Overlay II - Multimedia total

Multimedia - Schlagwort einer nach boomenden Märkten gierenden Computerindustrie - präsentiert sich derzeit als lohnendes Gebiet für interessierte Atari-User: Neuerscheinungen wie Apex-Media, DA's 3D-System und nicht zuletzt Overlay II als Präsentationssoftware sind angetreten, der etwas angegrauten TOS-Reihe neue Welten zu erschließen …

Konzeption

Gleich zu Anfang sei gesagt, dass Overlay auf allen ATARI Rechnern ab 1 Mb RAM-Speicher läuft. Als Multimedia-Programm bietet Overlay II dem Anwender die Möglichkeit, Texte, Grafiken, Töne und - über eine Erweiterung - Animationen zusammenzustellen. Anwendungsgebiete sind Präsentationen oder Werbung; aber auch der Geldautomat um die Ecke ist an sich schon ein Multimedia-System. Um diesen Aufgabenstellungen möglichst komfortabel gerecht zu werden, arbeitet das Programm sehr objektorientiert.

Jede Overlay-Anwendung besteht so aus nahezu beliebig vielen Seiten, die Grafikobjekte enthalten, welche dann noch über verschiedene Module weiter beeinflusst werden können.

Erste Eindrücke

Das gelieferte "3-in-I"-Paket enthält Handbuch, drei Disketten für das Overlay-Programm und Beispielsdaten, eine für das "Hypermedia"-Modul (dazu später) sowie eine weitere Disk für den FLI/FLC-Animationsplayer. Das Handbuch ist locker und gut verständlich geschrieben, auch wenn zu einigen Funktionen detailiertere Informationen wünschenswert wären - manchmal folgt anstatt einer Erklärung nur der Hinweis, einfach drauf los zu probieren... Die Installation gestaltet sich trotz eines mitgelieferten "lnstall"-Programmes problematisch, da das Einrichtungsprogramm bei der Registrierung des Käufers einen Fehler aufweist:

So konnte ich einmal den Schlüsselcode nicht eingeben, ein anderes Mal waren nur vier Ziffern für die Eingabe der Seriennummer im Dialogfeld vorgesehen obwohl diese Zahl auf allen Disketten klar und deutlich fünf Stellen umfaßte! Ist die Einrichtungsprozedur dann irgendwann doch einmal überstanden, lässt sich das Programm ohne weiteren Kopierschutz problemlos von Festplatte oder Diskette starten. Overlay II ist betriebssystemkonform programmiert und arbeitet deshalb in nahezu allen Auflösungen - ausgenommen sind High- und True-Color Modi. Bei mir verrichtet Overlay auf einem mit 16MHz getakteten Falcon 030 mit 4 MByte Hauptspeicher und Festplatte seinen Dienst.

Das Programm unterstützt generell Speedo-Vektorschriften, hat aber anscheinend mit NVDI 2.5/3.0 Probleme bei der Bildsynchronisation - so stimmt das Timing bei einigen Effekten nicht mehr, gescrollte Objekte ruckeln.

Der erste Programmstart

Auf einem schwarzen Bildschirm ohne die übliche Menüleiste präsentiert sich ein Dialog, der die Overlay-Menüzeile enthält und als Schnittstelle zwischen Benutzer und den einzelnen Programmteilen dient. Schließlich das Starten der mitgelieferten Demo-Animationen, ein erster Eindruck von der Leistungsfähigkeit der Software: Mit Overlay II scheinen absolut professionelle Präsentationen Realität werden zu können.

Anwendung

Das Erstellen von Animationen geht völlig logisch und schnell von de Hand - so man das (mir zunächst etwas eigenwillig erscheinende) Konzept einmal durchschaut hat: Wie zuvor schon erwähnt, arbeitet Overlay II seitenorientiert. Eine Animation besteht somit aus praktisch beliebig vielen Seiten ("Frames"). Im unteren Teil des Hauptdialoges können auf einfachste Weise Seiten in die Animation eingefügt oder aus ihr entfernt werden, de Inhalt eines Bildes gelöscht oder ein Frame zur Bearbeitung ausgewählt werden. Über das "Effekte"-Modul kann nun noch jeder Seite einer von zahlreichen Überblendeffekten zugeordne werden, die von einfachen Farbübergängen bis hin zu beeindruckende Wischeffekten reichen.

