Wordflair: Flair geht vor

Textverarbeitungsprogramme entfernen sich verstärkt vom traditionellen Konzept reiner Texterfassung. Statt schlichter Dokumente produzieren Textsysteme heute bevorzugt Präsentationsobjekte. »In-House Publishing« ist das Erfolgsrezept des Dokumentenprozessors »Wordflair«.

Nur beiläufig stößt man bei »Wordflair« auf das Prinzip konventioneller Textverarbeitungen. Der Entwickler »Goldleaf« hat verzichtbare Funktionen, wie Fußnotenverwaltung und Trennfunktionen, erst gar nicht vorgesehen. Die Stärken des »Document Processors« sind eindeutig in der schnörkellosen und leicht erlernbaren Bedienung zu finden. Dem Programm liegt die Philosophie zugrunde, daß Manuskripte die Visitenkarte des Anwenders sind. Der neudeutsche Begriff dafür: »In-House-Publishing«.

Der Dokumentenprozessor »Wordflair«: Texte als Visitenkarte

Mit rund 300 KByte gehört der Testkandidat zu den kleineren Vertretern seines Genres. Anwender, die über 1 MByte im RAM verfügen, können befreit von Speichersorgen arbeiten. Allerdings ist der Speicherbereich auch von der Zahl der unter GDOS geladenen Fonts abhängig. Da kann es bei großen Präsentationsprojekten schon mal eng werden.

Das Wordflair-Prinzip wird am besten mit dem Begriff »objektorientierte Textverarbeitung« umschrieben. Objekte können Texte oder Raster- bzw. Vektorgrafiken sein. Mit einem eigenen Namen versehen lassen sie sich beliebig vergrößern, verkleinern oder verschieben. Von Manipulationsfunktionen ausgenommen ist lediglich der Hintergrund der Arbeitsfläche. Er entspricht immer der aktuellen Manuskriptgröße.

Objekte werden komfortabel mit der Maus verändert (rechte Maustaste) oder editiert (linke Maustaste). In einem Textobjekt können Textteile gesucht, Texte geschrieben, Blöcke markiert, ausgeschnitten und eingefügt werden. Man kann verschiedene Schriften verwenden. Zwischen ihnen läßt sich jederzeit hin- und herschalten.

Zur Arbeitsfläche gehört ein Textlineal mit linksbündigen Tabulatoren. Die linken und rechten Ränder werden mit der Maus verschoben. Das alles klappt auch im Spaltensatz: Textbreite und Zwischenräume sind frei definierbar.

Insgesamt kann man Wordflair bestätigen, daß es mit nur wenigen Mausklicks aus einem Text ein ansehnliches Dokument macht. Die Möglichkeiten des Anwenders bei der Absatzformatierung sind allerdings eingeschränkt: Für einen Absatz kann jeweils nur eine Gestaltungsfunktion (Block- und rechts- sowie linksbündiger Flattersatz) vereinbart werden. In einer Textbox, die man mit einem Icon aus der Iconleiste aufruft, sind die Gestaltungsmöglichkeiten noch spärlicher.

Doch Wordflair ist nicht auf zementierte Layouts festgelegt, wie sie Textverarbeitungssysteme bieten. Ähnlich einer DTP-Anwendung, können Bilder bzw. Grafiken aus anderen Programmen und Texte frei auf dem Bildschirm verteilt werden. So sind — wenn auch etwas aufwendiger — zentrierte Überschriften über einem linksbündigen Fließtext möglich. Dazu definiert man eine separate Textbox. Die Überschrift wird anschließend über den Text gelegt.

Nachteilig wirkt sich aus, daß Textblöcke automatisch (und ohne Beeinflussungsmöglichkeit) um den Überschriftsrahmen fließen. Elegant ist dieses Verfahren zwar nicht, doch kommt es einer intuitiven Arbeitsweise eher entgegen als die Definition fester Absatzlayouts.

