Wer kennt das nicht? Da hat Man(n) oder Frau ein tolles Programm geschrieben, das nun auf die ST-Menschheit losgelassen werden soll. Alles stimmt, die Grafik, der Programmfluß, die GEM-Fenster, der Sound...!
Halt, der Sound ??
Statt einem fetzigen Rhythmus werden dem Soundchip nur ein paar mickrige Töne entlockt, die das Programm ohne Zweifel um ein paar Prozentpunkte in der Gunst der Anwender sinken lassen. Nun ist guter Rat teuer. Die meisten Hobbyprogrammierer werden vor schier unlösbare Probleme gestellt, dieses Manko zu beheben, denn hier hilft nur Assembler-Programmierung weiter.
Doch welcher Hobbyprogrammierer hat schon die Zeit und die Geduld, sich in die Tiefen des ST hinabzubegeben und den ultimativen Kampf der Bits und Bytes aufzunehmen? Bis vor kurzem konnte ich mich ebenfalls zu diesem Kreis zählen, bis mir eine gütige Fügung des Schicksals das Programm MUSIC MON ST zutrug und den Dornröschenschlaf des Soundchips beendete.
MUSIC MON ist ein Soundeditor, der fantastische Klänge erzeugt, die über Editor oder MIDI (Musical Instruments Digital Interface) in einfachster Weise eingegeben, per Sequenzer zu kompletten Musikstücken zusammengesetzt und über eine Assembler-Routine in eigene Programme eingebunden werden können. Das Programm lag mir in der Version 1.1 vor und ist nicht kopiergeschützt, so daß problemlos Arbeitskopien erstellt werden können. Auch einer Installation auf Festplatte steht nichts im Wege. Die ca. 60 Seiten starke Programmbeschreibung erläutert in selbst für Musiklaien einfachster Weise die komplette Bedienung und wird in einer Programmhülle mit Ringbuchlochung mitgeliefert. Vor dem Start von MUSIC MON hat der Anwender die Wahl zwischen der Farb- oder der Monochrom version. In der Farbversion ist das Programm hübsch an-zuschauen und wesentlich aussagekräftiger, alle weiteren Ausführungen werden sich auf die Monochrom Version beziehen. Nach dem Laden erscheint ein Titelbild mit einem flotten Musikstück, das den Anwender schon vorab die Leistungsfähigkeit dieses Programms erahnen läßt. Per Mausklick öffnet sich der Hauptbildschirm, auf dem sich alle Funktionen zum Erstellen und Verändern eines Musikstücks befinden. Anfangs verwirrt die Vielfalt der Buttons und Anzeigen, doch erkennt man auf den zweiten Blick die wohlgeordnete Logik. Spätestens jetzt fällt dem Anwender auch die fehlende Menüleiste auf. Accessories können daher nicht angesprochen werden. Dieses Manko ist nicht mehr ganz zeitgemäß und sollte in einer späteren Version geändert werden.
Im unteren Teil des Bildschirms befindet sich das Notenanzeigefeld, über das ein Musikstück eingegeben und editiert werden kann. Das Notenanzeigefeld besteht aus einer Positionsanzeige und drei Spalten, für jeden Soundkanal eine. Die Noten können über den MIDI-Kanal oder über die Tastatur eingegeben werden, wobei die ST-Tastatur hier nun die Funktion einer Klaviatur erhält. Mit den Funktionstasten läßt sich die gewünschte Oktave auswählen, die in einem kleinen Rechteck neben dem Notenanzeigefeld angezeigt wird. Ein Eintrag in die Notenliste kann auf zwei Wegen erfolgen. Entweder spielt man auf der ST-Tastatur die entsprechende Note oder man gibt die Note manuell in der Reihenfolge Note, Oktave und Soundnummer ein. Die Notenlänge ergibt sich aus dem Abstand von einer Note zur nächsten, wobei jede Zeile in der Notenliste eine 16tel-Notenlange darstellt. Die Musiker unter ihnen werden jetzt sicherlich anmerken, daß eine 16tel Notenauflösung nicht gerade viel ist. Stimmt, man hat aber die Möglichkeit, die Abspielgeschwindigkeit in weitem Rahmen zu variieren. Durch Verdoppeln der Abspielgeschwindigkeit und entsprechendes Umformatieren der Noten werte lassen sich z.B. schon Notenauflösungen bis 32tel erzielen. Die Soundnummer gibt an, mit welchem Instrument die Note gespielt wird. Für jedes Musikstück können maximal 50 verschiedene Sounds (Instrumente) verwendet werden.
