Das kommt dabei heraus, wenn Programmierern kein Name für ihr Programm einfällt: Atari Running on Any Machine.
Emulatoren, die den ST auf fremden Systemen nachbilden, gibt es mittlerweile eine ganze Menge. Aktiv weiterentwickelt werden davon STeem, STemulator, Nostalgia/PowerST, STonX und eben ARAnyM. Grundsätzlich ist es nicht verwunderlich, das immer wieder neue Emulatoren auftauchen - gilt es doch mittlerweile nach dem Bauen eines Baumes, dem Pflanzen eines Sohnes und dem Pflanzen eines Hauses als vierte Aufgabe, die ein Programmierer in seinem Leben erledigen sollte. Ob die ARAnyM-Programmierer die ersten drei Aufgaben erledigt haben, können wir leider nicht sagen, aber so viel sei schon verraten: ARAnyM ist mehr als nur ein weiterer ST-Emulator.
ARAnyM ist ein Open Source-Projekt und als solches auf leichte Portierbarkeit ausgerichtet worden. Der Name des Programms soll schon die Zielsetzung andeuten, das Programm überall zur Verfügung zu stellen. Wer ARAnyM selber kompilieren will, braucht wie üblich den GnuC und etwas Geduld. Während auf der ARAnyM-Seite hauptsächlich von der Unix-Version die Rede ist, gab es schon relativ schnell eine Windows-Version. Diese benutzt die Grafiklibrary SDL und Cygwin, die beide mitgeliefert werden. Die Windows-Version gilt als "inoffiziell" und dementsprechend kann es durchaus sein, das die Unix-Version leistungsmäßig vorne liegt.
Getestet wurde der Emulator in der Version 0.0.10 unter Windows98 auf einem 400 MHz K6-3.
Es empfiehlt sich von der ARAnyM-Seite ein HDD-Image herunterzuladen. Dieses enthält den Inhalt einer (kleinen) Festplatte, so das ARAnyM ohne große Einstellungen getestet werden kann. In aranymrc wird der Pfad zum TOS-Image (TOS=) und dem HDD-Image festgelegt. Die Installation ist zwar sehr einfach, aber die Herkunft von ARAnyM wird schon sehr deutlich. Sind die zwei Pfadangaben erledigt, kann ARAnyM gestartet werden.
Natürlich wird für den Emulator eine Kopie des TOS 4.04 benötigt.
Nach dem Start von ARAnyM.exe werden gleich zwei Fenster geöffnet: das Emulations- und ein Debug-Fenster.
Im Emulationsfenster wird nun die Emulation hochgefahren. In dem im Test verwendeten HDD-Image werden der Festplattentreiber Cécile, Winx und fVDI gestartet. Die GEM-Fenster sehen durch Winx etwas anders aus, aber ansonsten ist der Startdesktop der gleiche wie auf dem Falcon. Die Emulation arbeitet standardmäßig in einem Fenster, der Mauszeiger kann - wie beim STemulator - ohne Betätigung einer "Pause-Taste" aus dem Emulationsfenster herausbewegt werden. Das funktioniert soweit problemlos, aber wenn das ARAnyM-Fenster offen im Hintergrund liegt, nimmt ARAnyM noch an, ihm gehöre das oberste Fenster. Als Abhilfe sollte das Fenster vor dem Wechsel in eine andere Anwendung minimiert werden.
Die Laufwerkskonfiguration ist in der aktuellen Testversion etwas umständlich und es gelang nicht, ein Verzeichnis als Laufwerk anzusprechen. Die Ausnahme bildet das Laufwerk I, das auf das Startverzeichnis von ARAnyM zeigt. Um also Zugriff auf die ganze Partition zu bekommen, kann ARAnyM in das Hauptverzeichnis verschoben werden. Das HDD-Image beinhaltet die zwei Partitionen C und D. Die Ansteuerung des Disklaufwerks funktionierte im Test nicht, was aber auch keinen großen Verlust darstellt. Übrigens sollte sich niemand über die Größe des gepackten HDD-Images wundern - nach dem Entpacken wird aus der 1,1 MB kleinen Zip-Datei ein 58 MB großes HDD-Image.
