiker Alfred Smeets benutzte als Werkzeug den Calamus-Fonteditor. Dieser Editor entspricht nicht dem professionellen Standard des DTP-Programmes. Die Basisauflösung von 16368 x 16368 Koordinatenpunkten reicht zwar prinzipiell zum Editieren von professionellen Vektorfonts aus, die viel zu kleine Arbeitsfläche macht jedoch eine exakte Positionierung der Koordinatenpunkte zur mühsamer Mausklickerei. Nach Auskunft von DMC ist ein professionelles Werkzeug bereits in der Entwicklung.

Ein zweiter Nachteil liegt in der Darstellungsweise der Ausgabegeräte. Computerbildschirm und Matrixdrucker (als Laser- oder Nadeldrucker) benutzen zur Ausgabe von Buchstaben und Grafik Pixelmuster. Bei der Darstellung von Vektor-Buchstaben muß das Programm also den vektorisierten Linien entsprechend Pixelmuster generieren, indem es die Freiräume zwischen zwei Linien mit Pixeln füllt. Dieser Vorgang benötigt natürlich seine Zeit. Je höher die Punktauflösung des Ausgabegerätes, um so mehr Arbeit für den Computer beim Pixelmalen.

Calamus löst dieses Problem durch das sogenannte »Fontcacheing«. Der gesamte restliche Speicherplatz, den Programm, Dokument und Fontdateien übrig lassen, wird zur Speicherung bereits errechneter Pixelmuster-Buchstaben verwendet.

Vielsagende Icons: Linienrahmen, Hilfslinien und Ablagebretter im schnellen Zugriff

Ein intelligenter Cacheing-Algorithmus errechnet jeden Buchstaben in jeder vom Dokument geforderten Größe nach Möglichkeit nur einmal und legt das resultierende Pixelmuster im Cache ab. Bei der zweiten Anforderung eines im Cache befindlichen Buchstabens blendet Calamus ohne Neuberechnung das vorhandene Pixelmuster an der vorbestimmten Position in den Bildschirm- oder Seitenspeicher ein.

Zur Aufbereitung einer komplexen Seite mit mehreren Textrahmen in unterschiedlichen Punktgrößen und Pixel- oder gar Vektorgrafik-Rahmen benötigt die uns vorliegende Calamus-Fassung in der Regel gut 45 Sekunden für 300 dpi-Auflösung und etwa 25 Sekunden für die Bildschirmdarstellung. Darin enthalten ist jedoch auch die Zeit für die Textformatierung. Bei Auslieferung wollen die Programmierer zumindest die Zeit für die Bildschirmdarstellung auf ein Zehntel des heutigen Wertes vermindern.

Zusätzlich gilt es zu bedenken, daß selbst die Begrenzungslinien der Buchstabenflächen Produkte eines Rechenvorganges sind. Die Genauigkeit eines Rechenvorganges auf dem Computer hängt in erheblichem Maße von der Art der verwendeten Algorithmen ab. Je genauer der Computer rechnen soll, desto länger muß man auf das Ergebnis warten. Einfachere und damit schnellere Algorithmen führen zu Rechenfehlern, die sich gerade bei geringen Fontgrößen verstärkt auswirken.

Auch gegen dieses Manko haben die Calamus-Programmierer ein Rezept parat: Der fertige Calamus wird mit verschiedenen Rechenalgorithmen für die unterschiedlichen Punktgrößen ausgestattet sein. Große Fonts errechnet Calamus mit schnellen, aber nicht ganz so exakten Routinen, kleine Fonts dagegen geht das Programm mit Hilfe von extrem genau rechnenden, dafür aber entsprechend langsameren Algorithmen an.

Doch schon in der Testversion gibt es kaum einen Grund, an der Ausdruckqualität herumzumäkeln. Die gelegentlich zu beobachtenden minimalen Fehlpositionierungen einzelner Buchstaben beruhen mehr auf Fehlern in den noch nicht optimierten Fontdateien als auf den Rechenfehlern der Seitenaufbereitung.

