Die Geschichte ATARIs (2)

Es gab eine Zeit, zu der erfolgreiche und beeindruckende Messeauftritte eine Spezialität von Atari waren. Wer hätte das gedacht?

Atari einstmals einer der glühendsten Sterne am Spielkonsole- und Computerhimmel, ging die Luft aus: Das einstige Zugpfefd, die VCS-Videospielkonsole, fuhr keine Gewinne mehr ein, da der Heimcomputer mehr und mehr den Konsolenmarkt ablöste. Zwar waren die Computermodelle 600XL und 800XL, der direkten Konkurrenz des Marktführers Commodore technisch in vielen Punkten überlegen, trotzdem hielt Atari dem Preiskrieg mit Commodore nicht, lange stand. Im Jahre 1983 betrug der Verlust des Unternehmens bis zu 2 Millionen Dollar täglich, die Jahresbilanz sah entsprechend ernüchternd aus: Die nicht unerhebliche Summe von 536 Millionen US $ fehlten in der Kasse: Angesichts dieser Stimme mussten schnellstens Einsparungen beschlossen werden: Atari verlegte einen Großteil seiner Produktionsstätten nach Taiwan und Hongkong und baute innerhalb der folgenden 2 Jahre fast 3000 Mitarbeiter ab. Trotzdem konnte der freie Fall nicht mehr gestoppt werden, Atari stand kurz vor dem totalen Kollaps.

Auch Wamer Communications wollten das ehemals florierende Unternehmen weiter unterstützen: über eine Bank stellten sie den Kontakt zu Jack Tramiel her, der Teile (Consumer Flectronics und Homecomputer) der Firma Atari kaufte. Dieser Jack Tramiel war bei weitem kein Unbekannter im Computermarkt: Angefangen als kleiner Taxifahrer, gründete er in den.60er Jahren eine Firma zur Reparatur von Schreibmaschinen, die er Commodore nannte. Dieses Unternehmen entwickelte sich kontinuierlich weiter, bis es in den 70er Jahren mit dem PET den ersten Heimcomputer überhaupt vorstellen konnte. Spätestens der legendäre C-64 machte Commodore dann in den frühen 80er Jahren zur Weltfirma, 1984 verließ Tramiel jedoch Commodore nach Meinungsverschiedenheiten: mit dem mitinhaber Irving Gould.

Sturmtruppen in Sunnyvale

Jack Tramiel übernahm Atari gegen eine Schuldverschreibung. Viele seiner ehemaligen Mitarbeiter bei Commodore folgten ihm zu Atari, einen Großteil der vorhandenen Atari--Crew entließ er kurzerhand, Führungspositionen besetzte er mit seinen Söhnen Sam, Leonard und Gary.

„Atari war in einem schauderhaften Zustand“, erzählte Jack Tramiel damals: „In den Entwicklungslabors standen nur ein paar Rechner herum, einige 800er, einige neue Projekte, alles nichts, womit man etwas anfangen konnte.“ Tramiel war nicht gerade für seine Zimperlichkeit bekannt und räumte erst einmal gründlich bei Atari auf, um das Unternehmen in kürzester Zeit wieder profitabel zu machen. Seine Söhne schickte er quer über die ganze Welt, um Filialen zu besuchen - meist mit dem vorrangigen Ziel, den Großteil der Belegschaft zu feuern und die Niederlassung kurzerhand dicht zu machen. Als Tramiel und seine Söhne zum ersten Mal nach dem Kauf in der Hauptzentrale in Sunnyvale aufkreuzten, machte ein Slogan unter den Mitarbeitern die Runde: „The Stormtroups arrived - die Sturmtruppen-sind gelandet.“

Tramiel wußte, daß mit Spielkonsolen und -automaten nicht mehr viel Geld zu machen war, weshalb er diesen Geschäftszweig unter dem Namen Atari Games ausgliederte und sich voll auf die Computerlinie konzentrierte. Die 8-Bit-Rechner der XL-Seile wurden aus dem Programm genommen und ersetzt durch die XE-Serie, die zwar fast identische Features bot, allerdings erheblich günstiger zu produzieren war. Das Hauptaugenmerk Tramiels lag allerdings auf der Entwicklung einer komplett neuen Computerserie, die besser als alles zuvor dagewesene sein wollte. Aus diesem Grunde beauftragte er einen weiteren Mitstreiter seiner Ex-Firma Commodore mit der Entwicklung eines 16-Bit-Rechners: Shiraz Shivji, der zuvor schon den C-64 entwickelt hatte, sollte in nicht mehr als 6 Monaten einen Rechner entwickeln, der ähnlich wie der 64er einen neuen Standard setzen sollte. Das Ergebnis sollte jedem Atari-Besitzer bekannt sein: In der Rekordzeit entstand der Atari 520ST, der Vater alter 16-/32-Bit-Rechner von Atari.

