Tempus Word 1.0 ist da! - Na endlich!

Das wird so mancher ausgerufen haben, als er in der ST-Computer letzten Monats die CCD-Anzeige las. Selbstbewußt und im neuen Gewände präsentieren uns die Mannen aus Eltville ihre nunmehr erste endgültige Version der Textverarbeitung Tempus Word.

Ich weiß es: Sie sind ein freundlicher Mensch und haben diese Zeitschrift abonniert. In der Juni-Ausgabe '90 haben Sie deshalb bereits gelesen, was uns das Programm aus Eltville bringen wird. Seitdem verfolgen Sie bangen Herzens alle Pressemeldungen und fragen mich nun. ob Tempus Word der Stein der Weisen ist. Ob es alle Erwartungen erfüllt? Die Antwort lautet klar: Jein. Begeben Sie sich direkt zum letzten Absatz und ziehen Sie keine 4000 Bytes ein!

Rückblick

Noch einmal kurz zur Historie des Programms. Basierend auf dem außergewöhnlichen Erfolg von Tempus, des wohl langezeit schnellsten und umfangreichsten ASCII-Editors für den ST, begann man bei CCD zu überlegen, eine Textverarbeitung für eben diesen Rechner zu erstellen. Bedingung war natürlich wiederum maximale Performance in Geschwindigkeit und Ausstattung. Das liegt bereits sehr lange zurück. Auf der CeBIT '89, also vor nahezu zwei Jahren, konnte dann ein erster Eindruck gewonnen werden. Seitdem ist es mal ruhig, mal laut um das Produkt geworden, und die Mannen vom Rhein haben kräftig in die Tasten gehauen. Von der Version 0.91, einer Beta-Version, der noch Funktionen fehlten, haben sie 500 Stück zu einem Sonderpreis verkauft und von den Rückmeldungen der fleißigen Anwender profitiert. Aus vielen Ideen und Vorschlägen ist die nun auf den Markt gekommene V1.0 entstanden.

Neu an Tempus Word ist...

In der bereits erwähnten Juni-Ausgabe hatte ein kurzer Abriß gezeigt, daß wir es bei Tempus Word nicht mit einem 'normalen' Programm zu tun haben. Da ist zum einen die Detailwut, die in jeder Funktion steckt. Zum andern ist es die Überlegung, daß eine Textverarabeitung auch tatsächlich das Verarbeiten von Texten zulassen sollte. Denn landläufig versteht man darunter nur das Tippen mal mehr, mal weniger komfortabel.

Drei Gedanken führen weg vom Schreibmaschinenemulator hin zur Textverarbeitung im Sinne von Tempus Word. Zum ersten ist es die vielfältige Gestaltbarkeit eines Dokuments. Dazu bietet uns das Programm:

Das sind teilweise Features, die bereits zur Überschneidung mit DTP-Programmen führen können. Zum zweiten bietet Tempus Word die Erkennung inhaltlicher Strukturen eines Textes:

Als dritter Punkt bleibt, den fertigen Text als Basis weiterer Werke zu betrachten und nicht in den Tiefen des Massenspeichers zu vergessen. Um die Einbindung des so zu Papier und Platte gebrachten Wissens in die gesamte Arbeit am Rechner zu ermöglichen, bietet das Programm:

Verbunden mit weiteren Extras wie einer Dateiverwaltung, dem Wecker, dem Notizblock und dem Taschenrechner deckt Tempus Word Forderungen ab, die man an ein komplettes Textsystem stellen kann. Denkbar ist z.B. in Übersetzungsbüros der ausschließliche Einsatz dieses Programms. CCD-Geschäftsführer Beyelstein empfiehlt gar kleineren Betrieben, wie z.B. Handwerkern, Tempus Word als Komplettlösung für Angebote, Rechnungen und Kundenverwaltung einzusetzen.

Bild 1: Tempus Word - Menüs und Desktop. Hierfür die bessere Übersicht künstlich verbreitert.

Anatomie eines Textes

Lassen Sie mich einen Versuch wagen, die Philosophie des Programms zu schildern. Was versteht Tempus Word unter einem Text? Ein Text besteht aus Textzeichen (Buchstaben) und Grafiken sowie (Rechen-) Feldern. Geschriebener Text wird direkt im Programm getippt oder übernommen (ASCII-Format). Grafiken werden im GEM-Image Format (*.IMG) hinzugeladen. Felder werden vor dem Druck manuell oder durch eine externe Datei gefüllt.

