PC-Show in London: »The best of both worids...«

Englands wichtigste Computer-Messe, die PC-Show in London, war auch für den Atari ST ein entscheidendes Datum. Die pfiffigsten Neuheiten im Hardware-, Software- und Spielebereich stellen wir vor.

Mit dem Touch Window können Sie den Mauszeiger mit dem Finger bewegen

Fright Night spielen Sie am sinnvollsten kurz vor Mitternacht

Ende September traf sich ganz Computer-Europa in London, um auf der PC-Show die neuesten Entwicklungen im Hard- und Software-Bereich zu bewundern. Auch Atari hatte hier im wahrsten Sinne des Wortes seine Zelte aufgeschlagen: Unter drei großen Zeltdächern zeigten die englischen »Atarianer« Hard- und Software sowie viele Spiele. Unter diesem Motto stand auch der Atari-Stand: »Best of both worlds: Business and Entertainment« (Das Beste beider Welten: Professioneller Einsatz und Unterhaltung); Spiele-Käufer sind für Atari UK genauso wichtig wie Textverarbeitungs-Anwender.

Bei der Original-Atari-Hardware gab es wenig Überraschungen. Wieder einmal spulte der Transputer inzwischen ein Jahr alte Grafikdemos ab; technische Neuigkeiten, Liefertermine und feste Preisangaben wurden nicht bekanntgegeben. Auch sonst sah man nichts, was nicht auch Wochen zuvor auf der deutschen Atari-Messe in Düsseldorf zu sehen war.

Im Software-Zelt fühlte man sich als deutscher Besucher schnell heimisch: Besonders groß vorgestellt wurden »Calamus«, »Signum«, »Stad«, »Campus CAD« und trotz vieler heimischer Spielesoftware »Bolo«, alles Produkte deutscher Programmierer. Neue professionelle Software aus England gab es praktisch nicht; Atari England kündigte lediglich an, daß demnächst jedem ST ein integriertes Paket bestehend aus Textverarbeitung, Datenbank und Terminverwaltung beiliegen soll. Einige andere englische Software-Produkte waren nur für PCs erhältlich; Atari möchte sich auch im englischen PC-Markt ein festes Standbein erwirtschaften.

Eine sinnvolle und technisch neue Hardware-Erweiterung kommt von Eagle Computers:

»Touch Window« macht Monitore berührungsempfindlich. Statt mit der Maus auf dem Tisch fahren Sie mit dem Finger über den Monitor, um den Mauszeiger zu bewegen.

Die Umrüstung ist kinderleicht: Eine berührungsempfindliche Glasscheibe mit entsprechender Elektronik im Rahmen steckt auf dem Monitor, ein Anschlußkabel kommt in den seriellen Port des ST. Wird noch ein kleines, speicherresidentes Programm geladen, kann man die Maus getrost weglegen und alle GEM-Programme mit der rechten Hand bedienen. Es macht einen ungeheuren Spaß, Menüs und Icons mit dem Finger anzuklicken; platzsparend ist es allemal, da man sich den Maus-Auslauf schenken kann.

Das komplette anschlußfertige Display inklusive Software soll etwa 400 Pfund, umgerechnet um die 1300 Mark, kosten. Seine Auflösung beträgt 256 x 256 Punkte, der Berührpunkt auf dem Display wird jede Sekunde 75mal abgefragt. Technisch besteht das Display aus zwei dünnen, elektrisch leitenden Plastikfolien, die sich bei Druck von außen berühren und so ihren elektrischen Widerstand ändern. Das »Touch Window« soll in England in Kürze lieferbar sein.

Von der französischen Software-Firma UBI-Soft kommt ein Sound-Modul für den ST namens »MV 16«. In den ROM-Port gesteckt bietet es dann 16 unabhängige Stimmen für Digital-Sound. Jede Stimme hat eine Auflösung von 8 Bit. Das Spielen der Sounds soll dank DMA-Technik praktisch keine Rechenzeit beanspruchen. Den normalen Sound-Chip beeinträchtigt »MV 16« in seiner Funktion nicht. Von Preisen und Lieferterminen wollte man bei UBI-Soft noch nicht reden, da die Entwicklung nicht vollständig abgeschlossen sei.

Englands Autofahrer dürfen sich auf den ersten Straßen-Atlas auf Diskette freuen. Von »Nextbase« kommt eine intelligente Software namens »Auto Route«, die nicht nur das gesamte Straßennetz Englands kennt, sondern auch automatisch die günstigsten Strecken zwischen zwei Punkten heraussucht. Sie wollen zum Beispiel von London nach Birmingham fahren. Sie tippen diese zwei Orte in einer Dialogbox ein. In etwa einer Minute berechnet Auto Route die kürzeste, die schnellste und die ökonomischste Strecke zwischen diesen beiden Punkten und gibt meist mehrere Streckenvorschläge, die einen guten Mittelwert zwischen diesen drei Optimal-Lösungen bieten. Neben der Strecke informiert das Programm auch über die zu erwartende Reisezeit. Natürlich kann »Autoroute« auch Landkarten darstellen und sogar detaillierte Fahranweisungen drucken, die man sich im Auto neben das Armaturenbrett legen kann.

