Spätestens seit der explosionsartigen Verbreitung des World Wide Web wünschen sich auch immer mehr Besitzer eines ATARI-Rechners die Möglichkeit der Teilnahme am Internet. Zwar gibt es schon längere Zeit Software-Pakete für UUCP- und PPP/SLIP-Anwendungen, doch eine komplette Unix-Installation mit ihren Vorteilen können sie nicht ersetzen.
Erstaunlicherweise hat man selbst für ATARI-Rechner noch die Auswahl unter mehreren Unix-Derivaten. ATARIs MultiTOS selbst basiert auf MiNT, das sich stark an BSD-Unix anlehnt. Dadurch wird die Portierung von Unix-Software sehr erleichtert. So stehen für MiNT eigentlich alle wichtigen Binaries (ausführbare Programme) für einen Internet-Zugang zur Verfügung. Diese Binaries werden im allgemeinen unter dem Begriff MiNTNet zusammengefaßt.
Neben MiNT gibt es auch nahezu vollständige Distributionen von Net-BSD und Linux. Leider haben diese auf ATARI-Rechnern prinzipielle Nachteile. Für den Betrieb werden unbedingt eine FPU und eine PMMU benötigt. Denkbar ist ein Einsatz also nur auf einem Falcon, TT oder auf einen anderem ATARI-Rechner, der mindestens über einen 68030 und eine FPU verfügt. Ein weiterer Nachteil ist, daß weder eine NetBSD- noch eine Linux-Installation mit TOS- oder gar GEM-Programmen arbeiten kann.
Entschied man sich aus diesen oder auch anderen Gründen für eine Installation von MiNT und MiNTNet, gingen bis vor kurzem die Schwierigkeiten erst so richtig los. Der interessierte Anwender mußte sich aus diversen Quellen die Binaries besorgen. Von manchen existierten sogar nur die Sourcen, so daß man sie selbst compilieren mußte. Anschließend kopierte man die Binaries in die dafür vorgesehenen Verzeichnisse und mußte noch diverse Dateien richtig konfigurieren. Dazu kam, daß die meisten Binaries nicht vernünftig miteinander kooperierten, da die Portierungen individuellen Vorgaben folgten. Aufgaben die einen normalen Anwender, der bisher nur unter TOS arbeitete, schlichtweg überforderten und auch so manchen Unix-Freak zum Verzweifeln brachten.
Immer wieder gab es Versuche von erfahrenen ATARI-und Unix-Anwendern, kostenlose Distributionen zusammenzustellen, die diese Misere beheben sollten. Der bisher gelungenste Versuch einer solchen Distribution liegt nun in der ersten Release vor. Die Knarf’s German MiNT Distribution, kurz KGMD, von Frank Bartels (lesen Sie Frank doch mal rückwärts) erlaubt die einfache und beinahe vollständige Installation eines Unix-Systems basierend auf MiNT.
Die KGMD setzt sich aus mehreren Paketen zusammen, die jeweils optional, je nach den Bedürfnissen des Anwenders, dem Speicherausbau des verwendeten Rechners und freien Festplattenspeicher installiert werden können (die Werte in Klammern geben den Speicherbedarf auf der Festplatte nach der Installation an):
Basic (11 MByte):
umfaßt alle für ein Multitasking/Multiuser-System nötigen Dateien wie deu MiNT-Kernel, das Filesystem, den Init usw.
Manual (6 MByte):
alle Manual- und Info-Pages über die verfügbaren Kommandos
Compiler (7 MByte): GNU-C 2.3.3 bzw. 2.5.8 (wahlweise); alle nötigen Libraries, auch GEM-Libraries
Net (3 MByte):
umfaßt im wesentlichen die zu MiNTNet gehörenden Kommandos. Dieses Paket ist für eine Internet-Anbindung nötig.
X11 (14 MByte):
eine experimentelle Version vou X11R5 mit einigen Standardapplikationen
Vor der Installation umfaßt die KGMD ca. 16 MByte, also mehr als 12 HD-Disketten.
Grundsätzlich kann man mit der KGMD auf jedem ATARI-Rechner arbeiten. Wie üblich beim Unix-System gilt auch hier die Prämisse: je mehr RAM, desto besser. Bei der KGMD ist viel Arbeitsspeicher noch mehr ein Muß, da MiNT leider keinen virtuellen Speicher kennt. Für eine Internet-Anbindungmittels ppp genügen schon 4 MByte, vernünftig sind jedoch 8 MByte. Will man X11 nutzen, sollten es schon 12 MByte sein. Erfreulicherweise kann man die KGMD zum Antesten auch schon auf Rechnern mit 2,5 MByte RAM installieren.
