Ja genau, hier kann der „seriöse“ Leser mal den Krawattenknoten lockern und entspannen, denn es erwarten ihn keine Tabellenkalkulationen und komplexe DTP-Anwendungen. Wir werden uns an dieser Stelle auch in zukünftigen Ausgaben der ST-Computer mit den Talenten des Falcon030 beschäftigen, die auf eine etwas andere Anwenderregion zielen.
Keine Angst, ich teste jetzt nicht das 20ste Harddiskrecording-Programm oder Photo-CD-bezogene Grafik-Software mit DSP-Unterstützung. Diese Fähigkeiten des Falcon wurden schon ausführlich behandelt, folgen Sie mir einfach auf die „andere Seite“ (der Macht?). Dazu müssen wir uns mit einem spektakulären Überblendeffekt (à la Highlander) in das Jahr 1988 begeben. Die ATARI-Welt blühte und gedieh, ein schier endloser Strom von Software ergoß sich über den ATARI-Besitzer, ob er nun professionell arbeiten wollte oder einfach nur viele bunte Spiele mochte. Aber es war nicht zu leugnen, daß gegen die direkte Konkurrenz im Spielesektor, den Amiga, die ST-Grafik- und Soundfähigkeiten schon etwas mager aussahen (kein Mensch ahnte, daß der PC den ST von seinem Platz als Spielmaschine verdrängen würde). Aber schon bald kamen aus „dunklen Kanälen“ Programme, die aus dem ST Erstaunliches herausholten. Die sogenannten Demos glänzten mit bunter Grafik, tollen Animationen und digitalem Sound, den niemand dem ATARI-16-Bitter zugetraut hätte. Waren das noch Nebenprodukte der Crackerszene (Leute, die aus Spaß den Kopierschutz von Spielen entfernten), entwickelte sich schon bald eine eigen ständige Demoszene, deren Mitglieder einzig und allem Spaß daran hatten, ihre ST-Hardware mit verrückten Programmiertricks zum „Rauchen“ zu bringen und mit den dazugehörigen Grafiken und Sounds die Fans offenen Mundes vor dem Monitor verharren zu lassen. Zwei Jahre später entlockten vierstimmige digitale Sounds (wie beim AMIGA), durch Programmiertricks erzeugter Overscan (ebenfalls vom Amiga bekannt) und softes Scrolling (welches kommerzielle Spiele so gut wie nie boten) keinem echten Freak mehr auch nur ein müdes Lächeln. So ist es kein Wunder, daß auch tolle Spiele. Musik- und Grafik-Tools aus dieser Szene kamen. Wer also Kontakte hatte, konnte aus einer innovativen Software-Quelle schöpfen, deren Produkte die ST/E-Hardware konsequent ausnutzten und das letzte aus den Maschinen herausholten.
Harter Zoom zurück. 1994! Viele der alten Freaks nutzen ihre Fähigkeiten, um für Software-Firmen zu arbeiten. Aber auch die ATARI-Welt hat sich geändert, die ATARI-Familie hat Zuwachs bekommen, und natürlich beschäftigen wir uns jetzt mit unserem neusten Lieblingsspielzeug, dem Falcon030. Von lahme Ente über Spielkiste bis hin zum Multimedia-Highendsystem wurde unser Liebling schon betitelt, aber was steckt nun wirklich in den Silicontiefen dieses Rechners? Hier setzt das eigentliche Problem ein: die Software von kommerzieller Seite kann sich nicht so richtig entschließen, unserem „Vogel" bei seinen ersten Versuchen, das Nest zu verlassen, kräftig unter die digitalen Flügel zu greifen, Nun. angesichts der noch nicht so berauschenden Verkaufszahlen wundert das niemanden. Es gibt zwar für einige spezielle Anwendungsbereiche (HD-Recording, Bildverarbeitung) schon Software, aber zumeist liegen die Potentiale des Falcon brach. Und genau an dieser Stelle treten wir wieder auf den Plan, um diese Durststrecke zu überwinden.
Die ganze ATARI-Szene befindet sich momentan in einer Umbruchphase, ohne Zweifel steigen die meisten Freaks vom ST auf den Falcon um. Es hat sich dadurch ein etwas geschrumpfter, aber um so härterer Kern gebildet, der unermüdlich neue Programme erzeugt. Viele innovative Sachen kommen derzeit aus Frankreich, einiges aus England und Schweden, und auch die deutschen Freaks sind hellwach.
Man begegnet alten Bekannten, aber auch neue Namen tauchen in den Demos und Programmen auf, wobei die meisten Freaks erstmal damit beschäftigt sind, die neue Hardware zu erforschen.
