Editorial: Computer für die DDR

Die Öffnung der DDR-Grenzen ist natürlich auch bis in die Redaktion vorgedrungen und hat auch uns nicht kaltgelassen. Wie sollte sie auch, wenn täglich viele Trabbis an, vor, hinter und neben uns vorübertuckern...?

Ich möchte jetzt aber nicht in politische Diskussionen verfallen, denn die sind jeden Tag in den Tagesthemen zu hören und sehen. Wesentlich interessanter für mich als Computer-Anwender und Freak scheint es, die "Computer-Lage” der DDR und die Bemühungen verschiedener westdeutscher Institutionen zu beobachten. Was einige Vereine, Institutionen und Privatpersonen in letzter Zeit in dieser Hinsicht geleistet haben, ist bemerkenswert. Der Chaos Computer Club organisiert Computer-Gerätschaften aller Art für Freaks aus der DDR, die ihren Bedarf gar nicht oder nur unzureichend decken können. Ein mir bekannter Systembetreiber einer Mailbox führt ebenfalls eine Sammlung durch - auch er sucht Materialien aller Art, die bei ihren jetzigen Anwendern nur verstauben würden, weil sie nicht mehr benutzt werden, und sei es nur ein Sinclair ZX 81 oder eine Datassette. Nach Abschluß der Sammlung möchte er alle Spenden höchstpersönlich bei einer helfenden Stelle in der DDR abgeben, damit sie dort verteilt werden können. In vielen Tageszeitungen sind auch Kleinanzeigen zu finden, in denen Privatleute zu ähnlichen Aktionen aufrufen.

Ebenso wie der Chaos Computer Club hat nun auch der Mailboxverbund MagicNET zu einer solchen Sammlung aufgerufen. Da in diesem Mailbox-Netz mehrere Tausend Teilnehmer von Nordrhein-Westfalen über Hessen und Bayern bis in die Schweiz täglich im Verbund anrufen, besteht die große Chance auf einen vollen Erfolg der Aktion. Auch hier sollen alle gesammelten Materialien an eine helfende Organisation in der DDR weitergeleitet werden, die die Gerätschaften und Unterlagen an diejenigen verteilt, die sie sich nicht anderweitig besorgen können. Wer weiß, vielleicht entsteht dadurch schon bald die erste Mailbox in der DDR?

Der Einsatz der oben erwähnten Personen und Vereine erscheint mir beispielhaft. Was von der Bundesregierung nur zögerlich in Angriff genommen zu werden scheint, ist bei Computerfreaks straff durchorganisiert und läßt auf einen großen Erfolg hoffen. Ich fände es jedenfalls schön, mehrere Millionen Menschen dabei zu unterstützen, auf unseren technischen Stand der Computerindustrie zu gelangen. Man denke an eine Mailbox in der DDR, vernetzt mit Westdeutschland: noch vor einigen Monaten wäre man ob des unmöglichen Vorhabens ausgelacht worden.

Sollten Sie auch einige Materialien besitzen, die Sie nicht mehr unbedingt brauchen, ganz egal, wie unbedeutend die Dinge sind, sollten auch Sie überdenken, sie für den guten Zweck zu spenden. Wenden Sie sich in diesem Fall am besten an das MagicNET oder den Chaos Computer Club, damit der Erfolg überprüft werden kann. Diese Vereine nehmen alle Spenden treuhänderisch an. Meinen Aufruf wende ich übrigens nicht nur an die privaten Leser, sondern auch an die Firmeninhaber. Disketten, Bücher, Festplatten, Computer, Monitore, Modems, Software ... - alles wird gebraucht!

Vielleicht dauert es nicht mehr lange, bis die ersten Leserbriefe aus der DDR in der Redaktion eintreffen; ich würde mich jedenfalls freuen, auch so durch die Beantwortung von Leserfragen helfen zu können. Auf jeden Fall wünsche ich mir, daß der weitere Verlauf in der DDR positiv für alle Seiten verläuft und hoffe, daß der Stamm der Computerfreaks sich im östlichen Deutschland durch solche Hilfsaktionen schnell vermehrt.


Martin Pittelkow
Aus: ST-Computer 02 / 1990, Seite 3

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