ST-Kreativ-Designer: Zeichenkünstler

Ein vielseitiges Programm im Test: "ST Kreativ Designer"

Was denn, schon wieder ein Zeichenprogramm ?" werden jetzt sicher viele sagen. Ich muß gestehen, dies war auch mein erster Gedanke, als ich "ST-Kreativ-Designer" erhielt. Für die ST-Computer gibt es wohl kaum so viele verschiedene Variationen zu einem Thema wie bei den Mal- und Zeichenprogrammen. Mit "ST-Kreativ-Designer" kann man zwar ebenfalls malen, aber das ist eben nicht alles. Es hat durchaus seinen Grund, daß dieses Programm nicht den Namen irgendeines historischen Genies trägt oder einfach "First Pinsel" heißt. Die Worte kreativ und Design passen wirklich besser zu diesem Werkzeug.

Beim Laden des Programms fällt gleich die aufwendige. Programmierung mit ihrer Liebe zum Detail auf. Zwischen verschiedenen Bildschirmen wird nicht einfach hin und her geschaltet; das wäre wohl zu einfach gewesen. Der Screen teilt sich, klappt auseinander, wird über dem alten Bild ausgerollt usw. Damit es dem Rechner während einer Schaffenspause des Künstlers nicht zu langweilig wird, darf er kleine Kugeln über den Bildschirm hüpfen lassen, oder es beginnt plötzlich zu rauschen. Aber keine Angst! Kaum hat man die Maus wieder berührt, ist der ganze Spuk auch schon beendet.

Der Autor Hennig Pabst hat auf die GEM-Umgebung verzichtet. Dies dürfte jedoch nur zum Teil in den leider manchmal recht bombenträchtigen Routinen des Betriebssystems liegen. Wahrscheinlich liegt mit ein Grund darin, daß die erwähnten Gags oder die originellen Bedienungselemente einfach nicht zu realisieren sind, wenn man sich nur aus dem AES bedient.

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Mit der Option "4-fach" wurde dieses Bild ausgedruckt

Das Hauptmenü von "ST-Kreativ-Designer" enthält neben verschiedenen Text-Buttons detaillierte Icons in Gestalt eines Monitors, eines Druckers und eines Abbilds des Desktops. In einem Fenster läuft eine zweifach gespiegelte Liniendemo ab, die ansprechende kaleidoskopartige Bilder erzeugt. Bewegt man nun den Mauszeiger, so findet man sich mit einem leeren Blatt wieder. Aha, hier kann man also zeichnen! Aber womit? Weder eine Menüleiste noch ein Druck auf die rechte Maustaste stellen entsprechende Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung. Die Lösung ist verblüffend einfach. Man muß lediglich den Mauszeiger an den rechten bzw. linken Bildschirmrand bewegen, und schon erscheint eines der beiden Auswahlmenüs.

Hier finden sich dann auch so bekannte Begriffe wie Freihand, Rechteck, EllipselKreis, Vieleck, Radieren, Linienart und vieles mehr. Da sich diese Funktionen in fast jedem Zeichenprogramm wiederholen, wollen wir auch nicht näher darauf eingehen. Zu erwähnen ist allerdings noch, daß die Möglichkeiten des Programms z.B. in Bezug auf Auswahl der Pinselformen und Verknüpfungsarten deutlich über dem Durchschnitt liegen.

Ein Beispiel für überdurchschnittlichen Komfort stellt die Auswahl der Füllmuster dar. Dem Künstler stehen nämlich nicht nur die gewohnten GEM-Füllmuster zur Verfügung, die sich bei den meisten anderen Programmen noch um ein selbst definierbares Muster ergänzen lassen. Falls die zahlreichen automatisch erzeugten Muster nicht gefallen, kann hier vielmehr ein beliebiger Bildschirmausschnitt als Füllmuster definiert werden, auch wenn er größer ist als die gewohnten 8 x 8 Punkte. Dieses Muster kann dann auch gepinselt oder gesprüht werden, wobei sich Pinselund Spraygröße natürlich stufenlos einstellen lassen.

Dieses ungewöhnliche Zeichenprogramm beschränkt sich nicht auf die gewohnten zwei Dimensionen. Es lassen sich sogar Drahtmodelle von dreidimensionalen Vielecken erstellen. Auch der besondere Textmodus muß erwähnt werden. Neben einzeiligen Eingaben, die man immer wieder findet, bietet "ST-Kreativ-Designer" die Möglichkeit, den Text als Block zu erfassen, wobei man Schriftgröße und verwendete Formatierungsart einstellen kann. So läßt sich ein Textblock mit proportionalem Randausgleich (dafür werden feinste Leerzeichen zwischen den Buchstaben eingefügt) eingeben und an beliebiger Stelle in ein Bild übernehmen.

