Interview: Der Adler kommt - GE-Soft baut den ersten ATARI-Clone

Peter Konrady (Marketing und Vertrieb) und Gero Anschütz (Chefentwickler)

Nachdem die Gerüchteküche lange Zeit gebrodelt hat, ist es nun offiziell: der erste ATARI-Clone wird entwickelt und gebaut. Was ATARI nicht fertigbringt, schafft eine kleine, im rheinischen Troistorf ansässige Firma. Unabhängig von ATARI und ohne die speziellen Custom-Chips soll ein vollwertiger und extrem schneller TOS. Rechner entstehen.

Kurz nachdem die ersten Gerüchte darüber auftauchten, hauen wir Gelegenheit, mit der Geschäftsleitung der Firma GE-Soft, die den Clone entwickelt und fertigt, ein ausführliches Interview zu führen. Unsere Gesprächspartner, Peter Konrady, zuständig für Marketing und Vertrieb, und Gero Anschütz, Chefentwickler der Firma, zeigten sich sehr auskunftsfreudig.

ST-Computer: Gleich die erste Frage vorweg, die natürlich die meisten Leser interessieren wird: Wie weit ist die Entwicklung des Clones schon fortgeschritten, und wie genau sieht das Konzept aus bzw. welche Leistungsmerkmale wird er haben?

Gero Anschütz: Der Rechner ist theoretisch fertig, das bedeutet, daß alle Logikgleichungen stehen und in der Simulation bereits funktionieren. Alle die, die eine Vorstellung davon haben, wie eine Hardware-Entwicklung vor sich geht, wissen auch, daß das der zeitraubendste Teil ist. Was nun folgt, ist das Layouten einer Platine, der Aufbau eines Prototypen und Messungen sowie Anpassungen, bis der erste Prototyp stabil läuft.

Wir haben ein völlig offenes Konzept gewählt, um größtmögliche Flexibilität zu erreichen. Das fängt schon bei der CPU an: sie wird nicht auf der Hauptplatine, sondern auf einer extra Karte sitzen, die in einem speziellen Prozessor-Slot Platz findet. Damit können wir 68000er-, 68030er-, 68040er- und sogar 68060er-CPUs einsetzen, je nachdem, was der Kunde wünscht. Zunächst wird der Rechner allerdings mit einem 50-MHz-68030er-Prozessor ausgeliefert. Später wird mit Sicherheit ein 68040er folgen, der ja inzwischen auch in der 33-MHz-Version erhältlich ist. Dieser läuft intern, ähnlich wie der Intel 486 DX-II mit doppelter Taktfrequenz, also mit 66 MHz. Damit haben wir das Problem, daß das Board mit insgesamt vier verschiedenen Taktraten arbeiten muß, und zwar mit 50-, 40-, 33-und 25 MHz. Letzteres wegen des momentanen 40er, der ja noch mit 25 MHz getaktet wird. Dies ist inzwischen gelöst, und ich kann Ihnen nur sagen: es funktioniert!

ST-Computer: Läßt sich das Konzept der auf einer Karte ausgelagerten CPU auch dazu verwenden, um andere Prozessoren, beispielsweise Intel, oder RISC-Chips einzusetzen?

Gero Anschütz: Prinzipiell ja, es wird sich bei dem Slot zwar um einen etwas modifizierten Motorola-Bus handeln, aber man kann diesen natürlich je nach Zusatzlogik auf der CPU-Karte auch auf einen anderen Prozessor umsetzen.

ST-Computer: Wie sieht es mit dem RAM-Speicher aus, was wird auf dem Board einsetzbar sein?

Gero Anschütz: Wir werden unsere schon vorhandene TT-RAM-Karte in das Board integrieren, das heißt, daß sich auf dem Motherboard 16 SIMM-Sockel für bis zu 256 MB TT- RAM bei Einsatz von 16-MB-SIMMs befinden. Daneben wird es natürlich auch ST-RAM geben. Dafür werden wir schnelle Video-RAMs einsetzen, um prozessorseitig fast auf die Geschwindigkeit es Fast-RAMs im jetzigen TT kommen, nur im ST-RAM! Besonders Programme, die das schnelle TT-RAM nicht nutzen können, werden also hiervon stark profitieren. Das Konzept des ST-RAMs sieht vor, daß es nur in 4 MB-Blöcken ausgestattet werden kann. Das bedeutet, daß die Maschine von vornherein 4 MB RAM haben wird und mit einer ST-RAM-Karte auf bis zu 12 MB aufgerüstet werden kann.

