Verkehrte Welt: Die Computer regieren Las Vegas, die Glücksspieler Wallstreet
Es war die Zeit, zu der Roulette im Vergleich zu Aktienmarkt und Dollarkurs als krisensichere Kapitalanlage gehandelt wurde. Wallstreet war dabei, Las Vegas den Rang als größtes Spielcasino der Welt mühelos abzulaufen."...die Welt wartet auf ein Wort des Präsidenten... (Time Magazin vom 5. November).
Doch wenn es wirklich so einfach wäre, könnte jeder Melonenfarmer oder mittelmäßige Opernsänger Präsident der Vereinigten Staaten werden.
Ronnie jedenfalls hat es verstanden, Prioritäten zu setzen. Nach dem Motto: „Wo die Computer sind, ist die Macht.“, hat er als erster in der „Computer Show Daily“ vom 3. November die COMDEX-Besucher persönlich begrüßt. Wallstreet und der Rest der Welt mußten noch ein paar Tage warten.
Die Comdex fand vom 1. bis 6. November in Las Vegas statt. Es handelte sich bei dieser Messe um eine reine PC-Messe, auf der sich fast alle Firmen, die in diesem Bereich tätig sind, ein Stelldichein gaben. Am häufigsten waren demnach natürlich PCs, ATs und 80386er zu sehen. Den Vogel Schoß eine 80386Workstation mit 25 (in Worten fünfundzwanzig) MHz Taktfrequenz ab. Die Arbeitsgeschwindigkeit soll bei der eines ATs mit 32.5 MHz liegen. Man wurde von einer Flut von billigen Motherboards für 80386-Maschinen fast überschwemmt. Ähnlich unüberschaubar war das Angebot von Erweiterungskarten für PC/AT kompatible Rechner.
Auch Atari ist gekommen, mit Sack und Pack und des Königs neuen Kleidern. Die neuen königlichen „Herrenausstatter“ des Hauses Atari sind die britische Entwicklungsfirma Perhellion und der Chiphersteller Inmos. Diese beiden Firmen haben es Atari ermöglicht, der staunenden Welt ABAQ, einen Supermicrocomputer, vorzustellen, der auf dem Transputer-Chip von Inmos basiert. Der Prototyp, den Atari in Las Vegas vorstellte, ist wohl eher ein Dornröschen als ein Erlkönig, aber bis zur offiziellen Europa-Präsentation in Hannover wollen ihm Shiraz M. Shivji und sein Team noch eine ganze Menge Leben einhauchen. Die ersten Exemplare sollen dann Ende 1988 über den Ladentisch gezogen werden.
Das Herz des neuen Rechners ist der T800 mit einer Taktfrequenz von 20 MHz. Der Chip leistet dabei 10 MIPS (Millionen Instruktionen Pro Sekunde) und 1.5 MFLOP (Millionen Fließkomma OPerationen pro Sekunde). Es können 3 gepufferte Transputerlinks, die ebenfalls mit 20 MHz getaktet sind, verwendet werden. Die Grundausstattung soll eine Speicherkapazität von 4 Megabyte RAM und einem Megabyte Bildschirmspeicher (VRAM) haben. Der Bildschirm kann in 4 Modis betrieben werden:
1280 * 960 4 bits/Pixel
1024 * 768 8 Bits/Pixel
640 * 480 8 bits/Pixel (2 Bildschirmseiten)
512 " 480 32 bits/Pixel
Auf der Transputerplatine soll ein Colorblitter seinen Dienst verrichten, um einen schnellen Bildschirmaufbau zu gewährleisten. Was Schnittstellen angeht, setzt ATARI bei dem neuen Transputerrechner auf Standards. Es wird eine DMA-fähige SCSI Schnittstelle geben, für die eine 40 MB-Winchester geplant ist. Auf der Hauptplatine sind 3 Slots für Erweiterungskarten vorgesehen. Sie ermöglichen es, die Speicherkapazität bis auf 64 MB auszubauen, oder das System auf maximal 13 Transputer aufzurüsten. Der gute alte ST wird am Transputerrechner nur ein karges Dasein fristen. Er wird zum Ein-/Ausgabe-Prozessor für Tastatur, Maus, Floppy und was es sonst noch so an Peripherie gibt, degradiert. Hinter vorgehaltener Hand ließ man verlauten, daß er selbst dafür bald überflüssig würde. Kein Wunder, denn wozu braucht man 4 MB Tastaturpuffer, Floppycache oder Druckerpuffer?
