Mit der Einführung des MIDI-Datenformats und der Möglichkeit, die zugehörige Schnittstelle direkt am Atari ST zur Verfügung zu haben, hat sich der ST in Musiker kreisen nicht zuletzt durch das reichhaltige Angebot an Sequenzer-Software, Effektgeräte- und Keyboard- Editoren zunehmend Beliebtheit verschafft.
Kaum ein professionelles Tonstudio, das nicht mit mindestens zwei Rechnern arbeitet, um gleichzeitig Mischpultautomation und Sequenzer synchron laufen lassen zu können. Durch die immer komplexer werdende Technik ist es allerdings unerläßlich, gute, möglichst automatisierte, computergestützte Meßgeräte und CAD-Software zur Verfügung zu haben. Dazu bietet die Firma KEMTEC zwei Programmpakete an. Das automatische Meßsystem AMS-ST bewerkstelligt die unterschiedlichsten Meßaufgaben im Tonstudio-, PA (Großraumbeschallung)- und HiFi-Bereich sowie im Lautsprecherboxenbau. Im Bereich der technischen CAD-Software ist jetzt mit acoustiX, einem Programm zur Frequenzweichen- und Gehäusesimulation, ein Werkzeug für den professionellen Lautsprecherboxenkonstrukteur erhältlich.
Mit AMS-ST lassen sich Pegel- und Impedanzfrequenzgänge, Hallzeit über Frequenz und die für den Lautsprecherboxenbau benötigten Thiele-Small-Parameter elegant ermitteln. Menüorientiertes Einmessen von 2- oder 3-Kopf-Magnetbandmaschinen oder Kassettengeräten gehört ebenso zum Standard wie die Möglichkeit, alle ermittelten Meßergebnisse komfortabel darstellen und auswerten zu können.
Als externe Einheit wird der KEMTEC- Meßprozessor AMS PC-1656 benötigt. Dieser wird als Tisch- oder 19-Zoll-Gerät über die RS-232-Schnittstelle mit dem ST verbunden. Der Meßprozessor besteht im wesentlichen aus einem steuerbaren Frequenzgenerator (Sinus-Sweep) und einem Millivoltmeter. Dabei kann der Anwender sämtliche Einstellungen des Prozessors vom Rechner aus vornehmen. Als Anschlüsse stehen zwei Line-Ausgänge und ein Leistungsausgang sowie zwei Line- Eingänge und ein symmetrischer Mikrofoneingang zur Verfügung. Ein Monitorausgang ermöglicht den zusätzlichen Anschluß eines Oszilloskopes, um die am Eingang anliegenden Meßsignale über wachen zu können. Der Leistungsausgang bietet maximal 4 Watt Ausgangsleistung und dient zum schnellen Überprüfen von Lautsprechern oder Boxen.
Das AMS-Software-Paket beinhaltet ein SETUP- und das eigentliche Meßprogramm. Beide Programme sind in GFA-BASIC geschrieben und voll in GEM eingebunden. Im SETUP können sämtliche Voreinstellungen wie spezielle Mikrofondaten (Feldübertragungsfaktor), Meßarten, Hardware-Konfigurationen und Druckersteuerungen vorgenommen werden (Abb. 1). Die Kalibrierung des Meßprozessors sowie von dessen Hardware-Erweiterungen läßt sich von hier aus durchführen. Weiterhin ist es möglich, mehrere SETUP-Dateien abzuspeichern.
Das Meßprogramm besteht aus zwei Oberflächen, dem Meß- und dem Anzeigemenü. Über das Meßmenü lassen sich der Generator und das Millivoltmeter bedienen. Dabei befinden sich auf der linken Desktop-Hälfte der Generator und auf der anderen das Millivoltmeter bzw. Anzeigefeld (Abb.2). Insgesamt lassen sich Messungen in einem Frequenzbereich von 10Hz-40kHz vornehmen. Die Auflösung beträgt dabei 256 Punkte. Allerdings ist auch eine Teilung mit 64 Punkten, ein Terz- oder Oktavraster möglich. Die Verweildauer pro Meßfrequenz läßt sich von 16-2048ms wählen.
Im CHECK-Betrieb wird eine bestimmte Frequenz mit einem voreingestellten Pegel ausgegeben. Andere Ausgabeformen des Generators sind der gewobbelte Sinus (5Hz Modulation), Burst (frei definierbare Schwingungs-Pausen-Zeiten) und Rosa Rauschen (Abnahme der Amplitude bei Frequenzverdopplung um den Faktor 0.7, also um 3dB). Bei Messungen mit Rosa Rauschen ist dann ein terzbreites Mitlauf filter zuzuschalten. Die gesamte Meßdynamik beträgt 48dB.
