Generationswechsel: BECKERtext ST 2.0 und 1st Word Plus im Vergleich

Gute Programme haben lange Entwicklungszeiten. Jetzt kommen die Textverarbeitungen einer neuen Generation für den Atari ST. Kann sich der Herausforderer "BECKERtext ST 2.0" gegen den Spitzenreiter "1st Word Plus" behaupten?

Der Atari ST ist sehr gut zur Textverarbeitung geeignet, weil er einen augenschonenden Monitor besitzt. Bisher entsprach jedoch die Funktionsvielfalt der Textverarbeitungsprogramme nicht dem, was man beispielsweise von MS-DOS-Computern gewohnt ist. Inzwischen hatten die Softwarehäuser viel Zeit, um ihre Entwicklungen weiter zu verbessern. 1st Word Plus war bis jetzt die Nummer eins auf dem ST. Doch von Data Becker kommt eine stark erweiterte Version von BECKERtext ST, die dem Spitzenreiter den Rang ablaufen will.

BECKERtext ST 2.0 bietet im Vergleich zu 1st Word Plus einige interessante Verbesserungen. Besonders erwähnenswert ist der bessere Zeilenumbruch und Blocksatz.

Ergänzt oder löscht man Wörter in einen bestehenden Absatz, so wird noch während dem Tippen der komplette Absatz neu formatiert. So kann der Benutzer jederzeit sehen, wie der Text aussieht.

Fügt man hingegen bei 1st Word Plus Wörter in den Text ein, so wird nur immer die aktuelle Zeile dem Umbruch angepaßt. Der gesamte Absatz stimmt dann allerdings nicht mehr mit der gewünschten Formatierung überein. Um den Text wieder auf den neuesten Stand zu bringen, muß man ihn durch Tastendruck neu formatieren.

Es gibt bei BECKERtext noch ein weiteres Bonbon für den Anwender — einen Spellchecker (Rechtschreibkorrektur), der noch während des Eintippens des Textes die Wörter überprüft und sich bei einem Fehler meldet. Dabei tippt man ganz normal seinen Text ein und wenn das Wort zu Ende ist — nach einem Leer- oder Satz-Zeichen — tritt der Spellchecker in Aktion. Ist ein Fehler gefunden, dann kann man entweder das Wort verbessern, oder dem Spellchecker mitteilen, daß das Wort korrekt geschrieben ist. Entscheidet man sich für letzteres, lernt das Programm ein neues Wort und speichert es nach getaner Arbeit (wenn man mit dem Bearbeiten des Textes fertig ist und BECKERtext verläßt) in seinem Wörterbuch. Besteht ein Wort aus zwei eigenständigen Hauptwörtern, so wird dies mittels eines Pluszeichens zwischen den beiden Wörtern angegeben. Dadurch ist dem Spellchecker von da an nicht nur das neue Wort, zum Beispiel "Kaffeekanne", geläufig, sondern auch die Wörter "Kaffee" und "Kanne". Somit kennt der Spellchecker mehr Wörter als eigentlich im Lexikon gespeichert sind. Dieses Verfahren spart ziemlich viel Disketten-Speicherplatz.


Für oft benötigte Formulare kann man bei BECKERtext recht einfach Eingabemasken anlegen

Eine recht interessante Fähigkeit von BECKERtext ist, Grafiken in den Text einzubinden, die im Dateiformat IFF gespeichert sind. IFF ist ein genormtes Datenformat, das hauptsächlich auf dem Amiga eingesetzt wird. Amiga-Grafiken kann man dadurch auch auf dem ST darstellen. Da der Amiga in der vom ST benötigten 640 x 400-Pixel-Auflösung nur Farbbilder darstellt, muß BECKERtext die Farben in Graustufen umwandeln.

Leider sind die Grafiken in BECKERtext nicht so leicht mit Text zu mischen, wie bei 1st Word Plus. Während man dort Grafiken mit der Maus in jede beliebige Position bringt, muß man bei BECKERtext erst einmal Platz im Text schaffen, also einen Bereich einrichten, wo das Bild hin soll. Anschließend kann man das Bild nur noch horizontal verschieben, wenn man es mit der Maus anklickt. Um es im Text auch vertikal zu verschieben, muß man im Menü die Verschiebefunktion wählen.

