Arabesque Professional: Ballett-Duett

Arabesque ist ein Grafikprogramm, das sowohl Raster- als auch Vektorgrafiken erzeugen/ verarbeiten kann. Im Gegensatz zu anderen Programmen dieser Art wurde jedoch, laut Hersteller, darauf Wert gelegt, daß man nicht etwa zwei Programme in einem erhält (nämlich ein Raster- und ein Vektorprogramm), sondern mit einer Software arbeitet, bei der auch interessante Mischungen aus beiden Grafikarten möglich sind.

Aus dem Lexikon: Arabesque w (fr.) Balletthaltung in der Waagerechten. Ich nehme also die beschriebene Haltung an der Tastatur ein und werde nun mit elfenhafter Leichtigkeit durch Menüs und Dialoge schweben, um zu sehen, ob sich das Programm mit ebensolcher Leichtigkeit bedienen läßt.

Erster Eindruck

Nach dem Programmstart erscheint ein einsames Fenster, das den gesamten Bildschirm für sich in Anspruch nimmt und sich weder in Größe noch Position verändern läßt. Es handelt sich um kein GEM-Fenster, sondern um eine eigene Konstruktion. In der Titelzeile werden eine Reihe von Koordinaten eingeblendet. Eine Menüleiste sucht. man vergeblich - der Programmierer rechtfertigt dies mit einer höheren Programmgeschwindigkeit, da die Menüleistenverwaltung wegfällt. Ich bin aber der Meinung, daß man sich an den GEM-Standard halten sollte, was auch als Kritik an dem Fenster gilt. So wäre es z.B. möglich, ein normales GEM-Fenster zu verwenden und die Koordinaten in die Menüleiste einzublenden. Sowohl für den Raster- als auch für den Vektorgrafikteil sind viele Funktionen identisch (Bild 1). Die Programmphilosophie, nämlich Raster- und Vektorgrafik miteinander zu verbinden, wird hier also konsequent weiterverfolgt.

Rastergrafik

Im Fenster erscheint eine übersichtliche Dialogbox, in der die verschiedenen Operationen als Icons dargestellt sind. Klickt man mit der linken Maustaste auf ein Icon, wird die entsprechende Operation ausgeführt, beim Klick mit der rechten Maustaste erscheint eine Dialogbox, in welcher die Einstellungen verändert werden können. Mit einem Klick der rechten Maustaste bei der Operation und mit einem Klick auf OK bei der Einstellung gelangt man zur Auswahlbox zurück. Diese konsequente Art der Bedienung verkürzt die Einarbeitungsphase und erlaubt ein schnelles Arbeiten mit dem Programm.

Im oberen Teil der Dialogbox befinden sich die grundlegenden Grafikfunktionen wie Linien, Kreise usw., deren Bedeutung sich durch die Icons von selbst erklärt. Neu ist hier die Möglichkeit, mit BezierKurven zu zeichnen, diese Funktion ersetzt die Spline-Funktion in der Arabesque-Normalversion. Dazu wählt man das entsprechende Icon an und kann dann mit der Maus vier Punkte setzen, welche durch Linien verbunden sind. Sobald der letzte Punkt gesetzt ist, wird eine Bezier-Kurve durch die vier Punkte gelegt, und die Linien verschwinden. Praktisch sind die Polygone, da diese auch automatisch dreidimensional gezeichnet werden können.

Die Ausgabe von Texten kann mit GEM- oder Signum-Fonts erfolgen, wobei letztere erst in GEM-Fonts konvertiert werden müssen. Dazu befindet sich ein Konvertierungsprogramm mit auf der Diskette. In der Professional-Version werden auch GDOS-Zeichensätze unterstützt. Dazu muß natürlich GDOS installiert sein, die Zeichensatz Auswahlbox zeigt in diesem Fall fünf neue Einträge für zu ladende Zeichensätze. Für Schriftenvielfalt ist also gesorgt.

Viel Arbeit haben die Arabesque-Programmierer sich bei den Blockfunktionen gemacht. Hier stehen etliche Biege-, Verzerrung.- und sonstige Manipulationsmöglichkeiten zur Verfügung. Beim Füllen von Flächen lassen sich neben den Füllmustern noch ein Helligkeitsverlauf und der Blockinhalt benutzen. Der Blockinhalt kann auch in beliebige Flächen eingesetzt werden, eine sehr leistungsfähige und auch recht schnelle Funktion, die interessante Verzerrungseffekte liefert (Bild 2).

Eine gute Idee ist die Bestimmung eines Begrenzungsrechtecks, sämtliche Zeichenund Blockfunktionen wirken dann nur auf diesen Bereich. So kann man bei Detailarbeiten seine Aufmerksamkeit einem Ausschnitt widmen, und braucht nicht auf andere Bildteile Rücksicht zu nehmen.

Die Grafikseite

Da mit Arabesque Grafiken erstellt werden können, die größer als der Bildschirm sind, steht zur Übersicht eine (schnelle) Seitenverkleinerungsfunktion zur Verfügung. Der aktuelle Grafikfensterausschnitt ist hier durch ein Rechteck markiert, welches mit der Maus innerhalb der verkleinerten Seitendarstellung verschoben werden kann - eine komfortablere Möglichkeit als mit den Rollbalken im Grafikfenster.

