Die Evolution der Oberfläche: Vom Lochstreifen zur Spracheingabe

»Benutzeroberfläche«, ein schreckliches Wort für eine mittlerweile gar nicht mehr so schreckliche Sache. Zwar richtet sich die Evolution der Computer Oberflächen nicht unbedingt nach den Darwinschen Erkenntnissen, aber sie hat trotzdem eine erstaunliche Entwicklung vollzogen. Der Weg von kryptischen Befehlskürzeln über Mäuse und Lichtgriffel bis hin zur ergonomisch geformten Tastatur vor biodesigntem Computergehäuse ist spannend zu verfolgen. Fehlt eigentlich nur noch die sprachgesteuerte Menüführung, oder ist sie gar schon da?*

Die Zeiten, in denen Konrad Zuse, der berühmte deutsche Computerpionier, 1937 die Steuer-Software für seinen Digitalrechenautomaten »Z1« auf Kinofilm lochen mußte, damit überhaupt eine Kommunikation mit dem Relais-Ungetüm stattfand, sind lange vorbei. Die heutigen Studenten der Informatik erleben Computersteuerung per Lochstreifen oder Lochkarten nur noch als unterhaltsamen Ausflug in die Historie. Und der altgediente Lochstreifenleser, der sich wohl in jedem universitären Rechenzentrum mit etwas Tradition noch in irgendeiner Ecke findet, verleiht seinem Standort einen fast musealen Charakter.

Vereinfachten genormte Lochkartenstapel die Steuerung der Computer bereits in hohem Maße, so revolutionierten die vor fast dreißig Jahren erstmals eingesetzten Bildschirmarbeitsplätze den Computereinsatz. Denn die interaktive Kommunikation mit dem Computer, die über Bildschirm und Tastatur möglich wurde, ließ den Anwender quasi in direkten Kontakt zum Rechner treten. Aus den Kaffee-fressenden Lochkartendurchläufen (Lochkarten schreiben, Kartenstapel beim Operator abgeben, Jobdurchlauf abwarten und Ergebnisprotokoll analysieren) wurde eine nahezu direkte Ablaufkontrolle der eigenen Anwendungen oder Programme ohne wesentliche Wartezeiten.

Die Bedienung des Computers in Form von Steuerkommandos hatte sich in dieser Entwicklung allerdings nicht wesentlich verändert. So wie die eigentlichen Programme im Lochkartenstapel von einer festgelegten Reihe von Steuerkommandos eingeleitet und abgeschlossen wurden, so muß der Anwender vor dem Computerterminal ebenfalls Steuerkommandos via Tastatur an den Rechner übermitteln. Diese Form von »Kommandoorientierter Benutzeroberfläche« setzte sich auch bei den im Laufe der 70er Jahre aufkommenden Personal Computern fort.

Die Verlagerung der Anwendergruppen vom universitären Großrechner zum individuellen, kleinen Personal Computer brachte die beiden Amerikaner Steven Paul Jobs und Stephen Wozniak schließlich dazu, eine wesentlich vereinfachte, intuitiv zu bedienende Benutzeroberfläche für Computer zu planen. Die Erfolgsgeschichte ihrer Firma Apple vom Garagenproduzenten zum internationalen Computergiganten ist ja zur Genüge bekannt. Gegen Ende der 70er Jahre eröffnete der »Lisa« von Apple eine neue Computer-Generation. Der Rechner war, im Gegensatz zu allen bisherigen Modellen, mit einer grafischen Benutzerberfläche ausgestaltet und besaß ein spezielles Eingabegerät, die Maus. Sie bewegte ein kleines Symbol, den Mauszeiger, über den Bildschirm. Der Benutzer erteilte dem Computer jetzt seine Befehle, indem er den Mauszeiger auf ein Objekt am Bildschirm bewegte und durch eine oder zwei Tastendrücke an der Maus seine Position bestätigte. Der Computer führte dann den durch das Objekt repräsentierten Befehl aus.

