Headline und Artis Letters - Über allen Schriften…

Zugegeben, die ideale Textverarbeitung gibt es nicht, wenngleich verschiedene Hersteller im Laufe der Zeit den vielfältigsten Wünschen der Anwenderschar gerne nachkommen. Wie auch sonst sollen Updates, Upgrades und Neukreationen unters Volk gebracht werden? Man muß sich (wie so oft) aus dem reichhaltigen Angebot jenes Programm aussuchen, das dem Ideal am nächsten kommt - zunächst.

Oft gibt es auch nur den Ausweg, sich ein teueres DTP-Programm zuzulegen, um etwas "Leben" in die Textgestaltung zu bekommen. Natürlich bieten die DTPs eine Funktionsvielfalt, die man eigentlich nicht haben wollte. Der Trend geht (siehe Calamus SL u.a.) in eine modulare Zusammenstellung der Zusatzfunktionen, die auf Wunsch hinzugekauft werden können (dürfen, wollen, sollen ...). Was machen aber diejenigen, die ihre altgeliebte Textverarbeitung partout nicht ausrangieren wollen?

Das Problem ist bekannt: Fast alle Textprogramme (meist älteren Datums) gestatten nur einen Zeichensatz. Mit dem gewählten Font kann man nicht sehr viel anstellen: etwas schräggestellt, unterstrichen, klein und doppelt groß - und das war's dann meistens schon. Wenn weitere Zeichensätze nachladbar sind, ist das schon fast die Steigerung von komfortabel.

Ein Beispiel zeigt, daß man mit der Uralt-Vorgängerversion eines Textprogrammes nicht unbedingt hadern muß, wenn man nur ein paar größere Überschriften in dem Text haben möchte. Von der Firma ARTIS aus Wien und von APi-Soft aus Berlin wurden uns Programme vorgelegt, die im nachhinein größere Überschriften in einen Text zaubern können.

Nur gilt bei allen Programmen zu beachten: 1. Das Textprogramm muß in der Lage sein, Grafik einzubinden, mindestens IMG-Format (32 KByte), weil die nachträglichen Überschriften immer zunächst als Grafik abgespeichert werden (noch nie etwas vom GEM-Klemmbrett gehört?). 2. Es sind entweder eigene Zeichensätze im Lieferumfang, oder die Programme greifen auf Signum-PD-Fonts zurück (wovon es schon mindestens 1000 gibt). Für eigene Fonts (macht sich überhaupt noch jemand die Mühe?) müßte also ein Font-Editor her.

Artis' LETTERS

Das Produkt aus Wien möchte als Accessory auf dem Boot-Laufwerk installiert sein. Das hat natürlich den großen Vorteil, daß es in GEM-Programme projiziert werden kann. Trotzdem ist das kein Meilenstein, denn die zusammengebastelte Überschrift direkt in das (darunter) laufende Textprogramm zu übernehmen, das funktioniert leider nicht. Also ist immer ein Zwischenspeichern angesagt.

Wenn LETTERS per ACC-Leiste aktiviert wird, erscheint eine voluminöse Dialogbox (siehe Bild 1), die u.a. 12 Wahlschalter zur Veränderung des Textes bereithält. Zwei Schritte müssen noch getan werden, bevor die neue Riesenüberschrift bewundert werden kann: den eigentlichen Überschriftentext eintippen und den gewünschten Zeichensatz wählen.

Soweit - so gut. Was geschieht denn nun, wenn ich mit dem Aussehen der Überschrift nicht so ganz einverstanden bin? Dafür gibt es die 12 Schalter, mit denen der Zeichensatz direkt manipuliert wird: Umrandung, fett, Schatten usw. Es ist aber bedauerlicherweise nicht möglich, diese verschiedenen Attribute miteinander zu mischen und dadurch evtl. ein Vielfaches von 12 als Gestaltungsmöglichkeit zu erhalten.

Naja, da gibt es doch auch die Freiheit, einfach einen anderen Zeichensatz zu laden. Also den Schalter "Zeichensatz" anklicken, und schon bietet uns die Fileselectorbox andere Font-Dateien an. Es ist aber wiederum nicht möglich, mehrere Fonts gleichzeitig präsent zu halten und direkt umzuschalten. Also bei jedem neuen Zeichensatz ist ein Zugriff auf den Massenspeicher nötig - nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß.

Im unteren Teil der LETTERS-Dialogbox erscheint jedesmal das Resultat in einem Ausschnittsfenster. Wenn eine Überschrift oben und unten etwas abgeschnitten ist, ist das nicht weiter tragisch, das Ausschnittsfenster zeigt eben nicht mehr, obwohl noch mehr vorhanden ist. Wenn aber die Überschrift rechts aus dem Bild hinauswandert, ist das weit schlimmer, denn mehr als 640 Bildpunkte in der Breite verarbeitet LEITERS nicht.

