Wie kommt der Hit in den Rechner? Arrangierkurs für MIDI-Musikanten,Teil 2

Nachdem wir im letzten Teil unseres Arrangierkurses erste Erfahrungen anhand eines kurzen MIDI-Standard-Files gesammelt haben, wollen wir uns in dieser Ausgabe an einen aktuellen Hit heranwagen und ihn Schritt für Schritt in unseren Rechner übertragen. Das Opfer: das unverwüstliche »I can’t stand the rain«, zuletzt zu Ehren gekommen durch den Film »The Commitments«.

Doch bevor wir uns ganz der Praxis widmen, gestatten Sie mir noch ein paar Anmerkungen zur Theorie. Wie Sie beim letzten Mal hoffentlich gesehen haben, liegt das Geheimnis eines gelungenen Arrangements häufig in der sparsamen Instrumentierung. Bei der Arbeit an eigenen Songs hat es sich dabei als ratsam erwiesen, mit zunächst nur kleiner »Besetzung« zu beginnen, so daß das Arrangement auch von einer »echten« Live-Band noch spielbar wäre. Dadurch beugen Sie bereits im Vorfeld einem hoffnungslos überbordenden Instrumenten-Wirrwar vor. Eine denkbare MIDI-Band wäre beispielsweise: Schlagzeug, Baß, »Keyboard« (E-Piano, Orgel etc.) und Gitarre. Weiteres akustisches Beiwerk wie z.B. Bläser oder gar Soundeffekte sollten Sie erst in einem späten Stadium hinzufügen.

Es empfiehlt sich, nicht zu viel Zeit mit der Auswahl der einzelnen Sounds zuzubringen. Nichts ist nämlich kreativitätslähmender als eine halbstündige Suchaktion nach dem jeweils »optimalen« Klang. Geben Sie sich zu Beginn mit der ersten besten, halbwegs akzeptablen Variante zufrieden. Sie werden sehen, im Zusammenklang der einzelnen Instrumente fallen »Unpäßlichkeiten« der Sounds kaum noch ins Gewicht. Außerdem haben Sie genug Zeit, nach gelungeneren Klängen zu suchen, ist Ihr Arrangement erst einmal fertiggestellt.

Bild 1. Regentropfen, die aus dem Synthi klopfen

Hüten Sie sich in jedem Fall vor bombastischen Synthesizerklängen, die beim »Solo«-Hören zwar für andächtige »Oohs« und »Aahs« sorgen, in einem Arrangement allerdings meistens heillosen Soundbrei produzieren. Setzen Sie diese Sounds nur äußerst sparsam und vorsichtig ein, und verbannen Sie derartige Effektsounds - wenn möglich - in das Intro oder Ending eines Stücks. Dort darf dann das bombastisch blubbernde Atlantis oder der wütend tosende Wirbelsturm ungestört seine ganze dramatische Wirkung entfalten. Ähnliche Vorsicht ist bei der Verwendung von sogenannten »Streicherklängen« geboten. Sie erweisen sich zwar bei der Veredelung von Arrangements oft als delikates Sahnehäubchen und sind aus einer stilechten Ballade kaum noch wegzudenken, doch sollte auch bei den »Strings« gefühlvolles Maßhalten oberstes Gebot sein.

Welche der Spuren Sie schließlich zuerst in den Sequenzer einspielen, hängt stark vom persönlichen Geschmack und dem zu arrangierenden Material ab. Empfehlenswert ist allerdings, mit dem rhythmischen Grundgerüst, also Schlagzeug und Baß, zu beginnen. In dieses Fundament läßt sich am leichtesten die restliche »Band« einfügen. Ungleich schwieriger hingegen ist es, einen Schlagzeug-Groove an bereits eingespielte Pianos und Gitarren anzupassen. Doch sollte ein jeder seinen persönlichen Stil durch »Probieren und Studieren« entwickeln.

Ein wichtiger Tip noch zum Schluß unseres theoretischen Exkurses: Quantisieren Sie in jedem Fall wichtige rhythmische Instrumente, auch wenn vielerorts vom »Human Touch« gesprochen wird. Nichts ist nämlich schlimmer, als ein rhythmisch unsauberes, »klapperndes« Arrangement. Gerade der Einsteiger sitzt bei solchen Phänomenen oft ratlos vor dem Sequenzer und wundert sich, was denn an seinem Arrangement nicht stimmen mag. Die durch die Quantisierung verlorengegangene Lebendigkeit läßt sich leicht durch dynamische Nuancierungen wieder wettmachen.