Das Betriebssystem für die neue Maschine trägt den Namen Helios und soll UNIX-kompatibel sein. C-Programme, die als Quellcode vorhanden sind, sollen mit minimalen Änderungen auch unter Helios compilierbar und lauffähig sein. Wer schon Erfahrung mit den verschiedenen UNIX-Versionen hat, kann den Wahrheitsgehalt solcher Versprechen beurteilen. Aber warten wir ab. Als Benutzeroberfläche für Helios soll es einen Command-lineinterpreter geben, der mit der CShell vergleichbar ist und zusätzlich X-Windows Version 11, ein UNIX-Welt, hat. Das Design von Helios ist auf Parallelverarbeitung ausgelegt. So ist es möglich, mehrere Prozesse auf verschiedenen Transputern gleichzeitig laufen zu lassen. Die Hardwarestruktur der Transputer mit den Links ist besonders geeignet, Prozesse, die durch eine Pipe verbunden sind, auf verschiedenen Transputern laufen zu lassen, und die Daten via Link zu übertragen. Dieser Mechanismus wird von Helios unterstützt, und es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie hoch dadurch die Arbeitsgeschwindigkeit wird.
Der nächste größere Wurf von Atari wird dann wohl die 80386-Maschine sein. Die erste öffentliche Vorstellung dieses Gerätes ist angekündigt für die CEBIT 88, die Auslieferung soll im dritten Quartal des Jahres beginnen. Was allerdings an dem von Atari ausgestreuten Gerücht der "speed processor option" von 16 MHz und 20 MHz dran ist, muß sich erst noch zeigen.Ebenfalls von Atari vorgestellt wurde eine neue Serie von Hard-Disk-Drives genannt, MEGA FILE. MEGA FILE 20 (20 Megabyte) ist das Grundgerät der Serie. Es hat es einen 19-Pin-DMA-Anschluß für daisy-chaining. Zur Zeit gibt es noch MEGA FILE 40. Wann weitere Geräte aus dieser Serie erscheinen, steht jetzt noch nicht fest.
Besonders stolz war man auch auch auf den präsentierten CD-ROM/CD-AUDIO Player. Die optische Scheibe kann jetzt nicht mehr nur Musik wiedergeben sondern auch 540 Megabyte Daten verwalten. Atari hat auch die Audio Playback Option eingebaut, so daß das CD-ROM auch die Fähigkeit besitzt, gewöhnliche AUDIO COMPACT DISKS in hervorragender Qualität wiederzugeben. Die Kapazität von 540 Megabytes entspricht der Datenmenge, die man auf über 1000 normalen Disketten oder ca. 200.000 Druckseiten unterbringen kann. Wie gut dieses Gerät wirklich ist, werden wir Ihnen verraten, wenn wir die erste CD-Sammlung damit kopiert haben.
Mehr oder weniger gut kopiert für den US-Markt werden zur Zeit für den Atari ST diverse aus Deutschland kommende Softwareentwicklungen. Manchmal werden sie auch einfach importiert. So war die Beteiligung an ausstellenden Firmen für den ST zwar wirklich beachtlich, aber die Ausbeute für den gutinformierten ST Computer-Leser ist nicht unbedingt schränkefüllend. Interessanterweise wird, genau wie in Großbritannien der ST eher als Spielerechner eingestuft. Renommierte Firmen, wie z.B. HaBa haben die Konsequenzen daraus gezogen und sich von diesem Markt verabschiedet.
Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Firmen, die ganz neu in diesen Markt einsteigen oder ihre Palette um Atari ST Produkte erweitern.
Eine davon ist Foresight Resources Corporation. Sie hat die bekannten CAD-Programme der DRAFIX-Serie für den IBM entwickelt. Die Umsetzung von DRAFIX 1 für den Atari ST wurde jetzt auf der Comdex in Las Vegas präsentiert. Das "factsheet" verspricht einfache Handhabung, sehr viele hilfreiche Befehle wie z.B. stretch, shorten, trim, bevel, round, fallet, erase, unerase etc., 16 Zeichenstifte, 11 verschiedene Fonts u.v.a.
Welchen Platz im Konzert der zahlreichen CAD-Programme Drafix 1 beim Atari ST einnehmen wird, muß sich aber noch zeigen. Ebenso erweisen wird sich der Stellenwert von IDVIEW Es handelt sich um ein dreidimensionales CAD (computer added design)-Paket für den Mega ST Die "features", die IntelliDesign dabei anpreist, sind ähnlich den oben beschriebenen, ergo: test and see.