Beim Grafikformat sind die Größen A5, A4 und A3 im Hoch- und Querformat vorgegeben, es lassen sich aber auch beliebige Größen festlegen. Die maximale Größe einer Grafikseite beträgt 9984*9999 Punkte, diese Aussage konnte mangels einer 12 Megabyte-Erweiterung nicht überprüft werden ...

Es existieren hier auch einige Operationen, die man auf die ganze Grafikseite anwenden kann. So läßt sich das Bild konturieren oder mit dem aktuellen Füllmuster UND-verknüpfen. Neu sind hier die Funktionen Rotieren, Spiegeln und Kippen.

Dateiformate

Beim Laden/Sichern fällt einem zuerst einmal eine eigene Dateiauswahlbox auf. Sicherlich ist diese leistungsfähiger als die Ataribox, doch viele Anwender, zu denen auch ich gehöre, benutzen eine der verbesserten, residenten Fileselect-Boxen aus dem PD-Bereich und müssen sich daher umstellen. Optimal wäre daher, wenn man zwischen der eigenen und der Standardbox wählen könnte. Zum Sichern einer Grafik existiert zunächst einmal ein Arabesque-eigenes Format mit der Extension ABM (hat nichts mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu tun). Dieses Format speichert Grafiken gepackt ab, wobei der Packalgorithmus effektiver ist als beim GEM-Image-Format, welches ebenfalls unterstützt wird. Weitere Formate sind STAD, Degas/Degas Elite und IFF. Für Signum! Anwender, die Arabesque-Grafiken in ihren Dokumenten verwenden wollen, läßt sich eine Grafikseite in kleinen Häppchen zu 640*400 Pixeln als STAD-Sequenz speichern. Die einzelnen Bildteile werden dann in Signum nacheinander geladen und dort zusammengefügt.

Vektorgrafik

Wer es noch nicht wissen sollte: Bei Vektorgrafik werden die einzelnen Elemente, die man als Objekte bezeichnet, nicht als diskrete Punkte, sondern in Form von mathematischen Gleichungen verwaltet. Der Vorteil ist die beliebige Veränderbarkeit der Objekte und die Unabhängigkeit der Grafik von der Auflösung des Ausgabegerätes. Will man ein bereits bestehendes Objekt verändern, muß es vorher selektiert und dann die auf dieses Objekt anzuwendende Funktion ausgeführt werden. In Arabesque lassen sich darüber hinaus sogenannte Objektgruppen bilden. Solch eine Gruppe behandelt man dann wie ein einzelnes Objekt. Objektgruppen können in einem Puffer gespeichert werden und stehen dann als komplexe Grafikbefehle zur Verfügung. Speichert man mehrere Objektgruppen auf einer Grafikseite ab, kann man sich eine Bibliothek von eigenen Objekten aufbauen, z.B. für elektrische Schaltpläne oder chemische Formeln. Natürlich lassen sich die Gruppen auch wieder in einzelne Objekte auflösen.

Die schon anfänglich bemerkte Programmphilosophie der Verschmelzung von Raster- und Vektorgrafik äußerte sich in einem Objekttyp namens Rasterobjekt. Im Rastergrafikteil wird dazu ein Ausschnitt markiert, der nun als Objekt im Vektorgrafikteil eingefügt wird und sich in Eintracht mit den echten Vektorgrafik-Objekten verarbeiten läßt. Prinzipbedingt unterliegt dieser Objekttyp natürlich einigen Einschränkungen bezüglich der Manipulationen: Spiegeln, Rotieren, Scheren und Drehen können hier nicht angewandt werden. Da beim Verändern der Größe natürlich mehr oder weniger starke Qualitätseinbußen auftreten, können für jedes der Rastergrafik-Objekte auch zwei vorgegebene Größen festgelegt werden. Bei der Anpassung an den Bildschirm entspricht jedes Pixel des Objektes (wer hätte das gedacht?) genau einem Bildschirm-Pixel. Darüber hinaus kann das Objekt auch an das Drucker-Raster angepaßt werden, wobei natürlich die richtige Druckerauflösung eingestellt sein sollte.

In der vorliegenden Professional-Version wurden gegenüber der Normalversion Bezier-Polygone implementiert. Das ist vor allem für Calamus-Anwender interessant, da Calamus intern mit Bezier-Polygonen arbeitet. Praktisch bedeutet das eine höhere Auflösung und weniger Speicherbedarf, da eine gekrümmte Linie durch ein Bezier-Polygon natürlich viel besser angenähert werden kann als durch ein normales Polygon. Logischerweise kann Arabesque jetzt auch Dateien im Calamus-Vektorgrafikformat verarbeiten, so daß der intensiven Zusammenarbeit beider Programme nichts mehr im Wege steht.