Der 520ST (und auch der nie in Produktion gegangene 130ST) wurden auf der Winter CES in Las Vegas einer staunenden Öffentlichkeit vorgestellt: Er konnte als einer der ersten Rechner überhaupt mit dem damals sagenumwobenen Hauptprozessor MC 68000 (geplant war übrigens erst ein National 32032) von Motorola glänzen und verfügte ebenso wie der direkte Konkurrent Apple Macintosh über eine komfortable grafische Benutzeroberfläche. Noch unglaublicher war der Preis: Nur 599 $ sollte der ST mit 512 KB RAM kosten, ein Drittel des Preises also, den man für den Mac hinlegen musste. Im Gegensatz zum Mac war der Atari ST außerdem in der Lage, Farbauflösungen darzustellen, verfügte über hochmoderne Schnittstellen und einen gestochen scharfen Schwarz-/Weiß-Monitor - alle diese Merkmale brachten dem ST schnell die Spitznamen „Jackintosh“ oder „Mac-Killer“ ein.

Der Coup war also gelungen: Atari hatte die Computerwelt praktisch über Nacht auf den Kopf gestellt, das (kränkelnde) Vorbild Apple gehörig das Fürchten gelehrt und war zudem noch Tramiels ehemaliger Firma und neuem Interimsfeind Commodore zuvorgekommen, da diese ihren neuen Wundercomputer Amiga erst einige Monate später vorstellen konnte. Trotzdem blieben einige Fachleute skeptisch: Konnte Atari rechtzeitig liefern? War ein solch sensationeller Preis wirklich machbar, oder handelte es sich nur um einen Marketing-Schachzug, um dem Mac und dem Amiga den Wind aus den Segeln zu nehmen? Allen Gerüchten zum Trotz stand der 520ST nur ein halbes Jahr später weltweit bei den neuen Atari-Fachhändlern verkaufsfertig im Laden. Atari hatte sich einen entscheidenden Vorsprung heraus gearbeitet und gewann an Image als innovatives Unternehmen. Wie bereits erwähnt, lebte auch die 8-Bit-Reihe noch einige Zeit weiter und wurde von Atari nun als günstige Einsteiger-Klasse verkauft, die weiter in Konkurrenz mit den Produkten von Commodore stand. Die neuen XEs wurden optisch an die ST-Reihe angepaßt, herausragendes Merkmal des 130XE war dessen damals riesiger Speicher von 128 KB.

Dieses Modell stellte damals eine Antwort auf den Commodore 128 dar, der ungefähr zum selben Zeitpunkt wie der ungleich stärkere Atari ST vorgestellt wurde und gegen diesen etwas verblaßte. Zwar konnten die XE-Modelle nie die Stückzahlen erreichen wie der 800XL, trotzdem verkauften sich die Modelle noch über eine lange Zeit besonders in den neu zu erschließenden Ostblockländern recht gut und haben noch eine große Anhängerschaft.

Weiter in Richtung Zukunft

Atari bastelte weiter an seinem Image, Spitzentechnologie unschlagbar günstig anzubieten: Bereits kurze Zeit nach der Präsentation des ersten STs wurde der 520ST+ vorgestellt, ein ST mit einem Hauptspeicher vom 1 MB, was damals nahezu unglaublich groß erschien. Bald darauf ergänzte Atari seine Palette um eine passende Festplatte, die ähnlich wie heutige SCSI-Geräte mit direktem Speicherzugriff arbeitete und ein professionelles Speichermedium für die entstehenden Datenmengen bereitstellte. Ungewollt stellte Tramiel zu dieser Zeit aber die Weichen für die weitere Ausrichtung seines Unternehmens: Der ST stellte mit seinem riesigen RAM bzw. Festplattenspeicher und dem qualitativ hochwertigen Monitor keinen Heimcomputer im eigentlichen Sinne mehr dar, sondern sprach besonders in Deutschland in erster Linie professionelle Anwender an - ein Gebiet, das bis dahin eher vom IBM PC und dem Apple Macintosh bedient wurde.

Der 520er bekam mit dem 1040ST(F) einen großen Bruder, der ebenfalls über 1 MB RAM verfügte und das 3.5" Laufwerk seitlich eingebaut hatte, was den Rechner handlicher werden ließ und den Schreibtisch etwas aufräumte. Das Betriebssystem TOS (steht übrigens für „The Operating System“ und nicht für „Tramiel Operating System“) wurde mittlerweile fest in den Rechner eingebaut und musste nicht von Diskette oder Festplatte nachgeladen werden, wie es noch beim 520ST der Fall war. Der 1040er verhalf Atari im privaten und semiprofessionellen Markt endgültig zum Durchbruch, schlug alle Verkaufsrekorde und wurde weltweit von der Fachpresse gelobt. Das Fachmagazin Chip wählte den ST mehrmals zum Computer des Jahres.

