MIDI von Anfang an: Ein Semester Atari

Professor Dr. Herbert Walz berichtet im ersten Teil seines MIDI-Tutorials von der Anwendung von Atari-Software an der Fachhochschule München.

Atari und MIDI. Eine der erfolgreichsten Ehen der Computergeschichte. Und es sind auch die Musiker, die dem Atari die Treue halten. Und genau deshalb wollen wir dem Thema Atari & Musik auch in der st-computer in Zukunft wieder mehr Raum geben. Den Anfang macht geballte und im Lehramt erprobte Fachkompetenz.

Es war 1985, als ich meinen ersten Atari kaufte. Der Hauptgrund war die eingebaute MIDI-Schnittstelle, der zweite die auf ihm verfügbare Programmiersprache C und schließlich auch die Übersichtlichkeit des gesamten Systems. Damals hatte ich schon etwas C auf einer UNIX-Maschine gelernt. Bei Besuchen von Praktikanten in der Industrie hatte man mir gesagt, dass diese Programmiersprache ideal wäre für ein Musikprogramm. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und schrieb mein erstes Musikprogramm MUSICI. Damit errang ich sogar einen Preis bei einem Atari-Programmierwettbewerb. Dieser wurde mir auf einer Atari-Messe in Düsseldorf überreicht. Das war damals noch auf dem Messegelände beim Düsseldorfer Flughafen. Danach schrieb ich mein zweites Musikprogramm ORCHEST, das schon richtig Noten beherrschte. Mit diesem schaffte ich eine Anwenderzahl, die wohl schwer zu übertreffen sein wird. Dennoch schrieb ich mein aktuelles Musikprogramm MusicEdit, das in jeder Hinsicht besser ist.

MIDI an der FH-München

Seit einigen Semestern gibt es das „Multimedia-Zertifikat“ an der FH-München. Mit ihm soll der zunehmenden Bedeutung der Medien für alle Berufe Rechnung getragen werden, ohne gleich eine neue Studienrichtung einzurichten, mit der damit zwangsläufig verbundenen Spezialisierung. Es soll vielmehr das Ausbildungsangebot und damit die spätere berufliche Qualifikation durch Hinzunahme multimedialer Fähigkeiten erweitert werden.

So wurde fachbereichübergreifend ein Pool von geeigneten Lehrveranstaltungen durch Nutzung bereits in den Fachbereichen vorhandener Resourcen zusammengestellt. Ganz bewusst wird dem Studenten ermöglicht, die Teilnahme an diesen Lehrveranstaltungen frei auf das gesamte Studium zu verteilen. Meine Lehrveranstaltung für das Multimedia-Zertifikat heißt „Musik für Multimedia und Gestaltung von MIDI-Projekten". Ab einer gewissen Mindestzahl von Prüfungen aus diesem Pool erhält der Studierende mit der Diplomprüfung sein „Multimedia-Zertifikat" ausgehändigt. Näheres zum Multimedia-Zertifikat ist über meine Homepage an der FH-München zu erfahren, die Sie unter der URL fh-muenchen.de/home/fb/fb06/professoren/walz_h.home/d_walz_h. html erreichen. Von dort gibt es auch Links zu meiner privaten Homepage von MusicEdit. Wer allerdings direkt dorthin gelangen möchte, kann dies folgendermaßen erreichen: profwalz.atari-computer.de.

Durch das InterNet hat der MIDI-Standard wieder an Bedeutung gewonnen. Als man nämlich nach Komprimierungsverfahren für Musik suchte - MP3 war noch nicht erfunden - kam man darauf, dass Standard-MIDI-Files so kompakt sind, als wären sie komprimiert. MIDI ist bekanntlich von Anfang an eine Domäne der Atari-Computer. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass in meinem Labor an der FH-München ein Milan neben PCs steht und mit meinem Musikprogramm MusicEdit wohlwollendes Erstaunen bei meinen Studenten hervorruft. Folgende Ausstattung steht zur Verfügung:

Computer:

• Milan 040
• AMD K6-2/450 MHz

Software:

• Finale Allegro PC
• Cubasis VST PC
• Micrologic AV PC
• Score Perfect Professional (PC- und Atari-Version)
• MusicEdit für Atari-Kompatible

Sound:

• MIDI-Sampler Yamaha A3000 • MIDI-Soundmodul Korg N1R • SoundBlaster PCI-Soundkarte

Wiedergabe:

• Stereo HiFi-Verstärker • JBL Studio-Nahfeld-Monitore mit magnetischer Abschirmung • Genelec Studio-Aktivboxen mit magnetischer Abschirmung

Eine Lehrveranstaltung an der FH-München muss heute mit Spitzensoftware auf PCs stattfinden. Etwas aus dem Atari-Bereich kann daneben nur bestehen, wenn es vergleichbare Leistung und Qualität bietet. Hier ist als Hardware ein Milan unabdingbar. Die Software muss unbedingt in Farbe und Multitasking laufen. Diese Anforderungen erfüllt meines Wissens nur noch mein MusicEdit. Es bietet sogar mit feinstufig einstellbarer Notengröße und Umblättern ganzer Partiturseiten ohne Temposchwankungen Fähigkeiten, bei denen manches PC-Programm nicht mithalten kann. So kommt es, dass ich in meiner Lehrveranstaltung aus dem Atari-Bereich nur den Milan und mein MusicEdit verwenden kann. Dafür bitte ich bei allen Atarianern um Verständnis. Privat versuche ich jedoch alles, um mein MusicEdit so weiter zu entwickeln, dass es auch auf leistungsschwächeren „Classic" Ataris verwendet werden kann. Dabei stellt sich dann allerdings heraus, dass die altbewährten Musikprogramme in ihrer originalen Laufumgebung kaum zu schlagen sind.

Obige Softwareliste enthält mehrere Programme, die vom Atari kommen. Dies trifft auf Cubasis zu, der kleinen Version von Cubase. Dies gilt ebenso für Micrologic, der kleinen Version von Logic, dem Nachfolger des legendären Notators. Auch Score Perfect Professional gehört dazu. Davon habe ich einen Screenshot der Atari-Version angefertigt (Abbildung 1). Dafür muss der Milan allerdings von Farbe auf Schwarzweiß und ggf. von Pull-Down-Menus auf die üblichen Drop-Down-Menus umgeschaltet werden.

Dass ich mit einer Musik-Lehrveranstaltung betraut wurde, hat den Hintergrund eines Zweitstudiums als Konzertsänger (Bariton) am damaligen Konservatorium in München und mehreren Meisterkursen in Luzern sowie bei führenden Professoren der Musikhochschule Berlin. Dazu kam eine umfangreiche Nebentätigkeit als Konzertsolist. So entstand aus der Musikpraxis heraus der Wunsch nach einer Übungsmöglichkeit mit Computer.

Übungs-Playbacks

Wenn man im Münchner-Raum gegen Honorar auftritt, wird man als Profi behandelt. Da sagt dann der Dirigent etwa «Bitte ab Takt ...» - mitten im Stück versteht sich - und wo der Sänger seinen Ton herbekommt, bleibt ihm überlassen - er bekommt ja schließlich ein Honorar. Da hilft nur gute Vorbereitung. Die lässt sich mit heutigen Musikprogrammen ganz vorzüglich gestalten, indem man sich - wenigstens die kritischen Stellen - als Übungs-Playback anfertigt. Insbesondere bei der MIDI-Wiedergabe kann man erst einmal ein Übungstempo wählen. Wenn man das Stück allmählich beherrscht, kann zum endgültigen Vorführtempo übergegangen werden.

Große Noten für Lehrveranstaltungen

Eine Fähigkeit, die nur bei wenigen, wesentlich teuereren und meist auf Ataris nicht verfügbaren Notationsprogrammen vorkommt, ist die feinstufig einstellbare Notengröße. Für Atari-Anwender stellt diese Fähigkeit mein MusicEdit zur Verfügung - und zwar sowohl auf dem Bildschirm als auch beim Druck. Auf dem Bildschirm ermöglichen große Noten komfortables Editieren oder gute Sichtbarkeit aus größerer Entfernung. Dies lässt sich vorteilhaft für Unterrichtszwecke einsetzen. In meiner MIDI-Lehrveranstaltung mache ich ausgiebig von dieser Möglichkeit Gebrauch. Das Bild Hörbeispiel „Rhythmische Begleitung" (Abbildung 2) zeigt dies sehr anschaulich.

