GEMagnetic

Alle Besitzer eines modernen Atari-kompatiblen atmen auf: Mit GEMagnetic gibt es sechs ST-Klassiker für die "schnellen Kisten".

Die Zahl sechs ergibt sich nicht ohne Grund: GEMagnetic ermöglicht es, Adventures der Firma Magnetic Scrolls im GEM-Fenster und unter jeder Auflösung zu spielen. Das Programm ist eine Portierung von Magnetic, einem Open-Source-Programm, und lag laut dem Programmierer Dan Ackerman eine ganze Zeitlang auf Eis. Extra für die "Little Big Competition" hat der Programmierer das Programm in einen benutzungsfähigen Zustand gebracht.

Magnetic Scrolls

Magnetic Scrolls wurde 1984 von Anita Sinclair (weder verwandt noch verschwägert mit Sir Clive Sinclair) und Ken Gordon gegründet. Anita Sinclair war lange Zeit von den damals erfolgreichen Infocom-Adventures begeistert und beschloß mit drei Programmier-Kollegen auch Adventures zu programmieren. Das Projekt wurde von Anfang an professionell aufgezäumt: ein Netzwerk von vier Apple-Computern mit einer Festplatte diente zum Entwickeln von eigenen Compilern, Assemblern, Debuggern und dem Parser.

Ein guter bekannter von Anita Sinclair war der Computer-Pionier Sir Clive Sinclair, der gerade den Start des neuen Sinclair-Computers vorbereitete: dem QL (=Quantum Leap, Quantensprung). Das erste Adventure von Magnetic Scrolls sollte "The Pawn" werden, ein reines Textadventure. In dieser Form erschien es dann auch für den QL.

Die Atari ST-Version war ebenfalls ohne Grafiken geplant, doch der Vertrieb Rainbird kam auf die Idee, Grafiken einzufügen. Die Bilder des Grafikers Geoff Quilley überzeugten sogar Anita Sinclair, die Grafik-Adventures eher ablehnend gegenüber stand - kein Wunder, zeigten doch viele Grafik-Adventures nur schlichte Linien oder aus Ascii-Zeichen zusammengewürfelte Figuren an. Geoff Quileys Werke entstanden übrigens mit dem Atari-Malprogramm Neochrome.

"The Pawn" schlug ein wie die sprichwörtliche Bombe. Es galt als eines der ersten echten 16-Bit-Spiele und heimste etliche Preise ein. Eine der Folgen war auch, das Anita Sinclair ständig die Frage beantworten musste, wie denn eine Frau zum Programmieren käme.

The Pawn

Als Abenteurer sitzt man in Kerovnia fest und hat eigentlich nur ein Ziel: entkommen. Natürlich ergeben sich auf dem Weg zu diesem Ziel zusätzliche Aufgaben, die man bewältigen muss. Kerovnia ist bevölkert von Menschen und Fantasy-Kreaturen. Der Spieler kann mit der Bevölkerung sprechen, der Parser versteht dabei auch komplexe englische Sätze. Dies bedeutet natürlich auch, das gute Englisch-Kenntnisse Voraussetzung sind, denn ansonsten entgehen einem viele Feinheiten in den Texten. "The Pawn" zeigt ab und zu eine beeindruckende Grafik an, die die Umgebung zusätzlich beschreibt. Diese Grafiken sind aber keine exakte Umsetzung des Textes, sondern nur ein zusätzlicher Anreiz für das Auge. Das Adventure ist sehr gut zum Einstieg in die Magnetic Scrolls-Adventures geeignet und durchschnittlich schwer.

"The Pawn" wurde auf viele Systeme umgesetzt, neben dem ST u.a. auch für die Atari 8-Bit-Rechner und den C64. Letzte Version mühte sich sichtlich ab, um Spiel und Grafiken auf den Bildschirm zu bringen - selbst der Floppy-Prozessor wurde als Co-Prozessor zur Unterstützung herangeholt.

Die Original-Ausgabe enthielt zwei Goodies: die Novelle "A Tale of Kerovnia" und ein Poster.

The Guild of Thieves

Der Nachfolger von "The Pawn" spielt ebenfalls in Kerovnia, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Die Welt ist inzwischen verkommen und Arbeit ist rar. Äußerst förderlich wäre da die Aufnahme in eine Gilde, aber die Regeln sind streng und der Gildenmeister mißtrauisch. Speziell "die Gilde der Diebe" ist wählerisch, denn es gilt den edlen Ruf zu wahren, besonders unauffällig und effektiv zu sein. Um Mitglied der Gilde zu werden, muss der Spieler die Aufnahmeprüfungen bestehen, darunter das Ausrauben eines Schloßes oder einer Grabstätte. Dabei hat der Abenteurer eigentlich nur Feinde: die Besitzer des Diebsguts, unfreundliche Kreaturen und Personen und den Gildenmeister, dem nicht nur der Sinn für Humor fällt, sondern die Leistungen auch kritisch beobachtet. Wer hat behauptet, ein Profi-Dieb zu werden, sei einfach?