Eine weitere Fähigkeit von BECKERtext, die 1st Word Plus nicht besitzt, ist das Erzeugen und Benutzen von Eingabemasken. Eine derartige Eingabemaske ist ein fest vorgebenes Formular, in dem nur bestimmte Bereiche mit Text versehen werden können. Gesperrte Bereiche werden grafisch hervorgehoben und können vom Benutzer nicht überschrieben werden. Der Vorteil einer Eingabemaske ist, daß sich der Anwender viel Arbeit bei immer wiederkehrenden Texten spart, in denen sich nur wenige Angaben ändern, aber eine feste Struktur notwendig ist.

Bei letzteren kommt gleich eine weitere Besonderheit von BECKERtext zum Tragen. BECKERtext kann rechnen, beherrscht alle Grundrechenarten sowie die Prozentrechnung. Es kann sowohl mit Zahlen aus dem Text gerechnet werden als auch mit solchen, die der Benutzer in sogenannte "Register" eingibt. In beiden Fällen können die Ergebnisse in den Text übernommen werden. In Verbindung mit den Eingabemasken läßt sich also auch gleich die Gesamtsumme einer Bestellung oder einer Rechnung mit vielen Einzelposten errechnen.

Ein Punkt, der bei 1st Word Plus besser gelöst ist als bei BECKERtext, ist die Verwaltung der Fußnoten. Diese, besonders bei wissenschaftlichen und komplizierten Texten wichtige Funktion, ist ein wichtiges Bewertungskriterium einer Textverarbeitung, vor allem in Schule und Studium. In diesem Punkt geht BECKERtext einen völlig anderen Weg als 1st Word Plus. Bei BECKERtext ist die Fußnotenverwaltung nicht direkt im Programm integriert. Je nachdem, wieviel Speicher Ihr ST zu bieten hat, können Sie den Dienst der Fußnotenverwaltung in Form eines Acces-sory oder als separates Programm in Anspruch nehmen. 1st Word Plus hingegen hat eine programminterne Fußnotenverwaltung, was für den ungeübten Anwender von Vorteil ist. Außerdem ist das Anlegen von Fußnoten bei Word Plus um einiges einfacher. So wird durch einen einfachen Mausklick an der gewünschten Stelle markiert, zu welchem Wort die Fußnote gehört. Danach erscheint automatisch ein kleines Eingabefenster, in dem der Fußnotentext editiert werden kann. Die Numerierung der Fußnoten geschieht übrigens programmgesteuert. BECKERtext benötigt für die Verwaltung der Fußnoten insgesamt drei Dateien. Die Textdatei, in dem der Originaltext mit Fußnotenmarken steht, eine sogenannte Definitionsdatei, in dem die Erklärungen der Fußnoten zu finden sind, und die Zieldatei.

BECKERtext hat aber eine Fähigkeit zu bieten, die sich viele Benutzer bei 1st Word Plus seit langem gewünscht haben: Fast alle Befehle von BECKERtext können ohne Maus, einfach durch Tastenkombinationen, aufgerufen werden. Dies ist besonders dann ein gewaltiger Vorteil, wenn der Benutzer viel und schnell schreibt. Durch den häufigen Griff zur Maus, um beispielsweise ein Textattribut zu ändern, kommt man leicht aus dem Schreibrhythmus. Ein störender Effekt, der bei BECKERtext der Vergangenheit angehört. Erreichbar sind die Kommandos bei BECKERtext durch Escape-Sequenzen. Sozusagen als Zugabe können diese Escape-Sequenzen auch noch auf frei definierbare Funktionstasten gelegt werden, von denen BECKERtext 30 Stück zu bieten hat. Sie lassen sich aber nicht nur für Steuerzeichen nutzen, sondern auch für oft wiederkehrende Floskeln oder ganze Sätze. Solche frei definierbaren Funktionstasten kennt 1st Word nicht.

Lobenswert sind bei BECKERtext die auf dem Bildschirm sichtbaren Return-Zeichen. Dadurch ist auf einem Blick zu sehen, wo ein Absatz zu Ende ist. Ein Vorteil, den man beim häufigen Ändern eines Textes sehr schnell zu schätzen weiß.

BECKERtext bietet ferner die Fähigkeit, Überschriften in den Text einzubinden. Dies beherrscht 1st Word Plus nicht. Es funktioniert wie die Grafikeinbindung, weil die Überschriften auch als Grafiken gespeichert sind. Zwar ist diese Funktion schon ein beträchtlicher Schritt in Richtung Desktop Publishing, aber die Ausführung ist noch nicht perfekt.