Wo steht dieser Text? Nun, zunächst steht jeder Text auf einem Blatt Papier. Doch innerhalb der Blattfläche sind ihm bestimmte Bereiche zugewiesen: Textspalten, Kopf- und Fußbereiche. Diese Bereiche werden durch das Seiten-Layout festgelegt. Dabei läßt Tempus Word bei jedem Layout getrennte Eingaben von linken und rechten Seiten zu. Das Spiegeln oder Kopieren der Layouts von links nach rechts ist ebenfalls drin. (Bild 2). Grafiken sind nicht an diese Aufteilung der Blätter gebunden, sie können aus den Spalten herausragen.

Nachdem definiert wurde, wo der Text stehen wird, gilt es, sein ‘Gesicht’ festzulegen. Da gibt es zunächst globale Einstellungen, die in ihrer allgemeinen Art dem entsprechen, was wir von anderen Text Programmen gewohnt sind: Festlegen des Zeilenabstandes, des linken und rechten Randes,des Randausgleichs (linksbündig/ Blocksatz etc.). Das geschieht mit den Icons, die Sie in Bild 1 auf dem Desktop sehen. Zusätzlich jedoch kann einem Absatz in Tempus Word ein Absatzformat zugewiesen werden. Dieses Absatzformat legt die bereits genannten Parameter und noch mehr fest. Einzüge, Initialen, Attribute, Tabulatorzeilen. Jedem dieser Formate (bis zu 64) wird ein Name gegeben, und ein Absatz kann ihm zugewiesen werden. Darüber hinaus wird dem Absatz mit der Formatfestlegung eine inhaltliche Bedeutung gegeben. Dadurch wird diese Option zum mächtigen Werkzeug. Doch dazu später mehr.

Weiterhin versieht man natürlich via Blockbefehle einzelne Textpassagen oder Wörter mit Attributen, Einrückungen etc. Sie vor erneutem Zeilenumbruch zu schützen, gehört ebenso dazu. Das ist bei Formeln wichtig, die sonst - mühselig gesetzt - jedesmal wieder zerstört würden.

Tempus Word benutzt Pixel-Fonts eines eigenen Formats. Jedem Font liegt ein 720-DPI-Master-Font zugrunde, den der Font-Editor in die Auflösungen der Drucker und des Monitors umrechnet. Aber auch Signum! Fonts können direkt geladen und verwendet, allerdings nicht ediert werden. Damit stehen für Tempus Word eine große Menge bekannter und neuer Schriften zur Verfügung.

Gerade für die Optik des Block- und Mehrspaltensatzes ist eine gut funktionierende Silbentrennung nötig. Tempus Word trennt algorithmisch, verwaltet aber zusätzlich ein Ausnahmelexikon. Getrennte Passagen können nun auch wieder ungetrennt werden, was für die Übernahme in andere Programme wichtig ist. Die Einstellung einer Trenntiefe habe ich vermißt.

Wie kann eine Software ohne Eigenintelligenz auf die inhaltlichen Elemente eines Textes zugreifen? Wie bereits angesprochen, werden für Absätze Gewichtungen verteilt: jeweils für Text oder Überschrift von 0 bis 9. Überschriften mit der Gewichtung 0 betrachtet Tempus Word als Kapitelüberschriften. Auf Wunsch werden sie immer oben auf rechte Seiten gesetzt, wenn nötig wird davor eine Leerseite eingefügt.

Hat man die Überschriften verschiedenen Hierarchien zugeordnet, wird es Tempus Word möglich, sie automatisch zu numerieren. Sie sehen den Effekt in Bild 3. Daß die Form der Numerierung wie Art der Zahlendarstellung, Trennzeichen etc. variiert werden können, versteht sich fast von selbst. Auch die Gliederung bedient sich der Hierarchiefestlegungen. Sie zeigt nämlich nur noch die Überschriften, die nun gegeneinander vertauscht werden können. Der an ihnen hängende Text wird mitverschoben - ähnlich dem Einklappen von Prozeduren bei GFA BASIC 3.0. Auch das Inhaltsverzeichnis, das Tempus Word auf Mausklick erstellt, hangelt sich an den so zu Überschriften erklärten Absätzen entlang. Das alles sind ungeheure Hilfen, wenn man bedenkt, wie schnell damit ein umfangreiches Werk umstrukturiert werden kann. Das mühselige Numerieren und Ändern des Inhaltes entfällt vollständig.

Bild 3: So sieht ein automatisch numerierter Text in der Gliederung aus.
Bild 4: Lassen bei der Gestaltung keine Wünsche offen: die Fußnoten und ihre Parameter.