Wer sich inzwischen die bange Frage stellt, ob ein derart funktionsreiches Programm wie Calamus denn überhaupt noch bedienbar ist, dem sei versichert, daß mit DMC-Chef Dietmar Meyfeldt ein Meister der funktionsgerechten und komfortablen Bedienerführung für das Konzept von Calamus verantwortlich zeichnet. Auch bei der Gestaltung der grafischen Benutzeroberfläche hat Calamus Erstaunliches zu bieten.

Auf den ersten Blick hat Calamus noch jeden Atarianer verwirrt. Eine derartige Fülle von verschiedenen Icons wies bislang kein anderes Programm auf. Nach einer kurzen Einführung durchschaut man jedoch sehr rasch die überzeugende Logik der verschiedenen Bedienungsebenen mit den aussagekräftigen Icons. Der DTP-Desktop gliedert sich in vier Bereiche.

Die konventionelle GEM-Menü-leiste am oberen Bildrand besteht aus fünf Pull-Down-Menüs, die in erster Linie Funktionen für Systemgrundeinstellungen und Dateioperationen aller Art enthalten. Viele der dort zugänglichen Funktionen sind außerdem über Icons abrufbar. Eine besondere Erwähnung verdient die einstellbare Hilfsfunktion.

Nach Aktivieren der Hilfsmeldungen blendet Calamus in die rechte Hälfte der Menüleiste zu jeder Funktion einen erklärenden Hilfstext ein. Die Texte sind in einer separaten ASCII-Datei abgelegt und können editiert werden. Durch Ergänzen dieser Texteinträge um einen Buchstaben lassen sich häufig benutzte Funktionen aus den Pull-Down-Menüs und aus den Icon-Feldern auf die entsprechende Taste legen. Anschließend kann man diese Funktionen zusätzlich durch gleichzeitiges Drücken der Alternate- und der Buchstaben-Taste aufrufen.

Im Icon-Balken unter der Menüleiste findet man Auswahlicons zum Wechseln der verschiedenen Arbeitsbereiche. Der erste Abschnitt mit fünf Icons symbolisiert von links nach rechts gesehen die Seitenmontage, die Rahmenfunktionen, die Textgestaltung, die Bearbeitung von Linienrahmen und die Funktionen zur Erzeugung von Linienzügen. Die Gruppe mit vier Icons in der Mitte dienen zur Umschaltung der verschiedenen Darstellungsmaßstäbe und zum Ansteuern eines Ganzseitenmonitors der Firma Matrix. Es folgen Felder zum Blättern in mehrseitigen Dokumenten sowie der Anzeigebereich für Koordinatenwerte der selektierten Rahmen.

Das GEM-Fenster mit allen Bedienungselementen, das nach Programmstart etwa drei Viertel des Bildschirmes einnimmt, stellt den Arbeitsbereich von Calamus dar. Hier bearbeitet man die einzelnen Seiten eines Calamus-Dokumentes. Je nach Aktivierung der Bedienungs-Icons lassen sich Rahmen aller Typen aufziehen, vergrößern, verkleinern und verschieben. Dabei erlaubt Calamus sogar das Arbeiten über die Fenstergrenzen hinaus.

Die meisten Programmfunktionen verbergen sich hinter dem großen Icon-Feld am linken Bildschirmrand. Je nach Arbeitsbereich stehen hier unterschiedliche Bedienungsebenen zur Verfügung. Die obere Iconreihe direkt unter dem Iconbalken steuert die Umschaltung in weitere Unterebenen.

Am Arbeitsbereich »Rahmen-Funktionen« (Pfeil-Icon im Menübalken) sei die Bedienung exemplarisch aufgezeigt. Dieser Bereich hat vier Unterebenen aufzuweisen. Die erste Ebene (Icon mit Zange) dient dem Erzeugen und Editieren der verschiedenen Rahmentypen. Die Auswahl des Rahmentyps erfolgt durch Anklicken eines der Icons in der oberen Hälfte des Icon-Feldes. Die neun Icons unten enthalten die verfügbaren Funktionen wie Auflösen einer Rahmengruppe, Erzeugen eines Rahmens, Editieren von Rahmengröße und Rahmenposition, Kopieren, Löschen und Schützen von Rahmen samt Inhalt, Einordnen der Rahmen in verschiedene Dokumentenebe-nen sowie Fixieren der Seitenverhältnisse bei Verändern der Rahmengröße.

