Nach MultiTOS und MagiC ist hierzulande nun ein drittes Multitaskingbetriebssystem verfügbar: Geneva.
Nachdem MultiTOS wohl auf kaum einen Rechner noch zu finden sein dürfte, hat sich MagiC zum Standard gemausert. Konkurrenz bekam es erst jüngst durch N.AES, das wie MultiTOS auf MiNT basiert. Mit Geneva erscheint nun eine völlig neue Lösung, die MiNT nicht unbedingt braucht. Im englischsprachigen Raum hat es nun auch schon eine recht große Verbreitung erreicht, nur bei uns ist es noch relativ unbekannt.
Geneva kann sowohl vom Auto-Ordner, als auch vom Desktop gestartet werden. Die Installation gestaltet sich dank eines mitgelieferten Installationsprogramms ziemlich problemlos. Danach ist Geneva im Prinzip einsatzbereit - es empfiehlt sich jedoch, noch einen alternativen Desktop zu installieren. Hier empfiehlt der Hersteller natürlich sein eigenes Produkt, Neodesk. Es kann aber auch jeder andere Desktop neueren Datums installiert werden.
Geneva lässt sich problemlos auf jedem Atari ST/TT/Falcon installieren und unterstützt diese auch voll. Wahrscheinlich wird es auch auf den neuen Atari-Clones lauffähig sein, dies konnte aber - mangels Testrechner -, nicht überprüft werden.
Auf einem Atari mit 512 KByte kann Geneva auch installiert werden, obwohl es dann speichermässig etwas knapp wird.
Der ganze Installierungsvorgang ebenso wie die Bedienung der einzelnen Geneva-Komponenten wird ausführlich in dem 70-seitigen deutschen Handbuch erklärt. Zum Test stand leider nur die englischsprachige Version des Programms zur Verfügung, die ausgelieferte Version ist allerdings komplett ins Deutsche übersetzt.
Startet man das Programm ohne Desktop, so hat man mittels eines Menüpunktes die Möglichkeit, Programme oder Accesories zu starten, wobei beide gleichwertig behandelt werden. Wählt man diesen Menüpunkt, so erscheint die Geneva-eigene Dateiauswahlbox. Diese ist ganz gut gelungen und erlaubt auch alle wichtigen Dateioperationen auszuführen. Nebenbei werden auch erweiterte Wildcards unterstützt. Es ist jedoch bedauerlich, dass man diese Dateiauswahlbox nicht abstellen kann, denn manch einer hat sich an Selectric oder Freedom gewöhnt und darf nun umdenken. Neben der Möglichkeit, Programme zu starten, kann man auch eine ASCII-Liste aufrufen und die Hilfefunktion. Letztere basiert ebenfalls auf einer Eigenentwicklung des Herstellers und benutzt nicht den ST-Guide.
Sofern es vom Programm unterstützt wird, erscheinen Dialoge im 3D-Look. Bei Geneva sehen die Objekte dem 3D-Look des Macintoshs ziemlich ähnlich, jedoch lässt sich alles mittels eines mitgelieferten Accessories einstellen. Die Einstellungsmöglichkeiten sind dabei durchaus beeindruckend und man hat genügend Möglichkeiten, Geneva an den eigenen Geschmack anzupassen. Voraussetzung ist aber dabei, dass das Programm keinen eigenen 3D-Look benutzt. Ist dies aber der Fall, so kann meistens nur der Programmierer dies ändern.
Leider gibt es immer noch viele (meist ältere) Programme, die sich nicht mit der Tastatur bedienen lassen. Hier springt Geneva ein: Es sorgt für die Tastaturbedienung des gesamten Dialogs, was Programme wie z.B. Alice aufwertet.
Vom Macintosh bekannt sind die sogenannten "Tear-away-Menüs". Darunter versteht man, dass man ganz einfach ein Menü aus der Menüleiste "abreißen" kann und es dann auf dem Desktop als Fenster abgelegt wird. So hat man die Funktionen, die ein Menü zur Verfügung stellt, immer griffbereit. Bisher gab es jedoch bis auf ein Beispielprogramm keine Anwendung, die diese Menüs unterstützt. Mit Geneva ist damit Schluss: Alle Anwendungen, die eine Menüleiste verwenden, unterstützen Tear-away-Menüs. Man muss nur auf den Titel des Menüs klicken und dabei die Control-Taste gedrückt halten.