Die Vergabe von Gewichtungen für Text hat lediglich auf dessen Numerierung Auswirkung (auch normale Textabsätze lassen sich auf Wunsch numerieren). Beim Seitenumbruch macht Tempus Word keine besonderen Unterschiede zwischen den Absätzen. Hat man in Auftrag gegeben, ein bestimmtes Absatzformat zu schützen, werden die Absätze nicht durch Seitenenden getrennt. Grundsätzlich wird kontrolliert, ob nicht eine Überschrift ohne den zugehörigen Text oder nur mit einer bestimmten (natürlich einstellbaren) Zeilenanzahl auf einer Seite unten landet. Wie gesagt - die Parameter hierfür lassen nur eine globale Einstellung zu und keine für jedes Format einzeln.

Wie der Inhalt, so ist auch das Stichwortverzeichnis mit einigen wenigen Mausklicken erledigt. Es wird sauber formatiert an den Text angehängt. Allerdings ist hier Vorarbeit bereits beim Tippen nötig. Jede Passage, die aufgenommen werden soll, muß per Control-Sequenz als Stichwort indiziert werden. Die Sache hat einen Haken: Tempus Word sucht nicht im ganzen Text nach dieser Passage. Sie müssen zu Fuß auch gleiche Stellen immer wieder markieren. Logisch wäre es ebenfalls, könnte man die Indexmarkierungen der Reihe nach mittels eines Tastenbefehls anspringen. Mit Feldern und Grafiken ist das nämlich möglich. In meinen Augen unverständliche Einschränkungen.

Wie oft passiert es jedoch, daß Sie sich an einer Textstelle über 'Floppies' auslassen, aber nur das Wort ‘Diskettenlaufwerk’ benutzen. Wünschenswert wäre es, auch diese Passage unter ‘Floppy’ in den Index zu übernehmen. Das ist auch durchaus möglich. Sie schreiben ‘Floppy’ und markieren das Wort als verdeckt. Es wird sichtbar bleiben, jedoch nie gedruckt wer en. Im Index wird dann ein Hinweis auf diese (unsichtbare) Textstelle stehen. Der unsichtbare Text ist ein nützliches Feature für alle, deren Texte am Monitor redigiert werden. Denn so finden Anmerkungen ihren Platz, ohne auf dem Papier aufzutauchen.

Inhalt

Verweise anderer Art sind Fuß-, Kapitel und Endnoten. Wie bei nahezu allen Funktionen decken die möglichen Parameter für ihre Gestaltung auch ausgefallene Wünsche ab (Bild 4). In der vorliegenden Version 1.0 von Tempus Word sind die am Ende eines Kapitels noch nicht drin, was sicher zu verschmerzen ist. Leider zeigt sich gerade an diesem Punkt, daß die Programmierer bei CCD zum Testen ihrer zuletzt erstellten Funktionen nicht genügend Zeit hatten. So läßt der globale Umbruch des Textes die Fußnoten aus. Nach dem Reformatieren eines Absatzes hat die Fußnotenzahl ihr Attribut ‘Superscript' verloren. Zwar springt das Programm aus den Fußnoten an die richtige Stelle im Haupttext. Doch von einer Fußnotenzahl zur anderen zu springen, erlaubt es nicht. Die Behebung bzw. Implementierung wurde allerdings von CCD bereits angekündigt.

Eine inhaltliche Kontrolle des Textes, wenn auch nur formaler Art, übt ein Textverarbeitungsprogramm mit Hilfe des Wörterbuches aus. Das Problem jedoch, besonders beim Einsatz in deutscher Sprache, ist die immense Größe oder mangelhafte Vollständigkeit eines solchen Wörterbuches. Da unsere Sprache Wörter zu jeweils neuen zusammenfügt und darüber hinaus durch Deklinationen und Konjugationen eine Unmenge verschiedener Endungen an die Wortstämme anfügt, stößt man leicht an die Grenzen des Rechners. Die Programmierer aus Eltville haben sich auch hier Gedanken gemacht. Das Ergebnis ist ein Hauptwörterbuch, das vom Umfang her dem Duden entspricht. Dabei ist es nur 366 kByte groß, und es wird darauf so schnell zugegriffen, daß es On-Line Korrektur erlaubt. Sobald Sie ein unbekanntes Wort tippen, wird also gebimmelt oder gemeckert. Dann kann man das Wort nachschlagen oder sich Vorschläge geben lassen. Das dauert jedoch recht lange - 20 Sekunden muß man sich oft gedulden. Tempus Word versucht dabei, ähnlich klingende Wörter - gemäß den Regeln der Phonetik - vorzuschlagen, also Tippfehler zu erkennen. Mal abgesehen von der viel zu großen Wartezeit - daran muß noch gearbeitet werden: Zur 'Fantasie’ wird die ’Phantasie' nicht gefunden.