Ebenfalls jede Menge neuer "features" -um genau zu sein, über hundert - werden von SoftLogik für die "professional" -Version des bekannten Desktop-Programms PUBLISHING PARTNER angekündigt. Gleichzeitig wurde der Preis der Original-Version (schönes Wort für veraltet) von 149 U $ auf 89 US$ esenkt. Publishing Partner Professional wird jetzt für 149 US-$ angeboten. Die neuen Fähigkeiten sind u.a. automatisches Fließen des Textes um jede Grafik, das Einbinden von Degas Compressed-, Easy Draw- oder IMG-Bildern, Zoom, sowie das Importieren von Word Perfect, First Word und Word Writer-Files.
Eine Möglichkeit, die dazu passenden Bilder selbst zu zeichnen, bietet ProTablet ST von Quantum Microsystems Inc. Laut QMI soll das "digitizer tablet" mit einem Verkaufspreis von 395 US$ besonders günstig werden. Es hat eine Arbeitsfläche von ca. 30 x 20 cm (12 x 8 Zoll) und Gesamtmaße von 45 x 28 x 3 cm. Die Arbeitsgeschwindigkeit von 60 Pixel pro Sekunde und die Auflösung von 100 Zeilen pro Zentimeter werden auch bei der Anfang 1988 erscheinenden größeren Version 13.0 * 16.5 Zoll (33 x 42 cm) gleich bleiben. Sie soll dann 595 US$ kosten. Ein Treiber-Programm sowie benötigte Kabel und Hardware sind jeweils inbegriffen. Ob und wie sich ProTablet ST auf dem deutschen Markt mit vergleichbaren Produkten auseinandersetzten wird, bleibt abzuwarten.
Ebenfalls ungeklärt ist noch die Frage des deutschen Distributors für DO-IT und DESK CART: Der Slogan "DOS Instead of TOS" beschreibt die Zielrichtung von DO-IT. Ein "complete command line lnterpreter" ersetzt das Desktop duch eine MS-DOS-ähnliche Umgebung. Alle unter GEM oder GEM ap plications beinhalteten Programme laufen problemlos. Die über 50 "internal commands" wie black, dstat, rate, path und wrap sind im Begleitheft ausführlich erklärt. Leider liegt bisher aber noch keine deutsche Übersetzung vor. Vorliegen, neben DO-IT, tut uns aber auch DESK CART Es ist ein Desk Accessory & Clock Cartridge. Nach dem Einstecken in den ST hat der Benutzer Zugriff auf Kalender, Termine, Notizbuch, Taschenrechner, Schreibprogramm, Adreßbuch, Telefonliste VT 52 Terminal, Disk Utilities u.a.m.. Das Cartridge hat eigene 64k-ROM und arbeitet problemlos mit GemApplikationen zusammen. Der amerikanische Preis beträgt 99.95 US$ (DO-IT 24.95 US$) .
Nochmals überarbeitet hat Jefferson Software das MODULA-2 DEVELOPMENT SYSTEM. Das Programm arbeitet mit der dritten Ausgabe von Modula. Dies ist die neueste von Dr. Niklaus Wirth (auch Entwickler von Pascal) entwickelte Version. Updates für Besitzer von Jefferson Modula 2 V1.0 sind kostenlos. Modula 2 V1.1 wird in zwei "Preisklassen" angeboten: Das "normale" Paket kostet 49 US$, das DEVELOPMENT SYSTEM 79,95 US$. Die Entwickler-Ausgabe bietet zusätzlich eine ausführliche gedruckte Dokumentation, mehr " libraries" und mehr Programmbeispiele. Beide Versionen werden inklusive Source-Codes geliefert.
Fertig und in Vegas erstmals vorgestellt worden, ist hingegen der neue FOTRAN COMPILER von Prospero. Er liegt bereits in der Redaktion vor. Das Paket ist nur in englischer Sprache erhältlich. Deshalb begnüge ich mich hier mit einem kurzen Auszug aus dem "factsheet":
Bereits bei anderen Messen vorgestellt wurden auch die meisten der in Las Vegas präsentierten Spiele. Wir können uns also hier aufdie wenigen wirklichen Neuvorstellungen konzentrieren.
Jetzt endlich erchienen ist DEFENDER OF THE CROWN von Cinemaware, eine Mischung aus Strategie und Action. Es spielt im mittelalterlichen England. Die Atari ST Ausgabe ist bei weitem die spielstärkste Version, die bisher vorgestellt wurde und hat viele zusätzliche Features gegenüber Versionen auf anderen Rechnern. Ebenfalls so gut wie fertig, aber bei der Messe noch nicht erhältlich, war KING OF CHICAGO. Es spielt in der Zeit Al Capones und dreht sich um die Bandenkriege der dreißiger Jahre.
