Die Grenzen sind offen: Datenaustausch über Systemgrenzen mit TeX

Moderne Computeranlagen sehen sich mit wachsenden Ansprüchen konfrontiert. Mehr und mehr müssen sie sehr unterschiedlichen Interessen und Anforderungen seitens der Anwender Rechnung tragen. Dies gelingt nur, wenn ein zentrales Qualitätsmerkmal realisiert ist: der einfache Datenaustausch zwischen Applikationen und über die Rechnergrenzen hinweg.

Atari-Anwender sind in dieser Hinsicht bislang nicht gerade verwöhnt. TOS- und GEM-Anwendungen kommunizieren so gut wie gar nicht miteinander. Wenn überhaupt, tauschen sie ihre Daten über Dateien oder über das eher statische Clipboard aus.

Um es gleich vorweg zu sagen: Auch von TeX sind hier keine Wunderdinge zu erwarten. Dennoch entspricht es den Mindestanforderungen: Texte lassen sich in einer Weise speichern, daß man sie in anderen Applikationen und unter anderen Betriebssystemen weiterverarbeiten oder ausgegeben kann. Dabei verbucht TeX konzeptbedingt einige Vorteile für sich, die man in anderen Programmen vergeblich sucht.

Bekanntlich arbeiten bedeutende Teile des TeX-Systems rechnerunabhängig und auf nahezu allen Computern. »Device independent«-Files (DVI) heißt das Konzept, das hier zum Tragen kommt. Dahinter verbirgt sich ein sehr nützlicher Gedanke: Beim Rechnerwechsel oder wenn ein anderer Drucker zur Anwendung kommen soll, können Sie prinzipiell Ihre am Atari entworfenen TeX-Dokumente ohne jede Änderung verwenden. Auch der umgekehrte Weg ist gangbar: Texte lassen sich unter UNIX oder MS-DOS setzen und ohne Einschränkung auf einen Atari-Rechner übertragen. Aber wir wollen uns hier nicht ausschließlich mit der Kompatibilität zu anderen Betriebssystemen befassen. Schließlich haben wir es in erster Linie mit einem Atari ST bzw. TT zu tun, für die es ebenfalls kompetente TeX-Versionen gibt. Nehmen wir einmal das Zusammenwirken der beiden PD-TeX-Versionen Lind-ner-TeX und Multi-TeX unter die Lupe.

TeX ist gleich TeX - sollte man meinen, noch dazu, wenn die Systeme auf ein und demselben Rechner ihren Dienst tun. Warum also nicht die Vorteile beider Varianten nutzen? Leider vereiteln einige programmatische Schwierigkeiten diesen Wunsch. Komplikationen lassen bereits die Organisation und Benennung der Dateien erahnen. Stefan Lindner und Christoph Strunk haben ihre Zeichensätze jeweils in verschiedenen Ordnersystemen abgelegt und unterschiedliche Namen vergeben. Die Verschiedenheit der Verzeichnisstrukturen ist auch der Hauptgrund dafür, daß die im Prinzip austauschbaren PK-Dateien nicht einfach vom anderen System aufgerufen werden können. Entsprechend ernüchternd waren die ersten Versuche, die Zeichensätze des einen mit den Treibern des anderen Programms in Verbindung zu bringen. Der einfache Austausch klappt also nicht ohne weiteres. Wie kann man die beiden Systeme dennoch zur Zusammenarbeit bewegen?

Bild 1. Optionsdatei zum Ansteuern der Multi-TeX-Treiber

Gegenwärtig geht das nur in einer Richtung. Alle Treiber des Multi-TeX lassen sich unter der Lindner-Shell verwenden. Man muß dazu lediglich eine entsprechende Options-Datei installieren, die die originalen Parameter für die Multi-TeX-Treiber enthält (vgl. Bild 1). Bild 1 verrät eine weitere interessante Funktion: Es steht Ihnen frei zu wählen, mit welchen Zeichensätzen Sie arbeiten wollen. Einen kleinen Haken hat die Sache allerdings: Die Multi-TeX-Treiber lassen sich nicht über die üblichen Funktionen der Lindner-Shell, sondern ausschließlich über »TTP« im Menüpunkt »Datei« ansprechen. Zweifellos ein Verlust an Komfort (vgl. Bild 2).

