Artis 2.0: Der Rembrandt fürs Wohnzimmer

Das Angebot an Grafik-Software ist dicht wie ein Dschungel und ebenso undurchdringbar. Begriffe wie „Vektorgrafiken“ und „Bitmap-Software“ stellen den Benutzer vor zahlreiche Entscheidungsschwierigkeiten beim Kauf eines Malprogrammes. Der Markt ist unübersichtlich wie nie, und fast monatlich kommen neue Zeichenhelfer dazu.

ARTIS 2.0 ist ein punktorientiertes Zeichenprogramm, das sich in erster Linie an Künstler wendet. Neben dem Zeichnen von Linien, Kreisen, Rechtecken, Quadraten und dergleichen stehen dem Benutzer zahlreiche andere geometrische Objekte zur Auswahl. Zudem bieten 14 unterschiedliche Effekte die Möglichkeit, erstellte Bilder auf verschiedenste Weise zu verändern und zu verfremden. Besonderen Wert legten die Autoren auf leichte Bedienbarkeit und künstlerisch orientierte Funktionen, was sich in unserem Software-Test zeigen sollte.

Handbuch

Das Handbuch enthält neben einer 73seitigen Anleitung zur Bedienung des Programmes auch einen 35seitigen Grafikkurs, um den Benutzer in die richtige Bedienung verschiedener Funktionen einzuführen. Eine gute Idee, wie wir meinen. Das Handbuch ist so ausführlich wie nötig und läßt sich angenehm lesen. Die Symbole (Icons), die die verschiedenen Zeichenbefehle im Programm darstellen, finden sich natürlich in der Bedienungsanleitung wieder. Weiterhin ist stets neben einer kurzen Erklärung auch aufgelistet, welche Optionen sich bei der entsprechenden Funktion verändern lassen.

Eine sehr schöne Bedienhilfe hat ARTIS 2.0 zudem serienmäßig: Bewegt der Benutzer seine Maus auf eine beliebige Zeichenfunktion, so wird in einem kleinen Fenster die Seite angezeigt, unter der man in der Bedienungsanleitung die entsprechenden Erläuterungen findet. Dies vermeidet lästiges Suchen, wenn man schnell mal ein paar Informationen nachschlagen will oder muß. Dieses beispielhafte Konzept sollte in jedem besseren Programm zum Standard gehören.

Bildgröße

Das Programm, das nur in der hohen ST-Auflösung läuft, ist ausschließlich punktorientiert und besitzt keinen Vektorteil. Im Gegensatz zu früheren Versionen ist die Version 2.0 nun auch „großbildfähig“. Dies heißt jedoch keineswegs, daß das Programm großbildschirmfähig ist, sondern vielmehr, daß Grafiken mit mehr als 640 x 400 Punkten bearbeitet werden können. Sofern der Speicher ausreicht, läßt Artis virtuelle Bilder mit einer Maximalgröße von 2400 x 3200 Punkten zu. Reicht der Speicher nicht aus, meldet das Programm „zu wenig Speicher“ und wird danach automatisch beendet. Wer seine Bilder nicht abgespeichert hatte, hat schlicht-weg „Pech gehabt“.

War noch genug Speicher frei, kann der Grafiker ein Großbild mit einstellbarer Größe und maximal fünf weitere Bildschirme mit der Standardgröße von 640x400 Punkten nutzen. Leider lassen sich auch im Großbild nur Ausschnitte von 640 x 400 Punkten bearbeiten. Da das Programm bei Berührung der Ränder nicht weiterscrollt, kann keine zufriedenstellende Großseitenbearbeitung durchgeführt werden. Zeichnet man etwa ein Dreieck und plaziert es so, daß ein Teil außerhalb des sichtbaren Bereiches gezeichnet wird, so geht dieser Teil verloren. Das ständige Hin- und Herschieben des Bildausschnittes ist ausgesprochen lästig und hilft nur bei Objekten, die kleiner als der Bildschirm sind. Die Bearbeitung erstreckt sich also nur scheinbar auf Bilder, die größer als der sichtbare Ausschnitt sind. Der Benutzer kann den Grafikausschnitt zwar beliebig verschieben, die Zeichenfunktionen aber nur auf den gerade sichtbaren Bereich anwenden. Rahmen lassen sich folglich nicht um die gesamte Grafikseite zeichnen. Demzufolge sollte man Artis als bildschirmorientiertes Grafikprogramm (wie etwa STAD) einordnen.

Ausdruck

Die Palette heute gängiger Drucker deckt die Zeichen-Software gut ab. Neben 9-Nadeldruckem werden auch 24-Nadler, ATARI-Laserdrucker und sogar HP-Laserjet-kompatible Drucker unterstützt. Leider tritt auch hier das oben erwähnte Manko auf: Es lassen sich außer auf ATARI-Lasern (hier sind drei Druckgrößen möglich) nur die jeweils sichtbaren Bildausschnitte ausdrucken. Dies spricht deutlich gegen die Benutzung von Großbildern.