Mega-gute Rechner

Trotzdem konnte Atari das Image des Spielekonsolenherstellers mit den 520er- und 1040er-Modellen nicht gänzlich ablegen:

Zu unprofessionell wirkte das Tastaturgehäuse, zu schwammig war der Anschlag der billigen Tastatur. Im professionellen Bereich behaupteten sich IBM und Apple nach wie vor besser. Im Jahre 1987 sollte sich auch das ändern. Die grafische Benutzeroberfläche hatte nicht nur die grundsätzliche Handhabung des Computers verändert, sie hatte auch eine neue Hauptanwendung erschaffen: den Bereich der Druckvorlagenherstellung am Computer. Der Begriff „Desktop Publishing“ entstand, und Apple war der unangefochtene Marktführer in dieser Branche. Atari erhörte die Rufe der eigenen Anwender nach einem professionellen ST und stellte 1987 den MegaST vor, den großen Bruder der 520er und 1040er. Der MegaST war mit einem Hauptspeicher von bis zu 4 MB üppig ausgestattet und präsentierte sich im ebenso formschönen wie praktischen Desktopgehäuse. Außerdem werkelte im Innern der Maschine ein neuer Grafikbeschleuniger, der Bluter, der die Ausgaben um ein Vielfaches beschleunigte. Damit nicht genug: Zusätzlich gab es praktisch als Beigabe den Laserdrucker SLM 804. Zum ersten Mal war damit ein komplettes DTP-System für unter 3000 Dollar erhältlich - ein schwerer Schlag für die Konkurrenz. Die Nachfrage nach STs wurde so groß, daß Atari mit der Produktion zeitweise gar nicht mehr nachkam.

Atari sollte aber noch leistungsfähigere Maschinen präsentieren - doch dazu mehr im nächsten Teil.

Große Namen

Je bekannter die Firma Atari wurde, umso berühmter wurden auch die Persönlichkeiten, die aus ihr hervorgingen: Ende der 80er arbeitete z.B, ein Hippie namens Steven Jobs für Nolan Bushnell. Er bekam von Atari den Auftrag, ein neues Spiel unter dem Namen „Breakout“ zu programmieren, brauchte dazu aber die Genialität seines Freundes Steve Wozniak. Zusammen mit „Woz“ schaffte Jobs es, den Automaten innerhalb kürzester Zeit zu entwickeln. Wohin die weitere Zusammenarbeit von Steve und Woz führte, dürfte jedem bekannt sein, der sich auch nur ein wenig in der Computerbranche auskennt: Zusammen mit Ron Wayne, ebenfalls Ingenieur bei Atari, gründeten die beiden Apple Computer.

Atari und Amiga

Es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre der Amiga nicht unter dem Commodore- sondern dem Atari-Logo erschienen. Am 19. Juli 1983 unterzeichnete die damalige Amiga Corporation mit Atari einen Vertrag, der Atari alle Rechte an dem damaligen Projekt „Lorraine“ sicherte. Atari lieh Amiga im Gegenzug 1 Million Dollar, wollte diesen Geldberg allerdings bereits einen Monat später zurück haben. Alternativ bot man an, die Firma für lächerliche 98 Cents pro Anteil zu kaufen. 24 Stunden vor Ablauf dieser Frist löste allerdings der Erzrivale Commodore das Unternehmen Amiga aus, zahlte die Million an Atari zurück und übernahm Amiga für 4.25 Dollar pro Anteil.

Was wollte Atari nun mit den Rechten am Amiga anfangen? Um 1984 gab es Gerüchte um einen neuen Rechner unter der Bezeichnung 1600XL. Die Features umfaßten ein eingebautes Diskdrive, Kompatibilität zum Apple Ile und ein Daughterboard mit Intel-8088-CPU. Zwar sollte auch der im Lorraine verwendete BASIC-Dialekt kompatibel zu APPLESOFT sein, trotzdem stellte er eine grundlegend andere Architektur dar. Atari arbeitete vielmehr an einem komplett neuen Gerät, dem Atari Amiga (Codename Mickey). Der Atari 1600XLD basierte auf der schon in der XL-Reihe eingesetzten 6502-CPU, während der Mickey auf einer 6800er-CPU basieren sollte. Der Rechner sollte unter der Bezeichnung Atari 1850XLD verkauft werden. Leider kam es nie zu einer Veröffentlichung.

Mehr Infos zum Mickey gibt es unter http://www.atarimuseum.com/articles/mickey.html


Thomas Raukamp
Aus: ST-Computer 11 / 1999, Seite 54

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