Die gewünschten Pakete werden einfach in ein beliebiges Verzeichnis auf der Festplatte gelegt, das während der Installation abgefragt wird. Daneben benötigt man noch eine freie(!) Partition, die groß genug für die gewünschten Pakete plus ca. 10 MByte für eigene Daten ist. Auf dieser Partition wird ein Minix-File-System installiert. Das Minix-File-System ist ein alternatives Dateisystem, das erheblich schneller als ein GEMDOS-File-System ist, die Zugriffsrechte auf Dateien verwaltet und Dateinamen bis zu einer Länge von 62 Zeichen gestattet, wobei zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden wird.
Das Installationsprogramm fragt neben Art und Umfang des File-Systems (ausführliche Erklärungen während der Installation) noch nach dem Host-Namen des Rechners, nach dem Paßwort für root (derjenige, der uneingeschränkten Zugriff auf alle Dateien hat) und nach Namen und Paßwort für einen User. Anschließend sind einige Minuten Wartezeit nötig, bis alle Pakete installiert sind. Danach wird man vom Installationsprogramm aufgefordert, den Kernel und die Device- bzw. File-System-Treiber auf die Boot-Partition zu kopieren. Lobenswert, daß das Boot-Laufwerk bei der Installation nicht angerührt wird. Für optimierte Zugriffe auf die seriellen Schnittstellen empfiehlt der Autor der KGMD, HSMODEM von Harun Scheutzow vor MiNT in den Autoordner zu kopieren.
Neben der Internet-Anbindung, die im folgenden noch ausführlich besprochen wird, hat die KGMD noch einige andere interessante Aspekte. So sind automatisch die virtuellen Konsolen von Jürgen Lock aktiviert, die mehrere Konsolen an einem Rechner simulieren. Konsole wird die Einheit aus Bildschirm und Tastatur genannt, die direkt an dem Host angeschlossen ist. Alle anderen Terminals erhalten normalerweise über eine serielle Schnittstelle Zugang zu diesem Rechner. Die virtuellen Konsolen simulieren nun bis zu 9 Terminals, zwischen denen einfach mit ALT+ Funktionstaste umgeschaltet werden kann. Auf die Konsole kann man mit ALT+F10 schalten.
Die KGMD sieht übrigens auch eine Möglichkeit vor, mit MultiTOS auf der Konsole zu arbeiten und gleichzeitig die virtuellen Konsolen zu nutzen. Dazu müssen die Datei GEM.SYS im Verzeichnis MULTITOS auf der Boot-Partition liegen und das Kommando /usr/etc/execmtos ausgeführt werden.
Hinter dem Compiler-Paket verbirgt sich eine komplette Entwicklungsumgebung für C inklusive der benötigten Libraries. Da die meisten Unix-Systeme untereinander Source-kompatibel sind, kann man Programme für andere Rechner auf einem ATARI-Computer entwickeln und testen (Crossdevelopment). Der umgekehrte Weg ist natürlich ebenso möglich. Die Namen der Libraries in der KGMD sind im Gegensatz zu anderen Distributionen entsprechend der Konventionen von herkömmlichen Unix-Systemen benannt. Für das wohlbekannte hello.c genügt es, einfach nur make hello einzugeben. Für größere Projekte ist es nötig, ein Makefile zu schreiben. Ein Makefile ist vergleichbar mit einer Projektdatei von Pure C. nur daß ein Makefile erheblich vielseitiger anwendbar ist.
Wer die Dienste des Internets nutzen will, muß das Net-Paket mit installieren. Dank des hervorragenden Installationsprogramms müssen nur noch zwei Dateien bearbeitet werden, um mit ppp IP-Dienste zu nutzen.
In die kommentierte Datei /etc/resolv.conf muß die eigene Domain sowie die IP-Adresse des Nameservers eingetragen werden. Diese Informationen erhält man im allgemeinen von seinem Provider.
Die Datei /etc/ppp/samples/home-dot-ppprc wird nach ~/.ppprc und die Datei /etc/ppp/samples/chatscript nach ~/.chatscript kopiert. Das Zeichen ~ bezeichnet das eigene HOME-Verzeichnis und wird von der Shell aufgelöst. In ~/.ppprc werden die gewünschte Schnittstelle und Geschwindigkeit eingetragen, in ~/.chatscript die Telefonnummer des Providers, der Login-Name sowie das Paßwort. Da in der letztgenannten Datei Informationen stehen, die den Anwender gegenüber dem Provider während des Log-ins identifizieren, muß der Zugriff von nicht autorisierten Personen verhindert werden. Am besten ändert man die Zugriffsrechte mittels chmod auf 600.
Sind diese Schritte erledigt, können schon mittels /usr/etc/pppd eine Verbindung zum Provider aufgebaut und damit IP-Dienste genutzt werden. Die KGMD böte auch die Voraussetzungen, eine Verbindung über SLIP aufzubauen. Allerdings ist SLIP wesentlich schwieriger zu konfigurieren; und da die meisten Provider sowieso ppp anbieten, sind weitere Ausführungen nicht nötig.