Die schönsten Überblendeffekte nützen allerdings nichts, wenn die Frames nichts zum Überblenden bieten - wir sind bei der grafischen Gestaltung einer Seite angelangt: Jede Seite besteht aus Grafikobjekten, die frei auf ihr platziert werden können. Diese Objekte werden mit den unterschiedlichen Modulen erzeugt - so können im "Bilder"-Modul Bilder der verschiedensten Bildformate, darunter auch MS-DOS-kompatibler eingelesen werden. Dabei kann die Farbpalette des geladenen Bildes entweder übernommen oder aber das Bild an die vorhandene Bildschirmfarben angepasst (gedithert) werden. Texte werden logischerweise mit dem "Text"-Modul erstellt, wofür GDOS- Zeichensätze oder Fonts im Overlay-eigenen Format, das auch rnehrfarbige Zeichen erlaubt, verwendet werden können. Da auch Texte in Overlay II als Grafikobjekte behandelt werden, können sie später allerdings nicht mehr ohne größeren Aufwand bzw. Neuerstellung geändert werden.

Neben diesen Modulen zur Erzeugung von Bildobjekten sind auch noch zahlreiche andere Module eingebaut, mit denen vorhandene Objekte manipuliert werden können: So können Stanz-, Schatten- oder Umrandungseffekte vorzugsweise im Zusammenhang mit Texten - erzeugt, Objekte frei auf dem Bildschirm bewegt - wichtig z.B. für Scrolltexte -, oder die Farben der Bildschirmseite verändert werden; auch an eine Anti-Aliasing-Funktion wurde gedacht. Außer Grafik und Text vereinigt Multimedia aber auch den Audio-Bereich in sich - eine Forderung, der Overlay II dadurch Rechnung trägt, dass den Frames auf Rechnern mit DMA-Sound (also STE, TT und Falcon) beliebige Samples zugeordnet werden können.

Erfreulich auch, dass sich der zeitliche Ablauf einer Animation bis auf die Hundertstelsekunde genau steuern lässt. Externe Synchronisationsverfahren wie SMPTE oder MTC werden allerdings nicht unterstützt. Overlay II bietet also durchaus ausreichende Möglichkeiten für professionelle Präsentationen - durch das einfache, gut durchdachte Konzept, sehr anwendungsbezogene Funktionen und eine hohe Benutzerfreundlichkeit sind dem Anwender wirklich nur durch die eigene Kreativität Grenzen gesetzt.

Nicht in diesen Test einbeziehen konnte ich leider die Video-Einbindung mittels Genlock-Interface, da ich nicht in Besitz der dazu nötigen Ausrüstung bin - kann mir mit solchen Mitteln allerdings ungeahnte kreative Exzesse vorstellen.

Hypermedia

Auch ein Schlagwort, unter dem sich jeder ein bißchen was vorstellen kann, niemand aber so genau weiß, was denn nun wirklich darunter zu verstehen ist. In Overlay II wird dieser Begriff für Objekte "entlehnt", die angeklickt werden können und dann zu einer frei definierbaren Seite führen. Bei computergestützter Lernsoftware sieht dies dann so aus, dass der Benutzer zu (Lern-) Inhalten, die ihm noch fremd sind, per Klick nähere Informationen erhalten kann. Es sei hier mit einem weiteren schwammigen Schlagwort - "Interaktivität" um sich geworfen; genau für diese nämlich sind Hypermedia-Objekte zuständig. In Overlay II kann über das - separat erhältliche - Hypermedia-Modul jedes beliebige Objekt zum Hyperobjekt "veredelt" werden. Dann können im entsprechenden Moduldialog die Zielseite, ein evt. abzuspielender Sound, eine evt. Zeitverzögerung, nach der ein vorherbestimmtes Hyperobjekt vom Programm selbständig ausgelöst wird, sowie optionale Gerätetreiber wie Touchscreen-Unterstützung usw. eingestellt werden.

