Spectre 128: Der Computer im Computer

Spectre 128 emuliert einen Apple Macintosh mit 128-KByte-ROMs auf dem ST

Nachdem »Aladin« bereits seit längerem erfolgreich einen Macintosh mit den kleinen 64-KByte-ROMs auf unzähligen STs nachbildet, schickt sich nun das amerikanische Produkt »Spectre 128« an, ST-Besitzern die ganze Welt der hochwertigen und hervorragenden Mac-Programme zugänglich zu machen.

Die ersten Macintosh-Computer von Apple enthielten 64 KByte große ROMs, die Routinen bereitstellen, auf die das Betriebssystem und Anwendungsprogramme zurückgreifen. Das eigentliche Betriebssystem »System« und die grafische Benutzeroberfläche »Finder« lädt der Mac erst nach dem Einschalten von Diskette oder Festplatte. Im Zuge der Weiterentwicklung versieht Apple ihre Macs seit gut zwei Jahren mit 128 KByte großen ROMs, die über zusätzliche Routinen beispielsweise für eine Farbdarstellung verfügen. Bei dieser Umstellung wurde sorgsam darauf geachtet, daß die kleinen ROMs eine Untermenge der neueren ROMs darstellen. Dies bedeutet für die Anwender, daß Programme, die auf den alten Macs liefen, auch auf den neueren Geräten ohne Schwierigkeiten ihren Dienst versehen, wenn sie »sauber« programmiert wurden. Eine saubere Programmierung bedeutet auf dem Macintosh, daß sich das Programm penibel an die von Apple veröffentlichten Programmierrichtlinien hält. Eine logische Folge dieser ROM-Erweiterung ist, daß jüngere Macintosh-Programme wie »HyperCard« oder »More II« auf die zusätzlichen Routinen zugreifen und daher auf den kleinen ROMs nicht lauffähig sind. Genau hier liegt ein Manko der beiden etablierten »Mac-Enhancer« Aladin und »Magic Sac«: Es läuft nur Software, die sich mit den kleineren alten ROMs begnügen.

Da die großen ROMs lediglich zusätzliche Routinen enthalten, wäre es beispielsweise denkbar, daß die Entwickler der bereits etablierten Mac-Emulatoren diese Routinen neu programmieren und beim Start in das System integrieren. Danach sollte ein Programm nicht mehr in der Lage sein, festzustellen, daß der Emulator selbst nur mit den kleinen ROMs arbeitet.

Gadgets by Small, die Entwicklungsfirma des neuen Spectre 128, ging bei ihrem Produkt einen anderen Weg. David Small programmierte kurzerhand einen neuen Macintosh-Emulator, der sowohl mit den kleinen als auch mit den großen ROMs Zusammenarbeiten soll. Zu einem ersten Test stand uns die Version 1.75 zur Verfügung.

Spectre 128 wird in einem stabilen Plastikschuber ausgeliefert, der die Programmdiskette, das englischsprachige Handbuch und ein Modul für den ROM-Port des Atari ST enthält.

Die wichtigsten Teile des Moduls sind zwei leere IC-Sockel, die vom Käufer mit den Mac-ROMs zu bestücken sind. Weiter gehört das Programm »Transverter 4.20« zum Lieferumfang des Spectre. Der Transverter ist ein Hilfsprogramm, mit dem man Dateien zwischen ST- und Spectredisketten austauscht. Dies ist ohne den Transverter nicht möglich, da der ST ein anderes Format als der Spectre unterstützt.

Hat man die Platine mit Mac-ROMs bestückt, benötigt man für die ersten Schritte doch noch einen Macintosh, mit dem man über die seriellen Schnittstellen des Macs und des STs nicht kopiergeschützte Dateien auf den Atari überträgt. Mit dem Transverter bringt man die Dateien schließlich ins Spectre-Format.

Nach dem Start von Spectre erscheint ein Desktop, in dem man das Programm auf die jeweilige Hardware konfiguriert. So legt man im Menü »Memory« die Speichergröße des emulierten Macs fest. Einstellbar sind Größen von 256 bis 3456 KByte. Weiter stellt man hier ein, ob ein Cachespeicher eingesetzt und über welche Schnittstelle der Drucker angesteuert wird. Unter dem Menüpunkt »Hard Disk« formatiert man eine oder mehrere Partitionen einer Festplatte, die man später im Mac-Modus nutzt. Ferner bestimmt man hier, ob Spectre das Mac-System und den Finder von der Festplatte oder von Diskette bootet.

Da Spectre normale ST-Disketten wegen des eigenen Formates nicht verarbeitet, formatiert man Spectre-Disketten unter dem Menüpunkt »Floppy Disk«. Dabei ist es ratsam, sich gleich mit einem gewissen Vorrat an formatierten Disketten einzudecken, da ein Formatieren im Mac-Modus bis jetzt noch nicht vorgesehen ist. Ab Version 2.0 soll dieses Manko behoben sein. Da die Diskettenverwaltung des Macintosh ungleich komplizierter ist als die des ST, bestimmt man ferner in diesem Menü, ob Spectre Diskettenwechsel selbstständig erkennt, oder ob man dem Emulator einen Wechsel über das Drücken der Tasten < F1 > beziehungsweise < F2 > mitteilt. Auch lassen sich hier Disketten im Spectre-Format duplizieren.