In den USA vorgestellt werden die Cinemawarespiele von Mindscape. Ebenso von Mindscape repräsentiert wird Hewson Consultants. Ehemalige C64-Besitzer ahnen was jetzt kommt - es stimmt. DAS Weltraumschießspiel wird demnächst für den Atari ST erscheinen - seine Idee wurde oft kopiert, aber das Original wurde nie übertroffen - URIDIUM. Der Vertrieb in Deutschland ist noch nicht geklärt. Wir werden aber so bald wie möglich mit mehr Informationen aufwarten.
Epyx war da, aber über alle Titel, die vorgestellt wurden, haben wir bereits im Messebericht von des SommerCES berichtet. Was wann wirklich erscheint - ...???
Electronic Arts hat sich Erscheinungstermine betreffend - diesmal selbst in die Pflicht genommen. Fest zugesagt für November ist GONE FISH' N von Interstel. Es basiert auf dem Konflikt des passionierten Anglers, der eine Entscheidung treffen muß zwischen arbeiten und angeln gehen. Sie haben einen eigenen kleinen Laden, der Ihnen Ihr Hobby erst ermöglicht. Ziel ist es, durch geschickte Planung das Geschäft erfolgreich zu führen, und trotzdem möglichst viel Zeit am See zu verbringen. Nicht ganz so beschaulich geht es bei STARFLEET II - KRELLAN COMMANDER zu. Die Fortsetzung der Starfleet Saga soll im Dezember erscheinen und über 35 galaktische Regionen mit mehr als 1700 Sternensystemen Ihrem Eroberungsdrang preisgeben. Vor die Herrschaft über das All hat Interstel aber zahlreiche Raumschlachten und durchkämpfte Nächte gesetzt.
Ein Bonbon am Rande war der von CSS angebotene "Winterpelz" für die Maus. Diese und andere Spielereien sind im kostenlosen Katalog von) Computer Software Service.
Wie die meisten von Ihnen wissen, gibt es für den ST eine Reihe von Programmen, die einen anderen Rechner simulieren. Die interessanteste Neuheit auf diesem Gebiet stellt Magic Sac+ dar. Der bereits in Heft 2/87 der ST Computer getestete Macintosh-Emulator wurde um wesentliche Features erweitert. Es ist in der neuen Version möglich, die Harddisk des ST auch für den Macintosh-Betrieb zu nutzen, und auch von Harddisk zu booten. Der Speicherausbau der Mega-STs wird voll unterstützt, d.h., bis zu 3900 KByte können unter dem Mac-System verwendet werden. Der Clou ist jedoch eine Hardware-Erweiterung, die es ermöglicht, Mac-Disketten mit den Atari-Laufwerken zu lesen. Das Kästchen mit den Ausmaßen von 2 Zigarettenpäckchen wird einfach auf den Floppybus gesteckt, und man kann umschalten zwischen Macintosh- und Atariformat. Das mühevolle Übertragen von Dateien über die serielle Schnittstelle entfällt damit. Der Preis für den Emulator beträgt 280 Dollar. Leider war nicht mehr in Erfahrung zu bringen, wann das tolle Kästchen in Deutschland verfügbar sein wird.
Mehrere interessante Produkte gab es an dem Stand von Supra Corporation zu sehen. Eine Harddisk mit 250 MB wurde angeboten und ist mit ca. 4000 Dollar nicht zu teuer, wenn man bedenkt was 12 SH 205 mit 20 MB kosten. Für die stolzen Besitzer von Mega ST's gab es einen besonderen Leckerbissen. Die Harddisk zum Einbau in das Gehäuse des Mega ST mit 20 MB für 650 Dollar. Oder für alle STs die 1 MB-Floppy mit 80 ins Zugriffszeit für 895 Dollar.
Eine Abschlußbemerkung zu der ganzen Messe: In mancher Hinsicht sitzen wir in Deutschland noch auf den Bäumen. Umgedreht sitzen viele Firmen in Amerika auf dem hohen Roß (Germany ? That’s in Europe, isn’t it ?) . Auf jeden Fall weiß man nach dem Besuch einer amerikanischen Messe wie der COMDEX in der Regel mehr als die deutschen Niederlassungen der amerikanischen Firmen. (CPL/JL)