Voreingestellt ist 640*480 bei 16 Farben. Zumindest im Test funktionierte die Auflösungsumschaltung über den Desktop nicht. Um höhere Auflösungen zu erreichen, muß die fvdi.sys geändert werden, die auf Laufwerk C liegt. Dort steht folgendes:
01r 16bit_pc.sys mode 640x480x16@70
Diese Zeile wird den eigenen Wünschen angepasst.
Bei der Erwähnung des TOS4.04 läuten schon die sprichwörtlichen Alarmglocken, denn das ist bekanntlich das Falcon-TOS. Was ARAnyM wohl genau emuliert, wissen die Programmierer vermutlich selber nicht, auf der Webseite umschreiben sie ARAnyM als virtuelle Maschine mit einer 68040 CPU. Nüchtern betrachtet ist ARAnyM ein emulierter Atari-Clone, der nicht den Anspruch erhebt, zu einer bestimmten Maschine kompatibel zu sein. Ein ähnliches Projekt gab es schon einmal: TOS2Win von aix-it. Das die 68040 CPU verwendet wird, macht durchaus Sinn, denn die Emulation dieser CPU steckt auch im Amiga-Emulator UAE. Emulationen für den 68020 bzw. 68030 sind hingegen - wenn überhaupt - nur schwer im Internet zu finden. Damit besteht für den Schreiber eines Atari-Emulators nur die Wahl zwischen 68000 und 68040. Neben der CPU werden auch ACIA, Blitter, VIDEL und IDE des Falcon emuliert.
Da ARAnyM keine Maschine emuliert, müßte das Programm auch zu nichts kompatibel sein. Inkompatibilitäten treten hauptsächlich mit Spielen und Demos auf, aber auch viele Anwendungen versagen unter ARAnyM ihren Dienst. Neben qed sollen aber auch einige andere Programme laufen, darunter MiNT, MagiC, Aniplayer, XaAES und sogar Neon.
Bei der Kritik an der Kompatibilität soll aber nicht unerwähnt bleiben, das die Windows-Version die inoffizielle Portierung eines Unix-Programms ist, das sich mit der niedrigen Versionsnummer bestenfalls im Alpha-Stadium befindet. Unter Unix, das von den meisten ARAnyM-Usern benutzt wird, sieht es mit der Kompatibilität wahrscheinlich besser aus, außerdem können stets aktuelle Testversionen heruntergeladen werden.
Die Geschwindigkeit reißt keine Bäume aus, ist aber auch nicht besonders langsam. Da es sich um eine schnelle Umsetzung handelt, wurde keine Optimierungen, z.B. die Benutzung von DirectX, vorgenommen.
Die Idee der Entwickler ist eigentlich nicht, einen Emulator im Fenster laufen zu lassen. Das Host-OS, also das Betriebssystem, unter dem ARAnyM läuft, wird zuerst installiert. Dieses Host-OS soll vom Benutzer versteckt bleiben, so dass er meint, einen Atari vor sich zu haben. ARAnyM profitiert dabei von den aktuellen Treibern, die Linux zur Verfügung stellt.
Natürlich ist das Konzept gerade im Atari-Markt bekannt, denn Milan Computer hat kurz nach dem Ende des Milan II angekündigt, ein TOS mit Linux-Kernel zu entwickeln. ARAnyM ist praktisch genau dieses Konzept in die Tat umgesetzt, obwohl zum Entwicklungsteam niemand von Milan Computer gehört.
ARAnyM soll Schritt für Schritt ausgebaut werden. Auf der "to-do-Liste" steht Sound, beschleunigte Grafikausgabe und I/O-Schnittstellen. Langfristig soll das System vom TOS befreit werden, so das es als lauffähiges Komplettpacket unter die GPL gestellt werden kann. Ein entsprechendes Projekt mit EmuTOS, dem Open-Source-GEMDOS, läuft bereits. Dies wird soweit entwickelt, um freeMiNT booten zu können. fVDI ersetzt das Atari-VDI und XaAES fungiert als AES-Ersatz.
Als interessante Randnotiz werfen die ARAnyM-Entwickler auf Anregung von Axel Scherer gerade ein Auge auf die PlayStation 2.
ARAnyM ist ein hochinteressantes Projekt, das sicherlich weiterverfolgt werden sollte. Es wird aber sicherlich einige Zeit dauern, bis das Projektziel erreicht ist, denn die geplanten Komponenten wie z.B. fVDI und XaAES sind auch noch im Beta-Stadium.
http://aranym.atari.org