Ein ganz anderes Problem ergibt sich dann, wenn man sich entschließt, das neue Wort ins Wörterbuch aufzunehmen. Denn im Brief an Onkel Herbert schwärmen Sie noch vom ‘affenstarken’ Urlaub. Das Wort landet im nun erweiterten Wörterbuch, und im Schreiben ans Finanzamt wird es folgerichtig nicht mehr angemahnt wel eher Fauxpas. Das Ende vom Lied: Sie haben ein Wörterbuch voll mit Wörtern, die nur in speziellen Zusammenhängen richtig sind, oder Sie benutzen die Korrektur gar nicht. Die Lösung nach CCD-Art: Es werden bis zu drei Wörterbücher gleichzeitig benutzt. Das erste entspricht dem Duden, das zweite soll themen- und das dritte textbezogen sein. Ein Spezialwörterbuch, das über die (auch in diesem Blatt unvermeidliche) Computer-’Sprache’ wacht, ist im Lieferumfang enthalten. Diese Lösung ist durchaus praktikabel, zumal der entsprechende Dialog eine komfortable Wörterbuch pflege ermöglicht (Bild 5).

Nachsorge

Neben all den Funktionen, die im weitesten Sinne der Erstellung und Verschönerung der Texte dienen, bietet Tempus Word eine Reihe Details, die der täglichen, oftmals sich wiederholenden Arbeit dienlich sind.

Da ist die Serienbrieffunktion: Im Text werden Felder definiert, die beim Druck aus einer ASCII Datei oder dem in Tempus Word integrierten Stichwortlexikon gefüllt werden. Es ist aber auch möglich, die Felder manuell auszufüllen. Dabei sind leider nur Großbuchstaben erlaubt - eine unsinnige Einschränkung. Das Lexikon gehört zu den Helferchen, die das Programm zu einem Komplettsystem abrunden. Mit ihm lassen sich Adressen, Ideen etc, speichern und verwalten.

Definiert man ein Zahlenfeld, können dort auch Formeln eingegeben werden, die mit einfachen Rechenfunktionen andere Felder verknüpfen. Das ersetzt zwar fortgeschrittene Kalkulationsanwendungen nicht, doch sind 2574 dieser Felder erlaubt - für Rechnungen etc. wohl mehr als ausreichend.

Lädt man Tempus Word in einer Minimalkonfiguration, so verbraucht das etwas mehr als 600 k Bytes des Speichers. Eine bequeme Arbeitsumgebung mit Spooler, Wörterbüchern, Fonts etc. nimmt rund 1,2 MB in Anspruch. Die Dateien, die wenigstens geladen werden müssen, sind zusammen rund 450 kBytes lang. Also ist eine schnelle Platte durchaus empfehlenswert. Logisch, daß wesentliche Erweiterungen des Programms selbst größere STs an die Grenze brächte. Daher haben die CCD-Programmierer eine Schnittstelle eingebaut, die es fremden Programmen ermöglicht, sich in Tempus Word einzuklinken. Sie haben Zugriff auf Text und Funktionen. Interessierte Software-Produzenten erhalten die lizenzfreien Unterlagen auf Wunsch. Somit wären Anschlüsse an Fakturierungen denkbar. Dokumentensysteme mit Verbindung zum CAD-Programm oder vielleicht ein FAX-Modul? Die Korrekturfunktion ist das momentan einzig verfügbare Modul. Durch einfaches Umbenennen wird es nicht mitgeladen und belastet auf diese Weise weder Zeit noch Speicher - ein Schritt hin zum ‘Programm aus dem Baukasten’?

Zu einem Text gehören bei Tempus Word die Seiten- und Absatzformate sowie eine ganze Reihe von Einstellungen dazu. Auf Wunsch wird nach dem Laden auch gleich der Cursor an die letzte Position gesetzt. Bei aller Perfektion bliebe nur noch, auch die maximal 40 Such-/Ersetzeinstellungen zu speichern. Bei Formtexten geht man häufig so vor: Man definiert sie, lädt sie später, um sie entsprechend umformuliert unter neuem Namen zu sichern. Hier bietet sich das Standard-Dokument an. Beim Laden eines solchen Textes verlangt Tempus Word sofort einen neuen Namen. Verbunden mit den Druckvariablen, in die z.B. das Datum beim Drucken automatisch eingefügt wird, sind sie eine große Hilfe bei der täglichen Korrespondenz. Natürlich speichert das Programm alle Texte in einstellbaren Zeitabständen unter ihren aktuellen Namen.