Widerwillen gegen Mäuse

Dieses neue Konzept der Benutzerführung rief überall Begeisterung hervor. Aus Kostengründen blieb Lisa allerdings zunächst der große Erfolg versagt. Erst dem Lisa-Nachfolger »Macintosh« gelang der entscheidende Erfolg im Markt. Und mit dem Erfolg dieses Computers begann auch der Siegeszug der grafischen Benutzeroberflächen. Bereits wenige Jahre nach dem Macintosh brachte die wiedererstandene Atari Corporation mit dem »520 ST« einen weiteren Computer mit grafischer Benutzeroberfläche heraus, dem allseits bekannten »GEM«. GEM war keine Spezialentwicklung für die Atari STs, sondern ließ sich auch auf MS-DOS-Computern installieren. Allerdings unterstützten die meisten MS-DOS-Programme nicht wirklich die Fenster-Fähigkeiten des GEM und auch die Mausunterstützung wurde in der Software eher widerwillig als freudig implementiert. Auf MS-DOS-Computern behielten die kommandoorientierten Benutzeroberflächen zunächst die größte Verbreitung. Im Gegensatz dazu steht der Amiga von Commodore, der ebenfalls mit seiner grafischen Oberfläche brillierte, dem aber parallel dazu eine kommandoorientierte Shell beilag, deren Leistungsfähigkeit, beispielsweise im Bereich der Batchdateiverarbeitung, viele Anwender positiv beeindruckte. So hatte jeder Anwender die Wahl, sich für die ihm genehme Bedienung zu entscheiden.

Auf die Euphorie über die grafische Benutzeroberfläche folgte allerdings bald eine gesunde Ernüchterung. Denn wer glaubte, nur mit einer Maus wäre die Bedienung des Computers ein Kinderspiel, der sah sich durch die tägliche Arbeit bald eines Besseren belehrt. Weder Maus noch Kommandozeile alleine garantieren eine in jeder Lage schnelle und einfache Bedienung, erst die sinnvolle Kombination beider Benutzerformen führt zu effektiver Arbeit. Das Beispiel Textverarbeitung zeigt dies deutlich. Es ist lästig, wenn man während des flüssigen Schreibens ständig eine Hand von der Tastatur nehmen und mit der Maus in den Menüzeilen herumfahren muß, um z.B. eine Schriftart oder ein Schriftattribut zu wechseln. Besser sind in so einem Fall Tastaturkürzel, die sich dem Arbeitsfluß anpassen. Und schließlich arbeitet man nur die kürzeste Zeit wirklich auf dem Desktop seines Computers, etwa um Disketten zu formatieren und zu kopieren oder zum Starten der eigentlichen Anwendungen.

Also eigentlich die besten Voraussetzungen für den Amiga und den Macintosh. Leider reduzierte sich die Anwendung des Amiga auf relativ wenige Bereiche, und auch die Vorgaben bezüglich einer einheitlichen Gestaltung der Benutzeroberfläche fielen recht spärlich aus. Konsequent dagegen regulierte Apple die Erscheinungsweise ihres Rechners und der darauf laufenden Anwendungen. Zudem verknüpfte diese Firma ihre Reglements mit einer intensiven Forschungsarbeit in Sachen Benutzer-Schnittstelle, so daß sich in kurzer Zeit der Ruf vom Macintosh als dem bedienerfreundlichsten Computer festigte.

