Multitasking auf anderen Pfaden: N.AES Version 1.2

Seit ATARI Anno dazumal sein MultiTOS Betriebssystem auf den Markt brachte, wurde dem User schnell klar, dass dieses nicht das Ei des Kolumbus war.

Um normal damit arbeiten zu können, war die Geschwindigkeit eines TTs notwendig; und auch diese ließ viele Wünsche offen. Das weiterentwickelte MultiTOS 1.08 kam dann nicht einmal mehr in den Besitz der Anwender. Mehrere Programmiererteams nahmen sich dieses Mißstandes an. Resultat sind das bekannte MagiC, Geneva und schließlich N.AES, das jetzt in einer neuen Version, und zwar der 1.2, erschienen ist.

Begriffserläuterung

Ist N.AES ein Betriebssystem? Hier gibt es ein klares Jein. Bekanntlich besteht das ATARI-Betriebssystem aus den vier Elementen GEM-DOS, BIOS, AES und VDI, wobei das AES mit seinem integrierten Des kto p die Schnittstelle zum Anwenden darstellt.

Wie der Name schon erkennen lässt, ist N.AES ist genau wie das originale MultiTOS "nur" ein Ersatz für das AES im ROM des ATARI. Ebenso wie dieses setzt es auf den Multitasking Kernel von MiNT auf. MagiC dagegen ist ein komplettes Betriebssystem, da es nach dem Bootvorgang das TOS im ROM praktisch komplett ersetzt. N.AES wird auf mehreren DD-Disketten oder auf CD-ROM geliefert. Die Installation beschränkt sich auf das Kopieren von MiNT in den Autoordner und zwei weiteren Ordnern auf das Bootlaufwerk. Nach einem erneuten Start des Rechners übernimmt N.AES die Kontrolle. Es läuft mit allen VDIs und in allen Auflösungen, da es sich nur auf die von den unteren Betriebssystemschichten zu Verfügung gestellten Informationen und Funktionen stützt. Einem Betrieb auf einem beliebigen ATARI-Clone wie z.B. Hades oder Milan steht deshalb nichts im Wege. Auch auf den bekannten Emulatoren sollte es ohne Probleme laufen, sofern diese MiNT unterstützen. Eine entsprechende Kombination auf Basis des STemulators wird ab März 1998 auch vom FALKE-Verlag angeboten. Um auch modernere Prozessoren zu nutzen, gibt es eine spezielle 68030 Version.

N.AES stellt dem Benutzer alle Funktionen des neuen AES 4.1, welches auch im Falcon zum Einsatz kommt, zur Verfügung. Dazu gehören unter anderem Farbicons, wählbarer Systemfont, beliebig viele Fenster, 3-D-Darstellung der Fenster und Dialoge und die neuen AES Funktionen.

Es ist damit absolut MultiTOS-kompatibel Somit kommen auch die Nutzer von älteren Rechnern in den Genuß der 3-D-Optik und Farbicons von neueren Programmen.

Bedienung

Das Arbeiten gestaltet sich so, wie man es von einem Multitaskingsystem her gewohnt ist. Bei einem Starten von Programmen bleiben alle anderen Fenster des Systems geöffnet, und man kann mit diesen Applikationen weiterarbeiten. Genau wie alle anderen Multitaskingsystem e enthält N.AES keinen eigenen vollständigen Desktop, sondern ist von sich aus nur in der Lage, Programme (und dazu gehören auch nachladbare Desktops) zu starten. Deshalb liegt eine eigene Version des Desktops Thing in der allerneuesten Version 1.21 bei.

Dabei handelt es sich um eine an die speziellen Möglichkeiten von N.AES angepasste Version des wohl jedem bekannten Desktops von Arno Wetzel und Thomas Binder. N.AES kann auf Wunsch aber auch jeden anderen Desktop verwenden. Jinnee z.B. arbeitet vorzüglich mit N.AES zusammen.

Da NThing als AV-Server dient, sind auch unter N.AES alle bekannten Möglichkeiten der Interprozess Kommunikation möglich. Der Betrieb von OLGA ist ebenfalls durchführbar.