Für die genauere Darstellung von Meßobjekten und deren Auswertung ist das Anzeigemenü zuständig. Mit der Lupenfunktion können bestimmte Teile einer Kurve mehrfach vergrößert werden. Fährt man mit dem Maus-Cursor auf einer Kurve entlang, werden die Frequenz und der dazugehörige Funktionswert zusätzlich digital angezeigt. Alle Messungen lassen sich miteinander verrechnen (Summen- und Differenzbildung, arithmetische Mittelung). Zusätzlich wurde softwaremäßig das nach DIN IEC 651 genormte Filter für die A-Bewertung installiert. Somit ist es möglich, den gemessenen Schalldruckpegel in Abhängigkeit von der Frequenz unterschiedlich zu bewerten, was in erster Näherung unserem Gehör entspricht. Oftmals kann es sinnvoll sein, mehrere Kurven mit unterschiedlichen Meßgrößen in einem Diagramm darzustellen. Dieser Fall trifft bei Messungen von Lautsprecherboxen zu, bei denen es von Interesse ist, Pegel- und Impedanzfrequenzgang gleichzeitig zu betrachten. Folglich wird die y-Achse in dBspl und Ohm skaliert (Abb. 3). Sehr hilfreich ist die Option, Meßobjekte, die fast alle gleich sind, gespreitzt (Delta- dB-Darstellung) aufzuzeigen. Dies ist besonders wichtig beim Einmessen von Mehrspurbandmaschinen im Tonstudio. Der Service-Techniker hat somit alle 16 Spuren einer Multitrack auf einem „Schrieb“ (Abb. 4). Möchte man die Entzerrung einer HiFi- Anlage mittels eines grafischen Terzband- Equalizers vornehmen, ist die Darstellung im Terzraster eine große Hilfe (Abb. 5).
Nachhallzeiten werden nach dem RT60- Verfahren gemessen. Dabei wird in dem vom Anwender eingestellten Frequenzintervall für jede Frequenz, in Abhängigkeit von der gewählten Auflösung (max. 256 Punkte), die Nachhallzeit ermittelt.
Das Aufnehmen der Thiele-Small-Parameter kann mit der Methode - unter Zuhilfenahme eines Zusatzgewichtes - nach J.A.D’Appolito oder nach der Methode mit geschlossenem Gehäuse erfolgen. Hat man die Parameter ermittelt, reduzieren sich die Berechnungen zur Konstruktion von geschlossenen Lautsprechergehäusen auf ein Minimum.
Auch in der von MS-DOS-Rechnern durchwachsenen Industrielandschaft fin det, wenn auch seltenst, der gute alte ST seinen Platz. KEMTEC erweiterte die normale AMS-Software um ein zusätzliches Modul, in dem automatische Prüfungen elektroakustischer Baugruppen durchgeführt werden können. So wurde bei einem namhaften Lautsprecherboxenhersteller eine komplette, vollautomatische Produktionsendkontrolle installiert. Äußerlich ist allerdings der Atari ST nur noch an seinem Monitor SM 124 zu erkennen. Der Mega ST1 befindet sich in einem 19"-Gehäuse der Firma MICON-Audio.
Das Programm acoustiX wurde für alle Lautsprecherentwickler geschrieben, die des Arbeitens mit Taschenrechner und Lautsprecherkatalog überdrüssig sind. Es ermöglicht die Berechnung optimaler Gehäuse und idealer Passiv-Weichen sowie deren Simulation nach realen Vorgaben.
Basis für die Simulation ist die Anwendung der elektrischen Filtertheorie. Alle für die Entwicklung eines Lautsprechersystems erforderlichen Übertragungsglieder verhalten sich wie Filter verschiedener Ordnung und Charakteristik. Bei einer Frequenzweiche liegt bereits ein elektrisches Filter vor, bei einer Lautsprecher/Gehäuse-Kombination muß das Verhalten des Systems erst in ein elektrisches Ersatzschaltbild überführt werden. Für jedes Schaltbild läßt sich nun eine Übertragungsfunktion aufstellen, aus der sich der Frequenzgang, welcher Informationen über Amplituden- und Phasenverlauf enthält, ableiten läßt.
Zur Berechnung kompletter 2-, 3- und 4- W eg-Frequenzweichen lassen sich Filter von 1.-4. Ordnung mit Butterworth-, Bessel-, Tschebyscheff-, Linkwitz- und Compromise-Charakteristik vorgeben. Für jedes der Hoch-und Tiefpaßfilter können Sie Trennfrequenz, Filterordnung und - Charakteristik getrennt wählen. Als Ergebnis wird dann der Schaltplan ausgegeben (Abb. 6). Die Schaltplanbauteile können nun ggf. vom Anwender modifiziert werden. Bei der Simulation (Abb. 7) kann man zur besseren Übersicht die Darstellung auch nur auf Amplitude oder Phase der einzelnen Wege beschränkten. Trotz des großen Rechenaufwandes konnte eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit erreicht werden; die Simulation der kompletten 3- Weg-Weiche in Abb. 7 benötigte nur ca. 11 Sekunden.
acoustiX ermöglicht die Berechnung von geschlossenen und Baßreflexgehäusen. Zur Berücksichtigung des Verlustwiderstands braucht lediglich die Summe aller in Reihe zum Lautsprecher liegenden Widerstände (z.B. auch der des Lautsprecherkabels) angegeben zu werden. Neben der Berechnung der optimalen Gehäuseparameter ist auch die Vorgabe von Gehäusen möglich, deren Amplituden- und Phasengang dann mit einem gegebenen Chassis simulierbar ist.
Die Daten eines Lautsprechers können Sie eingeben und abspeichern. Dabei werden technische Daten, Amplituden-, Phasen- und Impedanzverlauf erfaßt. Für Anwender, die nicht auf Meßdaten von AMS- ST zurückgreifen können, besteht die Möglichkeit, mit Hilfe des implementierten Kurveneditors Amplituden-, Phasen- und Impedanzverlauf mit der Maus zu zeichnen. Neben den Datensätzen für einzelne Lautsprecher kann man zusätzlich mit Projektdateien, die alle Frequenzweichen-, Lautsprecher-, und Gehäusedaten eines kompletten Mehrwegsystems ent halten, gearbeitet werden.
Ulrich Schiller / Andreas Hollmann