Auch "Guild of Thieves" ist durchaus anspruchsvoll und enthält einige knackige Rätsel. Das Programm enthält über 30 Bilder, bei der Originalversion sind das Magazin "What Burglar", die Kontokarte der "Bank of Kerovnia" und der Vertragsentwurf mit der Diebesgilde beigelegt.

Jinxter

In Jinxter verdingt sich der Spieler als Helfer der Guardians. Diese sind sehr besorgt um das Glück in Aquitania. Sollte der Talisman von Turani nicht mit dem Armband von Turani vereint werden, versiegt die Quelle des Glücks ganz und Glücksspiele werden ein sehr einseitiges Vergnügen. Böse Mächte werden die Herrschaft übernehmen und Plagen werden das Land heimsuchen. Da die Guardians schon genug mit Frau, Kind und einem Käsebrötchen ohne Käse zu tun. Kurz nachdem der Spieler mehr oder weniger unsanft einen Bus verlassen hat, erhält er daher vom Guardian diese Aufgabe. Hier beginnt ein ziemlich absurdes Adventure, das stark an Douglas Adams erinnert. Im Adventure trifft man u.a. den Drachen in der Badewanne oder ein Fliegenbad. Wer an einem Problem verzweifelt, kann einen Guardian rufen, der dieses dann prompt löst. Das ist zwar praktisch, hat aber einen kleinen Nachteil: es taucht dafür an anderer Stelle ein neues Problem auf.

Die Story stammt von Michael Bywater, der auch schon an diversen Infocom-Adventures mitgeschrieben hatte (u.a. "Hitchhiker's Guide"). Dementsprechend ist auch der Erzählstil sehr witzig bis absurd. Die Welt von Jinxter entspricht in etwa der heutigen ... mit ein paar bedeutenden Ausnahmen.

Das Adventure ist durch die Hilfestellung der Guardians auch für Einsteiger geeignet. Zwar kann man dadurch nicht das ganze Spiel lösen, aber man bekommt sehr viel zu sehen.

Corruption

In der Geschäftswelt von London geht es hart zur Sache. Auf der Jagd nach Erfolg ist der Spieler auf der Spieler auf der Überholspur und wird Partner in einer Makler-Firma. Der neue, schicke BMW steht blitzblank poliert vor der Tür, das neue Büro ist edel ausgestattet und die neue Sekretärin ist auch da. Hinter der Fassade spielen jedoch mehrere Leute ein falsches Spiel und wer in diesem Geflecht aus Korruption nicht aufpasst, ist schon bald ein toter Mann. Schon bald gerät man in das Visier von jemandem, der vor nichts zurückschreckt - die Autobombe im BMW war nur ein Vorgeschmack. Plötzlich sieht es gar nicht mehr so rosig aus: die Ehefrau will sich scheiden lassen, ein Unbekannter plant weitere Anschläge und jede Person in der Nähe hat die Finger in illegalen Geschäften.

"Corruption" ist ein erheblich härteres Kaliber als die ersten drei Adventures und auch ziemlich schwierig. Durch die Thematik bedingt sind viele Bilder dunkel gehalten. Das Ziel des Spiels ist es, den zu finden, der ihnen ans Leder will. Die Thematik erinnert etwas an Grishams "Die Firma" oder an "Wall Street". Das Adventure ist sprachlich anspruchsvoll und schwierig. Unüblich für ein Adventure ist die Story, die ganz von dem üblichen Sci-Fi/Fantasy-Genre abweicht.

Fish!

Panik in Fishworld: Die sieben tödlichen Flossen - eine multi-dimensionale Gruppe von Anarchisten - sind ausgebrochen. Der Chef des Geheimdienst zögert keine Sekunde und lässt sie auf die bösen Flossen los. Unser Spion trägt aber keinen Smoking, sondern Schuppen: der Spieler ist ein Goldfisch. Am Anfang entscheidet man sich zwischen drei Startszenarien, in denen die Anarchisten gesichtet wurden. Wurmlöcher spielen eine entscheidende Rolle und als multi-dimensionaler Agent erscheint unser Fisch natürlich nicht als einfacher kleiner Goldfisch. Sind die drei Startaufgaben durchgespielt, geht es an den Hauptteil in Hydropolis.

