Die Überarbeitete Reinkarnation des Bildbearbeitungsklassikers "Cranach" hat in der ATARI-Gemeinde für eine positive Resonanz gesorgt. Wir haben PhotoLine getestet.
Den EBV-Anwendern der ersten ATARI-Stunde wird das Programm "Cranach" sicherlich noch ein Begriff sein. Seinerzeit stellte Cranach eine High-End-Lösung für den Computermarkt dar. Nachdem der PC- & Apple- Markt stark aufgeholt bzw. überholt haben, hat sich die Fa. Computerinsel an die Arbeit gemacht und das veraltete Grafiksystem komplett überarbeitet und den Ansprüchen der heutigen Zeit angepaßt. Herausgekommen ist dabei "Photo Line".
Die Entwicklung von Cranach seitens des Herstellers "tms" wurde jedoch
schon vor einigen Jahren eingestellt. Schon seinerzeit sorgten die
gewöhnungsbedürftige Oberfläche sowie einige funktionstechnische Mängel
dafür, daß Cranach trotz der Vielfältigkeit ins Abseits geriet. Heute bestizt
die Fa. Computerinsel die Rechte an der Weiterentwicklung und Distribution.
Startet man Photo Line, so bemerkt man schnell, daß die Software von heute nur
noch wenig mit dem Cranach von gestern zu tun hat.
Die Programmierer haben sich darum bemüht, die jeweils herausragenden
Fähigkeiten bekannter Grafikprogramme in Photo Line zu vereinen. Das Resultat
ist ein umfangreiches Grafikprogramm mit schöner und intuitiver Oberfläche. Das
Softwarepaket wird in Form von 2 Disketten und einem 50-seitigen Handbuch
ausgeliefert. Zwar geht letzteres auf die wesentlichen Punkte der Software ein,
doch empfiehlt es sich, einige Grundkenntnisse in der EBV (elektronischen
Bildverarbeitung) zu besitzen.
Photo Line erweist sich als sehr umfangreich und leistungsstark. Die vielen Funktionen, die hierzu beitragen, werden in Pull-downMenüs und einer iconifizierten Menüleiste untergebracht.
Der Schwerpunkt einer EBV-Software wird selbstverständlich auf die Werkzeuge und deren Funktionsumfang gelegt. Diese sind einerseits in der Menüleiste, andererseits aber auch unter dem Menüpunkt "Werkzeug" wiederzufinden. Standardmäßig werden Malen, Wasser, Finger, Kopieren und Filter angeboten. Hierbei können die Stifte, mit denen jeweils gearbeitet wird, im Pinseleditor eingestellt werden. Dieser bietet die Möglichkeit, den Pinsel sehr vielfältig zu gestalten. So können sowohl Innen als auch Außenradius des Pinsels bestimmt werden. Weicht der Außenradius vom Innenradius ab, so wird der Abstand mit einem Grauverlauf dargestellt, dessen Form anhand des Kurvensymbols reguliert werden kann. Darüberhinaus kann der Anwender bestimmen, ob die Pinselform quadratisch oder kreisförmig gestaltet sein soll.
Die Funktionen Kopieren und Stempel sind sich relativ ähnlich. Beim Kopieren hat der Benutzer die Möglichkeit, einen Kopierbereich festzulegen und diesen an- schließend in einen anderen Bereich oder in ein anderes Fenster (Bild) zu kopieren. Es können einfache Rechteck-Bereiche wie auch Lasso-Bereiche als zu kopierendes Feld gewählt werden. Durch die Funktion "xxx Pixel weicher Rand" können weiche Kopierränder geschaffen werden, so daß sich interessante Effekte beim Einbinden in Hintergründe erzielen lassen. Dazu kann auch die Intensität der Dekkung einer Kopie eingestellt werden. Eine weitere Besonderheit von Photo Line ist die Möglichkeit, mit den zur Verfügung stehenden Filtern zu zeichnen, auf diese werden wir später eingehen. Desweiteren findet man auf der Menüleiste den Menüpunkt "Automarkikerung".
Masken dienen dem Auswählen eines bestimmten Bildschirmbereiches, der ausgeschnitten oder in andere Bildschirmteile Fenster eingesetzt wird.
Ist eine Grafik so gestaltet, daß sich der Vordergrund deutlich vom Hintergrund absetzt, so kann diese Funktion dazu diesen, die Ränder des auszuschneidenden Objektes schnell und automatisch zu definieren. Dies erspart speziell bei aufwendigeren Arbeiten eine Menge Zeit. Diese Funktion hat sich in der Praxis als schnell und relativ präzise erwiesen.