Bild 2. Einfach aber effektiv: unser Drum-Pattern

Wie sich nun die lange Vorrede in klingende Praxis umsetzen läßt, zeigt der folgende Transfer des bereits angekündigten Oldies »I can't stand the rain«, der seit zwanzig Jahren immer wieder mit schöner Regelmäßigkeit in den unterschiedlichsten Cover-Versionen (u.a. auch von Tina Turner) in den Charts auftaucht. Was diesen Song besonders für unseren Kurs auszeichnet, ist (abgesehen von der Vorliebe des Autors für diesen Hit) zum einen sein relativ leicht durchschaubarer formaler Aufbau und das harmonisch nicht allzu komplexe Grundgerüst, zum anderen läßt sich die Originalbesetzung der »Commitments«-Band auch mit weniger aufwendigem MIDI-Equipment noch gut nachvollziehen.

Doch vor den musikalischen Lohn haben die Götter bekanntermaßen den Schweiß gesetzt, den wir in unserem Fall durch mehrmaliges, intensives Durchhören des Originals unter Fragestellungen wie Instrumentierung, Aufbau, Harmonisierung und Melodieführung produzieren. Die für den Ungeübten sicherlich am schwierigsten zu bewerkstelligende Aufgabe ist das Heraushören der Harmonien. Hilfreich hierbei erweist sich folgende Methode: Versuchen Sie herauszufinden, welchen »Basiston« der Baß jeweils spielt. Er ist in 90% aller Fälle mit dem Grundton des gerade gespielten Akkords identisch. Ob es sich dann um einen Dur- oder Moll-Akkord handelt und ob ihm noch weitere »Zusätze« wie Septimen oder Sexten hinzugefügt wurden, finden Sie leicht durch Ausprobieren heraus. Nicht zu verachten sind in diesem Zusammenhang auch sogenannte »Harmonielehre«-Bücher, die Ihre praktischen Fähigkeiten durch Erweiterung des theoretischen Horizonts verbessern.

Doch zurück zu unserem Song, dessen Aufbau wir folgendermaßen beschreiben: Intro mit dem bekannten Regentropfen-Motiv, zwei Strophen »A« mit dem Refrain »I can't stand the rain« (je acht Takte), eine Strophe (oder auch Zwischenteil) »B« (acht Takte), Strophe »A«, Strophe »B«, eine viertaktige instrumentale »Bridge« sowie ein Fade-Out auf dem A-Teil. Die Besetzung der »Commitments« kann man beinahe schon klassisch nennen. Wer den Film gesehen hat, braucht sich beim Hören gar nicht groß anzustrengen und rekapituliert aus dem Gedächtnis: Schlagzeug, Baß, Keyboards (Piano und Orgel), Gitarre sowie eine dreiköpfige Brass-Section, nicht zu vergessen natürlich der Leadgesang. Für das »Regentropfen«-Motiv benötigen wir noch einen Malletsound, etwa Xylophon oder Marimbaphon.

Mit den Regentropfen wollen wir denn auch unsere persönliche Coverversion beginnen. Dieses Motiv hat den unschlagbaren Vorteil, daß es lediglich einen einzigen Takt umfaßt und aus nur acht Noten besteht. Notationssichere Kursteilnehmer nehmen jetzt flugs diesen Takt in »Real-Time« auf (siehe Abbildung). Weniger versierte Musikanten geben einfach die entsprechenden Noten in einem Editor ein. Wie das aussehen könnte, zeigen wir jeweils am Beispiel des Cubase Key-Editors, den Sie in dieser oder ähnlicher Form aber auch in vielen anderen Sequenzern finden. Ach so, eine wichtige Information habe ich Ihnen natürlich noch vorenthalten: Das Stück steht im 4/4-Takt und läuft in ruhigen Vierteln, Metronom ca. 90 bpm.

Fertig? Prima, dann kopieren Sie doch diesen Part einfach dreimal hintereinander, so daß Sie insgesamt vier Takte »Regentropfen« in Ihrem Sequenzer haben.