Fish! erinnert mehr an Jinxter als an Corruption. Das Spiel ist voller kleiner Witze und die ganze Geschichte mit Wurmlöchern macht das Spiel sehr abwechslungsreich. Die Grafiken sind hauptsächlich in Pastelltönen gehalten und von gewohnt hoher Qualität.

Myth

Wer sich mit einem Dasein als Makler, Fisch oder Dieb nicht abgibt, der wird in Myth zur ultimativen Spielfigur befördert: einem Gott. Im Olymp geben sich die Götter vor dem aufkommendem Christentum dem Wein und Gesang hin. Poseidon, der Gott der See, macht sich auf die Suche nach dem Helm des Hades.

Myth ist das kürzeste aller Magnetic Scrolls-Adventures und war nie im freien Verkauf. Statt dessen gab es das Spiel als Willkommensgeschenk vom englischen Adventure-Club "Official Secrets". Für ein guterhaltenes Exemplar werden deshalb Höchstpreise bezahlt - bei einer Auktion erzielte das Adventure einen Preis von 175 Pfund.

Parser

Die Magnetic Scrolls-Spiele verfügen über einen sehr leistungsfähigen Parser. Die Spiele selber basieren alle auf einem speziellen 68000er-Code, der einfach auf dem Amiga, Macintosh, QL und ST ausgeführt werden konnte. Auf 8-Bit-Rechnern wurde dieser emuliert. Die Spiele selber wissen gar nicht, auf welcher Hardware sie laufen und sind somit Hardwareunabhängig. Dies wurde in ähnlicher Form auch von Infocom und Level 9 praktiziert und erklärt auch, warum bei diesen Firmen nicht selten Umsetzungen für ein dutzend Computersysteme angekündigt wurden, obwohl nur die Hälfte am Markt erfolgreich war.

GEMagnetic

Alle diese Spiele lassen sich mit GEMagnetic auf jedem Atari und auch den Clones spielen. Magnetic Scrolls-Adventures waren zwar sehr kompatibel - z.B. unterstützten sie die monochrome Auflösung und liefen auf dem Falcon/TT - aber sie können nicht in den höheren Auflösungen laufen.
Zum Spielen braucht man neben GEMagnetic auch pro Spiel zwei Dateien, die man im Internet finden kann.

Nach dem Start präsentiert sich das Programm mit einer schlichten Oberfläche, die einen etwas unfertigen Eindruck macht. Schriftart und Farbe des Spiele lassen sich einstellen und wem die Grafiken zu klein sind, der kann sie in der Größe verdoppeln lassen. Die Optionen sollte man nicht während des Spiels verändert, da das Programm sonst durcheinander kommt und z.B. das Grafikfenster nicht mehr richtig darstellt.

Mit "New Game" lässt sich eine .MAG-Datei auswählen, die das Spiel enthält. Das Spielen selbst hat sich nicht verändert, nur das Abspeichern eines Spielstands ist nicht möglich. Wer die Spiele durchprobiert, wird auch feststellen, das manche Grafiken nicht richtig angezeigt werden. Dies ist zwar schade, aber noch akzeptabel.
Schwerwiegender ist sicherlich die Instabilität des Programms. Abstürze kamen während des Tests häufiger vor, auch der Programmautor verschweigt nicht, das an dem Programm noch einiges zu machen wäre. Letztlich hängt es auch vom Feedback der LBC ab, ob er die Arbeit an GEMagnetic fortsetzen kann.

Wer übrigens in der Aufzählung das letzte Magnetic Scrolls-Adventure "Wonderland" vermißt hat: dies benutzt einen neu programmierten, leistungsfähigeren Interpreter, der nicht von Magnetic unterstützt wird.
Magnetic Scrolls selber existiert nicht mehr, obwohl sich Ken Gordon die Internet-Adresse gesichert hat. Ein Comeback ist deshalb nie ausgeschlossen - immerhin sind auch schon Cinemaware und System 3 wieder aufgetaucht.

Links:
[1] http://www.magneticscrolls.com/
[2] http://www.lysator.liu.se/adventure/Magnetic_Scrolls.html
[3] http://www.if-legends.org/~msmemorial/memorial.htm

GEMagnetic:
[1] http://www.magical-sides.de

Quellen:
obg. Webseiten, Happy Computer 1/87


Mia Jaap
Aus: ST-Computer 06 / 2001, Seite 36

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