Nach dem Sichern der Einstellung startet ein Druck auf die Return-Taste den Mac im ST. Nach dem Booten des Systems und des Finders erscheint auf dem Bildschirm der gewohnte Mac-Desktop. Hat man nicht von Festplatte gebootet, so bindet man auf der GEM-Seite von Spectre formatierte Partitionen mit den Funktionstasten ab < F3 > in das System ein.

Bereits beim Bildschirmaufbau fällt auf, daß Spectre hier einen Original-Mac übertrifft. Kopiert man Dateien von Diskette auf Festplatte oder umgekehrt, so ist man von der Geschwindigkeit angenehm überrascht, die Spectre hierbei an den Tag legt. Hier ist der Emulator seinen direkten Konkurrenten auf alle Fälle überlegen.

Unsere ersten Tests bestanden darin, mit MadTerminal Dateien von einem Mac SE via Nullmodem auf den ST zu transferieren. Zu unserer Überraschung kam es bereits dabei zu häufigen Abstürzen. Als besonders tragisch erwies sich ein Absturz während eines Schreibzugriffs auf die Festplatte: Die betreffende Partition ließ sich nicht mehr ansprechen und mußte neu formatiert werden. Dabei gingen einige MByte Daten verloren.

Nach diesen doch sehr deprimierenden Erfahrungen bildete sich in der Redaktion sehr schnell die Meinung, daß ein sinnvolles Arbeiten mit diesem Emulator nicht möglich sei. Erst nach einigen Gesprächen mit ausgesprochenen Macintosh-Experten kamen wir dahinter, daß die von uns verwendeten 128-KByte-ROMs schon fast zwei Jahre alt waren. Nachdem wir diese ROMs gegen Speicherchips jüngeren Datums austauschten, verhielt sich der Emulator wesentlich freundlicher. Die Abstürze verringerten sich deutlich. So verabschiedete sich HyperCard während eines Tests unter System 4.3(D1) und Finder D1-6.1, der sich über ein Wochenende erstreckte, nur zwei mal, wobei einmal Operationen mit dem Mac-Sound durchgeführt wurden, den Spectre bekanntlich nicht unterstützt. Der Besitz geeigneter ROMs ist eine unerläßliche Voraussetzung, um mit Spectre 128 professionell zu arbeiten.

Weiter erhielten wir unmittelbar vor Redaktionsschluß die Mitteilung, daß Spectre Version 1.9 bei einem Münchner Händler eingetroffen sei. Wieweit unter dieser neuen Version und mit den neuen ROM-Bausteinen ein professionelles Arbeiten mit Macintosh-Programmen möglich ist, erfahren Sie in einer unserer nächsten Ausgaben, (uh)

Fearn + Music, Römerstr. 21, 7000 Stuttgart 1

# Der Mac im ST

Ein Programm, das einen Computer dazu bringt, sich so zu verhalten, als wäre er ein anderer, nennt man Emulator. Damit ein Spectre 128 diese Aufgabe zur vollen Zufriedenheit seines Besitzers erfüllt, muß dieser zuerst Macintosh-ROMs in die Spectre-Platine stecken. Die ROMs sind aus lizenzrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang des Emulators enthalten. Hieraus ergibt sich ein ernsthaftes Problem. Nach Auskunft einiger Apple-Vertragshändler sind in Deutschland Mac-ROMs derzeit nur als Paketangebot, sprich als kompletter Macintosh, erhältlich. Bei Interessenten kursieren aber bereits Listen von Händlern, die auch 128-KByte-ROMs zum Verkauf anbieten. Dabei handelt es sich um Bausteine, die legal aus den Vereinigten Staaten importiert wurden.

Da Apple Deutschland den Standpunkt vertritt, ein Emulator, der die original Apple-ROMs benutzt, verstößt bereits gegen die Lizenzbestimmungen aus dem Hause Apple, wurden in der Vergangenheit bereits einmal die Gerichte wegen eines etablierten Emulators bemüht. Wieweit Apple Deutschland den Spectre 128 duldet, bleibt also abzuwarten.

Wertung

Name: Spectre 128

Preis: 399 Mark

Hersteller: Gadgets by Small

Stärken:

□ unterstützt 128-KByte-ROMs □ sehr schnelle Bildschirmausgabe □ sehr schnelle Disketten- und Festplattenzugriffe

Schwächen:

□ formatieren im Mac-Modus nicht vorgesehen □ kein Sound □ reagiert unterschiedlich auf verschiedene ROM-Versionen

Fazit:

Macintosh-Emulator, auf dem auch die Mac-Software läuft, die die 128-KByte-ROMs voraussetzt.


Ulrich Hofner
Aus: ST-Magazin 04 / 1989, Seite 14

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