Webspace - der Atari-Netscape?

Nachdem in den letzten Ausgaben schon über den neuen HTML-Browser berichtet wurde, liegt jetzt die erste Testversion vor.

An Vorschußlorbeeren herrschte kein Mangel bei Webspace: Atari-Netscape und Leistungsdaten, die endlich auch Atari-Besitzern einen leichten Zugang zum Internet eröffnen. Die vorliegende Version 1.4b liegt zum freien Download im Internet aus und ist gegenüber der 99 DM teuren kommerziellen Version dahingehend eingeschränkt, dass der Betrieb nur Offline, also nicht am Internet möglich ist. Aber das sollte schon für einen Test ausreichen, da bei einer schlechten Anzeige von HTML-Seiten die Freude am Internet auch schnell vorüber ist. Auch wenn es eine Betaversion ist, muss sich Webspace an manchen Stellen den Vergleich mit Netscape und CAB gefallen lassen. Zudem kann man von einer Version 1.4, die anscheinend auch verkauft wird, schon eine gewiße Leistungsfähigkeit erwarten.

Benutzeroberfläche

Webspace ist voll in GEM eingebunden und läuft auf jedem Atari, auch auf einem Falcon mit TOS 4.92. Die Benutzeroberfläche ist dabei in Englisch oder Französisch.

Im 'File'-Menü findet man die üblichen Funktionen wie Dateiladen usw. . Außerdem kann dort in die anderen Programmteile gewechselt werden: Mail (E-Mail-Programm), News (für Newsgroups), FTP und HTML-Editor. Die beiden letzteren sind im Menü deaktiviert, das News-Programm lässt sich nicht aufrufen. Das Vorbild dürfte anhand dieser (zumindest anvisierten) Vielfalt klar sein: Der Netscape Navigator Gold.

Im Edit-Menü gibt es neben vielen nicht anwählbaren Menüpunkten wie Cut & Copy auch von CAB bekannte Funktionen wie das Neuladen des Dokuments und ein Fehlerreport (bei CAB durch einen Klick auf den 'traurigen Smiley' anwählbar). Letzterer ist noch nicht verfügbar.

Laden einer HTML-Datei

Nachdem man eine HTML-Datei geladen hat, wird das Browser-Fenster geöffnet, in dem sich auch einige Knöpfe zum leichteren Navigieren befinden, die aber alle aus CAB bekannt sind. Das Suchen eines Textes ist noch nicht anwählbar.
Schon beim laden einer Datei fällt auf, das Webspace große Schwierigkeiten hat, seinen Bildschirmaufbau in Ordnung zu bringen. Zwar sieht die Benutzeroberfläche sehr hübsch und auch moderner als die von CAB aus, aber es passiert durchaus öfter, das Grafikreste auf dem Bildschirm bleiben.
Der Fortschritt beim Laden der Datei wird - anders als bei CAB - klar in Prozent angezeigt.

Anzeigeschwindigkeit

Die Werbung des Herstellers Oxo Concept verspricht, das Webspace seine Seiten 2 bis 5 mal schneller anzeigt als seine Konkurrenten. Bei insgesamt zwei Internet-Browsern für den Atari, CAB und Chimera, dürfte wohl klar sein, auf wen da angespielt wird. In diesem Punkt hat die Werbung nicht zuviel versprochen: Webspace zeigt die Dateien sehr schnell an und kann sich in der Geschwindigkeit durchaus mit Netscape messen. Während bei CAB teilweise durchaus mal längere Wartezeiten auftreten, ist Webspace schon beim Anzeigen. Die Anzeige der HTML-Seite 'machine2.htm' dauerte mit Webspace 48 Sekunden, mit CAB v1.5 fünf Minuten und 53 Sekunden. Das Dokument war eine normale HTML-Seite, in der keine Tabellen, Grafiken o.ä. vorkamen, die allerdings 73 KByte lang war. Die Geschwindigkeit von Webspace entspricht bei der Seite tatsächlich in etwa der von Netscape. Grafiken im JPEG- und GIF-Format werden auch sehr schnell angezeigt.

Anzeigequalität

Die Euphorie wird leider dadurch gedämpft, dass Webspace zwar die schnellste, aber auch die schlechteste Anzeige hat. Die Testseite war bis auf ihre Länge relativ anspruchslos und wurde auch von beiden Browsern identisch angezeigt. Doch schon bei einer normalen, deutschen HTML-Seite gehen die Probleme los: Webspace versteht noch nicht alle Umlaute. Wird der Quelltext auf einem Windows-Rechner geschrieben, ohne die Umlaute in die HTML-Syntax zu ändern, erscheinen sogar alle Umlaute falsch. Es ist zwar nicht die Aufgabe von Webspace, eine solche Schludrigkeit auszugleichen, aber CAB zeigt alle Umlaute korrekt an. Fairerweise muss man aber sagen, dass gerade bei den Umlauten schnell Abhilfe zu erwarten ist, da der Hersteller in Frankreich sitzt und somit das Problem der Umlaute bekannt sein dürfte. Teilweise sind sie auch schon eingebaut.