Die zweite Ebene (Icon mit Fragezeichen) stellt spezielle Rahmenfunktionen zur Verfügung, die je nach Aktivierung eines bestimmten Rahmentyps weitere Iconfelder bereitstellen. Beim Rahmentyp »Linie« zum Beispiel bietet Calamus drei zusätzliche Unterebenen an zur Auswahl von diversen Linienformen, -attributen und -schatten, mit verschiedenen Schattenmustern und -abständen. Besondere Beachtung verdient die extreme Spannweite der wählbaren Linienstärke von 0,1 bis 999,9 Millimeter.

In der dritten Ebene (Icon mit Linien) der Rahmenfunktionen steht ein reichhaltiges Angebot an Hilfslinientypen für die Seitengestaltung zur Verfügung. Einige Hilfslinien lassen sich sogar mit magnetischen Eigenschaften ausrüsten. Ein einstellbares Rastergitter und Seitenlineale sind ebenfalls vorhanden.

Nach Aktivierung der letzten Ebene (Icon mit Klemmbrett) befindet man sich im Hilfsspeicher von Calamus. Rahmen lassen sich in mehreren Klemmbrettern Zwischenspeichern. Dabei bleiben sogar die Positionsdaten erhalten. Das Rahmen-Icon und ein knapper Ausschnitt des Rahmeninhaltes dienen zur besseren Identifizierung der Klemmbrettinhalte. Die Kopierfunktion erlaubt vielfaches Kopieren auf eine oder mehrere Seiten des Dokumentes.

Dieser kurze Einblick in die grafische Menüstruktur der Calamus-Bedienung muß fürs erste genügen. Eine umfassende Besprechung der vielen DTP-Funktionen würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Der Arbeitsbereich »Textgestaltung« beispielsweise ist nicht nur mit vier, sondern sogar mit acht Unterebenen ausgestattet.

Zum guten Schluß wollen wir Ihnen jedoch noch eine der vielen neuartigen Ideen der Calamus-Crew präsentieren: In der ersten Unterebene läßt sich ein integrierter Texteditor aufrufen, der je nach Wunsch des Benutzers die Textinhalte ganzer Spaltenpfade, einzelner Spalten oder markierter Textabschnitte in deutlich lesbarer Schrift anzeigt.

Textänderungen, die über eine Verbesserung von einzelnen Tippfehlern hinausgehen, oder gar größere Texteinfügungen lassen sich in diesem Editor viel komfortabler und schneller vornehmen als mit den ebenfalls integrierten Texteditor-Funktionen des vektoriell dargestellten Textes in den Textrahmen. Der Editor berücksichtigt den Spaltensatz des Textes. Einfügungen und Änderungen führen beim Zurücksenden in den Textrahmen natürlich zu einer Neuformatierung der nachfolgenden Textbereiche.

In diesem ersten Test konnte Calamus seinem ihm vorauseilenden Ruf der professionellen Qualität bereits alle Ehre machen. Eine Fülle neuartiger, ja geradezu genialer Ideen wird höhere Qualitätsmaßstäbe auch für DTP-Software auf anderen vermeintlich besseren Computern setzen. Wenn die endgültige Textformatierung die versprochenen Spezifikationen erfüllt, sollte einem überwältigenden Markterfolg eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Das Jahr 1988 könnte im Zeichen der Feder zum Geburtsjahr des professionellen Desktop Publishing auf dem Atari ST werden, (uh)

Steckbrief

Produkt: Calamus
Hersteller: DMC
Preis: 398 Mark

Stärken:
□ Vektorfonts für Drucker- und Bildschirmausgabe

Schwächen:
□ nur ß-Testversion


Wolfgang Fastenrath
Aus: ST-Magazin 07 / 1988, Seite 41

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