Die Montage der Texte und Grafiken wird dabei durch einige Hilfsmittel vereinfacht. Ein frei wählbares Raster und Lineale am oberen und linken Bildschirmrand erleichtern die exakte Positionierung der Objekte. Sinnvoll, weil Wordflair nur über zwei Darstellungsmodi verfügt: neben dem 1:1-Arbeitsmodus über die Ganzseitendarstellung.

Funktionsvielfalt moderner Textsysteme: Rechnen inklusive
Auswahl zwischen Balken-, Torten- und Liniengrafiken

Während des Layouts auf einer DIN-A4-Seite ist die häufige Betätigung der Rollbalken nicht zu umgehen. Der Atari-Monitor (SM 124) verwehrt dem Anwender ein bequemeres Verfahren.

Über ein Icon im Hauptmenü erzeugt Wordflair Bildrahmen, in die Metafiles (GEM), Rastergrafikbilder (IMG) oder vom Dokumentenprozessor erzeugte Diagramme geladen werden können. Auf den ersten Blick ist die Zahl der Bildformate, mit denen sich Wordflair versteht, eher bescheiden. Das Programm wird jedoch mit einem Accessory ausgeliefert, mit dem fast alle Bilddateien in IMG-Files verwandelt werden können. Auf diese Weise erzeugte Bilder lassen sich im Wordflair-Arbeitsbereich drehen und ausschneiden.

Bemerkenswerte Fähigkeiten besitzt der Prozessor bei der Erzeugung von Präsentationsgrafiken. Es gibt eine Dialogbox für Torten-, Balken- oder Liniendiagramme mit beliebiger Beschriftung. Die benötigten Daten gibt man entweder über die Editorfunktion ein oder bezieht sie aus Rechenfeldern. Ein Rechenfeld ist ein normales Textfeld, dessen Inhalt variabel ist. Definiert wird es mittels einer Formel, die Inhalte anderer Textobjekte als Berechnungsgrundlage verwendet. Solche und ähnliche Referenzen zwischen Textobjekten stellt Wordflair über Objektnamen her.

Darstellung Im Ganzseitenmodus: Überblick im Lilliputformat

Mathematische Diagrammfunktionen sind besondere Highlights von Wordflair und verraten, daß die Programmentwickler eine Anwenderzielgruppe im kaufmännischen Bereich ins Auge gefaßt haben. Dafür gibt es eine Reihe von Features wie die Verknüpfung von Fließtextmarkierungen. Textstellen können, ähnlich wie bei Tabellenkalkulationen, mit Formeln verknüpft werden. Rechnungen, Serienbriefe und periodische Veröffentlichungen (Geschäftsberichte), in denen sich zwar das Zahlenmaterial, selten aber das Layout ändert, werden von Wordflair verwaltet und mit geringem Arbeitsaufwand aktualisiert.

Dabei sind nicht einmal alle Möglichkeiten ausgereizt: Eine anfangs noch inaktive Box am rechten Bildschirmrand dient in Verbindung mit einem Hauptmenüeintrag der Steuerung einer Datenbank. Zwischen den Datensätzen wird mit Pfeilbuttons umgeschaltet. Für die Ein- und Ausgabe benötigt Wordflair unbedingt Textboxen, denen dann als Namen die Feldbezeichnungen der Datenbank zugewiesen werden.

Ein schwergängiges Verfahren: Um eine Adreßdaten-bank in einen Text einzubinden, benötigt der Anwender jeweils die exakte Feldbezeichnung. Die fordert er über eine Infofunktion im Hauptmenü an und legt anschließend die Namen der Textfelder fest. Der Datenimport aus anderen Archivierungsprogrammeü funktioniert zur Zeit noch nicht. Durch die Verknüpfungsmöglichkeiten von Serienbrief-und Datenbankfunktionen ist die Ausgabe von Rechnungen eine simple und rationelle Sache. Unter Zuhilfenahme der Diagrammfunktion bindet Wordflair Illustrationen in den Text ein und überträgt Datenbankeinträge in Serienbriefe.