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Das Hauptmenü mit Kaleidoskop-Grafik

Wer den Freihand-Federhalter zu zittrig findet, kann jederzeit auf einen gesonderten Zeichenbrett-Bildschirm zurückgreifen. Hier steht für die Horizontale und Vertikale je ein Lineal zur Verfügung, an das sich der Federhalter anlegen läßt. So ist man in der Lage, auf einfache Weise gerade Linien zu zeichnen. Hat man schließlich ein Bild vollendet, läßt es sich auf die verschiedensten Arten mit "ST-KreativDesigner" weiterbearbeiten. Es können übrigens auch Bilder anderer Programme geladen werden. Dies ist für fast alle gängigen Formate möglich, auch in Farbe.

Mit "ST-Kreativ-Designer" ist es möglich, beliebige Bildteile abzurunden, zu umranden oder hervorzuheben. Auch ein Schatten, der sich z. B. mit Auto-3D erzeugen läßt, ergibt meist eindrucksvolle Effekte. Wer sich an Kunst im Stil eines Andy Warhol versuchen möchte, kann die Optionen zur Bildverknüpfung nutzen. Damit ist es möglich, zwei Bilder miteinander zu mischen (bis zu fünf lassen sich gleichzeitig im Speicher halten), so daß Effekte wie bei einer Überblendung entstehen. Da dies nicht immer mit dem gesamten Bild sinnvoll ist, kann über die Blaupause wahlweise auch ein beliebiger Ausschnitt verwendet werden. Dieser läßt sich sogar mit der Freihand-Option bestimmen, die auch als Lasso-Funktion bekannt ist.

Der Menüpunkt Block bietet viele alte und neue Methoden zur Verarbeitung von Bildteilen. Einmal definierte Blöcke lassen sich beliebig zwischen den fünf Bildschirmen und dem Speicher hin und her kopieren bzw. vergrößern, verkleinern, drehen, spiegeln, biegen, kippen, knicken und stauchen.
Da man bei den vielfältigen Möglichkeiten eines solchen Programms auch einmal die falsche erwischen kann, fordert "ST-Kreativ-Designer" für jeden neuen Arbeitsschritt eine Bestätigung. Verweigert man diese durch einen Druck auf die linke Maustaste, wird der vorherige Zustand wiederhergestellt.

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Zu jedem Bild läßt sich eine Notiz mit abspeichern

Ein fertiges Bild läßt sich nicht nur abspeichern (auf Wunsch zusammen mit einer Notiz, auf der Daten und Bemerkungen zu dem Kunstwerk festgehalten werden), sondern auch zu Papier bringen. "ST-Kreativ-Designer" bietet dafür außer der über das Menü zugänglichen Hardcopy-Funktion des Betriebssystems eine komfortable Druckroutine. Das Programm verwendet hier keine separaten Treiber, sondern unterstützt automatisch alle Epson- und IBM-kompatiblen Drucker sowie Laserprinter. (Sollte Ihr Drucker dennoch nicht zufriedenstellend arbeiten, bleibt als Notlösung immer noch die Betriebssystem-Hardcopy.) Die Ausgabe über die Druckroutine bietet natürlich einige Vorteile. So wird das Bild um 90 Grad gedreht und nutzt damit fast eine DIN-A4-Seite. Auch läßt sich das normalerweise recht blasse Ergebnis durch bis zu viermaliges Überdrucken deutlich kontrastreicher gestalten.

Einen Wermutstropfen stellt allerdings der enorme Speicherbedarf dieses in kompiliertem GFA-Basic geschriebenen Programms dar: Es müssen noch rund 800 KByte Speicherplatz frei sein. Ist dies durch den Einsatz von Accessories und/oder RAM-Disks, Spoolern usw. nicht mehr der Fall, wird man bei der Arbeit auch einmal unversehens mit einer Alarmbox des GFA-Compilers konfrontiert. Bei den Funktionen fehlten mir eigentlich nur das Verkleinern und Vergrößern nach eigenen Vorgaben; hier berechnet das Programm nur vier Variationen mit jeweils 1/4 der ursprünglichen Größe. Ein stufenloses Verzerren, wie man es von anderen Programmen kennt, ist also nicht möglich.

Da das Programm und die knapp 80 Seiten starke Anleitung in Deutsch gehalten sind (in der Anleitung ist das ß zwar als Hochkomma angegeben), kann sich auch der Computerneuling sehr schnell mit dieser Anwendung vertraut machen und dank der vielen automatischen Funktionen auf einfache Weise originelle Bilder erstellen. Der Preis für "ST-Kreativ-Designer" beträgt 128 DM.


Thomas Tausend
Aus: Atari-Magazin 04 / 1989, Seite

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