Neben den normalen Bedienelementen der Fenster bietet N.AES die schon vom MultiTOS bekannten Möglichkeiten, Fenster zu iconifizieren und auch im Hintergrund zu bedienen. Als neues Feature sind die Fenster in der Version 1.2 jetzt in Echtzeit verschiebbar, was bedeutet, dass beim Bewegen eines Fensters nicht mehr nur ein gestrichelter Rahmen, sondern der gesamte Inhalt des Fensters angezeigt wird.

Auch der Inhalt der Fenster lässt sich in Echtzeit scrollen, wie man es vielleicht schon bei Winx gesehen hat oder von Windows 95 her kennt. Viele der hier gebotenen Möglichkeiten lassen sich über ein Kontrollfeld konfigurieren. So z.B. die Echtzeitverschiebung der Fenster, Fensterschatten, Farbe der deselektierten Menüeinträge, Geschwindigkeit der Shrink/ Growboxen und die Bedienelemente der Fenster. Zur Unterstützung bedient sich N.AES mehrerer Tools, als da wären:

N.Thing

Die neuste Version des Desktops Thing von Thomas Binder, der alles bietet, was ein moderner Desktop auf dem ATARI bieten sollte: lange Dateinamen, Unterstützung von erweiterten Zugriffsrechten unter MiNT, Farbicons, Hintergrundbilder in bis zu 256 Farben, volle Tastaturbedienbarkeit, auflösungsunabhängige Konfiguration, Objektgruppen, Drag&Drop, beliebige G-DOS Fonts, uvm.

Thing dient als AV Server und als Fontselektor für Programme, die das Fontprotokoll von Christian Grunenberg beherrschen. Thing ist ein sehr mächtiger Desktop und dem normalen Single-TOS Desktop haushoch überlegen, allerdings benötigt er - besonders dann, wenn Farbicons benutzt werden - sehr viel Speicher.

N.FSEL
N.FSEL ist der Fileselector von N.AES. Er wird - wie z.B. Freedom - als Fenster ausgeführt, um das Multitasking nicht zu stören, unterstützt lange Dateinamen, ist per Tastatur bedienbar, hat eine Such- und die üblichen Dateifunktionen. Man muss allerdings anmerken, dass es sich hierbei nicht um den modernsten Fileselector handelt. Die Optik und die Anzahl der Funktionen lassen ein wenig zu wünschen übrig. Wer sich also bereits an andere Selektoren gewöhnt hat, kann N.FSEL problemlos ersetzen.

TOSWIN2
ist das Konsolenprogramm, welches zum Ausführen von TOS-Programmen innerhalb eines Fensters dient. Es hat eine Clipboard-Unterstützung, einen wählbaren Font und unterstützt VT100-Escape-Sequenzen. In diesem Fenster kann man dann auch eine Unix-Kommandoshell betreiben, wie sie Gemini schon eingebaut hat.

Speedup
Dies ist ein Utility für Multitasking-Betriebssysteme, das dem jeweils oben liegenden Fenster immer die höchste Rechenpriorität verleiht, wodurch das Arbeiten unter N.AES deutlich flüssiger wird.

N.TERM
Dieses Programm benötigt N.AES, um ohne Reset beenden zu können.

N.CHRES
Ein Tool, mit dem auf eine andere Bildschirmauflösung geschaltet werden kann. Dieses Programm wird von Thing zum Wechseln der Auflösung aufgerufen.

N.CLOSURE
Hiermit kann der Rechner sauber heruntergefahren werden, damit alle Anwendungen sich kontrolliert beenden können. Es entspricht in etwa der Shutdown-Funktion von MagiC.

ST-GUIDE
Das bekannte Hypertext-Darstellungsprogramm wird von N.AES als Hilfesystem genutzt. Für alle Hilfsprogramme und N.AES selbst liegen ausführliche Hypertext-Hilfedateien bei.

Multistrip
Multistrip stellt die seit 1995 so beliebten Taskleisten (siehe Windows95) auch unter N.AES zur Verfügung. Es stellt aktive Programme als Buttons in einer Leiste dar, so dass man durch einfaches Mausklicken auf diese Buttons zwischen den Programmen wechseln kann. Außerdem können Prozesse beendet und terminiert und über ein Popup-Menu können beliebige Programme gestartet werden. Hierbei können auch die Objektgruppen von Thing genutzt werden. Desweiteren kann Multistrip den freien Speicher, eine Uhr und den CapsLock-Zustand anzeigen.