Bei der Darstellung von Tabellen orientiert sich das Programm an Netscape. Das macht sie für zukünftige Erweiterungen geeigneter als die von CAB. Aber auch hier existieren noch gewaltige Formatierprobleme. Was unter CAB und Netscape annehmbar aussieht, macht unter Webspace den Eindruck eines aufgescheuchten Hühnerhaufens. An gängige Standards, wie z.B. dass Tabelleninhalte - wenn nicht anders angegeben -, linksbündig ausgerichtet werden, hält sich das Programm nicht. Es richtet die Tabellenüberschriften linksbündig aus (normal ist zentriert), die Tabellendaten werden zentriert ausgegeben, obwohl jeder andere Browser sie linksbündig ausgibt.

Erheblich ärgerlicher ist es aber schon, dass eine Beispieltabelle, die mit dem Utility Tabi erzeugt wurde, von Webspace eigenmächtig behandelt wurde: Spaltenbezeichnungen fehlten, teilweise auch Tabelleninhalte. Die Tabelle sieht trotz Einhaltung der HTML-Syntax nach einer fehlerhaften HTML-Datei aus. Unbekannte HTML-Befehle dürfen die Besucher der Webseite identifizieren, denn sie werden leider im Text angezeigt. Das ist natürlich sehr ärgerlich, zumal Webspace in dieser Version noch nicht alle HTML-Befehle kennt. Auch sonst läuft bei der Textformatierung noch einiges schief. Seiten, die mit dem HomePage Pinguin oder Alta Lista erstellt wurden, werden z.B. nicht korrekt angezeigt, obwohl beide Programme größtenteils auf Netscape-Erweiterungen und HTML 3.0 verzichtet. Seiten, die Frames verwenden, werden mit einem seltsamen Gitter überzogen. Das soll sich jedoch bald ändern - Unterstützung für Frames ist angekündigt - hoffentlich vergessen die Programmierer dabei die vielen Formatierfehler nicht.

Positiv fiel jedoch die Anzeigequalität bei den Bildern auf: Webspace scheint nicht grundsätzlich zu dithern, wie CAB es tut. Grafiken, die sich aus der normalen 256-Farb-Palette bedienen, wurden nicht gedithert und sahen so wesentlich schöner aus. Bei anderen Bildern, die in ihrer Farbauswahl abweichen, ditherte Webspace aber auch und erreichte die gleiche Qualität wie CAB.

Bei den ganzen Fehlern, die derzeit noch bei der Textformatierung auftreten, stellt sich natürlich die Frage, ob das der Grund für die hohe Geschwindigkeit ist. Aber bei dem Geschwindigkeitsvorsprung gegenüber CAB sollte Webspace auch bei einer korrekten Anzeige immer noch schneller sein.

Optionen

Vieles ist angekündigt und auch schon in den Dialogboxen vertreten. Spezifische Einstellungen für die Verweise, die weiter gehen als bei CAB (Unterstützung von bereits angeklickten und angeklickten Verweisen) und für die einzelnen Fonts gehen sehr ins Detail. Die Fonteinstellungen, die schon anwählbar sind, wirken unübersichtlicher als bei CAB. Gerade hier tritt Webspace mit einer Optionsfülle auf: Es lässt sich für jede Überschriftengröße (HTML kennt insgesamt sechs) eine eigene Fontgröße definieren. Externe Programme sind zwar schon eingetragen, aber nicht veränderbar. Interessant sind die unterstützten Internet-Programme: Außer den schon bekannten STiK und MiNTNet sind dort noch PPP Link und ITos zu finden. Wenn die PPP-Lösungen einfacher konfigurierbar sind, als MiNTNet, hätte man endlich eine gute Auswahl bei den Providern, da doch viele auf PPP umgestellt haben.

Das Mail-Modul

Wohl eher als Vorschau auf das, was 1997 noch zu erwarten ist, wurde dieses Modul integriert. Sofern man denn schon ein Urteil darüber abgeben sollte, reicht das Modul nicht an bereits bestehende Lösungen heran. Angesichts der Fehler die der Browser-Teil hat, sollte auch erst der Browser stabil laufen bevor am Mail-Menü viel getan wird.

