Test: Avalon (Teil 1)

Avalon, Steinbergs universeller Sample-Editor auf dem Prüfstand

Avalon, das nebelverhüllte keltische Elysium, in dem nur auserwählte Helden ein sorgen- und mühefreies Leben führen: Mit solchen Wunsch-Vorstellungen verbinden wohl viele Musiker das Herstellen und Bearbeiten von Samples. Frei nach dem Motto »Ich nehm' meinen nur zum Abspielen« fristet auf diese Weise so mancher Klanggigant sein trauriges Dasein als schnödes Abspielgerät für vorgefertigte Sounds. »Avalon«, der universelle Sample-Editor aus dem Hause Steinberg, schickt sich an, diesem Mißstand abzuhelfen und die höheren Weihen der Klangbearbeitung und Resynthese nicht nur den geldbewehrten Studiohelden unserer Tage angedeihen zu lassen. Zum Test lag uns Avalon in der Update-Version 1.1 vor.

»Universal Modular Digital Sample Editing, Processing & Resynthesis Software« liest der erstaunte Anwender beim Ladevorgang in großen Lettern auf dem Bildschirm. Ähnlich mächtig und beeindruckend wie dieser Wortgigant ist auch die Funktionsfülle von Avalon. Drei Programmebenen stehen dem Klangtüftler zur umfassenden Bearbeitung seiner Sounds zur Verfügung. Die erste Ebene, die »Mapping Page«, ist mit dem normalen GEM-Desktop verwandt und dient der Systemverwaltung und Klangdatenübertragung. Ähnlich wie auf dem normalen GEM-Desktop finden Sie hier Icons für die Laufwerke, Sampler und Samples. Das Clipboard, ein »universelles Info-Icon«, sowie der unvermeidliche Papierkorb vervollständigen den Bildschirm-Schreibtisch.

Ein Treiber für jeden Sampler

Abhängig von den zur Verfügung stehenden Samplern wählen Sie per Menü die entsprechenden MIDI-Treiber aus, wobei pro installiertem Treiber ein Key-board-Icon erscheint. Wer über einen entsprechenden »Sampler-Park« verfügt, darf auch mehrere Geräte anmelden. Alle Icons sind frei auf dem Bildschirm positionierbar, so daß einer individuellen Desktop-Gestaltung nichts im Wege steht. Haben Sie sich den Schreibtisch nach Ihrem Geschmack eingerichtet, sichern Sie alle Einstellungen für die Zukunft.

Der Transfer von Daten gestaltet sich außerordentlich bequem. Sie ziehen einfach mit der Maus das Herkunfts-Icon auf das Ziel-Icon, egal ob Sie nun einen Sound von Ihrer Festplatte zum ST oder vom ST zum Sampler übertragen. Ebenso schnell und effektiv konvertieren Sie 12-Bit- in 16-Bit-Samples: Sie laden einen 12-Bit-Sample und senden ihn ohne Umschweife an ein 16-Bit-Gerät. Die fehlenden 4 Bit ergänzt Avalon durch Interpolation.

Maximal vier Bänke zu je acht Samples verwaltet Avalon im RAM, wobei Sie bei Bedarf jeweils zwei Sample-Icons zur Bearbeitung von Stereo-Samples zusammenfassen. Die genaue Anzahl der Samples hängt natürlich von der Menge der zu bearbeitenden Daten sowie dem vorhandenen Arbeitsspeicher ab. Avalon läuft zwar auf allen STs mit 1 MByte RAM, hier stehen allerdings nach Laden des Programms »nur« noch ca. 400 KByte bereit. Ein 5 Sekunden langer 16-Bit-Mono-Sample beansprucht bei einer Sample-Rate von 39 kHz bereits 390 KByte, und Avalon verwaltet zusätzlich noch ein Clipboard und einen Undo-Puffer. Deshalb ist wirklich komfortables Arbeiten erst ab 2 MByte möglich.

Für den Betrieb im MROS-Verbund mit »Cubase« sind 4 MByte ein unbedingtes Muß.

Durch Doppelklick auf ein Sample-Icon gelangen Sie in die zweite Ebene des Programms, den »Time-Domain-Editor«. Hier sieht sich der Anwender mit einem ganzen Arsenal von mächtigen Funktionen zur digitalen Nachbearbeitung seiner Sounds konfrontiert. Über 30 Werkzeuge stellt die Toolbox am linken Bildschirmrand zur Verfügung. Damit kein Frust am Menü-Wirrwarr die kreative Schaffensfreude trübt, haben sich die Avalon-Programmierer etwas besonderes einfallen lassen: eine Online-Hilfe.

Die ist in allen Ebenen aktiv und einfach zu bedienen: Sind Sie im Zweifel, was nun dieses Icon oder jener Menüeintrag bewirkt, betätigen Sie <Help>. Der Mauszeiger verwandelt sich in ein Fragezeichen. Klicken Sie jetzt das unbekannte Objekt an, zeigt Avalon einen ausführlichen Hilfstext. Auch alle jeweils gültigen Tastatur-Codes rufen Sie auf diese Weise ab. Die Hilfe ist so gut und umfangreich, daß sich der Blick ins Handbuch meistens erübrigt. Diese Art der Benutzerführung sollte Schule machen.