Mit Hilfe eines umfangreichen Konfigurationsprogrammes kann man Multistrip in weitem Rahmen an eigene Ansprüche anpassen. Über die bekannten Protokolle kommuniziert Multistrip mit Thing und kann so Programme starten und schon laufenden Programmen Daten zukommen lassen. Den von Multistrip zur Darstellung der Buttons zu benutzenden Font kann man sehr einfach dadurch festlegen, dass man aus dem Fontselektor von Thing einen Font auf die Buttonleiste zieht. Diesem Verfahren liegt das Fontprotokoll zugrunde. Von Drag & Drop wird sehr rege Gebrauch gemacht.

N.AES und MINT

Dadurch, dass sich NAES auf die Möglichkeiten von MiNT stützt, ergeben sich für den User nicht von der Hand zu weisende Vorteile. Durch die eingebaute Unterstützung von nachladbaren Dateisystemen kann N.AES z.B. mit einem Minix-Dateisystem lange Dateinamen unterstützen. Es sind für die Schnittstellen nachladbare Device-Treiber möglich. Durch die Nähe von MiNT zu Unix kann man viele Tools aus der Unixwelt sehr leicht portieren. Eine Vernetzung mit anderen Rechnern oder dem Internet ist mit MiNTnet möglich.

Natürlich bedient sich N.AES des präemtiven Multitaskings von MiNT. Da MiNT sich inzwischen zu einer Art ATARI-Linux entwckelt hat, partizipiert man als N.AES-Anwender automatisch auch von den Entwicklungen der weltweiten MiNT-Entwickler-Gemeinde.

Es gibt z.B. schon erste Ansätze, MiNT den Zugriff auf virtuelle Speicher beizubringen. Einen großen Vorteil für die Betriebssicherheit eines Betriebsystems ist die Möglichkeit, den Speicherschutz zu nutzen, den MiNT zur Verfügung stellt. Wenn dieser aktiviert ist, kann kein Programm in den Speicherbereich eines anderen Programmes schreiben. In diesem Falle würde es mit einer Fehlermeldung beendet. Es gelten hier die von MultiTOS bekannten Flags im Programmheader eines Programmes.

Da aber viele Programme, insbesondere die älteren Datums, damit nicht zurechtkommen, haben die meisten User den Speicherschutz deaktiviert, indem sie MiNT in Mintnp.prg umbenannt haben (np= non protected). Der Betriebssicherheit ist dies aber nicht dienlich. Für die Programmierer bietet MiNT vieles, was man auch von den großen Betriebsystemen wie Unix, Win95/NT oder OS/2 kennt, z.B. Pipes, Shared-Memory, Dämonen, Links USW. (Das Drag & Drop Verfahren von N.AES basiert z. B. auf Pipes.). Weil das NAES keine Angaben darüber macht, auf was für einem ATARI es denn nun läuft, hat man auch keine Probleme damit, es auf einem ATARI-Clone einzusetzen.

Es muss keine spezielle Hades, Milan oder Falcon-Version geben, da es sich nur auf dokumentierte Betriebssystemaufrufe verlässt. Die einzige Bedingung ist, dass MiNT funktioniert.

Eine systemweite Tastatursteuerung erleichtert das Arbeiten unter N.AES. Mit ALT-CTRL-TAB kann man von einer Applikation zur nächsten wechseln, wobei es konfigurierbar ist, ob Accessories hierbei ausgelassen oder berücksichtigt werden sollen. CTRL-ALT-Q führt einen Shutdown durch, CTRL-ALT-ClrHome zeichnet den Bildschirm neu. Auch die Fenster lassen sich komplett über die Tastatur bedienen. In den Editfeldern der Dialogboxen gibt es jetzt auch erweiterte Steuerungsmöglichkeiten wie z. B. Clipboard Unterstützung.

Konfiguration

Zur Konfiguration beim Booten dienen N.AES zwei Dateien namens NAES. CNF und MINT.CNF. In NAES.CNF stehen alle für N.AES wichtigen Informationen, wie die Pfadangaben der Tools, das Hilfesystem, der Systemfont, die Größe der iconifizierten Fenster, ob ein Bootlogo angezeigt werden soll und noch vieles mehr. In MINT.CNF stehen alle für MiNT relevanten Daten, der Start-Pfad von N.AES, die Environmentvariablen, symbolische Links, evtl. zu startende Programme u.a.