Neben den schon erwähnten Besonderheiten beherrscht Geneva auch die Standardbedienelemente, die ein modernes Betriebssystem heute mit sich bringen muss: Iconify (verkleinern des Fensters), den Backdrop (das darunterliegende Fenster wird aktiviert), schnelle Taskumschaltung mit Alt+Tab, verschiebbare Dialogboxen (die leider beim Verschieben flackern), Fenster im Hintergrund können genauso bedient werden wie Fenster im Vordergrund und 3D-Bedienelemente. Letztere nehmen nicht mehr Platz ein als ihre zweidimensionalen Geschwister, so dass genug Platz für den eigentlichen Text bleibt.
Sehr betriebssicher zeigte sich Geneva beim Test mit verschiedenen Programmen: Neben "sauber" programmierten Programmen liefen auch viele unsaubere, wie z.B. das GFA-Basic. Für jedes Programm können die Parameter individuell eingestellt werden. Besonders wichtig für speicherfressende Programme, wie z.B. 1st Word 3.2, ist die Möglichkeit, den Speicher für diese Anwendung zu begrenzen.
Geneva ermöglicht auch, Programme zu terminieren oder "schlafen" zu legen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Viele Programme erkennen nicht, wenn Geneva sie beenden will und so kann es manchmal zu unangenehmen šberraschungen kommen.
Programme, die den Betrieb der anderen Programme stören, werden von Geneva postwendend beendet und im Verlaufe des Testes kam es nur zwei Mal vor, dass ein Programm alle anderen zum Absturz brachte. Diese Abstürze traten dabei allerdings erst auf, als bereits mehrere ältere Programme den Speicher "verwüstet" hatten.
An der Stabilität und Kompatibilität von Geneva gibt es jedenfalls kaum etwas auszusetzen.
Wer nicht den Speicher für einen richtigen Desktop hat, wird die eingebaute Dateiauswahlbox wählen. Mit ihr kann man denn auch alle gewohnten Dateioperationen ausführen, für die sonst ein Desktop nötig wäre. Seltsamerweise kam es zu Problemen mit dem installierten MetaDOS 2.7 und einem CD-ROM-Laufwerk am ROM-Port: Das Verzeichnis von Laufwerk O wurde nicht angezeigt und somit war es unmöglich, Programme von CD zu starten.
Also wurde der Weg über einen externen Desktop gewählt, in diesem Fall Neodesk 4 und Thing 1.09.
Ein solcher Desktop verschlingt natürlich zusätzlichen Speicher und so wird es selbst auf einem 4 MByte Rechner schon knapp, wenn diverse Accessories installiert sind.
Mit den beiden Desktops gelang es dann auch endlich, auf das CD-ROM-Laufwerk Zugriff zu erhalten. Beim Programmstart fiel aber auf, dass ein erheblicher Teil der Programme ihre Resourcen nicht mehr fand! Diverse Einstellungen brachten auch keine Veränderung und im Handbuch findet sich kein Hinweis darauf. Die Empfehlung, die Environment-Variablen zu setzen, brachte denn auch keine große Verbesserung. Geneva beachtet zwar die zusätzlichen Pfade, die angegeben werden können, aber nicht den leeren Eintrag, der eigentlich dafür sorgen soll, dass Programme ihre Resource-Datei in ihrem eigenen Pfad suchen. Eine genauere Untersuchung zeigte, dass Geneva nicht auf den Pfad des gestarteten Programms wechselt, sondern unbeeindruckt in seinem Pfad verharrt. Als die entsprechende Resource-Datei in den Geneva-Ordner kopiert wurde, lief das Programm dann auch reibungslos. Da stellt sich die Frage, ob dahinter nun ein Konzept wie in der Windows-Welt steckt oder das ganze ein Fehler von Geneva ist.