Zu jedem Text verwaltet Tempus Word Informationen wie Autor. Paßwort, die Bearbeitungsdauer etc. Eine Liste von Stichwörtern gehört ebenfalls dazu. Diese sollte man als allererstes eingeben. Auf dem Desktop findet sich ein Floppy-Symbol, hinter dem sich der Dateimanager verbirgt. Hier kann nach diesen Stichwörtern oder Autoren gesucht, sortiert werden. Eine 40stellige Kurzbeschreibung wird mit angezeigt. Diese Hilfe läßt einen mit einer Platte voller Texte nicht ganz allein dastehen, sondern erleichtert die Suche nach ganz bestimmten Texten. Sicher ist an dieser Stelle noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn beim Laden eines Textes bietet Tempus Word die Tiefensuche. Das heißt. Sie geben einen Dateinamen ein, und ab der ausgewählten Ordnertiefe wird die Platte nach dem Text durchforstet. Doch hat das einen Haken: Sie sehen die Dateien aller darunterliegenden Ordnerebenen ja nicht. Das heißt. Sie müssen den Namen richtig eintippen. Mausklick ade! Hoffen wir, daß diese im Ansatz nützlichen Funktionen zur Datenverwaltung eines Tages zusammen wachsen. Ich könnte mir z.B. das Suchen nach Stichwörtern innerhalb aller Texte eines Ordners - ähnlich einem Hypertextarchiv -vorstellen.

Eingabe - Eingebung

Jeder gewöhnt sich nach und nach einen bestimmten Arbeitsstil an. Das gilt für jede Art von Tätigkeit, nicht nur für solche am Rechner. Dieser Stil ist aber immer von den Fähigkeiten der Werkzeuge abhängig, die man zur Verfügung hat. Wer Blöcke ausschließlich mit der Maus definieren und verschieben kann, wird einen Satz erst zu Ende formulieren, evtl, vorschreiben müssen, bevor er ihn tippt.

Die Blöcke und Blockfunktionen bieten zentrale Features bei Tempus Word. Daher möchte ich kurz darauf eingehen. Natürlich kann ein Block mit entsprechenden Menüpunkten, Control-Sequenzen oder der Maus definiert werden. Auf die so gekennzeichneten Passagen lassen sich die bekannten Funktionen wie Löschen, Verschieben, Kopieren, Speichern etc. anwenden. Attribute können gesetzt oder gelöscht werden. Hat man nur Anfang oder Ende gesetzt, läßt sich der Block auf Absatz, Kapitel, Text etc. ausdehnen. Das alles geht auch mit Tastenbefehlen.

Zusätzlich gibt es bei Tempus Word die temporären Blöcke. Diese verschwinden sofort, nachdem eine Funktion auf sie losgelassen wurde. Beispiel: Ein Wort soll gefettet werden. Doppelklick mit der Maus darauf, >F1< gedrückt, fertig. Einen Satz an eine andere Stelle schieben? >Shift< und Doppelklick, >Control V<, fertig. Wer sich daran gewöhnt hat, wird es bald nicht mehr missen wollen. Zusammen mit den Positionierbefehlen für den Cursor wie z B: Springen wort-, absatz-, spalten-, seitenweise, ans Zeilenende, an zuvor gesetzte oder die letzte Position ermöglicht das den schnellen Umbau ganzer Texte. Wer den Überblick behalten möchte, öffnet einen Text in bis zu vier Fenstern.

Fürs schnelle Tippen bietet sich der sog. ASCII-Modus an. Zur Textdarstellung wird dann der System-Font des ST mit der ihm eigenen Übersichtlichkeit benutzt. Da Tempus Word die Absätze ständig formatiert, Fängt es in der grafischen Darstellung bei kleinen Fonts und langen Absätzen schon mal an zu rucken. Zwar erhöht der variable Cursor, der immer so breit und so hoch ist wie das Zeichen unter ihm (notfalls auch kursiv), die Übersichtlichkeit, doch ist die Unproportionalität des ST-Fonts augenschonender.