Und die Ergebnisse dieses Treibens möchte ich an dieser Stelle den Falcon-Usern, die vielleicht weniger gute Kontakte haben, zugute kommen lassen. Es gab in Deutschland mittlerweile schon mehrere große Treffen, auf denen man interessante Entwicklungen sichten konnte. So sind die undokumentierten Hardware-Register des Falcon030 für Szene-Freaks längst kein Geheimnis mehr, und es wird fleißig damit herumjongliert. Ich hoffe, schon in einem der nächsten Falcon-Szene-Artikel entsprechende Tricks für Programmierer offenbaren zu können. Natürlich gibt es auch Interessantes für Leute, die nicht programmieren.
Aber ich schreibe und schreibe, dabei fragen sich jetzt bestimmt schon einige Leser, wer und was denn überhaupt hinter diesen diffusen Begriffen wie Democrew etc. steckt. Ganz einfach: inzwischen gibt es ziemlich feste Strukturen in einer Demogruppe, die man in drei Bereiche aufteilen kann: Programmierung, Grafik und Musik. Und in jeder Crew gibt es eine Anzahl Freaks, die sich auf eines dieser Gebiete spezialisiert haben.
Aus irgendeinem Grund bilden dabei die Coder (Programmierer) immer den größeren Teil. Sie können stundenlang mit geröteten Augen auf dem Screen nichts weiter als einen undurchsichtigen Haufen Assembler-Befehle anstarren, um am Ende den erstaunten Mitgliedern der Gruppe ihre neuesten Vektorgrafikeffekte vorzuführen. Offensichtlich ist es auch ein ungeschriebenes Gesetz, daß die soeben fertiggestellte Routine, wenn sie dann endlich sauber läuft und optimiert ist, dem darauffolgenden absoluten Desinteresse des Coders ausgeliefert wäre, wenn sich nicht die Grafiker und Musiker wie eine Meute hungriger Wölfe auf sie stürzen würden.
Was dem Coder seine Assembler-Befehle, sind des Grafikers Pinsel- und Lupenfunktionen in seinem Grafikprogramm. Er kann auf Essen und Trinken verzichten, aber nicht auf eine harmonierende Farbpalette. Und nicht mal besorgte Worte seiner Angehörigen bewegen ihn dazu, die Maus loszulassen, bevor er seine visuellen Fantasien auf Disk gebannt hat. Ständig erwischt man ihn, wie er verträumt auf Gegenstände starrt und in Gedanken deren Lichtreflektionsverhalten in imaginäre Logos einbaut.
Genauso wie der Grafiker gehört auch der Musiker zu dem künstlerischen Teil der Crew, weist aber ein komplett anderes Verhalten auf. Während auf dem ST die Musiker zumeist auch Programmierer sein mußten, da dem Yamaha-Chip nur mit viel Tricks ansprechende Töne entlockt werden konnten, hat sich auf dem Falcon030 eine zweite Musikergeneration etabliert. Auf den ersten Blick vermutet man einen Coder, der sich entschlossen hat, eine zweite Laufbahn als Hippie einzuschlagen, aber das ständige „Melodien-vor-sich-hinsummen“ ist ein sicheres Indiz, daß man einen Musiker außerhalb seines Kellers gesehen hat. Dieser Keller ist vollgestopft mit Keyboards und riesigen Lautsprechern, die einen Nichtmusiker unweigerlich töten würden, wenn er sich unvorsichtigerweise in diesen Keller wagen sollte. Der Musiker allerdings pflegt dort mehrere Tage zu verbringen, bevor er den anderen Gruppenmitgliedern stolz ein Feuerwerk von verdrehten Soundeffekten um die Ohren schleudert oder sie mit einem vollkommen harmonischem Musikgenuß verblüfft.
Tja, und schon geht mein erster Artikel dem Ende entgegen. Das nächste Mal werde ich dann etwas konkreter und stelle bemerkenswerte Szene-Programme vor. Noch ein Quicktip: besorgen Sie sich unbedingt das WARUM-Demo von LAZER (z.B. in der „Gore Zone“ Mailbox), es ist im Moment eines der besten Demos für den Falcon030 und bietet Stoff genug, um schon mal die frotzelnden Bemerkungen Eurer PC-besitzenden Freunde zum Verstummen zu bringen. Auf der 680X0-Convention (eine Amiga/ATARI-Party in Hamburg im letzten Sommer) bekamen eine Menge Amiga-Freaks das Schlucken, angesichts der ersten Veröffentlichung im Rahmen eines Demowettbewerbs. Man sollte sich immer vor Augen halten, daß der Falcon Fähigkeiten hat, die sich PC-Besitzer erst teuer einkaufen müssen und von denen Amiga-Freaks bislang nur träumen können.
So. jetzt muß ich aber endlich dieses Logo (Hi AVENA!) fertig machen ... tschau!
A.-t- of Cream