Begründet wird diese Einschränkung damit, daß die meisten Textprogramme auch nicht mit Bildern breiter als 640 Pixel arbeiten, 1st Word plus würde sogar ganz die Arbeit verweigern. Also ist doch wieder Probieren angesagt, bis der passende Zeichensatz (nun wegen der Breite) ausgesucht ist.

Die Zusammenarbeit mit 1st Word, Script und Tempus lief klaglos. Besonders angenehm war in script die Möglichkeit, die Größe des einzubindenden Bildes per GEM-Gummibandfunktion frei zu wählen, aber dafür kann LEITERS ja nichts. In 1st Word plus gibt es weit mehr Einschränkungen: Die Überschrift bleibt als separate Grafik in einer eigenen Datei gespeichert. Wenn nun der Text kopiert wird, muß auch die Überschriftsdatei mitkopiert sein. Grafiken können leider nicht verändert werden - aber für all das kann LETTERS auch nichts.

LETTERS speichert die Überschriften im IMG- und PIC-Format und benötigt knapp 25 KByte Speicherplatz. Es läuft auf allen ST/STE/TT-Computern in der hohen ST-Auflösung und ist großbildschirmfähig. LETTERS kostet bei ARTIS 98 DM. Eine abschließende Wertung folgt.

HEADLINE easy?

Das Programm von Oliver Völkers geht einen etwas anderen Weg, obwohl die beiden Einschränkungen von oben auch hier gelten.

Easy Headline ähnelt vom Arbeitsprinzip her LETTERS und soll auch als ACC installiert sein. Abgesehen von der Art und Weise, neue Zeichensätze ebenfalls durch neuen Externspeicherzugriff zu präsentieren, sowie der Beschränkung in der Zeilenbreite, ist damit die Ähnlichkeit auch schon wieder vorbei. Die Gestaltungsmöglichkeit des Textes ist hier auf zwei Funktionen beschränkt: das Verändern der Typenabstände und das Feinpositionieren in vertikaler Richtung.

Das Verändern des Typenabstandes ist dann besonders interessant, wenn man die Überschrift der Breite des Normaltextes anpassen will. Weil easy HEADLINE ja als ACC läuft, kann man die Positionierung im (darunter liegenden) Text in etwa erahnen.

Die Feinpositionierung (siehe Bild 2) von einzelnen Zeichen ist nun wirklich eine "Feinheit". Man geht mit dem Cursor vor das Zeichen und drückt mit der Shift-Taste eine der Pfeiltasten (hoch oder runter), und schon bewegt sich der Buchstabe in die gewünschte Richtung. Ob natürlich diese Schlangenlinien jedermanns Sache sind und deswegen zu den herausragendsten Errungenschaften der Gestaltungstechnik gehören, bleibt dahingestellt.

Bemerkenswert ist die Tatsache, daß easy HEADLINE die Schrift selbst nicht manipuliert, es also nicht möglich ist, nachträglich dem Font andere Attribute aufzuzwingen. Wenn der Font nicht schon von Hause aus schräggestellt ist, kann easy HEADLINE dies auch nicht bewerkstelligen (wohl aber LETTERS - siehe oben). Auch hier darf die Gesamtbreite von 640 Pixeln um nichts in der Welt überschritten werden - Textverlust rechts droht auch hier!

Easy HEADLINE speichert ebenfalls im IMG- und PIC-Format, benötigt seltsamerweise gewaltige 50 KByte an Speicher und ist als ACC mit 1st Word plus, Script und That's Write problemlos einverstanden. In SIGNUM! und bei CyPress ist die ACC-Leiste leider nicht ansprechbar. Preis: 50 DM(APiSoft). Schlußplädoyer folgt.

HEADLINE

Außer mit dem Namen hat HEADLINE mit seinem "Easy"-Vorgänger überhaupt keine Ähnlichkeit. Volker Christen (Schöpfer von HEADLINE) ist denn auch einen ganz anderen Weg gegangen.

In diesem Lineal finden wir neben der Randeinstellung ein Pull-Down-Menü für die verschiedenen Zeichensätze. Hier ist es also machbar, mehr als einen Zeichensatz bereit zu halten, der auf Maustastendruck den Überschriftentext unmittelbar abändert. Weiterhin können dort die Textausrichtung (links, zentriert, Blocksatz) und einige Attribute (fett, kursiv, unterstrichen, hohl, Schatten) eingestellt werden.

Interessant aber sind die Schalter für die sogenannte Sperrung. Dies erlaubt den Text nachträglich in seinem Zeichenabstand (Proportionalausgleich) zu verändern. Dabei sind Werte von +128 bis -128 möglich. Bei gravierend negativem Sperrungswert schieben sich die Typen derart brutal übereinander, daß der Text nicht mehr lesbar ist. Dennoch verbirgt sich dahinter eine sehr praktische Manipulationsmöglichkeit. Bei meinen Gehversuchen in HEADLINE gab es allerdings Unverträglichkeiten zwischen den Klein- und dem Großbuchstaben am Wortanfang. Die wollten um nichts in der Welt ihre Abstände ändern, während die Restbuchstaben dies ohne Schwierigkeiten taten.