Wer sich in die Software eingefuchst hat, den nennt man einen Power-User. Und der weiß ohnehin, was für Dialog-Boxen kommen werden, er wartet bei Tempus Word auf deren quälenden Aufbau. (Im Handbuch rühmen sich die Autoren, langsame Funktionen des ST durch eigene ersetzt zu haben, auch die wäre es wert gewesen.) Mag auch das Betriebssystem schuld sein, Bela NVDI wirkt hier Wunder. In den Dialogen sind die meisten Funktionen mit Alternate-Sequenzen erreichbar. Das schreit geradezu nach Makroprogrammierung - doch die fehlt noch.

Zwei ebenfalls herausragende Features sollen nicht unerwähnt bleiben: Die Seitenvorschau erlaubt in Verbindung mit einer Lupe, den Text zusätzlich manuell umzubrechen. Das gilt ebenfalls für den Umbruch von einer Spalte zur nächsten. Die Suchen und Ersetzen-Funktion sucht ihresgleichen. Mit ihr sind Suchen nach bestimmten Attributen, Fonts, Tabulatoren, ja sogar Trennungen möglich - genauso wie die Ersetzung durch ebensolche.

Gutenbergs Erben

Die Druckerei auf dem Schreibtisch; mit Tempus Word wird sie zum Dauerläufer. Im Programm integriert ist eine Druckerwarteschlange, ähnlich denen von Netzwerkprogrammen. Darin aufgereihte Dokumente werden über die drei möglichen Schnittstellen (parallel, seriell. DMA) ausgegeben. Der Druck an den drei Ports erfolgt gleichzeitig. Treiber, Spooler-Größen und Geschwindigkeiten für parallele und serielle Ausgabe sind variabel.

Erwarten Sie keine Wunder: Wer einen Rechner dermaßen auslastet, hat kaum noch Chancen, vernünftig daran zu arbeiten. Doch wenn man drauf warten kann und auf nur einen Drucker ausgibt, läßt sich passabel weitertippen. Auch beim Druck gibt es zwei grundsätzliche Modi: ASCII oder Tempus Word. Ersterer nutzt die Fonts, die die Drucker intern bieten -bei heutigen Druckern oft eine ansehnliche Zahl. Allerdings sind einige Attribute eingeschränkt: Doppelt unterstrichen werden Sie kaum beim Drucker Finden.

Das gilt auch für die Font-Größen. Doch lohnt sich der Druck allemal, die übertragenen Datenmengen sind wesentlich geringer als im grafischen Modus. Dabei ist aber der Druckertreiber gefordert. Eine Menge Angaben über den Drucker müssen dem Programm richtig mitgeteilt werden, damit alles klappt; vor allem die Breiten der einzelnen Zeichen. Denn damit steht und fällt die Formatierung im Blocksatz.

Entsprechend läßt sich die Bildschirmdarstellung auch von den Proportionalweiten der Tempus Word-Fonts umschalten auf die der jeweiligen Druckertreiber. Danach ist natürlich ein kompletter Umbruch des Dokumentes nötig. Mit dem beigelegten NEC P6plus-Treiber gelangen mir denn auch ansprechende Ergebnisse im ASCII-Modus. Ebenfalls dabei: Treiber für die gängigsten Brother-, EPSON-, STAR , OKI und HP-Drucker. Weitere Treiber sind in Vorbereitung.

Literatur

Ein solch komplexes Programm wie Tempus Word braucht eine vollständige und einfühlsame Anleitung. Obwohl man bei CCD durchaus auch Schulungen plant, wird das Handbuch in den meisten Fällen die Stütze des Anwenders bei seinen Gängen durch die Programmfunktionen sein.

Das mitgelieferte Werk richtet sich auch an den reinen Anwender - eine löbliche Einstellung. Mit ein wenig Geduld wird sich damit jeder in das neue Werkzeug Textverarbeitung einarbeiten können. Das heißt jedoch nicht, daß es nicht überarbeitenswert sei. Genervt haben mich die Unmengen an Kommafehlern.

Das Layout jedoch ist übersichtlich und gestattet schnelles Auffinden wichtiger Stellen, die meist auch entsprechend gekennzeichnet sind. Wie CCD-Chef Beyelstein versichert, ist es komplett mit Tempus Word erstellt. Die reine Textdatei allein sei 1,2 MB lang, und auf den fast 600 Seiten tummeln sich noch 500 Bilder! Das war sicher ein aussagekräftiger Beta-Test für die Software.