Die Genauigkeit, mit der diese Polygone berechnet werden, läßt sich übrigens einstellen. So kann man durch eine grobe Einstellung während des Zeichnens den Bildaufbau beschleunigen und erst vordem Ausdruck auf höchste Genauigkeit schalten. Die Bezier-Kurven/-Polygone lassen sich auch nachträglich verändern (Bild 5, Bild 6); es können z.B. zusätzliche Linien oder Kurven eingefügt werden.

Vektorisierung

Zur gemischten Verwendung von Raster- und Vektorgrafiken gehört natürlich auch die Konvertierung in beide Richtungen. Die einfachere Richtung, nämlich von Vektor- zur Rastergrafik, ist ohne Probleme automatisch durchführbar. Umgekehrt ist die Konvertierung (= Vektorisierung) nur manuell möglich. Dazu lädt man den zu vektorisierenden Ausschnitt in Form eines Rastergrafik-Objektes in den Vektorgrafikteil und zeichnet es einfach nach. Diese Methode hört sich zwar für den High-Tech-Software-verwöhnten Anwender altmodisch an, liefert aber bei nicht allzu komplexen Bildern gute Ergebnisse. Auch eine automatische Vektorisierung wird kaum ohne manuelle Nachbearbeitung auskommen und ist daher nicht unbedingt schneller. Für Leute, die trotzdem auf diese Möglichkeit nicht verzichten wollen, bietet SHIFT in der Arabesque-Toolbox-Reihe ein Programm namens Convector an, welches die automatische Vektorisierung bietet. Das Programm kann als Accessory über die Message-Pipe mit Arabesque kommunizieren - ein zukunftsweisender Schritt zur Software aus dem Baukasten. Übrigens können Programmierer, welche Accessories für Arabesque schreiben wollen, Entwicklungsunterlagen bei SHIFT anfordern.

Vektorgrafik-Formate

Auch hier existiert, wie im Rastergrafikteil, wieder ein Arabesque-eigenes Format, da das ebenfalls unterstützte GEM-Metafile-Format nicht alle Funktionen des Programms verarbeiten kann. So werden z.B. Kurven, die nicht zum Metafile-Format des Atari-GEMs gehören, vor dem Sichern in Polygone umgewandelt. Wie bereits angesprochen, existiert auch die Ausgabe im Calamus-Vektorgrafik-Format (CVG), was den Anwendungsbereich von Arabesque erheblich erweitert.

Der Ausdruck

Es werden 9-Nadel-, 24-Nadel- und Laserdrucker (über Centronics und DMA) unterstützt. Vermißt habe ich einen Treiber für den HP DeskJet, der sich in letzter Zeit steigender Beliebtheit erfreut. Man kann zwar selbst eine Druckeranpassung vornehmen, die im Handbuch auch gut erklärt ist, es wäre aber doch für noch unerfahrene Anwender besser, wenn dieser Druckertreiber zum Lieferumfang gehören würde. Ist das zu druckende Bild kleiner als das eingestellte Druckformat (A4, A3 hoch oder quer), kann es, als Rechteck dargestellt, mit der Maus auf der Seite verschoben werden. Dabei werden die Koordinaten eingeblendet, so daß für die genaue Positionierung kein Probeausdruck notwendig ist. Das schont bei Nadeldruckern die Ohren.

Das Handbuch

Die Anleitung befindet sich im gewohnten A5-Ringordner und ist erfreulicherweise auf Umweltschutzpapier gedruckt. Es enthält sowohl eine Kurzeinweisung für den hastigen Anwender als auch eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Programmpunkte. Zum Schluß erhalten Sie noch einige Tips, und das umfangreiche Stichwortverzeichnis macht dieses Handbuch auch als Nachschlagewerk geeignet, was man leider nicht von allen Handbüchern behaupten kann. Die Erklärungen sind ausreichend mit Grafiken garniert, wobei man diese jedoch bei einer zukünftigen Handbuchversion mit Bildunterschriften versehen sollte, der Überblick wäre dann noch besser.

Summasummarum

Was wollen uns diese Worte nun sagen? Das Programm macht rundherum einen ausgereiften Eindruck; während des gesamten Tests sind weder ein Absturz noch irgendeine Fehlfunktion aufgetreten. Die angestrebte Verbindung von Vektor- und Rastergrafiken darf man als gelungen bezeichnen. Die im Verlauf des Tests ausgeübte Kritik ist auf einer hohen Ebene angesiedelt und bezieht sich fast ausschließlich auf formelle Aspekte der GEM-Programmierung. So sollte man bei SHIFT einmal darüber nachdenken, ob man Arabesque nicht doch eine Menüleiste spendiert. Bei der Erweiterung des Programms mit Accessories via Message-Pipe wären diese schneller zu erreichen, und auch einige Funktionen (z.B. Dateioperationen) könnten aus den Hauptdialogen in ein Menü verlagert werden und so das Auge des Benutzers entlasten. Bei den mächtigen Funktionen zum Edieren der Bezier-Kurven/-Polygone ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis zu den zu ladenden Zeichensätzen auch Calamus-Fonts gehören. Der Preis von 378 DMfür Arabesque Professional erscheint angemessen.


Andreas Hollmann
Aus: ST-Computer 03 / 1991, Seite 26

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