Der Entscheidungsprozeß von Auto Route kann durch detailliertere Angaben über Ihr Auto und Ihren Fahrstil beeinflußt werden. Wenn Sie beispielsweise einen beladenen Lastwagen fahren, der einen geringere Höchstgeschwindigkeit als ein Sportwagen hat, kann eine Landstraße günstiger als eine Autobahn sein. Auf Wunsch sucht das Programm sogar nach Strecken, bei denen Sie so wenig wie möglich die Straße wechseln müssen. Die Datenbank des Programms enthält nicht nur Straßennamen, sondern auch deren durchschnittliches Verkehrsaufkommen (stauträchtig?) und den aktuellen Baustellen-Zustand. Updates der Datenbank mit allen neuen Straßen sollen jährlich erscheinen.

Auto Route kostet etwa 150 Pfund und ist in dieser Form natürlich nur für den englischen Markt interessant. Der Hersteller war auf Anfrage jedoch sehr an einer Deutschland-Ausgabe des Programms interessiert.

Der Schwerpunkt der PC-Show lag aber im Spiele-Bereich. Selbst Atari UK paßt sich voll an diesen Trend an und legt jedem ST zu Weihnachten ein Paket mit 20 topaktuellen Spielen kostenlos bei. Damit versüßt Atari die leichten Preisanhebungen, die in England aufgrund der immer noch hohen RAM-Preise nicht zu vermeiden waren. Atari stellte auch über ein Drittel seines Standes den Spielefirmen zur freien Verfügung. In der schummrig beleuchteten »Atari-Arcade« probierten Kids und Erwachsene an über 40 STs die neuesten Spiele aus. Atari UK hat sogar begonnen, selber Spielprogramme zu vertreiben. Wie man uns bei Atari UK mitteilte, scheint Atari Deutschland kein Interesse an diesen Programmen zu haben. Man sieht sich deswegen nach anderen Vertriebspartnern um, um die Atari-Spiele in Deutschland zu verkaufen.

Wer dachte, daß er auf der Atari-Show viele neue ST-Spiele sehen könnte, wurde etwas enttäuscht. Schlimmer als in den letzten Jahren ist die PC-Show eine reine Ankündigungsmesse geworden. Da sich die englischen Firmen mit Vorliebe auf Spielhallen-Automaten und Film-Lizenzen stürzen, gab es viele Automaten und Videoclips zu sehen. Die fertigen Spiele folgen erst zur Weihnachtszeit. Film-Umsetzungen sind meist von Action-Streifen zu erwarten: »Robocop«, »Red Heat«, »Rambo III« und »Running Man« besuchen an Weihnachten die STs, aber auch edlere Filme wie »The Untouchables« »versoften«.

Unter den angekündigten Automaten-Umsetzungen befanden sich Spielhallen-Renner wie »R-Type«, »Afterburner«, »S.D.I.« oder »Operation Wolf«. Manche Aussteller suchten allerdings noch Programmierer, die die Umsetzungen der Automaten tatsächlich programmieren. Aus diesem Grund sind nur wenige der angekündigten Spiele auch wirklich noch in diesem Jahr in den Geschäften zu erwarten.

Daß der Softwaremarkt für den ST etwas »erwachsener« ist als bei 8-Bit-Computern, versucht Microdeal zu beweisen. Zum Gruselfilm »Fright Night« sind ein Adventure- und ein Action-Spiel in Vorbereitung, die mit gruseliger Handlung ganz klar ein Publikum über 18 Jahren anstreben.

Geruhsamer ging es bei einer ersten Demonstration von »Colossus Chess X« zu. Colossus soll das erste Schachprogramm werden, das während des Spiels dazulernt und ständig besser spielen lernt. Weiterhin bietet das Programm ansprechende 3D-Grafik, eine umfangreiche Eröffnungsbibliothek und auf Wunsch sogar Sprachausgabe.

Lange angekündigt und erwartet gab es endlich eine fast fertige Version des Klassikers »Elite« zu sehen. Elite ist ein Weltraum-Action-Simulations-Handels-Spiel, das 1985 auf dem C 64 alle Rekorde schlug.

Über 2000 verschiedene Planeten fesseln den Spieler monatelang an den Monitor. Einen Test der ST-Version finden Sie voraussichtlich in der nächsten Ausgabe des ST-Magazins.

Insgesamt darf man über die PC-Messe sagen, daß sich der ST in England nicht nur als Spielecomputer zu etablieren beginnt. Die ersten wirklich innovativen und sinnvollen Anwendungen aus England tauchten auf; Ataris Marketingstrategie in England scheint langsam erste Erfolge zu zeigen. Daß die bekanntesten Profi-Programme in England allerdings aus deutscher Hand stammen (siehe Calamus, Signum und Stad), darf uns ein wenig stolz stimmen, (hb)

»Touch Window«: Eagle Computers, 48 Charles Street, Cardiff, CF1 4EF, England »MV 16«: UBI-Soft, 1 voie Fiix Ebou, 94021 Cedex, Paris, Frankreich

»Auto Route«: Nextbase Ltd., Unit 18, Central Trading Estate, Staines, Middlesex, TW18 4XE, England

PC-Show in London: »The best of both worids...«

Unter den zahlreichen Ankündigungen ist auch R-Type

»Auto Route« berechnet die günstigste Strecke... .. .und zeigt sie auf einer übersichtlichen Landkarte.


Boris Schneider
Aus: ST-Magazin 12 / 1988, Seite 8

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