Stabilität

Bei der Version 1.4b fühlt man sich unwillkürlich an sehr frühe Versionen von CAB erinnert, als das Programm noch HTML-Browser hieß. Besonders schlechte Erfahrungen habe ich mit den Fenster-Slidern von Webspace gemacht, bei deren Benutzung sich Webspace öfter einfach "aufhängt" und man nichts mehr anklicken oder das Programm verlassen kann. Mit den Cursortasten passiert so etwas zum Glück seltener. Nicht die Stabilität beeinträchtigend, aber doch störend, sind Anzeigefehler in den Dialogen. Der eingestellte Fontname erscheint nicht, Zeichen werden nicht richtig aufgebaut.

Produktpolitik

Die Fähigkeiten des Programms sind zwar schon jetzt sehr viel versprechend, aber die Produktpolitik seines Herstellers ist etwas fragwürdig. Ist eine Funktion noch nicht vorhanden, sollte sie auch nicht anwählbar sein. Bei Webspace scheint allerdings vieles anwählbar zu sein, beim Anklicken tut sich aber überhaupt nichts. Die Programmierer haben anscheinend einen anderen Weg gewählt, indem man schon jetzt sieht, was das Programm in ein paar Monaten endlich kann. Ein allmählicher, stabilerer Aufbau wie z.B. bei CAB, wäre sinnvoller gewesen. Auch die vollmundigen Ankündigungen des Herstellers, die für die nächsten Versionen Unterstützung für Frames, HTML 3.2 und vieles mehr ankündigen, erscheinen etwas fragwürdig. Erst wenn die Anzeige des Browsers fehlerfrei ist, sollte man sich an solche komplexen HTML-Befehle wagen. Neue Kommandos bergen auch automatisch neue Fehlerquellen und da Webspace noch nicht einmal HTML 2.0 völlig korrekt anzeigen kann, sollte erst der "Unterbau" stimmen.

Hoffnung gestorben?

Keineswegs. dass das Programm etwas kann, sieht man schon an der derzeitigen Version. Es dürfte also kein großes Problem sein, die bestehenden Fehler auszubügeln. Aber die Programmierer sollten sich doch überlegen, ob sie die Integration von z.B. Frames nicht lieber verschieben sollten. Jedoch war die Erwartungshaltung hoch - und der Hersteller wollte wohl zu schnell zu viel. In Abwandlung eines berühmten Satzes könnte man sagen, dass Netscape auch nicht an einem Tag programmiert wurde. So wurde Webspace auch in den Newsgroups aufgenommen - die Hoffnung auf einen Atari-Netscape war schnell verflogen, aber die meisten erinnerten sich an frühere Versionen von CAB.

An Ideen mangelt es Oxo Concept jedenfalls nicht - und das ist doch schon mal ein gutes Zeichen in einer Zeit, in der sich einige Firmen fast nur noch um Emulatoren kümmern. Besitzer von Emulatoren werden ohnehin Netscape auf der fremden Hardware-Plattform benutzen, denn angesichts des Aufwandes, der in diesem Browser steckt, wird weder Webspace noch CAB da herankommen.

Da eine Firma dahinter steht, bestünde vielleicht sogar die Möglichkeit, dass neue HTML-Elemente wie z.B. Java-Applets irgendwann integriert werden.

Fazit

In der vorliegenden Version 1.4b vom 20.12.1996 ist Webspace noch nicht zum Ausflug ins Internet bereit. Das Programm muss sich bei der Stabilität und der Anzeigequalität noch entscheidend verbessern. Positiv fällt die Geschwindigkeit ins Gewicht, die hoffentlich auch bei weiteren Versionen erhalten bleibt. Wünschenswert wäre eine Kombination aus CAB und Webspace: Die Stabilität von CAB und die Geschwindigkeit von Webspace. Sollte sich entweder das eine oder das andere Programm dahin entwickeln, steht dem Surfen wie mit Netscape nichts mehr im Wege - auch ohne PowerMac und Pentium-PC. Die erhoffte Universallösung ist bisher anvisiert, aber in der derzeitigen Version nicht vorhanden. Was jetzt aber schon vorhanden ist, ist eine Konkurrenz zu CAB. Das Jahr 1997 verspricht aus der Sicht der Internet-Atarianer sehr interessant zu werden.

Bezugsquelle:
Oxo Concepts France
5, Rue des Varennes
F-89160 Lezinnes
Internet: http://www.oxo.ch/web_gb.htm

Webspace 1.4b

Positiv

Negativ

Wertung: 6 von 10


Mia Jaap
Aus: ST-Computer 03 / 1997, Seite 19

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