Bild 3. Ein Standard-Baßlauf verrichtet bei uns seinen Dienst
Bild 4. Das Piano marschiert sturheil in Achteln

Damit haben wir nämlich unser Intro zu 50% fertig. Die verbleibenden 50% rekrutieren sich schlicht und ergreifend aus dem Schlagzeug-Groove, den wir in Takt 3, 4 und 5 folgen lassen. Es handelt sich hierbei um einen sehr einfachen, eintaktigen Rock-Groove (»Bumm-Zack, Bumm-Bumm-Zack«), der allerdings in diesem Stück seinen Zweck hervorragend erfüllt. Tasten virtuosen geben diesen Part vermutlich wieder direkt in »einem Rutsch« über die Piano-Tastatur ein, einfacher ist es allerdings, die Drums in einem Editor mit der Maus einzutragen. Unsere Abbildung zeigt hier den weitverbreiteten Drum-Editor, eine Anpassung an andere Varianten sollte aber nicht weiter schwerfallen. Wenn Sie nun unser Intro von Anfang an laufen lassen, fällt Ihnen sicherlich auf, daß in Takt fünf das Schlagzeug »leer läuft«. Dies ist beabsichtigt und liegt in der Natur der Melodie begründet, die »auftaktig« beginnt, d.h. nicht direkt auf der ersten Zählzeit des neuen Taktes sondern bereits vorher. Der fünfte Takt dient der Melodie also als eine Art Sprungbrett, auf dem sie sich, beinahe gänzlich unbegleitet, vorstellen darf. Ein guter Effekt, oder?

So, jetzt können wir mit der Aufahme der »Basic-Tracks« für die erste Strophe beginnen. Sie haben wiederum Glück, dieser »A-Teil« ist harmonisch sehr einfach, er besteht nämlich nur aus den beiden Akkorden »C7« und »F7«.

Kopieren Sie zunächst acht Takte unseres Drum-Grooves auf die Takte 6-14. Dann suchen Sic einen Baß-Sound mit kurzem Attack (also keinen wabernden Synthi-Baß) und spielen oder klicken das viertaktige Baß-Pattern ein. Dieses Baß-Motiv ist in der Pop-Musik weit verbreitet und findet in den unterschiedlichsten Musikstilen Verwendung. Achten Sie besonders auf den Effekt des »Vorziehens« der ersten Zählzeit in den Takten 7 bis 9. Deren »Eins« haben wir nämlich einfach auf die »Vier-und« (siehe Abbildung) des jeweils vorhergehenden Taktes gezogen und somit dem Stück deutlich mehr »Drive« verliehen. Probieren Sie ruhig einmal aus, wie es klingt, wenn alle »Einsen« genau auf den Punkt kommen. Anhand dieses Patterns können Sie übrigens auch leicht den vorhin bereits erwähnten »Kniff« des Grundton-Heraushörens üben. Um auf die vollen acht Takte zu kommen, müssen Sie das viertaktige Pattern natürlich noch einmal kopieren.

Zu guter Letzt wollen wir in dieser Folge noch den Piano-Part hinzufügen, der wiederum sehr einfach gehalten ist. Das Klavier hämmert nämlich einfach in Achtelbewegung die beiden Harmonien C7 und F7, wie aus der Abbildung deutlich ersichtlich wird. Bemühen Sie sich, wenn Sie diesen Part mit einer Tastatur eingeben, zunächst um einen in Bezug auf die Dynamik möglichst gleichmäßigen Anschlag. Probieren Sie dann aber auch ruhig einmal mit verschiedenen Lautstärkeschwankungen herum, Sie werden staunen. Da auch dieses Pattern nur viertaktig ist, vergessen Sie bitte nicht, es durch Kopieren auf acht Takte zu verlängern.

So, damit wären wir am Ende unseres zweiten Teils angelangt, in dem wir immerhin schon einen Großteil der ersten Strophe eingespielt haben. Fehlen eigentlich nur noch Gitarre und Gesang, doch diese Spuren folgen in der nächsten TOS. Auf der TOS-Disk finden Sie auch das zugehörige MIDI-File zu diesem Kursteil, es unterscheidet sich allerdings in einigen kleinen Details von der eben produzierten Version. Ob Sie diese Unterschiede wohl herausfinden? Die Auflösung folgt im nächsten Heft. (wk)

Bild 5. So könnte es am Ende dieses Kurteils bei Ihnen aussehen

Kai Schwirzke
Aus: TOS 01 / 1993, Seite 56

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