Doch meist steht das Manual weit weg im Schrank, und man hat gerade keine Lust, aufzustehen. Dann drücke man die HELP-Taste oder klicke über der gewünschten Funktion rechts - und in Kurzbeschreibung wird sie erläutert.

Lieferumfang

Auf den sechs Disketten, die die schick gestaltete Verpackung birgt, befinden sich nicht nur Programm, Wörterbücher, Beispieltexte und Druckertreiber. Zunächst aber gilt es, mittels Installationsprogramm die Software auf den eigenen Namen einzutragen. Eine faire Art, sich vor Raubkopien zu schützen, wie ich meine.

Auf den Disketten sind mehrere Schriftfamilien in verschiedenen Höhen und Schnitten anzutreffen. Bevor sie benutzt werden können, müssen die Fonts für Drucker und Monitor aber erst ausgepackt werden. Das erledigen kleine Programme sicher und narrensicher. Schaffen Sie vorher Platz - bei mir fehlten nach der Tempus Word-Installation 4 MB auf der Platte, davon entfielen 2 MB allein auf Fonts.

Werfen wir noch einen Blick auf die *.PRG-Dateien im Ordner ‘Zusatz’. Da ist zum einen das Druckerprogramm. Die Treiber sind zwar auch mit einem ASCII-Editor zu edieren, doch müssen sie hier compiliert werden, damit das Programm sie akzeptiert.

Treiber anderer Art sind die *.TAS-Dateien. Auch sie werden von einem eigenständigen Programm verdaut, bevor sie Tempus Word serviert werden. Sie legen fest, welche Control- und Alternate-Sequenzen welchen Befehlen zugeordnet werden. Sage also niemand, die Belegung sei unlogisch - sie ist zu ändern. Dummerweise schließt das die Attributbefehle aus, denn die liegen auf den Funktionstasten. Ebenfalls nicht zu erreichen: die Shift-Befehle. Im übrigen sind wirklich nur die Kommandos neu zu verteilen, die uns die Programmierer anbieten. Es gibt keine Chance, die Funktion ‘Fußnote edieren’ über die Tastatur aufzurufen. Der Font-Editor ist ebenfalls ein umfangreiches, externes Programm, genau wie das mitgelieferte Bildkonvertierungswerkzeug. Mit ihm können nicht nur die gängigsten Formate ins *.IMG-Format übertragen werden. Auch das Ausschneiden und Manipulieren der Bilder ist damit möglich. Obligatorisch ist das Snapshot-Programm zum Einfangen beliebiger Bildschirme.

Etwas schwerer tun sich die CCDler mit fremden Textformaten. Das mitgelieferte ‘CONNY.PRG' konvertiert lediglich Wordplus-Dateien unter Beibehalt der wesentlichen Formatierungen und Attribute. Wer jedoch, wie die Tempus Word-Produzenten, andere Textverarbeitungen in Zahlung nimmt (je nach Kaufpreis gibt’s bis zu 250 DM), sollte z.B. auch Signum! Format lesen können. Schülern und Studenten werden übrigens noch andere Rabatte angeboten: Wer mindestens sechs Käufer bringt, der bekommt die Software zum halben Preis.

Wie schon erwähnt, ist Tempus Word auch auf Rechnern mit einem Megabyte Speicher lauffähig, dann allerdings nur mit gehörigen Einschränkungen. Das Doppelte verhilft zu angenehmer Arbeit. Eine Festplatte ist dringend anzuraten, ernsthafte Anwender werden es nicht lange ohne sie aushalten. Ansonsten lautet die einzige Bedingung: Monochrombildschirm. Die Größe spielt dabei keine Rolle. Auch darf es der TT sein. Dann muß zwar ein kleines Auto-Programm (24-BIT.PRG) gestartet werden, doch die Zeichen stehen in Eltville in Richtung TT-Anpassung und Farbfähigkeit.

Vergleich

Bereits im Juni lautete eine der Kernfragen: Tempus Word = Signum!-Killer? Damals hatte das Programm aus Heidelberg noch mehr zu bieten. Mittlerweile jedoch verfügt Tempus Word über alle Fähigkeiten, die auch Signum! bietet. Wer umsteigt, wird sich sicher umgewöhnen müssen. Doch das ist normal und kein Anlaß zur Kritik. Besonders das Setzen von Formeln mit Mikroschritten haben die CCD-Leute etwas anders gelöst. Was fehlt, ist das Verschieben grafischer Ausschnitte. Bei nahezu allen anderen Funktionen bietet Tempus Word mehr oder ist schneller (wie bei Suchen/Ersetzen). Jetzt ist Applications am Zug: Wir sind gespannt auf die dritte Version von Signum!.