Erfreulich ist, daß Photo Line auch ein umfangreicher Vektorteil spendiert wurde. Hierzu lassen sich durch das Anwählen des Menüpunktes eine Vielzahl von Funktionen aufrufen. Hierunter befinden sich Befehle wie z.B. Linien, Bezier, Geradenoptimierung (versucht aus mehreren Geraden eine Gerade zu machen), Bezieroptimierung, Pfadpunkte setzten und löschen, Vektorteile gruppieren usw. Insgesamt könnte man sagen, daß Photo Line sich in begrenztem Maß auch als Vektorisierer einsetzen läßt. Allerdings sollte auch angemerkt werden, daß die Bedienung stellenweise recht kompliziert ist und nicht ganz so intuitiv von statten geht, wie z.B. bei LineArt im Calamus SL.
Photo Line stellt diverse Werkzeuge zur Optimierung der Farben einer Grafik zur Verfügung. Hierzu gehören der Cluteditor, das Histogramm und die Bildschirmkalibration. Mit dem Cluteditor können die Farben eines Bildes beeinflußt werden. Direkten Einfluß auf Helligkeit und Kontrast kann man mittels der Slider nehmen. Hierbei ist die Funktion "Echtzeit" sehr positiv, da man die direkte Auswirkung sofort sieht, ohne die Änderung tatsächlich und endgültig vornehmen zu müssen. Für präzisere Einflußnahmen stehen dem Anwender die Kurven zur Verfügung. Hierbei kann man entweder alle Farben beeinflussen oder die Farben rot, grün oder blau einzeln bearbeiten. Hierbei stellt sich die Frage, warum es keine CYMK-Bearbeitungsmöglichkeit gibt.
Schließlich ist davon auszugehen, daß jeder Grafiker, der im Bereich der Druckvorlagenherstellung tätig ist, auf die separate Bearbeitung der Farben "cyan, yellow, magenta und black" angewiesen ist. Ein Manko, das in einer der nachfolgenden Versionen aufgehoben sein wird -so wurde uns bestätigt.
Der zweite Punkt, der zur Optimierung der Grafik zur Verfügung steht, ist das
Histogramm. Ein Histogramm mißt, wie oft jede Farbe in einem Bild
vorhanden ist, so daß man durch Histogrammausgleich die Verteilung
ausgleichen kann. Hierzu kennt Photo Line zwei verschiedene Algorythmen.
Schließlich hat der Anwender mit Hilfe der Farbkalibration die Möglichkeit,
sich anzeigen zu lassen, wie ein Bild nach einer Farbseparation im Druck
aussehen würde. Erfahrene Grafiker werden schon die Erfahrung gemacht
haben, daß die Farben auf dem Bildschirm häufig heller und kräftiger sind als
im tatsächlichen Druck.
Die erstellten Einstellungen lassen sich abspeichern und wieder einladen, so
daß sich jedermann entsprechende Kalibrationswerte zurechtlegen kann.
Photo Line verfügt über mehr Funktionen, als in diesem Testbericht
geschildert. Hierzu gehören die Filter wie z.B. Schärfen, Weichzeichnen,
Relief usw.
In einem Filtereditor kann der der Anwender seine eigenen Filter erstellen
und abspeichern.
Insgesamt läßt sich also sagen, daß Photo Line ein umfangreiches Werkzeug
zur EBV darstellt, das in einigen Belangen noch optimiert werden könnte.
Eine Kleinigkeit, die ich persönlich erfreulich finde, die aber leider auch
heute noch nicht zum Standard für ATARI-Programme gehört, ist die Tatsache,
daß bei sämtlichen Vorgängen grafisch angezeigt wird, wieviel Zeit für die
Bearbeitung benötigt wird.
Links: Die Menüleiste, die den direkten Zugriff auf sämtliche wichtigen Funktionen
zuläßt.
Rechts: Die Skalierfunktionen von PhotoLine. Hoffentlich ist hier bald auch das
Drehen von Bildern möglich.
Hierbei läßt sich u.a. auch feststellen, daß Photo Line recht schnelle Routinen verwendet, so daß das Arbeiten auf einem ATARI TT durchaus flott voran geht (es werden spezielle Versionen für ST und TT/Falcon ausgeliefert).
Bedenkt man den drastischen Preissturz, den EBV-Software im PC-Bereich erlebt
hat, so ist es klug gewesen, den Preis vom Photo Line von Anfang an bei DM 299.-
festzulegen. Somit läßt sich auch in puncto Preis-Leistungs-Verhältnis sagen, daß
Photo Line ein empfehlenswertes Produkt für alle ambitionierten Computer-
Grafiker ist, welches sich kaum hinter den preislich ebenbürtigen PC- und Apple-
Konkurrenten zu verstecken braucht.
Lediglich das Handbuch hätte wesentlich ausführlicher und tief greifender
ausfallen dürfen; ein Einsteiger benötigt zusätzlich wohl eine komplette EBV-
Lektüre, um zu verstehen, wie einige Funktionen einzusetzen sind.
red.
Computerinsel GmbH
Zur Limestherme 4
93333 Bad Göggingen