Geneva verwendet das kooperative Multitasking, wie auch der Macintosh und Windows 3.1 Systeme. Das dies Vor- und Nachteile gegenüber dem präemptiven Multitasking hat, dürfte klar sein, im Praxisbetrieb lässt sich damit aber gut arbeiten. Das Wichtigste ist dabei die Geschwindigkeit und die ist bei Geneva wirklich zufriedenstellend. Ein richtiger Geschwindigkeitsverlust ist nicht festzustellen. Es ist auch möglich, Geneva und MiNT zu starten, damit auch die TOS-Programme im Multitasking-Modus laufen.
Der Taskmanager hält neben Optionen für die gerade laufenden Programme (terminieren, schlafen legen, Programmflags) auch Einstellungen für die Benutzeroberfläche bereit. Von der Farbe der Trennstriche in Menüs bis zu der Tastaturbedienung der Fensterelemente kann alles eingestellt werden. Auch die Auflösung kann man dort wechseln.
Der TOS-Manager erlaubt es, TOS-Programme unter Geneva laufen zu lassen. Eingestellt werden kann hier u.a. die verwendete Schriftart und die Größe des Fensters. Auch können die Ausgaben des TOS-Programms auf das Clipboard kopiert werden.
Dies ist kein Vergleichstest, so dass hier nur auf eine Sache eingegangen werden soll, die bei Geneva schmerzlich vermisst wurde: Alternative Dateisysteme. Zwar besteht die Möglichkeit, über MiNT das Minix-Dateisystem zu benutzen, aber ein neues Dateisystem, dass die lästige Beschränkung auf elf Zeichen aufhebt, wäre nicht schlecht. Ein Vorbild wäre hier MagiC 5.0, auch wenn es nicht unbedingt ein Windows 95-Dateisystem sein muss. Kombiniert man Geneva mit der aktuellen MiNT-Version, so erhält man aber ein wirklich modernes Betriebssystem, das viele Features besitzt, über die MagiC selbst in Version 5.0 noch nicht verfügt. Schade ist nur, dass zwei verschiedene Wege beim Dateisystem gegangen wurden, was zu Inkompatibilitäten oder zumindest umständlichen Konvertierungsarbeiten führen kann. Hier wären die beteiligten Firmen von MagiC, Geneva und N.AES aufgefordert, einmal eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten, denn benutzerfreundlich und förderlich für den Atari-Markt sind die verschiedenen Lösungen für Dateisysteme nicht gerade. So wie es aussieht scheinen sich aber zwei verschiedene Standards herauszubilden: die Betriebssysteme, die auf MiNT basieren, bzw. es unterstützen wie z.B. Geneva, N.AES, XaAES und oAESis und auf der anderen Seite MagiC.
Geneva ist eine eindeutige Bereicherung für den Atari-Markt. Mit der Fülle an Einstellungsmöglichkeiten hat man die volle Kontrolle über seinen Computer und ältere Programme werden durch Geneva sogar deutlich aufgewertet. Die mögliche Zusammenarbeit mit MiNT garantiert einen guten Multitasking-Unterbau, doch auch ohne MiNT weiß Geneva durch Geschwindigkeit, Kompatibilität und Stabilität zu begeistern. Die einzigen echten Minuspunkte sind die ungelösten Probleme mit den Resource-Dateien einiger Programme, dem CD-ROM am ROM-Port und das Fehlen der Möglichkeit, die interne Dateiauswahlbox abzustellen. Ein Verbesserungsvorschlag wäre ein gutes neues Dateisystem, das Schluss mit den kurzen Dateinamen macht.
Abschließend bliebe noch zu sagen, dass sowohl Geneva als auch N.AES endlich eine Konkurrenz zu MagiC darstellen. Solange die entsprechenden Firmen den Konkurrenzkampf nicht auf den Rücken der Kunden austragen kann man nur sagen: Konkurrenz belebt das Geschäft!
Positiv:
Negativ:
Wertung: 8 von 10