Die einzelnen Stimmen können in verschiedenen Farben dargestellt werden, wie dies heute bei führenden Notationsprogrammen üblich ist. Die Noten können selbstverständlich auch in Farbe ausgedruckt werden, wenn dies der Drucker erlaubt. Die Notengröße kann unabhängig von der Bildschirmdarstellung beim Drucken ebenfalls in engen Stufen eingestellt werden. Dies erfordert kein langwieriges Umformatieren wie bei manchem Mitbewerber, sondern ist nach Wahl der Druckgröße sofort verfügbar.

Musikstücke wie gespielt

Üblicherweise verwendet man zur Realisierung von Musikstücken Sequenzerprogramme. Bei diesen wird Musik über Musikinstrumente eingegeben und ist dann natürlich „wie gespielt". Als Zweck von Notationsprogrammen wird gemeinhin das Eingeben von Noten und deren Ausdruck auf Papier angesehen. Dass die eingegebenen Noten auch über MIDI-Klangerzeuger hörbar gemacht werden können, ist eine übliche Zugabe. Meist erfolgt dabei die Wiedergabe genauso, wie die Noten dastehen. Mehr und mehr gehen aktuelle Notationsprogramme aber dazu über, dem Anwender nicht nur optische, sondern auch akustische Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand zu geben. Diese Art von Software sollte man meines Erachtens Musikprogramme nennen. Ein Vertreter dieser Art von Musiksoftware ist mein MusicEdit. Nicht nur alle Tempo-, Dynamik-, Wiederholungs- und Sprungsymbole sind spielbar, sondern es gibt eine Vielzahl von akustischen Gestaltungsmöglichkeiten ohne die Notengrafik zu verändern.

So lässt sich etwa bei jedem Notensystem - ja sogar bei jeder Note - die Dynamik ändern. Die Dynamikänderungen erfolgen prozentual zur im ersten Notensystem eingestellten Startdynamik. Auf diese Weise kann man wie bei einem Mischpult Instrumente lauter oder leiser stellen, wobei die Dynamikrelationen beim Ablauf des Musikstückes erhalten bleiben. Über Controller kann man dann noch zusätzliche Effekte wie etwa Vibrato und insbesondere das Stereopanorama einstellen. Damit lassen sich die Instrumente so zwischen links und rechts verteilen, dass eine Wirkung ähnlich einer Stereoaufnahme entsteht. Dies stellt die Funktion eines Mischpultes dar, wobei diese exakt bei bei bestimmten Noten einsetzt. Bei vielen Programmen gibt es Mischpulte, die auf dem Bildschirm sichtbar werden und sich in Echtzeit bedienen lassen. Dies erfordert aber deren Bedienung exakt an den richtigen Stellen bei der Wiedergabe - und dementsprechend viele Versuche. Es ist Ansichtsache, womit man lieber arbeiten möchte. Mir persönlich ist die exakte Zuordnung der Mischerwirkung zu den Noten lieber.

Abbildung 2: Hörbeispiel Rhythmische Begleitung
Abbildung 3: Hörbeispiel Obertonreihe
Abbildung 4: Hörbeispiel Intervalle
Abbildung 1: Screenshot von Score Perfect Professional

Auch das Wiedergabetempo lässt sich an Stellen ändern, die nicht aus den Noten ersichtlich sind. So kann das Tempo bei jedem Notensystem und jedem Taktstrich geändert werden. Auch diese Änderungen erfolgen prozentual im Verhältnis zum Starttempo, das im ersten Notensystem als Metronomzahl oder in BPM angegeben werden kann.

Auch Verläufe - sowohl für Dynamik als für Tempo - lassen sich unabhängig von der Notengrafik gestalten, indem Anzahl und Wert der Änderungen angegeben werden können. Bei jeder nachfolgenden Notenspalte oder nachfolgendem Akkord wird dann eine derartige Änderung umgesetzt. Mit all diesen - auf den ersten Blick gar nicht sichtbaren - Fähigkeiten wird es möglich, Musikstücke bei der Wiedergabe „wie live" erklingen zu lassen. MusicEdit ist eines jener Notationsprogramme, die derart weitreichende, akustischen Gestaltungsmöglichkeiten besitzen.