Vielleicht habe ich da etwas übersehen, was man "Kerning" nennt. Damit kann die sogenannte Unterschneidung bei überstehenden Buchstaben variiert werden. Beispielsweise ist es ein Unterschied, wie zwei kleine "m" nebeneinander aussehen oder zwei kleine "i". Das läßt sich für jede einzelne Buchstabenposition nachträglich verändern.

Ein weiteres Bonbon ist das Raster. In HEADLINE kann man zwei verschiedene Raster laden, die dann mit dem Text und separat auch mit einem vorhandenen Schatten eine UND-Verknüpf ung eingehen können (auch wechselweise). Über eine Dialogbox sind noch einige Parameter einstellbar: die Ausprägung für Fettdruck in x- und y-Richtung, die sogenannte Schattentiefe in beiden Richtungen sowie Randabstände und Bildgröße horizontal. Diese Werte können sogar für jedes einzelne Zeichen getrennt ausgewählt werden. Beschränkungen in der Textbreite gibt es hier nicht. HEADLINE verarbeitet die Grafikformate IMG, PIC und PAC und bringt fünf eigene Zeichensätze mit (siehe Bild 6). Es ist das einzige echte GEM-Programm mit Menüleiste. Die Funktionen, die sich in der Menüleiste verstecken sind dagegen kaum der Rede wert. Zum Arbeiten benötigt das Programm knappe 100 KByte und kostet 95 DMbei APiSoft. Zusätzliche Schriften sind für 50 DMpro Diskette erhältlich.

(Mehr als ein) Schlußsatz

Selbst wenn es vermessen klingt, so ganz glücklich war ich mit keinem dieser Programme! Und so möchte ich mit dem negativsten Punkt in dieser Betrachtung beginnen:

Der Preis von LETTERS ist mit 98 DMmeiner Ansicht nach um einige Stufen zu hoch. Easy Headline würde ich vom Kostenstandpunkt eher in die Public-Domain-Schublade stecken. Einzig HEADLINE selber hält sich preislich in einem akzeptablen Rahmen, der aber nach oben ebenfalls schon an seine Grenze stößt.

Schlecht ist...

Was die Funktionsausstattung anbelangt, so haben alle drei Programme gleichviele Vor- und Nachteile, die je nach "Preislage" entsprechend schwer wiegen. Schlecht ist das ständige Nachladen der Zeichensätze bei LETTERS und Easy Headline.

Schlecht ist die jeweils nur getrennt mögliche Nutzung der 12 Attribute bei LETTERS. Schlecht ist das gänzliche Fehlen der Attributeinstellung bei Easy Headline. Schlecht ist die Beschränkung von 640 Pixeln horizontal bei LETTERS und Easy Headline. Schlecht ist, daß alle drei Programme die Überschrift nur abgespeichert dem Empfängertext übergeben können. (Es gibt also noch einiges zu tun.)

Gut ist....

Die Vielfalt der Attribute in LEITERS ist recht angenehm. Gut ist auch die Breitenänderung in den beiden HEADLINEs. Ansonsten kann eigentlich nur HEADLINE selber mit einer stattlichen Anzahl von Sonderfunktionen glänzen, die eine individuelle Überschriftengestaltung erlauben. Gut ist bei allen drei Programmen, daß sie vornehmlich auf SIGNUM!-PD-Fonts setzen, die nun wirklich sehr preisgünstig verfügbar sind. Gut ist ebenfalls bei allen drei Programmen, daß sie klaglos ihren Dienst verrichten und sich das Ergebnis in den Textprogrammen sehen lassen kann. Zu den beigefügten Handbüchern habe ich noch kein Wort verloren, sie sind auch kaum der Rede wert. Die Programme sind so leicht zu bedienen, daß größere Beschreibungen ohnehin kaum vonnöten sind. Die kurzen Abhandlungen mögen dennoch dem Unbedarften eine sinnvolle Anleitung sein, sehr viel zu sagen hatten sie nicht.

Symbiose

Auch wenn es wahrscheinlich nicht machbar ist: Mir persönlich wäre es am liebsten, man würde die guten Ansätze aller drei Programme in einen Topf werfen und kräftig umrühren - es ließe sich ein hervorragendes Headliner-Programm daraus konstruieren. Trotz allem dürfte ein solches Programm insgesamt nicht mehr als 100 DM kosten, wobei ich allen drei Vertretern ins Stammbuch schreiben muß: Bei ihrer Preisvorstellung liegen sie alle am obersten Rand des Vertretbaren.

Bezugsquellen:

APiSoft Andreas Pirner Bundesallee 56 W-1000 Berlin 31
ARTIS Software Hohlweggasse 40154 A-1030 Wien


DK
Aus: ST-Computer 02 / 1992, Seite

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