Der Ausdruck des sichtbaren Ausschnittes erfolgt (wir testeten auf einem HP Deskjet 500) in hoher Geschwindigkeit, und zudem kann zwischen drei verschiedenen Ausdruckgrößen gewählt werden. Ist der Ausdruck einer Seite beendet, kann die Seite auf Wunsch ausgeworfen werden (Formfeed - Seitenvorschub). Wer dies nicht will, kann auch ohne Vorschub auf der aktuellen Seite weiterdrucken. Dies funktionierte bei unserem Deskjet leider nicht. Ließen wir die Seite nicht aus werfen und wollten eine zweite hinterherdrucken, so wurde auf dieser Hälfte kein Zeilenvorschub (Linefeed) mehr durchgeführt und die ganze Grafik in einer Zeile übereinander gedruckt.

Zeichenfunktionen

Natürlich bietet Artis die heutzutage üblichen Standardzeichenfunktionen. Neben Punkten, Linien, Linienzügen, Dreiecken, Rechtecken und Quadraten lassen sich auch Fünfecke, Kreise, Kreisausschnitte, Ellipsen, Viertelellipsen und Bögen zeichnen. Zudem kann der Grafiker nicht nur „gerade“ Objekte zeichnen, sondern auch schiefe Dreiecke, Bezier-Kurven und Parallelogramme sind möglich. Für mathematische Zeichnungen stehen senkrechte und parallele Linien ebenso zur Auswahl wie Quader und n-Ecke mit veränderbarer Eckenzahl (s. Bild 1).

Die meisten Objekte lassen sich sowohl gefüllt als auch ungefüllt zeichnen. Selbst bei bereits aufgezogener Figur läßt sich per Tastendruck der Grafikmodus verändern. Dies kann mitunter sehr nützlich sein. Die Replace-Einstellung dagegen hat auch Ihre Fehler: Zeichnet man ein Dreieck, das mit Replace in die Grafik eingestanzt werden soll, so wird um das Dreieck herum ein weißes Rechteck gezeichnet, das den Hintergrund löscht.

Lustige Sprüheffekte erzielt der Zeichner mit einer der beiden Sprühdosen. Die eine Dose sprüht solange, bis die Maustaste losgelassen wird - die andere sprüht nur dann, wenn die Maus bewegt wird und läßt so auch sehr fein dosierte Sprühflecken zu. Zudem kann der Benutzer zwischen drei Punktauflösungen wählen. Das Sprühen mit einem Füllmuster ist nicht möglich.

Bild 2: Zusätzlich stehen dem Künstler neben mathematischen Objekten auch 16 verschiedene Verfremdungseffekte zur Verfügung.

Signum-Zeichensätze

Neben dem ATARI-Zeichensatz in den üblichen Größen kann der Grafiker seine Zeichnungen auch mit Signum-Zeichensätzen verschönern. Das Programm kann alle 24-Nadeldruckerzeichensätze mit der Dateikennung *.P24 einladen. Mühelos lassen sich Texte mit den schönen Zeichen in Ihrem Bild plazieren und mit den Programmfunktionen nachbearbeiten. Wer seine Bilder lieber handschriftlich betiteln möchte, kann dies mit der „Tuschefeder“ von Artis tun. Hier wird ähnlich dem Freihandzeichnen ein Linienzug mit der Maus eingegeben, der dann wie von einer breiten Tuschefeder nachgezeichnet wird.

Sollten Sie sich tatsächlich einmal vertippt oder verschrieben haben, so können Sie mit der Undo-Funktion (engl.: undo = rückgängig machen) Ihr unbeschriftetes Bild zurückholen. Leider wurde das Symbol zum Löschen des Bildes optisch fast genauso gestaltet, wie das Symbol für Undo. Dies kann dazu führen, daß man schnell mal die beiden Knöpfe verwechselt. Das Bild wird außerdem ohne jede Rückfrage gelöscht, was uns schon manches Mal Nerven und Zeit gekostet hat. Hier wäre mindestens eine Rückfrage mittels Alert-Box angebracht. Da die Undo-Funktion immer nur einmal wirkt, läßt sich zwar das gelöschte Bild zurückholen, die letzte Zeichenfunktion kann dann jedoch nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Effekte

Besonders interessant sind die vielen künstlerischen Funktionen, die das Programm aus dem unübersichtlichen Angebot an Malprogrammen hervorhebt. Hier stehen neben vielen schönen Objekten, die meist nach mathematischen Formeln berechnet werden (s. Bild 2), auch 16 verschiedene Effekte zur Verfügung, mit denen die künstlerischen Schöpfungen nachbearbeitet werden können. Hiermit lassen sich Bilder aufhellen, ausdicken, konturieren und vieles mehr (s. Bild 3). Man merkt, daß sich die Programmierer hierbei besonders große Mühe gegeben haben. Wer seinen Grafiken den passenden Rahmen verleihen will, hat zwei verschiedene, vordefinierte Rahmenarten zur Auswahl.