Multi-TeX erkennt auch die GEM-Image-Einbindung des Lindner-TeX. Sie können also DVI-Files dieser TeX-Version direkt komplett mit Grafiken ausdrucken. Der einzige Stolperstein besteht darin, daß sich die Grafik auf derselben Dateiebene befinden muß wie der dazugehörige Treiber. Umgekehrt funktioniert der Austausch von Bilddaten nicht, d.h. mit der Art der Grafikeinbindung, wie sie das GEM-UTIL-Programm vorbereitet, wissen die Lindner-Treiber nichts anzufangen.

Weniger problematisch stellt sich natürlich der Austausch von Quelltexten dar. Sofern Sie identische Makros und Styles verwenden, verläuft die Verarbeitung reibungslos. Bevorzugen Sie allerdings TeX-Versionen, die die Grenze der 65535 Worte sprengen, so wird die Sachlage wieder komplizierter. Solche ansonsten empfehlenswerten Programme erschweren die Portabilität der Quelltexte oder machen sie gar zunichte [1]. DVI-Dateien bleiben jedoch portabel und lassen sich beliebig austauschen.

Über alle Grenzen

TeX gehört zweifelsohne zu den Textprozessoren mit der weitesten Verbreitung. TeX arbeitet auf den meisten EDV-Anlagen und unter einer Reihe von Betriebssystemen. Sowohl auf UNIX-Systemen als auch unter DOS, auf dem Mac und dem Amiga sind mehrere, zumeist in C programmierte, Lösungen bekannt. Da andere Systeme genau wie TeX mit Eingabedateien arbeiten und Ausgabedaten erzeugen, müssen wir prüfen, welche Dateiformate TeX verarbeiten kann und welche Formate TeX erzeugen muß. Im Bereich der Verarbeitung von Zeichen sind eigentlich nur zwei Datenformate bzw. Dateiformate von Belang:

Die klassische, wenn auch etwas antiquierte Lösung zur Übertragung von Daten ist das ASCII-Format. Generell lassen sich ASCII-Texte, die von beliebigen anderen Systemen stammen, ohne besondere Probleme übertragen, sofern der Schreiber sich an die üblichen Konventionen hält. Schließlich verarbeitet TeX ja selbst ausschließlich ASCII-Quelltexte. Probleme gibt es höchstens mit den deutschen Sonderzeichen. Um ganz sicherzugehen, daß auch andere TeX-Compiler (z.B. UNIX-Maschinen) den eigenen Text verarbeiten, sollten Sie die Sonderzeichen in kompatible Befehlsfolgen umwandeln (Bild 3).

Bild 2. Die Lindner-Shell

Natürlich unterstützt TeX den ASCll-Import nicht nur rein theoretisch. Die praktischen Hilfestellungen können sich ebenfalls sehen lassen. An erster Stelle ist die \input-Anweisung zu erwähnen. Trifft TeX an irgendeiner Stelle auf den Befehl \input datei (ohne die Endung *.tex), so liest es die Datei mit diesem Namen an der entsprechenden Stelle des Textes ein. Die ursprüngliche Datei wird anschließend weiterbearbeitet. Eine derartige Organisation der Eingabedaten empfiehlt sich vor allem bei der Bearbeitung größerer Projekte oder bei regelmäßig wiederkehrenden, gleichartigen Arbeiten.

Ein Beispiel soll das Ganze etwas näher bringen. Die in Bild 4 präsentierte Normalverteilung ist eine unabhängige Datei, die über \input < normal > mit dem Haupttext verknüpft wird.

Wollen Sie nur die zuletzt korrigierten Teildokumente compilieren, ist der Befehl \include{file} die bessere Wahl. Dieses Kommando ist nur im Text, nicht aber im Vorspann gestattet. In der Präambel wird es ergänzt durch die Anweisung \includeonly{file-liste}, die nur dort auftreten darf. Die »fileliste« benennt jene Dateien, die Sie durch \include{file} einfügen.