Ausblick

Wesentliches Argument professioneller Anwender bei der Entscheidung für oder wider ein bestimmtes Programm ist die Frage: Wird das Produkt gepflegt? Das kann man im relativ kleinen und unsicheren Atari-Markt nicht von allen Herstellern behaupten. Die niedrigen Software-Preise erlauben es den Firmen oft nicht, ständig Programmierer zu beschäftigen.

CCD ist eine der etablierten Firmen, die mit einigen Produkten seit Jahren am Markt sind. Man kann nur auf die Erfahrung und Routine der Männer und Frauen um Dirk Beyelstein setzen. In Eltville gibt man sich zuversichtlich, was Planungen für Tempus Word betrifft (TT-Version, neue Tastensteuerung ähnlich MS-Windows, Archivsystem für die Dateien). Mit diesem Programm unterstreicht CCD seine Tendenz hin zu Utility-Programmen und eben Text-Software. Ebenfalls wichtig: CCD bietet ein Sorgentelefon (deutsch: Hotline), an dem täglich ein kompetenter Mitarbeiter Auskunft erteilt.

Persönliches

Da Textverarbeiten nunmal Geschmackssache ist, erlaube ich mir, an dieser Stelle und abschließend mein ganz persönliches Bild von Tempus Word zu schildern. Früher habe ich mit Tempus getippt und mit Signum! gedruckt. Denn der Editor mit seiner Menge an Positionier- und Blockbefehlen ist für mich das richtige Werkzeug. Solange die Texte im ASCII-Format an die Redaktion gehen, ist ja alles kein Problem. Doch wenn gedruckt werden soll, die Abbildungen gar dazu sollen, dann wird's heikel. Zu deutsch: Sollte ein Text gut aussehen, wich ich auf Signum! aus.

Weil hier beides möglich ist, bin ich zum Tempus Word-Freund geworden. Im ASCII-Modus zeigt sich das Programm in nahezu identischem Gewand wie Tempus selbst. Die Geschwindigkeit ist (noch) völlig ausreichend, wenn auch Dinge wie der Dialogaufbau unbedingt beschleunigt werden müssen. Via Umschaltung in den ‘Schönschriftmodus ’ kann ich dem Text die richtige Form geben. Gleiches gilt für den Druck: Der Probedruck kommt in hoher Geschwindigkeit aus dem P6, endgültige Qualität schafft der Laser im Grafikmodus.

Die temporären Blöcke sind eine echte Erleichterung beim schnellen Umbauen und Formatieren meiner Ideen, wenn auch hier und da noch Fehlfunktionen von mangelnder Standfestigkeit der Software zeugen. Die fehlenden Befehlsmakros und die UNDO-Funktion stehen ganz oben auf meiner Wunschliste, dicht gefolgt vom zentrierten Tabulator und einer Formelsprache. Es besteht bei CCD also durchaus noch Handlungsbedarf!

Manch einer wird einwenden, das Programm sei überfrachtet mit Funktionen. Eine gründliche Lektüre des Handbuchs vor dem ersten Programmstart ist natürlich unerläßlich. Dann kommt man mit den meisten Funktionen gut zurecht. Zumal. wenn man sich das eingangs erläuterte Konzept vor Augen hält. Füreinen Brief alle 14 Tage bietet Tempus Word wahrlich zuviel. Wir haben es mit einem Werkzeug für Vielschreiber zu tun.

Viele Funktionen werde ich - außer für diesen Test - nur selten nutzen, wie z.B. das Stichwortlexikon. Andererseits konnte ich mich bisher nie mit Wörterbüchern anfreunden. Dank der schnellen Platte kann ich das Hauptwörterbuch jedoch schnell laden und hab'es immer parat. Die mittlere Zugriffszeit ist mit <ALT W> deutlich kürzer als die auf den Duden, der im Chaos meines Schreibtisches verschollen bleibt.

Seien wir nicht ungerecht: Jeder tritt mit einer Menge Erwartungen an eine Textverarbeitung heran. Eine Software geschrieben zu haben, die davon sehr viel erfüllt, trotzdem leicht zu erlernen und sicher ist und auch auf den kleinen STs läuft, das ist der Verdienst der CCD-Leute. Und dafür sind 650 DM mit Sicherheit nicht zuviel.

IB

Bezugsadresse

CCD

Hochheimer Str. 5 6220 Entville



Aus: ST-Computer 02 / 1991, Seite 19

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