Stellt Ihr Internet-Provider einen Shell-Account zur Verfügung, von dem aus Sie X-Applikationen nutzen können, und wenn Sie einen speichermäßig gut ausgestatteten Rechner haben, sollten Sie das X11-Paket installieren. Leider unterstützt die in der KGMD verwendete Portierung bisher nur monochrome Auflösungen. Bis auf die Einrichtung einer ppp-Verbindung müssen keine weiteren Vorbereitungen mehr getroffen werden.
Als erstes muß eine ppp-Verbindung aufgebaut werden. Danach tippt man auf der Konsole einfach startx, und es werden der Windowmanager und ein xterm gestartet. Um nun Programme auf dem fremden Rechner zu starten, die aber auf dem eignen Rechner dargestellt werden, muß man dem fremden Rechner den Zugriff auf das eigene Display mit dem Kommando xhost +remotehost gewähren (remotehost ist der Host-Name des fremden Rechners). Das Gefährliche an dieser Methode ist, daß ab sofort jeder User auf dem remotehost Programme auf dem eigenem Display starten kann. Die sichere Methode mit xauth ist leider noch nicht verfügbar.
Der nächste Schritt baut eine Verbindung zum fremden Rechner auf: entweder rlogin remotehost oder telnet remotehost. Nun gibt man dem fremden Rechner noch bekannt, daß das eigene Display zur Darstellung genutzt werden soll. Bei einer C-Shell lautet die Anweisung: setenv DISPLAY myhost:0 (myhost ist der Host-Name des eigenen Rechners).
Ab sofort können beliebige Programme auf dem fremden Rechner gestartet werden, deren grafische Ausgaben auf dem eigenen Rechner dargestellt werden. So ist es durchaus möglich, sich im WWW zu bewegen, ohne lokal einen WWW-Browser installiert zu haben, indem man beispielsweise mit oben beschriebener Methode netscape auf dem remotehost startet. Allerdings sollte man sich bezüglich der Geschwindigkeit keine Illusionen machen. Die Bandbreite der Telefonverbindung ist für X-Anwendungen fast zu gering, und mitunter sind längere Wartezeiten nötig, bis alle Daten für die Darstellung übertragen sind. Dennoch ist X eine sehr interessante Anwendung, und in einer der nächsten Versionen ist eine Reduzierung des Protokoll-Overheads vorgesehen, um auch über eine Modemverbindung zügig mit X arbeiten zu können.
Das Schöne an der KGMD ist, daß nach der Installation und einigen kleineren Konfigurationen jeder ATARI für einen Internet-Zugang bereit ist. Natürlich erreicht die KGMD nicht den Komfort von Paketen, die es für Betriebssysteme wie MacOS oder Windows gibt. Dafür ist die KGMD wesentlich umfangreicher und flexibler. So lassen sich neben einem C++ Compiler ohne größere Probleme ein von Thomas Gerner portiertes UUCP-Paket oder der lokale WWW-Browser Chimera zur KGMD installieren.
Einziger Wermutstropfen, der noch bleibt, ist das Erlernen der für TOS-Anwenderdoch sehr ungewohnten Unix-Kommandos. Doch mit Hilfe von einschlägiger Literatur und etwas ‘learning by doing’ sollten die meisten Kommandos anwendbar sein. Nicht zuletzt hat jedes Unix eine Online-Hilfe: man kommandoname zeigt die entsprechende Manual-Page des Befehls an. Sollten alle Stricke reißen, kann man noch den Autor der KGMD per EMail über kgmd@nasim.cube.net erreichen.
Bezugsquellen:
KGMD:
Die KGMD Ist auf dem Flleserver nasim, 089/54662173 In /pub/atari/KGMD/ zu finden. Abrufen kann man sie entweder durch einen Gast-Logln und ZMODEM oder über anon-UUCP.
Ebenfalls steht die KGMD In der Maus M2, 089/98290910 Im Gruppenprogrammteil KGMD zu Verfügung Leser mit Internet-Zugang können die Dateien auch auf dem ftp-Server ftp.leo.org finden.
Eine Bitte: Viele Distributionen wurden durch wildes Kopieren und Ablegen in Mailboxen wertlos, da eine komplette Verbreitung aller Dateien nicht mehr sichergestellt war. Verschonen Sie die KGMD und halten Sie sich an die vom Autor verfaßten Bedingungen für die Verbreitung der KGMD.
Chimera, UUCP-Paket
Chimera und das UUCP-Paket finden Sie ebenfalls auf dem Fileserver nasim.
HSMODEM, HSM0DA06.LZH
Diese Datei sollten in jeder besser sortierten Mailboxzu finden sein (zum Beispiel: MAUS B, oder ST-Computer-Redaktions-Mailbox)