Das Kennenlernen der verschiedenen Eingabemethoden ist eine wesentliche Aufgabe meiner MIDI-Lehrveranstaltung an der FH-München. Selten hat man die Möglichkeit, die verschiedenen Eingabemethoden mit eingehender Erläuterung auch gleich ausprobieren zu können. Dies kann auch so geschehen, indem einer der Kursteilnehmer mit einem der vorhandenen Programme bereits arbeitet und bereit ist, seine Fähigkeiten den übrigen Kursteilnehmern zu zeigen. Dies belebt den Kurs ungemein und ist bei Teilnehmern sehr beliebt. Je nach Zusammensetzung der Teilnehmer werden in Form von MIDI-Projekten auch Musikstücke eingegeben. Dabei ist als Nebeneffekt immer wieder zu beobachten, wie Studentinnen oder Studenten, die bislang nur mit dem PC gearbeitet haben, auf Anhieb mit MusicEdit auf dem Milan zurechtkommen.

Gute Noten

Notenkenntnisse sind zwar keine Voraussetzung für die Kursteilnahme, es erweist es sich aber dennoch als sinnvoll, grundlegende Begriffe wie Ton, Klang, Hüllkurve und das Nötigste an Notenkenntnissen zu vermitteln - wer hat denn schon jemals die Obertonreihe gehört? Mit dem Hörbeispiel „Obertonreihe“ (Abbildung 3) kann man die Obertonreihe nicht nur zeigen, sondern auch hörbar machen.

Dabei sei darauf hingewiesen, dass Tonbezeichnungen, Nummern der Teiltöne und auch die Tilde wie Liedtext eingegeben wurden. Damit ist die Kapazität von MusicEdit jedoch noch nicht ausgeschöpft, denn es sind vier Liedtextzeilen bzw. Notenzeile möglich. Bei einem vierstimmigen Chorsatz könnte man also bis zu 16 Liedtextzeilen anordnen. Das Hörbeispiel „Intervalle“ (Abbildung 4) veranschaulicht optisch und akustisch die wichtigsten Intervalle.

Es ist schon beeindruckend, wenn man hört, wie die Sekund cl-dl vor der Terz cl-el weit weniger dissonant klingt als gewohnt, weil sie sich in die nachfolgende Terz auflöst. Das Hörbeispiel „Tonumfang" (Abbildung 5) soll den benötigten Tonumfang von Keyboards verdeutlichen.

C…h2
entspricht 4 Oktaven, also 4*12 = 48 Tasten (Mindest-Tonumfang)

C…c3
entspricht 4 Oktaven + 1 Ton, also 4*12 + 1 =49 Tasten (Mindest-Tonumfang symmetrisch)

C…c4
entspricht 5 Oktaven + 1 Ton, also 5 * 12 + 1 = 61 Tasten (Tonumfang professionell)

Das Kapitel „Grundlagen von Musikanwendungen“, aus dem die obigen Beispiele entnommen sind, soll auch zum Nachschlagen dienen. Von dieser allgemein als trocken empfundenen Materie darf jedoch nicht zu viel gebracht werden. Deshalb wird auch versucht, stets neue, interessante Hörbeispiele zu finden. Trotzdem sollten gewisse Kenntnisse der physikalischen Grundlagen, von Noten und damit auch der Anforderungen an die Computer-Hardware vorhanden sein. Einerseits kann man diese Grundlagen durchaus auf das Wesentliche reduzieren, denn ein gutes Notationsprogramm nimmt dem Anwender ja auch viele Details ab. Andererseits muss jeder wissen, der z. B. ein Musikstück bei der GEMA schützen lassen möchte, dass er es in Notenform einreichen muss -auch wenn er mit seinem Sequenzerprogramm lieber ohne Noten arbeitet.

Ausblick

Soviel vorerst zu meiner Lehrveranstaltung „Musik für Multimedia und Gestaltung von MIDI-Projekten" an der FH-München. Es ist noch genügend Stoff vorhanden für weitere Folgen des hiermit begonnenen MIDI-Tutorials. Sollten Sie Wünsche und Anregungen haben, teilen Sie diese entweder per Post oder eMail mit.

Abbildung 5: Hörbeispiel Tonumfang

Prof. Herbert Walz, Anton-Köck-Str. 8a, D-82049 Pullach b. München walz@fb06.fh-muenchen.de
profwalz.atari-computer.de


Herbert Walz
Aus: ST-Computer 12 / 2000, Seite 32

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