Kritikpunkte

Kommen wir zu einigen kritischen Anmerkungen, die allerdings meist eher auf eine Erweiterung des Funktionsumfanges als auf Kritik an den vorhandenen Möglichkeiten abzielen werden: Zunächst wären "echte" Textobjekte wünschenswert, die ähnlich einer Textverarbeitung editierbar sind und außerdem die Möglichkeit von wählbaren Textattributen bieten - auch und vor allem die Deklaration als Hyperobjekt. Interessant wäre auch eine Art Hilfslinien-Modul, mit dem Objekte genau plaziert werden können. Desweiteren sollte das Handling der verschiedenen Objektpaletten noch verbessert werden, z.B. über eine Speicher-/Ladefunktion.

Und: Bitte das Clipboard unterstützen! So wurde sich auch gleich ein anderer Kritikpunkt in Wohlgefallen auflösen, da dann Seiten frei verschoben und kopiert werden könnten.

In diesem Zusammenhang wäre auch eine Art "Storyboard" denkbar, mit dem die Abfolge der Seiten frei gestaltet werden könnte. Zusätzlich würde ich als Musikfan und Falcon-Besitzer es begrüßen, wenn komplette Samples direkt von der Festplatte (bzw. CD) gespielt und somit ganze Songs eingebunden werden könnten. Hier wären durchaus Videoclip-Produktionen denkbar, mit der Unterstützung einer externen Zeitsteuerung - vorzugsweise natürlich SMPTE - ohne Zweifel auch professionelle! Ein weiterer Punkt, der derzeit noch die Profitauglichkeit des Systems beeinträchtigt, ist die fehlende True-Color Einbindung. Diese sollte wenigstens "irgendwie" zur Verfügung gestellt werden, auch wenn palettenorientierte Effekte dann gesperrt werden müßten. Auch eindeutig in Richtung High-End-Anwendungsbereich geht die Forderung, frameübergreifende Aktionen zu erlauben, z.B. das Abspielen eines Filmes oder eines Songs von CD/Festplatte parallel zur "normalen" Animation mit bewegten Objekten und überblendeffekten. Auf hochgerüsteten Rechnern wie Medusa oder Eagle müßte dies eigentlich technisch möglich sein, im Notfall dann eben über eine externe MPEG-Karte.

Module

Wie schon etliche Male zuvor erwähnt, ist Overlay ein System, das sich aus vielen Modulen zusammensetzt. Neben den internen, in diesem Test beschriebenen Modulen, besteht zusätzlich die Möglichkeit, für jede Seite ein externes Modul einzubinden. Angekündigt und zum Teil auch schon verfügbar sind zum Beispiel ein FLI/FLC-Player, ein MPEG-Modul mit DSP-Unterstützung für den Falcon (ohne Zusatzhardware!!!), eine Infrarot Fernsteuerung u.vm.

Fazit

Was mich an Overlay II am meisten beeindruckt hat, ist seine absolut praxisbezogene, intelligente, nicht windowsgeschädigte Handhabung:
Als Student der Medieninformatik komme ich zwangsläufig in den zweifelhaften Genuß diverser Windows-Produkte - allerdings weniger Präsentations als Autorensysteme - was schon zahlreiche Aggressionsentladungen, Mordgelüste bestimmten Geräten gegenüber und sonstige schämenswerte Reaktionen meinerseits zur Folge hatte: Mal stimmte die Farbpalette nicht, andere Bilder wurden bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt oder erst gar nicht ange zeigt... AB dies erledigt der Atari-Anwender mit einem glücklichen Grinsen und zwei, drei Klicken: Das Grafikobjekt ist da, wo es sein sollte und wie es dor sein sollte; die eingefügte Seite enthält den Inhalt der vorherigen - und kann wenn dies einmal nicht sinnvoll sei sollte, per einfachen Mausklick geleert werden.
Das wirklich durchdachte Grundkonzept fügt sich nahtlos in den positive Eindruck ein - k-urzum, es ist eine wah re Freude, mit "mitdenkenden" Programmen wie Overlay II zu arbeiten!

Nachtrag

Das angekündigte IR-Modul ist inzwischen lieferbar.

Mit Hilfe dieses Gerätes ist der Computer in die Lage, die Fernbedienung Ihres Videorecorders zu erlernen, um daraufhin softwaregesteuerte Kommandos an das Abspielgerät zu senden. Gegebenenfalls wird es in einer der nächsten Ausgaben einen Nachtrag über diesen Hardware-Zusatz geben.


S. Grimm
Aus: Atari Inside 03 / 1995, Seite 12

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