ST-Computer: Zu den Erweiterungsmöglichkeiten: Gerüchte besagen, daß das Gerät neben dem obligatorischen VME-Bus auch einen ISA-Bus bereitstellen soll. Stimmt das?

Gero Anschütz: Sicher ist, daß ein VME-Slot vorhanden sein wird, der 100% ATARI- kompatibel ist. Das heißt, daß alle VME-Karten, die für den TT existieren, auch in unserem Rechner einsetzbar sind. Ob ein zweiter VME-Slot einwandfrei funktionieren kann, steht derzeit noch nicht fest, das kann man erst durch Messungen am Prototypen herausfinden, da hilft die Simulation im Rechner nicht weiter. Leider hat sich ATARI nicht ganz an den VME-Standard gehalten, zudem haben die Entwickler von VME-Karten meist nicht daran gedacht, daß evtl. noch eine zweite Karte dazukommen könnte. Das hat dazu geführt, daß viele Karten im gleichen Adreßbereich arbeiten, was natürlich im Parallelbetrieb nicht mehr funktionieren kann. Eine weitere Schwierigkeit ist, daß VME-Karten für denn meist nicht identisch mit denen für den Mega-STE sind. Wir werden dieses Problem aber dadurch lösen, daß unser VME-Anschluß umgeschaltet werden kann, so daß sowohl VME-Karten für den TT als auch solche für den Mega-STE einsetzbar sind. Der ISA-Bus ist zunächst aus zeitlichen Gründen nicht machbar, soll aber in der nachfolgenden Version eingeplant werden.

ST-Computer: Die große Frage ist wohl: Was ist mit den ATARI-Custom-Chips, insbesondere denen, die vom Betriebssystem und von vielen Anwenderprogrammen direkt benutzt werden, also Register direkt beschreiben oder auslesen? Wie kompatibel ist die neue Maschine auf dieser Ebene?

Gero Anschütz: Wir werden wirklich peinlich genau jedes Hardware-Register des TTs nachbilden, somit ist in diesem Bereich volle Kompatibilität zu erwarten. Lediglich im Videosystem wird es einige Änderungen geben, die Auflösungen ST-Low und ST-Mid werden nicht mehr unterstützt. Wahrscheinlich wird auch die TT-Low-Auflösung rausfallen. ST-Hoch, TT-Mid und TT-Hoch werden allerdings 1:1 nachgebildet, wobei die Hardware für die TT-Hoch-Auflösung über eine kleine steckbare Platine nachrüstbar sein wird. Es handelt sich dabei um relativ teure ECL-Chips, die Anwender, die sowieso Grafikkarten einsetzen wollen, unter Umständen gar nicht brauchen. In diesem Fall brauchen sie sie auch nicht mitzubezahlen, können sie aber jederzeit nachrüsten.

Was noch wegfallen wird, ist der DMA-Sound. Darauf werden wir vollständig verzichten. Es ist allerdings geplant, einen Steckplatz zu integrieren, der es ermöglicht, eine Karte mit dem Sound- Subsystem des Falcon030 inkl. DSP nachzurüsten. Unsere Maschine soll professionellen Ansprüchen gerecht werden, der alte 8-Bit-DMA-Sound ist dabei eher als Spielerei anzusehen. Auch werden wir, was ganz wichtig ist, neben dem SCSI-Part auch den ATARI-ACSI-Anschluß einbauen, damit die ATARI-Laserdrucker weiterhin verwendbar sind. Überhaupt werden alle gewohnten Schnittstellen, wie parallel, 4 mal seriell, MIDI, LAN, Floppy usw. vorhanden sein. Selbst der ROM-Port wird nachgebildet, wobei es allerdings wegen der erhöhten Geschwindigkeit sicherlich zu Problemen mit diversen Hardware-Kopierschutzsystemen kommen wird. Hier wird ein wenig Anpassung seitens der Hersteller nötig werden.

ST-Computer: Bedeutet das also, daß jedes TOS, das auf dem 11 funktioniert, auch auf dieser Maschine ohne Patches einsetzbar sein wird?

Gero Anschütz: Im Prinzip ja, allerdings gibt es im TOS einige kleine Bugs, die unter Umständen dazu führen werden, daß es nicht ohne weiteres möglich sein wird, ohne Patches auszukommen. Zumindest wenn ein 68040er-Prozessor verwendet werden soll, werden Änderungen notwendig.