Medienvielfalt

Der Erfolg eines grafischen Eingabemediums wie der Maus löste natürlich, vor allem im PC-Bereich, eine intensive Entwicklung aus. Einen gewissen Markterfolg erzielten zumindest zeitweise sensitive Bildschirme, die auf Berührung, entweder mit einem speziellen Leuchtstift oder direkt mit dem Finger, reagierten. Die Idee hinter dieser Entwicklung klingt zunächst sehr einleuchtend. Es ist für den Anwender sehr leicht, direkt mit Finger oder Stift auf die Befehle zu zeigen, die er ausführen möchte. Im Prinzip geschieht bei der Mausbedienung nichts anderes. Der Nachteil von »Touch Screens«, also den berührungssensitiven Bildschirmen, liegt in der praktischen Handhabung. Man muß sich für jeden Befehl Vorbeugen und den Arm bis zum Monitor vorstrecken. Diese unnatürliche Körperhaltung ermüdet den Anwender zu schnell. Außerdem ist auch hier wieder der Arbeitsablauf, z.B. in einem Programm, unterbrochen. Zudem bereitete die Auswertung Schwierigkeiten. Es waren immer nur wenige aktive Eingabefelder verfügbar, eine im Zuge ständig komplexer werdender Anwendungen unhaltbarer Zustand. Hinzu kommen beim Berühren des Monitors mit dem Finger noch zwei weitere Probleme. Es finden ständig kleine elektrostatische Entladungen statt und außerdem verschmiert der Bildschirm einfach viel zu schnell. Die grafischen Benutzeroberflächen initiierten viele Experimente mit verschiedenen Eingabemedien. Joysticks, Trackballs, Lichtgriffel und Digitalisiertabletts zeugen von dieser Entwicklung. Letztes marktreifes Ergebnis dieser Entwicklung sind die »Pen-Based«-Systeme. Es ist wiederum ein Stift, der allerdings wesentlich differenziertere Eingabe erlaubt, als bisherige Lichtstifte. Die Vorstellung der Entwickler geht dahin, daß entsprechende Software sämtliche Bewegungen des Stiftes auswertet, also nicht nur die Schreibrichtung, sondern z.B. auch den Druck der Spitze. Die Anwendungen imText-und Grafikbereich sind fast unvorstellbar. Damit bietet sich die Möglichkeit, traditionelle Methoden des Schreibens und Zeichnens direkt mit dem Computer umzusetzen. Auch für den Einsteiger erscheint ein Stift als Eingabemedium noch vertrauter als eine Maus, die z.B. bei der Handhaltung zunächst eine Umgewöhnung erfordert. Trotzdem erscheint auch das Pen-Based-System nicht als »der Weisheit letzter Schluß«. Joy Mountford, Leiterin der Human-Interface-Group von Apple, der Forschungsabteilung für Benutzeroberflächen, betont: »Optische Zeichenerkennung gelingt nur mit 90%iger Sicherheit. Um 100 Prozent zu erreichen, muß man immer in bestimmter Weise schreiben. Das widerspricht dem natürlichen Umgang mit einem Stift und schreckt schon wieder von der Computernutzung ab.« Die jüngste Entwicklung der Stiftidee, deren Realisation auch durchaus erfolgversprechend aussieht, sind drucksensitive Digitalisiertabletts. Hier werten entsprechende Treiber für Zeichenprogramme nicht nur die Position des Stifts auf dem Tablett aus, sondern auch den Druck, den der Anwender gerade mit dem Stift ausübt. Koppelt man diese Druckauswertung beispielsweise mit einer Funktion zur Zeichendicke, so lassen sich vergleichbare Zeichenergebnisse im Computer realisieren, wie man sie sonst mit einem Bleistift oder bei einer Federzeichnung erreicht.

Das Fernziel der Wünsche ist natürlich eine intelligente Form von Sprachsteuerung. Erst damit ist eine absolut flexible und natürliche Form der Bedienung gegeben. Die Leistungsfähigkeit der heutigen Microcomputer reicht dafür, zumindest in Ansätzen, schon aus. Der Zauberchip, auf den die Entwickler derzeit große Hoffnungen setzen, nennt sich DSP. Über die Leistungsfähigkeit der digitalen Signalprozessoren in Sachen Sprachsteuerung und Spracherkennung wurde in den letzten Monaten ja schon viel spekuliert. Nachdem der Falcon 030 von Atari bereits einen DSP eingebaut hat und auch Commodore auf der CeBIT '93 eine DSP Erweiterungskarte für den Amiga 4000 vorstellt, kommen hier sicher schnell greifbare Ergebnisse in Sichtweite. Ein entsprechendes sprachgesteuertes Anrufbeantworter-System für den Falcon 030 wurde bereits auf der letzen Comdex vorgestellt. Die Entwicklung im DOS-Bereich hinkt hier wieder etwas hinterher. Zwar sind derzeit Soundkarten für PCs und Windows der letzte Schrei, aber über die lustige Hintergrundmusik und gesamplete Geräusche zur Untermalung bekannter Benutzeraktionen kommen die Windows-Anwender bisher nicht hinaus.

So müssen wir unsere Frage nach der sprachgesteuerten Menüführung dahingehend benatworten, daß sie eben noch nicht da ist. Allerdings stehen auf breiter Front die Entwickler sozusagen »Compiler bei Fuß«, um mit den aktuellen Hardwarevoraussetzungen zum Thema Benutzerfreundlichkeit ein neues Kapitel in der Evolutionsgeschichte der Computeroberfläche zu schreiben. (wk)


Wolfgang Klemme
Aus: TOS 05 / 1993, Seite 78

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