Die wichtigste Funktion von MUSIC MON ST ist der Sequenzer, mit dem in Baukastenmanier ein Musikstück zusammengebastelt werden kann. Ein komplettes Musikstück setzt sich aus einzelnen Teilstücken, sogenannten Patterns, zusammen, von denen 70 Stück zur Verfügung stehen. Der Vorteil einzelner Patterns liegt darin, daß sich diese beliebig oft in einem Musikstück wiederholen lassen, ohne daß dieses Teilstück erneut komponiert werden muß. Ein Pattern hat eine maximale Länge von 4 Takten, die aber individuell verändert werden kann. Möchte man nun die einzelnen Patterns zu einem kompletten Song zusammenfügen, so trägt man die Nummern der entsprechenden Patterns in die Sequenzerliste ein, die Platz für maximal 100 Einträge bietet. MUSIC MON bietet nun drei verschiedene Abspielfunktionen. Zum einen kann das momentan eingestellte Pattern abgespielt werden, zum anderen der komplette Song gemäß der Sequenzerliste. Ferner lassen sich alle Patterns zwischen dem eingestellten Start-Pattern und End-Pattem abspielen. Selbstverständlich verfügt MUSIC MON auch über leistungsfähige Edit-Funktionen, mit denen sich einzelne Patterns oder Sounds kopieren oder auch Noten transponieren lassen. Hat der Anwender nun ein Musikstück erstellt, möchte er es verständlicherweise auf Diskette sichern. Hier bietet MUSIC MON die Wahl zwischen dem Speichern einzelner oder aller Patterns und Sounds sowie dem erstellten Song gemäß der Sequenzerliste. Ferner kann hier das komponierte Musikstück in einem eigenen kompakten Format gespeichert werden, das man dann in eigene Programme zusammen mit der Abspielroutine einbinden kann. Diese Funktion weist seltsamerweise in der Monochromversion einen Fehler auf, der aber in der nächsten Version, so wurde mir von Galactic versichert, beseitigt sein wird.
Der zweite wichtige Bildschirm von MUSIC MON ST ist der Soundbildschirm, dessen Anblick dem Anwender beim ersten Mal den Atem verschlägt. Hier werden alle Möglichkeiten zur Manipulation von Sounds angeboten, die das Herz des Musikfreundes höher schlagen läßt. Durch Betätigung eines angeschlossenen MIDI-Keyboards oder durch Druck auf die Atari-Tastatur kann der bearbeitete Sound natürlich sofort mitgehört werden. Links oben auf dem Bildschirm stellt der Anwender in einem Rasterfeld mit der Maus die Hüllkurve ein, die den grundlegenden Lautstärkeverlauf der Note festlegt. Weiter unten kann man an geben, ob sich die Rauschfrequenz in Abhängigkeit von den gespielten Noten ändern soll oder nicht. Eine sehr wichtige Funktion ist die Definition der Frequenzmodulation, unter der man die ständige leichte Veränderung der aktuellen Tonfrequenz versteht. Hier stehen Dreieck-, Rechteck- und zwei Sägezahnformen zur Auswahl. Möchte man die aktuelle Frequenz um einen gewissen Grad nach oben oder unten gleiten lassen, so hilft die Funktion Pitch Bend, zu deutsch Tonhöhenverbiegung, weiter. Selbstverständlich gelten die beiden letzten Funktionen auch für die Rauschgeneratoren. Unter der Amplitudenmodulation versteht die Musikwelt die regelmäßige Veränderung der aktuellen Lautstärke, deren Bedienungselemente sich hierfür ganz oben auf dem Bildschirm neben der Frequenzmodulation für den Tongenerator befinden. Last but not least bietet MUSIC MON auch ein Arpeggio, d.h. eine schnelle, sich ständig wiederholende Abfolge von einzelnen Tönen, womit sich beispielsweise Akkorde simulieren lassen. Verständlicherweise kann hier nur in Kurzform auf diese umfangreichen Funktionen eingegangen werden.
Die Musikstücke, die mit MUSIC MON erstellt wurden, lassen sich in jede Programmiersprache einbinden, die eine Funktion zum Aufruf von Assembler-Unterprogrammen besitzt. Auf der Programmdiskette werden Beispiele für GFA-BASIC, Omikron-Basic und Assembler mitgeliefert. In GFA-BASIC erfolgt die Einbindung absolut unproblematisch: Die Soundroutine und das Musikstück werden über die BASIC-Funktion ‘BLOAD’ an eine Adresse eingeladen und mittels ‘C:’ aufgerufen. Die Soundroutine hängt sich in den VBL-Interrupt ein und klinkt sich nach Beendigung des Musikstücks wieder selbständig aus. Ich möchte noch erwähnen, daß MUSIC MON vier verschiedene Soundroutinen anbietet, die sich unterschiedlich in den Interrupt einhängen. Dies ist besonders nützlich, falls andere Programme oder Accessories sich ebenfalls der Interrupt-Programmierung bedienen und dadurch mit der Abspielroutine kollidieren könnten.
MUSIC MON ST ist ein Programm, das vielen Anwendern wieder Hoffnung geben wird, die eigene Musikstücke in ihre Programme einbinden möchten. Auch wenn die Bedienung anfangs etwas ungewohnt ist, weil für die Noteneingabe kein richtiges Notenblatt zur Verfügung steht, sondern die Noten quasi textähnlich eingegeben werden, findet sich der Anwender dennoch nach kurzer Zeit gut zurecht. Wenn in der nächsten Version der Bug beim Speichern in der monochromen Auflösung entschärft worden ist, steht den ST-Usern ein rundum gelungenes Programm zur Verfügung.
Bezugsquelle:
Galactic
Julienstr. 7
W-4300 Essen 1