Die Lupe ist dagegen umso spärlicher ausgefallen und deutlich verbesserungbedürftig, lassen sich doch ausschließlich Punkte setzen oder löschen. Selbst wenn der Benutzer an den Rand des Lupenausschnittes gelangt, verschiebt sich der Ausschnitt nicht automatisch, sondern muß mittels Cursor-Tasten verschoben werden. Gerade bei der Bearbeitung von Punktgrafiken sollte die Lupe komfortabel ausgestattet sein und neben zwei verschiedenen Auflösungen auch wenigstens die Standardfunktionen (Linien, Kreise und so weiter) beinhalten, was Artis nicht bietet.

Blockfunktionen

Blöcke lassen sich als Rechteck ausschnei-den, wieder einfügen und verschieben. Zusätzlich kann der Benutzer einen Block duplizieren (mehrfach kopieren) und die Lasso-Funktion benutzen. Hierbei zieht sich der rechteckige Block wie ein Lasso zu und umrahmt das ausgeschnittene Objekt. Im Gegensatz zu Grafiksoftware von Mitbewerbern kann mit Artis nur ein rechteckiger Block markiert werden, der sich dann zuzieht. Soll ein Objekt ausgeschnitten werden, das nur mit anderen zusammen in ein Rechteck paßt, kann dieses nicht einzeln angewählt werden. Hier wäre eine zweite Lasso-Funktion wünschenswert, die auch beliebige Blockformen zuläßt.

Horizontale und vertikale Spiegelungen gehören zur Serienausstattung. Weiterhin bietet Artis 2.0 zwei sogenannte „Rambo-Funktionen“. Hierbei muß der Benutzer den zu verzerrenden Block markieren. Neben den Block wird eine Freihandlinie gezeichnet, die dessen Verformung darstellt. Auf Knopfdruck wird der Block der Form der nebenliegenden Linie angepaßt. Zusätzlich lassen sich Blöcke um 90" drehen, Drehungen um beliebige Winkel sind nicht möglich. Blöcke können um den Faktor zwei verkleinert oder vergrößert werden. Die Vergrößerung ist jedoch eine reine Punktverdoppelung in horizontaler und in vertikaler Richtung. Eine Abrundung der Vergrößerungstreppen erfolgt nicht.

An Füllmustern wurde ein wenig gespart. Hier stehen dem Zeichner nur die Graustufen und Muster zur Verfügung, die der Atari von vorneherein anbietet. Zusätzliche wurden weder im Programm definiert, noch lassen sich weitere vom Benutzer erstellen. Als einziger Trost dienen die beiden Rasterverläufe und das Zufallsgraumuster, mit denen sich geschlossene Flächen füllen lassen.

Bild 3: Die Effektfunktionen lassen unterschiedlichste Veränderungen gezeichneter Grafiken zu.

Dateiformate

Das Programm schreibt zwar nur die Dateiformate GEM-Image (.IMG) und das 32000-Bytes-PIC-Format (.PIC bzw. .DOO), kann dafür aber zusätzlich Degas-Bilder in der hohen Auflösung (.PI3) und gepackte STAD-Grafiken (*.PAC) einlesen, was in den meisten Fällen ausreichen wird. Schade, daß sich die eigenen Zeichnungen nicht im *.PAC-Format abspeichern lassen.

Fazit

Artis 2.0 ist ein spielend leicht zu bedienendes Grafikprogramm, das Sie auch ohne Handbuch sofort benutzen können. Sollten Sie tatsächlich einmal nicht mehr zurechtkommen, hilft die Angabe der Handbuchseite im Menü vorbildlich weiter und vermeidet lästige Sucherei und Blätterei. Da sich ausschließlich Punktgrafiken (Pixel-Bitmaps) bearbeiten lassen, ist der Kreis der Anwender eingeschränkt. Die Großbildfunktion zeigt zwar interessante Ansätze, die aber in der vorliegenden Programmversion 2.0x nicht komfortabel nutzbar sind. Das Programm sollte daher nur in Ausnahmefällen für Bilder verwendet werden, die größer als der sichtbare Ausschnitt sind. Die Auswahl an Verfremdungseffekten und mathematischen Objekten richtet sich in erster Linie an künstlerische, kreative Zeichner. Gerade die Blasen und Sterne verschönern schnell und einfach Ihre Bilder.

Da einige wichtige Funktionen fehlen und manche andere nicht zufriedenstellend arbeiten, läßt sich Artis nur in der Mittelklasse einordnen. Und gerade hier scheint ein Preis von DM 198,- deutlich überzogen, bietet doch die Konkurrenz für weniger Geld mehr Professionalität.

RP

Bezugsquelle:
Artis Software
Hohlweggasse 40
A-1030 Wien
Österreich



Aus: ST-Computer 01 / 1992, Seite 66

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