Die Druckerunterstützung ist hingegen sehr gut gelungen. So unterstützt BECKERtext auch die Proportionalschrift des NEC P6 oder eines Laserdruckers. In dieser Hinsicht ist 1st Word Plus eindeutig im Nachteil, obwohl man durch entsprechende Hilfsprogramme jeden Drucker anpassen kann. Für Proportionalschrift braucht man freilich ein Extraprogramm.

Für rund 300 Mark bekommt der Käufer ein ausgereiftes Produkt, das viele Wünsche der 1st-Word-Plus-Besitzer auf einen Schlag befriedigt. Allerdings ist die Abfrage nach der Seitenzahl zu Beginn des Programms ein sehr starkes Manko. Es ist zu wünschen, daß in der nächsten Update-Version diese Einschränkung behoben sein wird.

BECKERtext ist insgesamt also etwas besser als 1st Word Plus. Im Preis-/Lei-stungsverhältnis hat 1st Word Plus jedoch noch immer die Nase vorn.

Claus L. Dürr/kl

Kein Geschwindigkeitsrausch

Vor allem bei längeren Texten ist die Verarbeitungsgeschwindigkeit einer Textverarbeitung wichtig. Einen rund SO KByte langen Text mußten beide Testkandidaten in fünf Testfunktionen möglichst schnell bearbeiten. Die erste Hürde war das Laden des Textes. Hier lag BECKERtext mit 10 Sekunden deutlich vorn. 1st Word Plus brauchte 14 Sekunden. Anschließend mußten beide alle 6072 "e" im Text durch "Xxyx" ersetzen. BECKERtext brauchte dafür beachtliche 8 Minuten und 22 Sekunden, während 1st Word hier in 1 Minute 17 Sekunden buchstäblich über den Text flog. Im dritten Test mußten die Kandidaten die "xxyx" wieder durch ”e” ersetzen. 1st Word brauchte dazu 127 Sekunden, BECKERtext benötigte 425 Sekunden. Als vierten Test mußten beide TsxtVerarbeitungen alle "e” durch "f ’ ersetzen. Diesmal legte BECKERtext mit 29 Sekunden ein rekordverdächtiges Ergebnis vor, das 1st Word Plus mit 69 Sekunden nicht halten konnte. Danach testeten wir die Scrollgeschwindigkeit. Gescrollt wurde mit der "Cursor-runter'-Taste. Hier brauchte BECKERtext ganze 24 Sekunden, während 1st Word Plus 4 Minuten 37 Sekunden damit beschäftigt war. BECKERtext hielt im Geschwindigkeitstest gut durch und war 1st Word Plus nur im Suchen und Ersetzen unterlegen.

Auf einen Blick

Programmname: BECKERtext 2.0 1st Word Plus
Programmart: Textverarbeitung Textverarbeitung
Preis: rund 300 Mark rund 200 Mark
Herstellerflmporteur: Dato Becker Atari
Hardwareanforderungen: Atari ST Atari ST
Kopierschutz: nein nein
Lieferumfang: Diskette und Handbuch 2 Disketten und Handbuch
Handbuch in: deutsch deutsch
Umfang: rund 300 Seiten rund 120 Seiten
Service/Unterstützung: Update-Service Update-Servcice
Unterstüzte Fremdformate: 1st Word, IFF, ASCII ASCII Atari-IMG-Format (Gafik)
Besonderheiten: Überschriftenfunktionen, Serienbrieffunktion,
Online-Spellchecker einfache Fußnotenverwaltung
Wertungen
Benutzerführung durch:
Tastatur: sehr gut befriedigend
Maus/Menüs: gut sehr gut
Allgemeine Funktionen: sehr gut gut
Grafikeinbindung: gut sehr gut
FuBnotenverwaltung: befriedigend sehr gut
Textformatierung: sehr gut befriedigend
Rechtschreibprüfung: hervorragend gut
Handbuch:
Informationsgehalt: sehr gut gut
Einsteigerfreundlichkeit: gut gut
Druckerunterstützung: sehr gut gut
Preis-/Leistungsverhältnis: befriedigend gut
Gesamturteil:sehr gutgut

HAPPYCOMPUTER vergibt d*e Wertungen: hervorragend, sehr gut, gut, befriedigend, ausreichend und ungenügend Die Preisangaben beruhen auf Informationen der Hersteller/Vortriebe und enthalten die gesetzliche Mehrwertsteuer. Marktpreise können abweichen.



Aus: Happy Computer 01 / 1989, Seite 79

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