Diese ASCII-Dateien lassen sich, abgesehen von den Werten, die sich über das N.AES Cpx-Modul einstellen lassen, zur Zeitleider nur mit einem Editor verändern. In der neuen Version 1.2, die seit Dezember erhältlich ist, hat es viele Änderungen gegeben. Diese sind teilweise interner Natur, was sich in der höheren Geschwindigkeit bemerkbar macht, und teilweise optischer Art (Echtzeitverschiebung,Scrollen usw.). Desweiteren sind viele Tools überarbeitet worden. Zur Konfiguration liegt ein CPX-Modul bei. Das MiNT, welches mit dem N.AES 1.2 ausgeliefert wird, ist zur Zeit das Freemint 1.12.0.0.

Bei der CD-Version von N.AES gibt es u.a. auch eine MiNT Distribution, die 340 MB an Daten mit den MiNT Sourcen, MiNTnet, X-Window, GCC und viele portierte Unix-Sourcen und -Tools, umfasst.

N.AES läuft auf allen ATARI ST/STE/ TT/ Falcon ab 2 Megabyte freiem Speicher und TOS 1.04 im ROM. Allerdings ist ein vernünftiges Arbeiten trotz der Geschwindgkeitsoptimierung erst auf einem mit 16 MHz und Cache bestücktem ST möglich. 4 MB Speicher müssten auch schon zur Verfügung stehen, allein deshalb, weil man mit mehreren gleichzeitig laufenden Programmen auch mehr Speicher benötigt und der Desktop Thing schon selber 500-700 KB Speicher benötigt. Natürlich hängt die Arbeitsgeschwindigkeit auch sehr von der Anzahl der gleichzeitig laufenden Prozesse ab. Der Computer hat ja schließlich nur einen Prozessor, den sich dann alle Programme, die gleichzeitig laufen sollen, teilen müssen. Wenn man NAES allerdings auf einem normalen ATARI mit nur einem Programm betreibt, ist es auch nicht viel langsamer als das Single TOS AES.

Fazit

N.AES ist ein modernes Multitaskingsystem für alle ATARI-Computer, das durch sein auf dem Multitaskingkernel MiNT basierendes Konzept zu kunftssicher und gut zu erweitern ist. Es arbeitet sehr stabil und ist, wenn der Speicherschutz aktiviert ist, eines der sichersten Systeme für den ATARI. Die Arbeit, die Rainer Mannigel und Co. in den vergangenen Monaten geleistet haben, ist deutlich spürbar, denn es konnte gehörig viel Abstand zum etablierten MagiC aufgeholt werden.

Nun werden Sie sicherlich auch wissen wollen, welches dieser beiden Systeme wir Ihnen empfehlen werden. Wir denken, dass es ganz darauf ankommt, was Sie mit Ihrem ATARI anfangen möchten. Es ist nicht zu verleugnen, dass MagiC als komplettes Betriebssystem noch ein wenig die Nase vorn hat. Es ist geringfügig schneller, hat einen der Mac-Optik an gepasste Oberfläche und ist mittlerweile auch für den PC und Macintosh verfügbar. Demgegenüber steht der deutlich höhere Preis, der inkl. Desktop „jinnee" knapp 100 DM höher ist als der von N.AES. Wenn Sie also lediglich die Möglichkeit suchen, Multitasking zu betreiben, um Programme wie z. B. CAB mit PPP-Connect laufen zu lassen, dann sind Sie mit N.AES hervorragend bedient. Auch die Zukunft scheint gesichert, denn neben einer wachsenden Anwenderbasis, die der Grundstein für eine Weiterentwicklung ist, partizipiert man an den Entwicklungen in Bezug auf MiNT, die weltweit stattfinden. Und lassen Sie sich nicht durch die große Anzahl an mitgelieferten Tools erschrecken, denn diese liegen anderen Betriebssystemen in Wirklichkeit auch bei, nur wird nicht so viel darüber geredet.

Preis: 119 DM Bezugsquelle: woller&link GbR Grunewaldstr. 9 10823 Berlin


Thomas Göttsch
Aus: ST-Computer 03 / 1998, Seite 56

Links

Copyright-Bestimmungen: siehe Über diese Seite