ST-Computer: Thema TOS: welches TOS wird in dem Rechner zum Einsatz kommen?

Peter Konrady: Das steht noch nicht ganz fest. Wir versuchen schnellstmöglich einen Termin mit Bob Gleadow von ATARI zu bekommen, an dem wir über dieses Thema reden werden. Normalerweise wäre es kein Problem, ein TOS von ATARI zu bekommen. Wenn der TT in Zukunft offiziell ausläuft, steht unser Gerät ja in keinem Konkurrenzverhältnis zu einem ATARI- Produkt mehr. Falls ATARI uns dabei nicht unterstützen wird, gibt es immer noch die Möglichkeit das MAG!X-Betriebssystem der Gebrüder Behne zu bekommen.

Gero Anschütz: Eine ganz legale Möglichkeit wäre es natürlich für die Umsteiger, das TOS aus ihrem TT herauszunehmen und in die neue Maschine einzustecken. Optimal wäre es natürlich für uns, wenn wir von ATARI eine Lizenz für das TOS bekämen, um Anpassungen selbst vornehmen zu können. So etwas hat es ja in der Vergangenheit schon bei diversen Beschleunigerkarten gegeben.

ST-Computer: Kommen wir zum Marketing-Bereich: wann wird es die ersten Geräte geben, in welchen Versionen, was werden sie kosten, und in welcher Form plant GE-Soft den Vertrieb?

Peter Konrady: Wir denken, daß wir ca. Mitte bis Ende Oktober 1993 die erste Kleinserie bis 30 Stück fertiggestellt haben werden. Diese Geräte sind zunächst für Vorführungen bei den Händlern und für Entwickler gedacht. Ca. 4 Wochen braucht dann noch die Serienfertigung, sodaß in jedem Fall noch rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft die Rechner bei den Händlern gekauft werden können.

GE-Soft wird ein komplettes Board allen Schnittstellen, 4 MB ST-RAM sowie ein Gehäuse nebst Tastatur und Maus anbieten. Monitor, Festplatte, Floppy-Laufwerk und TT-RAM werden vom jeweiligen Händler je nach Kundenwunsch bestückt. Dadurch erreichen wir die größtmögliche Flexibilität gegenüber den Anwendern. Sie können sich quasi ihre Traummaschine direkt beim Händler zusammenbauen lassen. Dieses Vertriebskonzept bedeutet natürlich auch, daß wir nicht direkt an Endkunden, sondern immer über unsere ca. 80 bis 90 Fachhändler ausliefern werden.

Standardmäßig werden wir ein schwarzes Tower-Gehäuse (siehe Bild) anbieten. Es bietet eine Menge Details, die den Umgang mit Hardware-Erweiterungen wesentlich vereinfachen. Natürlich kann man auch noch andere Gehäuse einsetzen. Jedes beliebige PC-Gehäuse läßt sich verwenden. Preislich bewegt sich das Endgerät je nach Ausstattung zwischen 4000,- DM un 5000,- DM in der 50-MHz-Version mit 68030 CPU. Man sollte dabei allerdings bedenken daß Aufsteiger, also diejenigen Benutzer, die schon einen voll ausgestatteten TT haben, ihre vorhandene Hardware, also RAM, Festplatte usw. weiterbenutzen können. Wir finden, daß eine solche Maschine mit einem derartig flexiblen Hardware-Konzept zu diesem Preis im Augenblickick konkurrenzlos ist.

ST-Computer: Was wird GE-Soft unternehmen, um den Bekanntheitsgrad dieses zu steigern?

Peter Konrady: Wir werden sicherlich verstärkt in die Werbung gehen, vornehmlich im ATARI- Bereich, aber auch in rechnerunabhängigen DTP-Fachzeitschriften. Genau steht das allerdings noch nicht fest, wir warten die Reaktionen auf unsere Maschine ab, wenn sie bei den Händlern steht und Vorführungen gemacht werden. Wir rechnen damit, daß wir noch in diesem Jahr ca. 200 Maschinen verkaufen werden. Anschließend peilen wir 1000 Stück pro Jahr an. Natürlich wird das Gerät dabei kontinuierlich weiterentwickelt.

ST-Computer: Gibt es schon einen Namen für den ATARI-Clone?

Peter Konrady: Wir haben uns auf den Namen "Eagle" geeinigt. Ich denke, das drückt die Leistungsfähigkeit der Maschine sehr gut.

ST-Computer: Wir danken Ihnen für das Gespräch.



Aus: ST-Computer 10 / 1993, Seite 30

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