Sehr praktisch ist in diesem Zusammenhang die interaktive Bearbeitung mit dem Befehl \typein. Steht z.B. im Vorspann \typein [\datei]{Welche Datei lesen ?}\ includeonly{\datei}, so fragt TeX vorab nach einem Dateinamen, den es bearbeiten soll, wenn der Befehl \include im Dokument erreicht ist. Wollen Sie beispielsweise den Inhalt von »Beispiel.tex« einfügen, so genügt es, wenn Sie zu Beginn des TeX-Laufs »beispiel« eintippen. Im Text selbst steht an der gewünschten Stelle die Anweisung \include{beispiel}.

Mit den ASCII-Daten anderer Systeme kann TeX offenbar problemlos kommunizieren. Was aber ist, wenn man DVI-Files verschiedener TeX-Compiler miteinander verknüpfen will? Auch das ist möglich. Allerdings bedarf es dazu einiger Hilfsprogramme, die für gewöhnlich nicht zum Lieferumfang gehören (aber z.B. über DANTE bezogen werden können [2]).

Nennenswert ist z.B. das Utility DVIPASTE, das das Einfügen von DVI-Dateien in andere DVI-Dateien besorgt. Sein Einsatz ist dann sinnvoll, wenn externe Dateien (z.B. PICTEX-Grafiken) nicht zusammen mit LaTeX in den Speicher passen. Den eigentlichen Vorgang des Einmischens übernimmt der Treiber. TeX hält nur den notwendigen Platz frei.

Wünschen Sie eine Nachbearbeitung von DVI-Dateien, bieten sich zwei zusätzliche Utilities an. Während DVISELECT ausgewählte Seiten aus einer DVI-Datei in eine neue DVI-Datei kopiert, macht das Programm DVICONCAT genau das Gegenteil: Es ist in der Lage mehrere DVI-Dateien zu einer einzigen zusammenzufassen.

Bild 3. Die deutschen Sonderzeichen

Nicht wenige TeX-Anwender liebäugeln mit dem Gedanken, ihre Arbeiten, etwa am Universitätsrechner, auf PostScript-Anlagen auszudrucken. Warum auch nicht? Die Vorzüge von PostScript sind unbestritten:

Glücklicherweise haben die TeX-Entwickler vorgesorgt. Beide für den Atari verfügbaren PD-TeX-Versionen unterstützen die Ausgabe von TeX-Anwendungen in eine PostScript-Datei - ein großer Vorteil, wenn es um die Weitergabe der TeX-Dokumente geht. Die Ausgabe funktioniert dabei recht einfach. Um DVI-Dateien im PostScript-Format zu speichern, muß man lediglich anstatt eines Drucker- oder Bildschirmtreibers den PostScript-Treiber aufrufen. Anschließend können Sie die Datei auf einem entsprechenden Drucker als ASCII-Text ausgeben. Der umgekehrte Weg ist übrigens ebenfalls möglich. Beispielsweise lassen sich mit dem Multi-TeX-Treiber DVI-PS (ab Version 2.9.63) PostScript-Grafiken in den Text einbinden. Sie müssen lediglich sicherstellen, daß diese Grafiken im EPS-Format vorliegen. Damit ist natürlich eine gewisse Einschränkung verbunden. Als Grafiken kommen nur solche PostScript-Files in Frage, die die globale Umgebung der Seite nicht verändern. Alles in allem erweist sich TeX als eine überaus kommunikative Textverarbeitung. Das Programm kommuniziert praktisch mit allen Systemen, die Daten erzeugen. Das Potential rechnerunabhängiger Ergebnisdateien kommt vor allem dann zum Tragen, wenn es um die Überwindung der Rechnergrenzen geht. Der transparente Austausch von Daten reduziert die Notwendigkeit, Daten mehrfach zu compilieren und garantiert ihre ständige Aktualität. Solange Lösungen für die Verbreitung formatierter Texte und Grafiken auf verschiedenen Computersystemen rar sind, profitieren Atari-Anwender auch in dieser Hinsicht von TeX. (wk)

[1] S. Lindner. TeX und Grafik, et, 8, 1990
[2] DANTE e V. Postfach 10 18 40. 6900 Heidelberg 1

Bild 4. Einlesen einer externen Bild-Datei mit dem \input-Kommando

Klaus Konrad
Aus: TOS 04 / 1993, Seite 100

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