Elegant gelöst ist das Zeichnen von Pfeilen oder Linien im Text. Der Prozessor umrahmt Bilder, Textteile oder ganze Texte. Der Anwender bestimmt lediglich die Stärke der Linien. Auf Vereinbarung dupliziert Wordflair einzelne Objekte und legt sie — jeweils am gleichen Platz — auf verschiedenen Seiten an. So können Kopf- und Fußzeilen (Seitennummern bei geraden und ungeraden Seiten vertauscht) vereinbart werden.

Trotz des Funktionsumfangs ist der Dokumentenprozessor leicht zu bedienen. Lediglich bei einigen Datenbankfunktionen vermißt man eine klar strukturierte Benutzerführung. Erfreulich ist, daß sich alle Objekte auf einer Seite nach denselben Grundregeln manipulieren und teilweise, trotz unterschiedlicher Inhalte, über einen gemeinsamen Menüeintrag beeinflussen lassen. Die geringe Anzahl der Icons und die klare Gliederung der Menüpunkte sorgen für viel Transparenz.

Das Prinzip des »Inhouse Publishing«: universales Textsystem mit Datenbankfunktionen

Wichtig bei der Beurteilung eines Programms zur Herstellung repräsentativer Manuskripte ist die Druckerausgabe. Zum Ausdruck benötigt Wordflair einen GDOS-Treiber. Da es nur wenige Programme gibt, die diesen Umweg benutzen, ist die Versorgung der Anwender mit Zeichensätzen und Druckertreibern eher flau. Die mitgelieferten Treiber decken jedoch die gängigsten Druckermodelle ab. Die Qualität eines Wordflair-Ausdrucks braucht den Vergleich zur Konkurrenz (z.B. »Signum«, »Calamus«) nicht zu scheuen. Besonderes Flair bekommen Dokumente mit eingebundener Vektorgrafik: Die verarbeitet Wordflair dank GDOS in bestechender Qualität.

Wordflair wird damit durchaus seinem hohen Anspruch gerecht: Der Prozessor erzeugt nicht nur auf hochwertigen Ausgabegeräten ansehnliche Dokumente. Besonders das Verhältnis vom Arbeitsaufwand zum Ergebnis prädestiniert ihn zum Einsatz in kleineren und mittleren Betrieben. Wordflair wird zusammen mit dem Atari-GDOS auf drei Disketten geliefert. Druckertreiber für die gängigsten 9- und 24-Nadel-Drucker sind ebenso enthalten wie ein Treiber für den Atari-Laser. Andere können nachgerüstet werden, (em)

Wordflair ist erhältlich bei »Computerware« Gerd Sender, 5000 Köln, Weißer Str. 76

Bei Bildformaten ist »Wordflair« nicht zimperlich: Auch Metafiles lassen sich einlesen.
## Wordflair 1.1

Preis: 249 Mark
Entwickler: Goldleaf Inc.
Vertrieb: Computerware Gerd Sender


**Erforderliche Hardware: ** □ 1 MByte RAM □ zwei Disketten-Laufwerke oder Festplatte □ Monochrom- oder Farbmonitor □ GDOS □ der Einsatz eines Großbildschirms ist möglich


Stärken: □ Verarbeitungsgeschwindigkeit □ Bedienungskomfort □ durchdachte und umfangreiche Serienbrieffunktion □ erzeugt hochwertige Präsentationsgrafiken

Schwächen: □ keine Silbentrennung, □ Textformatierung nur im eingeschränkten Umfang möglich □ keine Importfunktion für die Datenbank

Fazit: ein Programm, das Textverarbeitungsprogramme nicht ersetzt, sondern allenfalls ergänzt, in seiner Funktionsvielfalt aber weit über die Möglichkeiten konventioneller Wortprozessoren hinausgeht.


Arndt Bär
Aus: ST-Magazin 11 / 1990, Seite 46

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