Doch zurück zum Time-Domain-Editor. Bis /u acht Samples bearbeiten Sie auf dieser Ebene gleichzeitig. Für jeden Sample steht ein eigenes Fenster zur Verfügung. Damit Sie auch bei der Arbeit mit längeren Samples nicht die Orientierung verlieren, lassen sich bis zu acht Marken im Sample positionieren und per Tastendruck oder Menü anwählen.

Sehr komfortabel gerät mit Avalon die Suche nach geeigneten Loop-Points. Zunächst setzen Sie mit der Maus im gewünschten Bereich zwei Markierungen für Loop-Start und -End. Wechseln Sie jetzt auf den »Split Loop«-Modus.

Hier wird das Sound-Window in drei Bereiche unterteilt: Im oberen Drittel sehen Sie den kompletten Sample im Überblick, unten links den Bereich um den Loop-End und unten rechts den Bereich um den Loop-Start. Die Schnittkante in der Mitte entspricht dadurch genau dem tatsächlich erklingenden Ix>opverlauf. Durch Anklicken der Schieberegler bzw. Pfeile unter den Loopfenstern verschieben Sie die Loop-Positionen solange, bis Sie mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Sollte sich das manuelle Aufstöbern guter Loops als zu kompliziert erweisen, übernimmt Avalon auf Wunsch diese Arbeit für Sie. Sie teilen dem Programm nur mit, in welchem Bereich die Suche erfolgt und ob es Start- und Endpunkt oder nur einen von beiden ermitteln soll.

Oft erweisen sich rechnerisch günstige Punkte als musikalisch unbefriedigend. Mit »Cross-Fade« passen Sie die Loop-Punkte anschließend aneinander an, so daß sich ein glatter Übergang ergibt.

Sounds lassen sich blockweise oder komplett ein- oder ausblenden, verstärken oder abschwächen, verschieben, kopieren, invertieren und mit anderen Samples mischen. Die Liste der Funktionen scheint unbegrenzt.

Es ist theoretisch sogar möglich, mit der »Subtract Block«-Funktion ein Schallereignis (z.B. Händeklatschen) aus einem Sample herauszufiltern, wenn es gesondert als Block vorliegt. Neu in der Version 1.1 ist »Delay-Block«. Hier fügt Avalon dem Original einen Block mit einer Verzögerung von bis zu 10 Sekunden hinzu.

Gut sortiert präsentiert sich auch Ava-lons Filtersektion. Die Filter (Hochpaß, Tiefpaß und Notch) verfügen über eine Flankensteilheit von 24 dB pro Oktave und arbeiten wirklich ausgezeichnet. Sie sind regelbar in ihrer Eckfrequenz und Bandbreite.

Falls nötig, verhelfen Sie einem Sound per Mauszeichnung schnell zu einem neuen Dynamik-Verlauf, oder editieren ihn pixelweise in der »Draw-Resolution«. Alle Veränderungen am Sample lassen sich durch Betätigen von < Undo > wieder rückgängig machen, es sei denn, diese Funktion ist im »Options«-Menü abgeschaltet. Zur Kontrolle über alle vorgenommenen Manipulationen hören Sie Samples komplett oder blockweise über den Monitorlautsprecher des ST ab. Die hier erreichte Klangqualität ist für Atari-Verhältnisse ausgezeichnet, reicht aber doch nur zur groben Kontrolle z.B. von Loop-Punkten.

Da die Übertragung an den Sampler per MIDI eine zeitraubende Angelegenheit ist, bietet Steinberg ein DA-Board an, das über den ROM-Port mit dem ST verbunden wird. Zusätzlich enthält dieses Board noch eine AES/EBU-Schnitt-stelle, die den digitalen Datenaustausch zwischen Avalon und digitalen Datenträgern wie z.B. einem CD-Spieler erlaubt. Bislang arbeitet dieses Board mit einer 12-Bit-Auflösung. Bei Steinberg ist allerdings ein 16-Bit-Stereo-Board in Vorbereitung, das ab Dezember zum Preis von 590 DM erhältlich sein soll.

Bereits beim jetzigen Stand unseres Testberichts muß man Avalon aufgrund seiner sehr guten Benutzerführung und Funktionsvielfalt einen Spitzenplatz unter den Sample-Editoren einräumen. Der zweite Teil des Tests befaßt sich mit dem »Frequency-Domain-Editor«. Hier dringt Avalon durch Resynthese von Samples in Dimensionen vor, die bislang nur Systemen jenseits der 10000-Mark-Grenze vorbehalten waren. (wk)

Steinberg, Billwerder Neuer Deich 228, 2000 Hamburg 28


Kai Schwirzke
Aus: ST-Magazin 12 / 1989, Seite 140

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